Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 450-467.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Karl Marx

Quid pro Quo


I

["Das Volk" Nr. 13 vom 30. Juli 1859]

<450> General Clausewitz, in einer Schrift über den östreichisch-französischen Feldzug von 1799, bemerkt, daß Östreich so oft unterlag, weil die Anlag seiner Schlachten, strategisch wie taktisch, nicht auf wirkliches Erringen des Sieges berechnet war, sondern vielmehr auf Ausbeutung des antizipierten Siegs. Umgehen des Feindes auf beiden Flügeln, Umzingelung, Zersplitterung der eignen Armee nach den entlegensten Punkten, um dem in der Idee geschlagenen Feind alle Schlupfwinkel zu versperren - diese und ähnliche Maßregeln zur Ausbeutung des phantastischen Siegs waren jedes mal die praktischsten Mittel zur Sicherung der Niederlage. Was von Östreichs Kriegsführung, gilt von Preußens Diplomatie.

Preußen hatte unstreitig bezweckt, mit kleinen Produktionskosten ein große Rolle zu spielen. Ein gewisser Instinkt sagte ihm, daß der Augenblick der Aufblähung von Mittelmäßigkeiten günstig sei. Das Frankreich der Wiener Verträge, das Frankreich Louis-Philippes war durch einfache Dekret aus einem Königreich in ein Kaiserreich umgetauft, ohne daß sich ein einziger Grenzstein in Europa verrückt hatte. Statt des italienisches Feldzugs von 1796 und der Expedition nach Ägypten hatten die Stiftung der Gaunergesellschaft vom 10. Dezember und die Wurstrevue vor Satory hingereicht für die Travestierung des 18. Brumaire durch den 2. Dezember. Preußen wußte, daß die Illusion der französischen Bauern über die Auferstehung des wirklichen Napoleon nicht ganz von den Großmächten geteilt wurde. Man war stillschweigend übereingekommen, daß der Abenteurer, der den Napoleon in Frankreich zu spielen hatte, eine gefährliche Rolle übernahm und daher jeden Augenblick für das offizielle Europa gefährlich werden konnte. Frankreich konnte das Brummagem- <451> Kaisertum <nachgemachte Kaisertum> nur ertragen unter der Bedingung, daß Europa an die Farce zu glauben schien. Es galt daher, dem Komödianten seine Rolle zu erleichtern und eine tüchtige Claque in Parterre und Galerie zu sichern. So oft die innern Zustände Frankreichs unhaltbar wurden - und zwei Jahre scheinen das Maximum der Umdrehungszeit des Rokoko-Kaiserreichs um seine eigne Achse -, mußte man dem Exgefangenen von Ham ein auswärtiges Abenteuer gestatten. Die Travestierung irgendeines Artikels des napoleonischen Programms, ausführbar jenseits der französischen Grenze, trat dann auf die Tagesordnung von Europa. Der Sohn der Hortense durfte Krieg führen, aber nur mit Louis-Philippes Motto: "La France est assez riche pour payer sa gloire." <"Frankreich ist reich genug, für seinen Ruhm zu zahlen"> Der alte König von Preußen <Friedrich Wilhelm III.>, der Mann vom kopflosen Haupt, sagte einmal, sein Preußen zeichne sich dadurch aus vor dem Preußen Friedrichs des Großen, daß letzteres im abstrakten Gegensatz zum Christentum stand, während ersteres die Durchgangsepoche der faden Aufklärung überwunden und zum tief innern Verständnis der Offenbarung durchgedrungen sei. So hielt der alte Napoleon am flach rationalistischen Vorurteil, daß ein Krieg für Frankreich nur dann günstig sei, wenn das Ausland die Ausgaben, Frankreich aber die Einnahmen des Kriegs ernte. Sein melodramatischer Remplaçant ist dagegen zur Tiefe der Anschauung durchgedrungen, daß Frankreich seinen Kriegsruhm selbst bezahlen muß, daß die Innehaltung seiner alten Grenzen ein Naturgesetz ist und daß alle seine Kriege "lokalisiert" sein, d.h. sich innerhalb des engen Spielraums bewegen müssen, den Europa sich herabläßt, ihm jedesmal zur Aufführung seiner Rolle anzuweisen. Seine Kriege sind daher in der Tat nur periodische Aderlässe Frankreichs, die es um eine neue Staatsschuld bereichern und um eine alte Armee prellen. Nach jedem solchen Krieg treten jedoch gewisse Mißstände ein. Frankreich ist verstimmt; aber Europa tut zunächst alles, um der belle France <dem schönen Frankreich> die Grillen auszureden. Es spielt den Barnum des Dutchfish <wörtlich: holländischer Fisch; hier holländischer Grobian>. Nach dem russischen Krieg, wurde er nicht mit allen theatralischen Attributen des Schiedsrichters von Europa überworfen? Reiste Baron von Seebach nicht hin und her von Dresden nach Paris und von Paris nach Dresden? Wartete ihm nicht Orlow auf, der Giftmischer, und Brunnow, der Fälscher?: Glaubten der Prinz von Montenegro und Jacobus Venedey nicht an seine Machtvollkommenheit? Wurde ihm nicht gestattet, Rußlands Forderungen unter der Firma von Treulosigkeiten <452> gegen England durchzusetzen? Der russische Friede, den Palmerston durch den Verrat von Kars und durch die negative Größe seines eignen Generals Williams besiegelt hatte, wurde er nicht von der "Times" als ein Verrat Bonapartes gegen England denunziert? Strahlte er so nicht im Licht des schlausten Kopfes von Europa? Hatte er nicht während des Kriegs alle Hauptstädte, zwar nicht der modernen, doch der antiken Welt besetzt, und wies seine gutmütige Räumung der Dardanellen nicht auf tieferliegende Pläne hin? Der alte Nap[oleon] griff zum Nächstliegenden. Die scheinbare Resignation des neuaufgelegten Napoleon deutet auf machiavellistische Unergründlichkeit. Er stieß das Gute nur zurück, weil er das Beßre anstrebte. Endlich der Friedensvertrag von Paris, wurde er nicht gekrönt durch ein "Avis" Europas an die antibonapartistischen Zeitungsschreiber Belgiens, des Riesenstaats?

