Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 668-672.

Karl Marx

Die Erregung in Irland

Aus dem Englischen.


"New-York Daily Tribune" Nr. 5530 vom 11. Januar 1859.

<668> London, 24. Dezember 1858

Einer Regierung, die wie das jetzige britische Ministerium eine im Zerfall befindliche Partei repräsentiert, wird es stets eher gelingen, ihre alten Grundsätze loszuwerden als ihre alten Verbindungen. Als sich Lord Derby in der Downing Street niederließ, hatte er sich zweifellos vorgenommen, die groben Fehler zu sühnen, die in der Vergangenheit seinen Namen in Irland sprichwörtlich gemacht hatten; und sein gewandter Kronanwalt für Irland, Herr Whiteside, zögerte auch keinen Augenblick, die ihn an die Orangisten-Logen bindenden Eide in den Wind zu schlagen. Indessen gab damals Lord Derbys Machtantritt gleichzeitig einer Koterie der herrschenden Klasse das Signal, herbeizustürzen und die Posten zu besetzen, die eben frei geworden waren, nachdem man die andere Koterie gewaltsam vertrieben hatte. Die Bildung der Derby-Regierung hatte zur Folge, daß alle Regierungsämter an eine buntscheckige Mannschaft verteilt werden sollten, die noch immer durch einen bedeutungslos gewordenen Parteinamen vereint ist, noch immer unter einem Banner marschiert, das in Fetzen gerissen ist, und die in der Tat nichts Gemeinsames hat, abgesehen von Reminiszenzen der Vergangenheit, Klubintrigen und vor allem der festen Entschlossenheit, gemeinsam die irdischen Güter eines Amtes zu teilen. So sollte also Lord Eglinton, der Don Quichote, der im England der Geldkrämer die Ritterturniere wieder aufleben lassen wollte, als Lord Lieutenant <Vizekönig von Irland> in Schloß Dublin eingesetzt werden, und so sollte Lord Naas, berüchtigt als der rücksichtslose Parteigänger der irischen Gutsbesitzer, zu seinem ersten Minister ernannt werden. Dem würdigen <669> Paar arcades ambo wurde selbstverständlich beim Verlassen Londons von ihren Vorgesetzten ernsthaft eingeschärft, mit ihren Grillen aufzuhören, sich anständig zu betragen und nicht durch mutwillige Streiche ihre eigenen Auftraggeber zu beunruhigen. Lord Eglintons Weg über den Kanal war, daran zweifeln wir nicht, mit guten Vorsätzen gepflastert, wobei die Aussicht auf das vizekönigliche Narrenzepter vor seinem kindischen Geiste tanzte, während Lord Naas bei seiner Ankunft auf Schloß Dublin entschlossen war, sich davon zu überzeugen, daß das massenweise clearance of estates, das Niederbrennen von Bauernhütten und das erbarmungslose Vertreiben ihrer armen Insassen im richtigen Tempo vorsichgehen. Doch da Parteirücksichten Lord Derby gezwungen hatten, falsche Leute an den falschen Platz zu stellen, brachten Parteirücksichten sogleich jene Leute in eine schiefe Lage, was deren persönliche Absichten auch immer sein mochten. Der Orangismus war wegen seiner aufdringlichen Loyalität offiziell verurteilt worden. Die Regierung selbst war gezwungen, seine Organisation für illegal zu erklären. Ganz ohne Förmlichkeit wurde ihm eröffnet, daß er in dieser Welt von keinem Nutzen mehr sei und verschwinden müsse. Schon der Antritt einer Tory-Regierung, allein schon die Besetzung des Dubliner Schlosses mit einem Eglinton und einem Naas erweckten neue Hoffnungen bei den niedergeschlagenen Orangisten. Die Sonne schien wieder auf die "echten blauen" <"waschechten" Tories>; wie in den Tagen Castlereaghs würden sie wieder als große Herren über das Land herrschen, und der Tag der Rache war sichtbar angebrochen. Schritt für Schritt brachten sie die ungeschickten, schwachen und daher unbesonnenen Vertreter der Downing Street aus einer schiefen Lage in die andere, bis schließlich eines schönen Tages die Welt bestürzt war über die Proklamation des Vizekönigs, die (sozusagen) den Belagerungszustand über Irland verhängte und mittels Belohnungen in Höhe von jeweils 50 und 100 Pfd.St. das Gewerbe des Spions, des Denunzianten, des Meineidigen und des Agent provocateurs <Lockspitzels> zum einträglichsten Gewerbe auf der Grünen Insel machte. Kaum waren die Plakate, die Belohnungen für das Aufdecken von Geheimgesellschaften verhießen, angeschlagen, als ein niederträchtiger Kerl namens O'Sullivan, ein Apothekerlehrling aus Killarney, seinen eigenen Vater und einige Burschen von Killarney, Kenmare, Bantry, Skibbereen als Mitglieder einer schrecklichen Verschwörung denunzierte, die in geheimer Verständigung mit Seeräubern von der anderen Seite des Atlantik standen und nicht nur wie Herr Bright "englische Institutionen zu amerikanisieren" vorhatten, sondern Irland der Musterrepublik einzuverleiben gedachten. Folglich mach- <670> ten sich in den Grafschaften Kerry und Cork Detektive emsig zu schaffen; nächtliche Verhaftungen wurden vorgenommen, geheimnisvolle Mitteilungen erfolgten, vom Südwesten verbreitete sich die Jagd auf die Verschwörer nach dem Nordosten, komische Szenen spielten sich in der Grafschaft Monaghan ab, und das erschreckte Belfast sah, wie einige Dutzend Lehrer, Anwalts- und Kaufmannsschreiber durch die Straßen geführt und in die Gefängnisse gesperrt wurden. Was die Sache noch verschlimmerte, war, daß man die Gerichtsverhandlungen in den Schleier des Geheimnisses hüllte. Eine Freilassung gegen Bürgschaft wurde in allen Fällen abgelehnt, mitternächtliche Überraschungen waren an der Tagesordnung, alle Untersuchungen wurden geheimgehalten, Abschriften der Anzeigen, auf Grund derer die willkürlichen Verhaftungen erfolgt waren, wurden regelmäßig verweigert; die besoldeten Polizeirichter wirbelten zwischen ihren Richtersitzen und den Vorzimmern des Dubliner Schlosses hin und her, und von ganz Irland könnte man sagen, was Herr Rea, der Verteidiger der Angeklagten in Belfast, über diesen Ort äußerte: "Ich glaube, die britische Verfassung hat Belfast in der vergangenen Woche verlassen."

