Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 344-347.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Endlich eine Schlacht

Geschrieben um den 24. Mai 1859.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5655 vom 6. Juni 1859, Leitartikel]

<344> Die "City of Washington", die am 25. vorigen Monats von Liverpool abfuhr und am letzten Donnerstag abend das Cape Race passierte, bringt vom Kriegsschauplatz außergewöhnlich interessante Nachrichten. Die Rückzugsbewegung der Österreicher und der alliierte Vormarsch zur Wiederbesetzung der Lomellina haben ohne Zweifel begonnen, wenn sie auch anscheinend nicht sehr rasch vor sich gehen, da das österreichische Hauptquartier, das am 19. nach Garlasco, einem Gehöft in der Nähe des Ticino auf der Strecke von Vigevano nach Groppello, verlegt worden war, sich am 24. noch immer dort befand. Südlich des Po fand jedoch bei Montebello, einer kleinen Stadt an der Straße von Stradella nach Voghera, ein Gefecht zwischen einer Einheit des Korps von Stadion und der Avantgarde von Baraguay d'Hilliers statt, bei dem die Alliierten nach ihren eigenen Angaben entschieden im Vorteil waren. Unsere Informationen über diese Affäre sind notgedrungen noch recht kurz. Die Franzosen berichten, daß Foreys Division mit 6.000 bis 7.000 Mann (ihre Gesamtstärke beträgt 10.000) und einem Regiment piemontesischer Kavallerie eine österreichische Streitmacht von 15.000 oder die Hälfte des gesamten von Stadion geführten Korps engagierte und daß die Österreicher nach vielstündigem harten Kampf zurückgeschlagen wurden; dabei verloren sie 1.500 bis 2.000 Tote und Verwundete und 200 Gefangene, von denen einige bereits in Marseille eingetroffen sind, während der Verlust der Alliierten nur 600 bis 700 betrug. Die Niederlage der Österreicher war jedoch nicht so entscheidend, daß sie den Alliierten gestattet hätte, den auf dem Rückzug befindlichen Feind zu verfolgen. Der österreichischen Version zufolge hatte Stadion eine Truppeneinheit zum Rekognoszieren über den Po geschickt. Sie war in Richtung auf Voghera bis nach Montebello vorgestoßen, wo sie auf eine überlegene französische Einheit stieß <345> und sich nach heftigem Kampf in guter Ordnung hinter den Po zurückzog. Diese Diskrepanz in den Berichten ist nicht außergewöhnlich, wenn man die Übertreibungen bedenkt, die bei solchen Gelegenheiten in Ermangelung positiver offizieller Zahlen stets auftreten.

Wir müssen auf präzisere Nachrichten warten, bevor wir die Bedeutung und die wesentlichen Grundzüge des Gefechtes beurteilen können. Auf jeden Fall war es bloß ein Handgemenge zwischen Vorposten und keine große Schlacht, in der die Stärke der sich gegenüberstehenden Armeen und die Fähigkeit der Generale wirklich erprobt wird.