Indes die zwei Normaljahre der Selbstumdrehung des pseudo-napoleonischen Frankreichs rollten voran. Die offiziellen Vertreter Europas glaubten einstweilen genug für die Größe des Mannes getan zu haben. Es wurde ihm erlaubt, im Gefolge der Engländer nach China zu segeln und im Auftrag der Russen den Oberst Cuza in den Donaufürstentümern einzusetzen. Sobald aber die zarten Grenzlinien zwischen dem Helden und dem Pickelhäring, der den Helden vorstellt, auch nur versuchsweise verwechselt wurden, fand sich Louis-Napoleon mit Hohn in das angewiesene Terrain zurückverordnet. Seine Intrige gegen die Vereinigten Staaten von Nordamerika, sein Versuch zur Erneurung des Sklavenhandels, seine melodramatischen Drohungen gegen England, seine antirussische Suezkanal-Demonstration, die er im Auftrag Rußlands zu übernehmen hatte, um Palmerstons russische Opposition gegen das Projekt bei John Bull zu rechtfertigen - alles das platzte. Nur gegen das kleine Portugal durfte er groß auftreten, um sein kleines Auftreten den Großmächten gegenüber in das richtige Relief zu setzen. Belgien selbst fing an, sich zu befestigen, und sogar die Schweiz deklamierte den Wilhelm Tell. Es war den offiziellen Mächten Europas offenbar begegnet, was die Forscher der Astronomie an frühern Epochen so oft beirrte, falsche Berechnung der Rotationszeit.

Unterdes waren die zwei Jahre der Selbstumdrehung des lesser Empire <geringeren Kaiserreichs> abgelaufen. Während der ersten Rotation - 1852 bis 1854 - hatte eine geräuschlose Verwitterung stattgefunden, die gerochen, aber nicht gehört werden konnte. Der russische Krieg war ihr safety valve <Sicherheitsventil>. Anders während des Turnus von 1856 bis 1858. Der Pseudo-Bonaparte war durch die innre <453> Entwicklung Frankreichs zum Moment des Staatsstreichs zurückgeschleudert. Orsinis Granaten hatten gewetterleuchtet. Der unglückliche Liebhaber der Miß Coutts hatte abzudanken vor seinen Generälen. Frankreich, ein unerhörtes Ereignis, wurde nach spanischer Sitte - die Operation ging vor unter dem Stern der mit der Tympanitis behafteten Eugénie - in fünf Generalkapitanate zerteilt. Die Errichtung einer Regentschaft übertrug die Macht in der Tat von dem imperialistischen Quasimodo auf Pélissier, den orleanistischen Röster von arabischem Menschenfleisch. Aber die erneuerte terreur <Schreckensherrschaft> flößte keinen Schrecken ein. Statt fürchterlich erschien der holländische Neffe der Schlacht von Austerlitz grotesk. N'est pas monstre qui veut. <Nicht jeder kann ein Ungeheuer sein. (V. Hugo, "Napoléon le petit".)> Montalembert konnte zu Paris den Hampden spielen, und Proudhon proklamierte zu Brüssel Louis-Philippismus mit einem acte additionnel. Der Aufstand in Chalon bewies, daß die Armee selbst das restaurierte Empire als eine Pantomime ansah, deren Schlußszene herannaht.