Nun, durch all diesen Lärm und dieses ganze Geheimnis dringt mehr und mehr die Besorgnis der Regierung durch - die dem Druck ihrer leichtgläubigen Beauftragten in Irland nachgegeben hatte, die ihrerseits bloße Marionetten in den Händen der Orangisten waren -, wie sie aus dieser unangenehmen Klemme herauskommen kann, ohne gleichzeitig ihr Ansehen und ihre Ämter einzubüßen. Zuerst behauptete man fälschlich, die gefährliche Verschwörung, deren Verzweigungen sich vom Südwesten nach dem Nordosten über die ganze Fläche Irlands erstreckt, nähme ihren Ausgang vom proamerikanischen Phönix-Klub. Dann war es eine Wiederkehr des Ribbonismus; aber jetzt ist es etwas ganz Neues, ganz Unbekanntes und daher um so Schrecklicheres. Zu welchen Notlügen die Regierung getrieben wird, kann man aus dem Regierungsorgan, dem Dubliner "Daily Express" schließen, der seinen Lesern Tag für Tag falsche Gerüchte über begangene Mordtaten, über bewaffnete Plünderer und mitternächtliche Versammlungen vorsetzt. Zum heftigsten Unbehagen der Zeitung stehen aber die getöteten Leute aus ihren Gräbern auf und erheben in den Spalten derselben Zeitung gegen den Redakteur Protest, der sie auf solche Weise erledigt hat.