Während der zweite Akt des Dramas so leidlich begonnen hat, haben die Materialien für eine kritische Untersuchung der Operationen im ersten Akt durch die Briefe der Korrespondenten der Londoner "Times" und der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" beim österreichischen Hauptquartier eine wertvolle Ergänzung erfahren. Ohne diese wären wir gezwungen, die österreichischen Manöver zu beurteilen nach den piemontesischen Bulletins, die natürlicherweise nicht die volle Wahrheit darüber enthalten, und nach den österreichischen Bulletins, die fast gar nichts berichten. Um die vielen Lücken zu füllen, hatten wir vorerst nichts weiter als die widersprechenden Gerüchte und Mutmaßungen, die bei den gegenwärtig in Piemont weilenden Offizieren und Zeitungskorrespondenten umliefen - Gerüchte, deren Glaubwürdigkeit in der Tat sehr gering war. Da die Österreicher die Initiative des Feldzuges ergriffen hatten und sie bis zu ihrem Rückzug aus Vercelli behielten, während die Alliierten eine verhältnismäßig passive Haltung bewahrten, stand die Armee im Mittelpunkt des Interesses, von der wir keinerlei oder bestenfalls nur nichtssagende Informationen erhielten. Es ist daher nicht verwunderlich, daß wir in Detailfragen zu Schlußfolgerungen gelangten, die jetzt durch die Tatsachen nicht bestätigt wurden. Im Gegenteil, es ist erstaunlich, daß es uns im großen und ganzen gelang, die Wesenszüge des Feldzuges richtig einzuschätzen. Es gibt nur einen wichtigen Punkt, in dem wir von dem abwichen, was nun als der ursprüngliche Plan der Österreicher dargestellt wird. Jedoch ist noch sehr fraglich, ob dieser Plan von Anbeginn genau verfolgt wurde, wie dies jetzt behauptet wird, oder ob der gegenwärtige "Originalplan" nichts anderes ist als ein nachträglicher Einfall.

Wir glaubten, als uns die erste Nachricht von der Invasion Piemonts durch die Österreicher erreichte, daß ihre Absicht weiterhin wie bisher offensichtlich darin bestand, die piemontesische Armee und die französische Vorhut mit einem Eilmarsch zu überfallen, bevor der Hauptteil der Franzosen eintreffen konnte. Jetzt erhalten wir die Information, daß diese Idee schon vorher aufgegeben worden war. Die Österreicher standen scheinbar unter <346> dem Eindruck, daß die Franzosen am 24. begonnen hätten, das piemontesische Territorium zu betreten, obgleich kein französisches Regiment vor dem 26. seinen Fuß auf piemontesischen Boden setzte, und diese falsche Nachricht mag sie veranlaßt haben, alle Versuche eines coup de main gegen jegliche Truppen, die ihnen gegenüberstehen sollten, aufzugeben. Infolgedessen verlor die Invasion jenen ungestümen Charakter den ihr die Verfolgung des größeren Zieles verliehen hätte. Sie war lediglich ein Beginn der vom Kaiser befohlenen Feindseligkeiten und hatte kein anderes Ziel, als einen Teil des feindlichen Territoriums zu besetzen, seine Ressourcen den Eindringlingen zugänglich zu machen und die verteidigende Armee der Nutznießung dieser Ressourcen zu berauben. Bei einer solchen Zielsetzung war es ziemlich klar, daß die Invasion an der Sesia und am Po, bei Vercelli und Valenza haltmachen mußte. In diesem Fall war keine Eile erforderlich. Methodisch, langsam und sicher marschierte die österreichische Armee ins piemontesische Gebiet. Es gab noch einen anderen Gesichtspunkt, der großen Einfluß auf diesen Verlauf der Aktion hatte. Die Österreicher bewegten sich auf den zwei Hauptstraßen, die von Osten nach Westen durch die Lomellina führen, die eine von Pavia nach Valenza, die andere von Abbiategrasso nach Vigevano und Casale. Die nördliche Straße von Boffalora nach Vercelli wurde von ihnen überhaupt nicht benutzt. Diese beiden Straßen führen über zahlreiche Flüsse, die von Nordwesten nach Südosten fließen, von denen zwei, Terdoppio und Agogna, einige Bedeutung besitzen. Da die Brücken zerstört, die Straßen an vielen Stellen aufgebrochen und die Niederungen rechts und links der Straßen entweder überschwemmt oder vom Wasser aufgeweicht waren, wurde der Vormarsch sehr verzögert, und die ganze Armee, 150.000 bis 180.000 Mann, mußte auf diesen zwei Straßen marschieren. Wir sind daher gar nicht erstaunt, wenn wir jetzt erfahren, daß das letzte Korps der österreichischen Armee den Ticino nicht vor dem 1. Mai überquerte, denn ein Korps von 30.000 bis 35.000 Mann, das auf einer einzigen Straße mit Gepäck und Train marschiert, nimmt wenigstens eine Länge von 12 bis 15 Meilen ein, was einem Tagesmarsch entspricht; da drei Korps auf der Straße von Pavia nach Casale marschierten, folgt daraus, daß das dritte dieser Korps den Ticino bei Pavia zwei Tage nach dem ersten überquerte.