Louis Bonaparte war wieder bei dem verhängnisvollen Punkt angelangt, wo das offizielle Europa begreifen mußte, daß die Gefahr der Revolution nur abzuwenden durch Travestierung eines neuen Artikels des alten napoleonischen Programms. Die Travestie hatte begonnen mit Napoleons Ende, dem russischen Feldzug. Warum sie nicht fortsetzen mit Napoleons Anfang, der italienischen Kampagne? Von allen europäischen Personen war Österreich die wenigst grata <beliebte>. Preußen hat an ihm den Kongreß von Warschau, die Schlacht von Bronzell und den Zug nach der Nordsee zu rächen. Palmerston hatte von jeher seine Zivilisationsbestrebungen durch den Haß gegen Österreich authentisiert. Rußland sah mit Schrecken, daß Österreich die Barzahlungen seiner Bank wieder ankündigte. Als im Jahre 1846 zum erstenmal seit undenklicher Zeit Österreichs Schatz kein Defizit aufwies, hatte Rußland das Signal zur Krakauer Revolution gegeben. Endlich war Österreich die bête noire <der schwarze Mann> des liberalen Europas. Louis Bonapartes zweiter amphitheatralischer Attilazug hatte also gegen Österreich stattzufinden, unter den bekannten Bedingungen: keine Kriegskosten, keine Erweiterung der französischen Grenzen, Krieg "lokalisiert" innerhalb der Schranken der gesunden Vernunft, d.h. innerhalb des Terrains, nötig zu einem zweiten glorreichen Aderlaß Frankreichs.

Unter diesen Umständen, da doch einmal Komödie gespielt wurde, glaubte Preußen, auch für es sei der Moment gekommen, unter obrigkeit- <454> licher Bewilligung und mit guter Assekuranz eine große Rolle zu spielen. Der Friede von Villafranca hat es vor ganz Europa als Düpe an den Pranger gestellt. Bei seinem großen Fortschritt im Konstitutionalismus, ein Fortschritt, nachweisbar in der geometrischen Progression seiner Staatsschuld, hat es geeignet geglaubt, die Wunde durch ein blue book of its own make zu pflastern. In einem Artikel werden wir seiner Apologie lauschen.

II

["Das Volk" Nr. 14 vom 6. August 1859]

Wenn das regentschaftliche Preußen spricht, wie es schreibt, erklärt sich leicht sein in der europäischen Komödie der Irrungen neu bewährtes Talent, nicht nur mißzuverstehen, sondern auch mißverstanden zu werden. Es besitzt darin eine gewisse Ähnlichkeit mit Falstaff, der nicht nur selbst witzig war, sondern auch die Ursache von Witz in andern Leuten.

Am 14. April langte Erzherzog Albrecht in Berlin an, wo er bis zum 20. April verweilte. Er hatte dem Regenten <Wilhelm I.> ein Geheimnis mitzuteilen und einen Vorschlag zu machen. Das Geheimnis war das bevorstehende österreichische Ultimatum an Viktor Emanuel. Der Vorschlag bestand in einem Rheinkrieg. Erzherzog Albrecht sollte mit 260.000 Österreichern und dem süddeutschen Bundeskorps jenseits des Oberrheins operieren, während die preußischen und norddeutschen Korps unter preußischem Oberkommando eine Nordarmee am Rhein bilden würden. Statt eines "Bundesfeldherrn" sollten Franz Joseph und der Prinzregent gemeinschaftlich von einem Hauptquartier aus entscheiden.

Preußen, mit gehaltner Entrüstung, verwarf sofort nicht nur den Kriegsplan, sondern "machte dem Erzherzog Albrecht die dringendsten Vorstellungen gegen das jähe Vorgehen des Ultimatums".

Wenn Preußen die donkeypower <Eselskraft> (nach horsepowers <Pferdekraft> wird bekanntlich bei großen Maschinen gerechnet) seiner redseligen Pfiffigkeit spielen läßt, kann niemand widerstehn, am wenigsten jedoch ein Österreicher. Der Regent und seine vier Satelliten - Schleinitz, Auerswald, Bonin und Herr Dr. Zabel - waren "überzeugt", daß sie Österreich "überzeugt" hatten.

"Als Erzherzog Albrecht", sagt eine halboffizielle preußische Erklärung, "am 20. April Berlin verließ, glaubte man den kühnen Plan des Augenblicks vertagt ... Aber - alas! - wenige Stunden nach seiner Abreise meldete der Telegraph aus Wien die Absendung des Ultimatums!"

<455> Nach Ausbruch des Kriegs verweigerte Preußen, seine Neutralität zu erklären. Schleinitz enthüllt uns in einer "Depesche an die preußischen Missionen an den deutschen Höfen, d. d. Berlin, 24. Juni", das Geheimnis dieses heroischen Entschlusses.

"Preußen", wispert er, "hat seine Stellung als vermittelnde Macht" (Mediationsmacht heißt es in einer andern Depesche) "niemals aufgegeben. Sein Hauptbestreben seit dem Ausbruch des Krieges war vielmehr dahin gerichtet, sich diese Stellung dadurch zu wahren, daß es die Zusicherung seiner Neutralität ablehnte, nach allen Seiten hin jedes Engagement fernhielt und so für die vermittelnde Aktion vollkommen unbefangen und frei blieb."