Es mag so etwas wie einen Phönix-Klub geben, doch ist es auf alle Fälle eine ganz kleine Sache, da die Regierung es selbst für angebracht gehalten hat, diesen Phönix in seiner eigenen Asche zu ersticken. Was den Ribbonismus anbelangt, so hing dessen Bestehen niemals von geheimen Verschwörern ab. Als sich gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts die protestantischen <671> Peep-o'Day boys zusammenschlossen, um gegen die Katholiken im Norden Irlands Krieg zu führen, entstand die ihnen feindlich gesinnte Gesellschaft der Defenders. Als 1791 die Peep-o'Day boys in der Orangisten-Loge aufgingen, verwandelten sich die Defenders in Ribbonisten. Und als schließlich in unseren Tagen die britische Regierung den Orangismus verwarf, löste sich die Ribbon-Gesellschaft, da sie nun ihre Existenzgrundlage eingebüßt hatte, freiwillig auf. Die außergewöhnlichen Maßnahmen Lord Eglintons können in der Tat den Ribbonismus wieder beleben, ebenso wie die gegenwärtigen Versuche der Dubliner Orangisten, englische Offiziere an die Spitze der irischen Konstablertruppe zu stellen und deren untere Chargen mit ihren eigenen Parteigängern zu besetzen. Zur Zeit existieren in Irland keine Geheimorganisationen, es sei denn Agrargesellschaften. Wollte man Irland deshalb anklagen, daß es solche Gesellschaften hervorbringe, so wäre das ebenso weise, als wollte man den Waldboden anklagen, daß er Pilze hervorbringe. Die Gutsbesitzer Irlands haben sich zu einem teuflischen Ausrottungskrieg gegen die Häusler verbündet; oder, wie sie es nennen, sie vereinen sich zu dem ökonomischen Experiment, das Land von unnützen Mäulern zu "lichten". Die kleinen einheimischen Pächter sollen ohne viel Geschrei beseitigt werden wie das Ungeziefer vom Hausmädchen. Die verzweifelten Unglücklichen versuchen ihrerseits schwachen Widerstand zu leisten, indem sie Geheimgesellschaften bilden; diese aber, über das Land verstreut, sind zu machtlos, um mehr zu erreichen als Kundgebungen individueller Vergeltung.

Falls jedoch die Verschwörung, auf die man in Irland Jagd macht, eine bloße Erfindung des Orangismus ist, so können die von der Regierung versprochenen Prämien dazu verhelfen, dem Gespenst Gestalt und Form zu geben. Wie es gewiß ist, daß der Werbesergeant mit seinem Schilling und seinem Gin einige vom Pöbel der Königin in den Dienst der Königin preßt, so gewiß schafft eine Belohnung für die Aufdeckung irischer Geheimgesellschaften solche Gesellschaften, damit sie aufgedeckt werden. Aus dem Innern jeder Grafschaft kommen sogleich Spitzbuben hervor, die, in revolutionäre Delegierte verwandelt, die ländlichen Gebiete bereisen, Mitglieder aufnehmen, Eide abnehmen, Opfer denunzieren, sie an den Galgen schwören und das Blutgeld einstecken. Um diesen Schlag der irischen Denunzianten und die Wirkung, die Regierungsbelohnungen auf sie ausüben, zu charakterisieren, genügt es, einen Absatz aus der von Sir Robert Peel im Unterhaus gehaltenen Rede zu zitieren:

"Als ich Staatssekretär für Irland war, wurde zwischen Carrick on Suir und Clonmel ein Mord begangen. Ein Herr ... wollte an einem Herrn ... tödliche Vergeltung üben. So dingte er vier Leute für je zwei Guineas, um ihn zu ermorden. Zu beiden Seiten <672> des Flusses Suir läuft eine Straße von Carrick nach Clonmel. Indem er zwei Leute auf jeder Straße postierte, war für sein Opfer kein Entrinnen möglich. So wurde es heimtückisch ermordet, und das Land war über dieses abscheuliche Verbrechen so empört, daß die Regierung für die Auffindung jedes der vier Mörder eine Belohnung von 500 Pfd.St. aussetzte. Und kann man es glauben, der Schurke, der die vier Mörder kaufte, war genau der gleiche Mann, der sich meldete und die Anzeige erstattete, die zu ihrer Hinrichtung führte. Und mit diesen meinen Händen zahlte ich in meinem Amtssitz auf Schloß Dublin diesem Ungeheuer in menschlicher Gestalt die Summe von 2.000 Pfd.St."