Die Avantgarde passierte am 29. Pavia; es war eine Brigade des fünften Korps unter General Festetics. Ihr folgte das ganze dritte Korps (Schwarzenberg), das nach Groppello vormarschierte. Am gleichen Tage passierte ein anderes Korps, das siebente (General Zobel), weiter nördlich bei Bereguardo und ging nach Gambolò. Am 30. folgte das achte Korps (Benedek) dem dritten bei Pavia, und das fünfte (Stadion) folgte dem siebenten bei <347> Bereguardo. Am 1 .Mai passierte das zweite Korps (Liechtenstein) Pavia. In dieser Formation passierte die Armee, deren äußerste Rechte das siebente Korps, deren Zentrum das fünfte, dritte und zweite und deren äußerste Linke das achte Korps bildete, zuerst den Terdoppio, dann die Agogna und gelangte schließlich gegen Abend des 2. an den Po und die Sesia. Daraus ersehen wir, daß die piemontesischen Berichte über große Truppendurchmärsche bei Boffalora und Arona völlig falsch waren (eine Tatsache, die Garibaldis widerstandsloser Vormarsch nach Gravellona am Lago Maggiore vollauf bestätigt); ebenso irrten sie mit der Annahme, General Benedek wäre mit dem achten Korps von Piacenza ausgezogen und als vereinzelte Kolonne am südlichen Ufer des Po entlangmarschiert. Im Gegenteil, die Österreicher marschierten auf einer so engen Frontlinie (12 Meilen), wie eine Armee von 150.000 Mann nur marschieren kann. Sie hielten sich so dicht und reglementsgemäß wie möglich zusammen und hatten nur einige wenige fliegende Kolonnen an ihren Flanken bei Novara, Arona und südlich vom Po. Nun scheint uns gerade dieser streng methodische Marsch zu beweisen, daß die Österreicher die Absicht, die Piemontesen anzugreifen, nicht völlig aufgegeben hatten. Da der Feind offenkundig vor Erreichung seiner Verteidigungslinie nicht in der Lage war, ernsthaften Widerstand zu leisten, hätte dies andererseits bedeutet, die Truppen unnötigen Strapazen und Mühsalen auszusetzen, indem man sie auf solch engen Raum beschränkte. Die Straße nach Novara hätte ohne Nachteil und mit unermeßlichem Vorteil benutzt werden können, da Vercelli unter allen Umständen eines der unumgänglichen Objekte bei einer bloßen Okkupation der Lomellina und von Novarese war. Daß dieser Vorteil ungenutzt blieb, scheint uns ein sicherer Beweis dafür zu sein, daß im österreichischen Hauptquartier noch Hoffnung vorhanden war, eine Chance zu finden, mit überlegener Stärke und unter günstigen Umständen die feindlichen Kräfte bei Casale oder Alessandria anzugreifen. Ein coup de main gegen Novi (dem Knotenpunkt der Eisenbahnverbindung zwischen Genua, Alessandria und Stradella) scheint jedenfalls in Betracht gezogen worden zu sein. Um ihn zu ermöglichen, wurde in der Nacht zum 3. bei Cornale eine Brücke über den Po geschlagen, und General Benedek passierte sie mit seinem achten Korps. Er entwickelte große Aktivität; in weniger als zwölf Stunden besetzte er Voghera, Castelnuovo an der Scrivia und Tortona, zerstörte die Eisenbahnbrücken und wäre sehr wahrscheinlich gegen Novi vorgegangen, wenn ihn nicht der Regen und das plötzliche Steigen des Po, das seine Brücke teilweise zerstörte, zum Rückzug gezwungen hätte, da er seine Verbindung mit der Hauptarmee nicht verlieren durfte. Die Brücke wurde in Ordnung gebracht, und die gesamte österreichische Streitkraft war wieder auf dem nördlichen <348> Ufer des Po konzentriert. Das Wetter machte einen Aufenthalt in den überschwemmten Niederungen des Po unmöglich. Deshalb ging die Armee weiter nördlich zwischen Garlasco, Mortara und Vercelli in Stellung und benutzte den Umstand, daß die Hauptstreitkräfte in der Nähe der Sesia standen, um in dem westlich von diesem Fluß gelegenen Bezirk zu rekognoszieren und zu fouragieren. Dies gelang ihnen, ohne nennenswerten Widerstand zu finden. Am 9. gaben sie das westliche Ufer der Sesia, ausgenommen Vercelli, auf und verlegten ihr Hauptquartier nach Mortara, wo sie, wie bereits berichtet, bis zum 19. blieben. Während sie sich in Mortara aufhielten, schlugen sie eine Brücke über den Po, nahe der Mündung des Ticino, und ein Korps - über seine Stärke und Zusammensetzung ist nichts bekannt - besetzte die Position der Stradella und fouragierte in den südlichen Gebieten Piemonts, die an das Herzogtum Parma angrenzen. Wir vermuten, daß dies das Korps war, mit dem Forey im Gefecht von Montebello aneinander geriet. Aber hierüber müssen wir genauere Information abwarten.