In andern Worten: Österreich und Frankreich, die hadernden Parteien, werden sich erschöpfen in dem auf der Arena von Italien einstweilen "lokalisierten" Krieg, während England als Neutraler (!) fern im Hintergrund steht. Die Neutralen haben sich selbst paralysiert, und den Kämpfern sind die Hände gebunden, weil sie die Fäuste brauchen müssen. Zwischen den einen und den andern schwebt Preußen "vollkommen unbefangen und frei", ein euripideischer Deus ex machina. Der Mittler trug es von jeher davon über die Extreme. Christus hat es weiter gebracht als Jehova, der heilige Peter weiter als Christus, der Pfaffe weiter als die Heiligen und Preußen, der bewaffnete Mediator, wird es weiter bringen als die Gespannten und die Neutralen. Es müssen Eventualitäten eintreten, wo Rußland und England das Signal zum Ende der Komödie geben. Dann werden sie ihre heimlichen Instruktionen Preußen von hinten in die Tasche schmuggeln, während es von vorne die Brennusmaske aufsetzt. Frankreich wird nicht wissen, ob Preußen für Österreich, Österreich nicht, ob Preußen für Frankreich, beide nicht, ob nicht Preußen gegen beide für Rußland und England mediatisiert. Es wird das Recht haben, von "allen Seiten" Vertrauen zu verlangen und nach allen Seiten Mißtrauen einzuflößen. Seine Ungebundenheit wird alle binden. Erklärte sich Preußen neutral, so war zudem nicht zu hindern, daß Bayern und andre Bundesmitglieder Partei für Österreich nahmen. Als bewaffneter Mediator mit den neutralen Großmächten zur Deckung auf den Flanken und im Rücken, mit dem Nebelbild seiner stets drohenden "deutschen" Großtat in der Perspektive, durfte es dagegen hoffen, währendes sich in ebenso mysteriösen als langgemeßnen Schritten zur Rettung Österreichs erging, einstweilen die Hegemonie Deutschlands auf Diskont zu eskamotieren. Als Englands und Rußlands Mundröhre konnte es sich dem Deutschen Bund imponieren, als Beschwichtiger des Deutschen Bundes sich bei England und Rußland insinuieren.

<456> Nicht nur deutsche Großmacht, sondern europäische Großmacht und dazu "Mediationsmacht" und obendrein Bundestyrann! Man wird im Verlauf der Dinge sehn, wie Schleinitz sich mehr und mehr in diesem ebenso schlauen als erhabenen Ideengang verschleimt. Das bisherige fünfte Rad am europäischen Staatskarren, die Großmacht "by courtesy", die europäische Person "on sufferance" - dieser selbe Preuße nun betraut mit der grandiosen Stellung des "quos ego"! Dazu nicht, weil er das Schwert zieht, vielmehr das Gewehr nur schultert, ohne etwas andres zu vergießen als die Tränen des Regenten und die Tinte seiner Satelliten. Daß die Glorie auch nur des "Mittlers" von Goethes Wahlverwandtschaften unfaßbar blieb, es war in der Tat nicht Preußens Schuld.

Preußen begriff, daß im ersten Akt Österreich anzurunzln, Louis Bonapartes leisester Verdacht fernzuhalten und sich vor allem durch gute Aufführung bei Rußland und England zu empfehlen war.

"Dies für unser eignes Interesse so wichtige Ziel zu erreichen, war", wie Schleinitz in der schon zitierten Depesche gesteht, "bei der Aufregung, welche in vielen deutschen Staaten herrschte, nicht leicht. Wir dürfen zudem kaum daran erinnern, daß die Richtung unsrer Politik hierin von derjenigen einer großen Anzahl deutscher Regierungen abwich und daß namentlich Österreich mit derselben nicht einverstanden war."

Allen diesen Schwierigkeiten zum Trotz spielte Preußen mit Erfolg den Gendarm des Deutschen Bundes. Von Ende April bis Ende Mai entfaltete es seine vermittelnde Aktion, indem es seine Mitbündler zur Inaktivität zwang.

"Unsre Bestrebungen", sagt Schleinitz euphemistisch, "waren vor allem dahin gerichtet, der vorzeitigen Verwicklung des Bundes in den Krieg vorzubeugen."

Das Berliner Kabinett öffnete zugleich die Schleusen der liberalen Presse, die dem Bürgersmann schwarz auf weiß vorsprudelte, daß, wenn Bonaparte nach Italien zog, es nur geschah zur Befreiung Deutschlands von Österreich und zur Stiftung der deutschen Einheit unter dem Heroen, der der Nation sicher gehört, da er schon früher einmal zum "Nationaleigentum" erklärt worden ist.

