Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 417-419.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Karl Marx

Was hat Italien gewonnen?

Geschrieben um den 12. Juli 1859.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5697 vom 27. Juli 1859, Leitartikel]

<417> Der italienische Krieg ist zu Ende. Ebenso plötzlich und unerwartet, wie ihn die Österreicher begannen, hat ihn Napoleon beendet. Obgleich kurz, ist er doch kostspielig gewesen. Auf wenige Wochen konzentrierte er nicht nur die Heldentaten, die Invasionen und Gegeninvasionen, die Märsche, die Schlachten, die Eroberungen und die Verluste, sondern auch den Aufwand an Menschen und Geld vieler Kriege von bedeutend längerer Dauer. Einige seiner Ergebnisse sind recht offenkundig. Österreich hat an Gebiet verloren, seine Reputation für militärische Tapferkeit hat ernsthaften Schaden erlitten, und sein Stolz ist tief verletzt worden. Wir befürchten jedoch, wenn es überhaupt Lehren daraus gezogen hat, daß es eher militärische als politische sind. Sollte sich Österreich als Konsequenz aus diesem Krieg zu irgendwelchen Veränderungen veranlaßt sehen, so werden es eher Veränderungen in der Ausbildung, der Disziplin und der Bewaffnung sein, als in seinem politischen System oder seinen Regierungsmethoden. Es mag von der Wirksamkeit der gezogenen Kanonen überzeugt worden sein. Es mag vielleicht eine Art Imitation der französischen Zuaven in seiner Armee einführen. Das ist viel wahrscheinlicher als eine wesentliche Veränderung der Regierungsform in seinen ihm noch verbliebenen italienischen Provinzen.

Österreich hat, zumindest gegenwärtig, auch jene Vormundschaft über Italien verloren, auf der es trotz der Warnungen und Beschwerden Sardiniens beharrte und damit den Anlaß zu dem jüngsten Krieg gab. Aber obwohl Österreich gegenwärtig gezwungen ist, dieses Amt aufzugeben, scheint das Amt selbst nicht vakant zu sein. Es ist eine höchst bezeichnende Tatsache, daß die Neuregelung der italienischen Angelegenheiten <418> entschieden wurde in einer kurzen Unterredung zwischen den Kaisern von Frankreich und Österreich, beides Ausländer, jeder an der Spitze einer ausländischen Armee. Außerdem wurde bei diesem Übereinkommen nicht einmal der äußere Schein einer fiktiven Beratung mit den Parteien gewahrt, die Gegenstand der Verhandlung waren, sondern sogar ohne deren Wissen über sie geschachert und verfügt. Zwei Armeen von jenseits der Alpen treffen aufeinander und kämpfen in der lombardischen Ebene. Nach einem sechswöchigen Kampf unterfangen sich die ausländischen Beherrscher jener ausländischen Armeen, die Angelegenheiten Italiens zu regeln und zu ordnen, ohne auch nur einen einzigen Italiener zu Rate zu ziehen. Der König von Sardinien, der militärisch gesehen auf die Stufe eines französischen Generals gestellt worden war, scheint nicht mehr Anteil oder Stimme heim endgültigen Übereinkommen gehabt zu haben, als wenn er tatsächlich nur ein französischer General gewesen wäre.

Bei den von Sardinien in so heftiger Form vorgebrachten Beschwerden gegen Österreich ging es nicht nur um Österreichs Anspruch auf eine allgemeine Oberaufsicht über die italienischen Angelegenheiten, sondern auch darum, daß es der Verfechter aller bestehenden Mißstände war, daß seine Politik darin bestand, die Dinge beim alten zu lassen, sich in die innere Verwaltung seiner italienischen Nachbarn einzumischen, und daß es das Recht beanspruchte, jeden Versuch der Bewohner dieser Länder, eine Änderung oder Verbesserung ihrer politischen Verhältnisse herbeizuführen, mit Waffengewalt zu unterdrücken. Wird nun unter den neuen Bedingungen den Gefühlen und Wünschen der Italiener oder dem Recht auf Revolution, dessen Schutzherr Sardinien war, mehr Achtung erwiesen als unter den alten? Die italienischen Herzogtümer südlich des Po, deren Hilfsangebot während des Krieges angenommen worden war, sollen anscheinend zum Dank dafür entsprechend dem Friedensvertrag ihren verjagten Fürsten zurückgegeben werden. In keinem Teil Italiens hörte man mehr Klagen über Mißstände in Verwaltung als in den Legationen des Kirchenstaates. Diese Mißwirtschaft und ihre Förderung und Unterstützung durch Österreich wurde stets als eines der übelsten Merkmale, wenn nicht als das allerübelste Merkmal der bisherigen Zustände in Italien bezeichnet. Obwohl Österreich gezwungen worden ist, sein bewaffnetes Protektorat über die Legationen des Kirchenstaates aufzugeben, haben die unglücklichen Bewohner jener Gebiete durch die Veränderung nichts gewonnen. Frankreich unterstützt die weltlich Macht des Heiligen Stuhls im gleichen Maße, wie es Österreich getan hat, und da die italienischen Patrioten die Mißbräuche der römischen Regierung als untrennbar von deren kirchlichem <419> Charakter betrachten, scheint keine Hoffnung auf Besserung zu bestehen. Frankreich, das nun die Position des alleinigen Beschützers des Papstes innehat, macht sich in der Tat für die Mißwirtschaft der römischen Regierung stärker verantwortlich als Österreich es jemals war.

Hinsichtlich der italienischen Konföderation, die einen Teil des neuen Übereinkommens bildet, ist zu bemerken: Diese Konföderation wird entweder eine politische Realität sein, die ein bestimmtes Maß von Macht und Einfluß besitzt, oder andernfalls eine bloße Täuschung. Ist das letztere der Fall, kann die Einigung, Befreiung und Entwicklung Italiens nichts dabei gewinnen. Ist sie eine Realität, was kann man angesichts der Elemente, aus denen sie sich zusammensetzt, von ihr erwarten? Österreich (das in der Konföderation die Provinz oder das Königreich Venedig vertritt), der Papst und der König von Neapel, die die Interessen des Despotismus verbinden, werden leicht den Sieg über Sardinien davontragen, selbst wenn die anderen kleineren Staaten sich mit ihm verbünden sollten. Österreich kann sogar diesen neuen Ausgangspunkt benutzen, um sich eine Kontrolle über die anderen italienischen Staaten zu sichern, die zumindest ebensowenig vertretbar ist wie jene, auf die es vorher auf Grund von Sonderverträgen mit ihnen Anspruch erhob.