Die Sardinier sind anscheinend dabei, die ganzen Freuden der französischen Allianz kennenzulernen. Ihre Armee soll zerstückelt werden; anstatt ein separates Korps zu bilden und eigenen Ruhm zu ernten, soll jede ihrer fünf Divisionen ein Anhängsel eines der fünf französischen Armeekorps werden, in denen sie natürlich ganz aufgehen, so daß die gesamte Befehlsgewalt und der ganze Ruhm ausschließlich den Franzosen gehören wird. Genua mit Forts und allem ist bereits vollkommen in den Besitz der Franzosen übergegangen, und nun wird die sardinische Armee nur noch als eine Art Anhängsel der Franzosen existieren. Die napoleonische Befreiung Italiens beginnt ihre ersten Früchte zu tragen. Obwohl gar nichts Erstaunliches oder Unwahrscheinliches an den Anklagen ist, die die Sardinier gegen die Österreicher wegen brutaler Greueltaten und Plünderei in der Lomellina vorbringen, ist es nur gerecht zu sagen, daß die Korrespondenzen der Londoner "Times" und der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" vom österreichischen Hauptquartier ein anderes Licht auf die Angelegenheit werfen. Diesen Quellen zufolge übersteigt in der Lomellina und in der Lombardei der Haß der Bauernschaft gegen die Gutsbesitzer bei weitem ihre Abneigung gegen die ausländischen Unterdrücker. Nun sind die Gutsbesitzer der Lomellina (ehemals eine österreichische Provinz) meist sudditi misti, gemischte Untertanen, die sowohl zu Österreich wie zu Piemont gehören. Alle hohen Adligen von Mailand haben große Besitzungen in der Lomellina. Sie sind Piemontesen und im Herzen anti-österreichisch; im Gegensatz dazu ist die Bauernschaft der Provinz Österreich ziemlich gewogen. Das bewies der herzliche Empfang, den die Österreicher in der Lomellina fanden, und es scheint, daß <349> ihre Requirierungen und Eintreibungen so weit wie möglich auf den Besitz der Adligen und auf die Städte, den Sitz des italienischen Patriotismus, beschränkt waren, während die Bauernschaft weitmöglichst verschont wurde. Diese Politik ist typisch österreichisch und die gleiche wie 1846; dies erklärt zugleich das Geschrei der piemontesischen Presse über Requirierungen, die im Grunde genommen nicht das übersteigen, was bei moderner Kriegführung üblich ist, und nicht das erreichen, was französische Truppen gewöhnlich eingetrieben haben.