Was Preußens Operation einigermaßen erschwerte, war, daß es den Beruf besaß, "seinerzeit" nicht nur zu vermitteln, sondern "bewaffnet" zu vermitteln. Während es die Kriegsgelüste niederzuhuschen, hatte es gleichzeitig zu den Waffen zu rufen. Während es die Waffen austeilte, hatte es vor ihrem Gebrauch zu warnen:

Spiel nicht mit der Feuerwaffe,
Denn sie fühlt wie du den Schmerz.

<457> "Wenn wir", sagt Schleinitz, "nun aber gleichzeitig alle Maßnahmen ergriffen, welche die Sicherung Deutschlands, das inmitten der beiden kriegführenden Großmächte liegt, bezweckten, und wenn ebenso die Bundesorgane unter unsrer Mitwirkung unablässig Verteidigungsvorkehrungen trafen, so erwuchs für uns die neue Pflicht, darüber zu wachen, daß diese Vorkehrungen nicht plötzlich in Angriffsmittel verwandelt und dadurch die Stellung des Bundes und unsre eigne nicht ernstlich kompromittiert würden."

Indes konnte die "Mediationsmacht" begreiflich nicht immer in derselben Richtung einseitig vorangehn. Es brachen zudem gefährliche Symptome aus.

"Es lagen", sagt Schleinitz, "zu unserm lebhaften Bedauern, Andeutungen vor über beabsichtigte besondre Verabredungen in der von unsrer Politik abweichenden Richtung, und der Ernst der Lage mußte diesseits die Befürchtung erregen, daß dadurch unwillkürlich die Tendenz nach einer Lösung der Bundesverhältnisse immer mehr zur Geltung kommen könnte,"

Um diesen "Mißständen" vorzubeugen und den zweiten Akt der "Mediation" zu beginnen, fand General Willisens Mission nach Wien statt. Ihre Ergebnisse liegen vor in Schleinitz' Depesche, d.d. Berlin, 14. Juni, adressiert an Werther, den preußischen Gesandten zu Wien. Solang Schleinitz nur an die deutschen Bündler schreibt, braucht er den bekannten preußischen Regierungsratstil in ordinary <wie gewöhnlich>. Schreibt er an die auswärtigen Großmächte, so geschieht es glücklicherweise in einer ihm unbekannten Sprache. Aber seine Depeschen an Österreich! Ellenlange Phrasenbandwürmer, eingelaugt mit der grünen Gesinnungsseife des Gothaismus, gepudert mit dem trocknen Kanzleisand der Uckermark und halb ertränkt in Strömen von perfidem Berliner treacle <Sirup>.

III

["Das Volk" Nr. 15 vom 13. August 1859]

Wenn wir einen Teil des Berliner blue book, das jetzt schon drei Wochen alt ist, ausführlicher analysieren, geschieht es weder aus antiquarischer Grille noch aus Interesse an brandenburgischer Geschichte. Es handelt sich vielmehr um Aktenstücke, die in diesem Augenblicke von deutschen Liberalen und Demokraten als Beweise von Preußens kaiserlichem Zukunftsberuf ausgeschrien werden.

<458> Schleinitz' letzte Depesche an General Willisen langte am 27. Mai in Wien an. Werthers Depeschen an Schleinitz über Willisens Aufnahme beim kaiserlichen Kabinett datieren vom 29. und 31. Mai. Sie bleiben während eines halben Monats unbeantwortet. Zur Vertuschung aller Widersprüche zwischen der ursprünglichen "Mission" und ihrer nachträglichen "Interpretation" sind sowohl Schleinitz' Depeschen an Willisen wie Werthers Depeschen an Schleinitz in dem preußischen blue book unterdrückt, ganz ebenso wie sämtliche Verhandlungen zwischen dem Prinzregenten und Boustrapa. Rechberg, der österreichische Minister des Auswärtigen, konnte in keiner Weise den Urtext herstellen, da Willisen und Werther ihm die preußischen Depeschen nicht in Abschrift mitzuteilen, vielmehr nur mündlich vorzulesen hatten. Man begreift die Lage eines Ministers, der eine Satzbildung wie die folgende nicht lesen darf, sondern hören muß:

"Von dem Wunsch geleitet", sagt Schleinitz, "in einer so wichtigen Angelegenheit volle Klarheit herrschen zu lassen, hatte ich Sorge dafür getragen, in meinem an den General von Willisen gerichteten Schreiben unsern Standpunkt mit voller Bestimmtheit zu bezeichnen, sowohl in der Beziehung auf das, was wir unter gewissen Umständen unsrerseits zu tun beabsichtigen, als in Beziehung auf die Voraussetzungen, welche der von uns in Aussicht genommenen Aktion notwendig zum Grunde liegen müssen."

Bevor sich Schleinitz zu einer offiziellen Deutung der Willisenschen Mission nach Wien anschickte, hatte er mit charakteristischer Vorsicht die Ereignisse an sich vorüberziehn lassen. Die österreichische Armee hatte die Schlacht von Magenta verloren, alle lombardischen Festungen geräumt und befand sich in vollem Rückzug hinter den Chiese. Gortschakows Zirkulardepesche an die deutschen Kleinmächte, worin er ihnen unter Androhung der Knute strikte Neutralität zuherrscht, hatte ihren Weg in die Presse gefunden. Derby, geheimer Sympathien mit Österreich verdächtig, dankte ab in die Hand Palmerstons. Endlich am 14. Juni - dem Datum von Schleinitz' Depesche an Werther - brachte der "Preußische Staats-Anzeiger" einen Erlaß zur Mobilmachung von 6 preußischen Armeekorps. Willisens Mission nach Wien, gefolgt von dieser Mobilmachung! Ganz Deutschland war voll von Preußens heldenmütiger Besonnenheit und besonnenem Heldenmut.

Kommen wir endlich zu Schleinitz' Depesche an den preußischen Gesandten zu Wien. "Großherzige Worte" waren dem Regenten aus dem Mund gefallen. Willisen hatte ferner "redlichste Absichten", "uneigennützigste Pläne" und "vertraulichstes Vertrauen" orakelt, und Graf Rechberg hatte sein "Einverständnis mit dem von uns eingenommenen Stand- <459> punkt ausgesprochen", aber derselbe Rechberg, ein Wiener Sokrates, wünschte die Debatte endlich vom Phrasenhimmel auf die tatsächlich platte Erde herabzuziehen. Er legte "besonderen Wert" darauf, die preußischen "Intentionen formuliert zu sehn". Preußen also schickt sich durch Schleinitz' Feder an, die "Intention" der Willisenschen "Mission" zur "Präzision" zu bringen. Er faßt daher die "bei dem in Wien stattgefundenen Gedankenaustausch von uns zu erkennen gegebenen Absichten in Nachstehendem zusammen", welches zusammenfassende Nachstehende wir kurzgefaßt wiedergeben. Der Witz von Willisens Mission war dieser: Preußen habe "unter einer ausdrücklichen Voraussetzung feststehende Absichten". Schleinitz hätte besser gesagt, Preußen habe drückbare Absichten unter einer feststehenden Voraussetzung. Die Voraussetzung war, daß Österreich Preußen die Initiative am Deutschen Bund überlasse, auf Separatverträge mit deutschen Höfen verzichte, kurz, Preußen temporär die Hegemonie in Deutschland einräume; die Absicht, Österreichs "auf den Verträgen von 1815 beruhenden italienischen Territorialbesitzstand" zu sichern und "den Frieden auf dieser Basis zu erstreben". Die Verhältnisse Österreichs zu den übrigen italienischen Staaten und "die Verhältnisse dieser letztern" betrachte Preußen als "offne Frage". Sollten Österreichs "italienische Besitzungen ernstlich bedroht werden", so werde Preußen eine "bewaffnete Mediation versuchen" und

"je nach dem Erfolge derselben für die Erreichung des im Obigen vorgesteckten Zieles so weiterhandeln, wie es seine Pflichten als europäische Macht und der hohe Beruf der deutschen Nation erheischen".

"Es liegt", sagt der uninteressierte Schleinitz, "in unserm eignen Interesse, mit unserm Einschreiten nicht zu spät zu kommen. Die Wahl des Zeitpunkts aber, sowohl für die Mediation als für die im Gefolge derselben eintretende weitere Aktion Preußens, muß dem freien Ermessen des königl. Hofes vorbehalten bleiben."

Schleinitz behauptet erstens, daß dieser durch Willisen vermittelte "Gedankenaustausch" von Rechberg als "Gesinnungsaustausch" bezeichnet werde; zweitens, daß die Absichten und Voraussetzungen Preußens "sich der Zustimmung des kaiserlichen Hofes zu erfreuen hatten", und drittens, daß Rechberg, ein Feind des reinen Denkens, wie es scheint, den "Gedankenaustausch" in einen "Notenaustausch" umgeformt, die "Übereinstimmung beider Kabinette schriftlich beurkundet", kurz, die preußische Voraussetzung" und die preußische "Absicht" schwarz auf weiß "konstatiert" sehn wollte. Hier nun empört sich Schleinitz' edelmütiges Bewußtsein. Was bezweckt Rechbergs Zumutung? In Wirklichkeit die Vorwand- <460> lung unsrer "geheimsten vertrauensvoll eröffneten politischen Gedanken in bindende Zusicherungen". Schleinitz stellt wirkliche geheime politische Denkübungen an, und Rechberg will die unnahbare Idee in profane Noten binden! Quelle horreur <Welch Grauen> für einen Berliner Denker! Zudem käme solcher Notenaustausch einer "Garantie" der österreichisch-italienischen Besitzungen gleich. Als ob Preußen irgend etwas garantieren wolle! Dazu könnte der frevelhaft in Notenaustausch verwandelte Gedankenaustausch von "französischer und russischer Seite sofort und folgerichtig als ein engagement formel <eine offizielle Verpflichtung> und als Eintritt in den Krieg aufgefaßt werden". Als ob Preußen jemals in einen Krieg einzutreten gedenke oder sich kompromittieren wolle nach irgendeiner Seite, und nun gar nach der französischen und russischen! Endlich aber, und dies ist die Hauptsache, würde solch ein Notenaustausch "offenbar den beabsichtigten Mediationsversuch unausführbar machen". Österreich aber muß begreifen, daß es sich nicht um seinen italienischen Besitzstand handelt noch um die Verträge von 1815, noch um französische Usurpation, noch um russische Weltherrschaft, noch überhaupt um profane Interessen, sondern daß die europäischen Wirren vielmehr nur eingeleitet wurden, um Preußens neue erhabene "Stellung" als "Mediationsmacht" zu improvisieren. Shakespeares Lump, der als Lord aufwacht, nachdem er als Kesselflicker eingeschlafen war, spricht nicht ergreifender als Schleinitz, sobald ihn die fixe Idee vom Beruf Preußens als der europäischen "bewaffneten Mediationsmacht" überkömmt. Tarantelmäßig sticht und hetzt ihn die "uneasy conviction, that he ought to act up to his newborn sublimity of character" <"beunruhigende Überzeugung, daß er gemäß der neugeborenen Erhabenheit seines Charakters hätte handeln sollen">.

Das "Vertrauen", womit Schleinitz dem Rechberg die fixe Idee von Preußens Beruf als Mediationsmacht ins Ohr raunt, läßt ihn, wie er sagt, "hoffen, bei dem kaiserlichen Hof einem dem unsern entsprechenden Vertrauen zu begegnen". Rechberg' seinerseits, verlangt Kopie von dieser kuriosen Note des Schleinitz. Um das preußische Vertrauen zu dokumentieren, erklärt Werther, er sei, "seinen Instruktionen zufolge", ermächtigt, die Note mündlich zu verlesen, aber beileibe nicht das corpus delicti auszuliefern. Rechberg verlangt dann, Werther solle ihn zu Franz Joseph nach Verona begleiten, damit dieser "wenigstens mündlich genaue und vollständige Kenntnis von den Anschauungen Preußens erlange". Das preußische Vertrauen sträubt sich auch gegen diese Zumutung, und mit ironischer Resignation bemerkt Rechberg, daß, wenn er in "seiner Antwort <461> vielleicht nicht allen Entwicklungen der Berliner Depesche vollkommen richtig folgen könne", dies dem Umstand zuzuschreiben sei, daß er Schleinitz' Satzbildungen nur vom Hörensagen kenne.

Rechbergs Antwort, gerichtet an Koller, den österreichischen Gesandten in Berlin, ist datiert Verona, den 22. Juni. Sie läßt zweifeln am Gleichlaut von Willisens Mission, Ende Mai, und der Berliner Deutung dieser Mission, von Mitte Juni.

"Nach meinen frühern Besprechungen mit ihm" (Werther) "und mit General von Willisen", sagt Rechberg, "hatte ich nicht geglaubt, daß das Kabinett von Berlin uns gegenüber noch jetzt in so großer Zurückhaltung verharren würde, um selbst jede schriftliche Beurkundung seiner Absichten zu vermeiden."

Noch weniger aber hatte Willisens Mission den Rechberg auf den erhabenen Beruf Preußens als bewaffnete Mediationsmacht Europas vorbereitet. Der Punkt, um den es sich in Wahrheit handle, sagt Rechberg, sei "Europas Unabhängigkeit gegen die Suprematie Frankreichs". Die Ereignisse selbst hätten die Hohlheit und Nichtigkeit der "Vorwände" enthüllt,

"durch welche unsre Gegner ihre wahren Absichten bis zum Augenblick der Reife zu beschönigen gesucht". "Überdies habe Preußen als Mitglied des Deutschen Bundes Verpflichtungen, mit welchen die Beibehaltung einer vermittelnden Stellung in jedem Augenblick unvereinbar werden könne."

Endlich habe Österreich Preußen "als Partei" auf seiner Seite zu sehen gehofft und daher von vornherein seinen Beruf als "Vermittler" geleugnet. Habe sich Österreich daher seit dem Beginn der italienischen Wirren gegen Preußens "Versuche einer vermittelnden Stellung" erklärt, so könne es offenbar noch weniger jemals eine "bewaffnete Mediation Preußens" billigen.

"Eine bewaffnete Mediation", sagt Rechberg, "so liegt es im Begriffe, schließt nach beiden Seiten einen Kriegsfall in sich. Ein solcher besteht aber glücklicherweise nicht zwischen Preußen und Österreich, und wir vermögen uns daher für das Verhältnis zwischen diesen beiden Mächten die Möglichkeit einer bewaffneten Vermittlung Preußens nicht vorzustellen. Der Name, wie die Sache, scheint aus diesem Verhältnisse für immer fremd bleiben zu müssen."

Man sieht: Rechberg widerspricht der Depesche des Schleinitz und ihrer Deutung der Willisenschen Mission. Er findet den Ton Preußens verändert seit Ende Mai; er leugnet gradezu, daß Österreich je den erhabenen Beruf Preußens als bewaffnete Mediationsmacht anerkannt habe. Schleinitz <462> schuldet die Aufklärung dieses Mißverständnisses Nr. 2 (das erste fand statt zwischen Erzherzog Albrecht und dem Prinzregenten) durch die Veröffentlichung von seinen Depeschen an Willisen und von Werthers Depeschen an ihn selbst.

Im übrigen antwortet Rechberg als Österreicher, und warum sollte der Österreicher dem Preußen gegenüber die Haut wechseln? Warum sollte Preußen nicht Österreichs Besitzstand in Italien "garantieren"? Entspricht eine solche Garantie, fragt Rechberg, nicht dem Geist der Wiener Verträge?

"Hätte Frankreich in der Epoche nach dem Wiener Kongresse, ja bis auf unsre Tage herab hoffen können, nur einen vereinzelten Gegner zu finden, wenn es einen wichtigen Teil der vertragsmäßigen Ordnung Europas umstoßen wollte? Frankreich konnte nicht daran denken, durch einen lokalisierten Krieg die Besitzverhältnisse anzutasten."

Übrigens sei ein "Notenaustausch" noch keine "vertragsmäßige Garantie". Österreich habe nur "Akt nehmen wollen" von Preußens guten Absichten. Dem Schleinitz zulieb werde es indessen dessen ganz geheime politische Gedanken ganz geheimhalten. In bezug auf den Frieden, bemerkt Rechberg, könne Preußen an Frankreich Friedensvorschläge machen, soviel es wolle,

"vorausgesetzt, daß diese Vorschläge den Territorialbestand von 1815 und die Souveränitätsrechte Österreichs und der übrigen Fürsten Italiens unverletzt erhalten."

In andern Worten, Österreich, in seinen "vertraulichen Mitteilungen an Preußen" als Mediationsmacht, sei nicht geneigt, über nichtssagende Gemeinplätze hinauszugehn. Sobald Preußen dagegen

"als aktiver Verbündeter eintrete, könne von der Aufstellung von Friedensbedingungen überhaupt nur noch im gemeinsamen Einverständnisse die Rede sein."

Endlich legt Rechberg seine Finger auf die preußischen Wundmale. Österreich habe in die "Absicht" der preußischen Initiative am Bundestag eingestimmt unter der "Voraussetzung" der Verwandlung des preußischen Gedankenaustauschs in einen Notenaustausch. Mit der Prämisse falle die Konklusion. Selbst Schleinitz mit dem ihm eigentümlichen Begriffsvermögen werde "begreifen", daß, da Berlin "in keiner Hinsicht bindende Verpflichtung übernommen", da es selbst den "Zeitpunkt seiner in der Form bewaffneter Vermittlung zu ergreifender Entschlüsse" in die blaue "Zukunft gerückt und seiner freien Wahl vorbehalten habe", Wien seinerseits seine "Freiheit im Bereich der deutschen Bundesverhältnisse sich unverkürzt wahren müsse".

<463> Preußens Versuch, die Suprematie in Deutschland und die Vollmacht für die erhabene Rolle als europäische Mediationsmacht von Österreich zu erschleichen, war also entscheidend mißglückt, während die Mobilisation der 6 preußischen Armeekorps stattgefunden hatte. Preußen schuldete Europa eine Aufklärung. In einer "Zirkulardepesche vom 19. Juni an die preußischen Gesandtschaften bei den europäischen Mächten" erklärt Schleinitz daher:

"Preußen hat durch die Mobilmachung eine Stellung eingenommen, die mehr im Verhältnis zu der gegenwärtigen Lage steht, ohne die Prinzipien der Mäßigung zu erlassen ... Preußens Politik ist dieselbe geblieben, die es von Anfang der Verwicklung an in der italienischen Frage verfolgt hat. Aber Preußen hat jetzt auch seine Mittel, zu ihrer Lösung beizutragen, auf die Hohe der Situation gebracht."

Und damit kein Zweifel bleibe, weder über die Politik noch über die Mittel, endet die Depesche mit den Worten, daß es "Preußens Absicht ist, den Spaltungen Deutschlands zuvorzukommen". Selbst diese Armensündererklärung glaubte die Regentschaft noch durch "ganz vertrauliche" Mitteilungen an Frankreich abschwächen zu müssen. Schon unmittelbar vor Ausbruch des Krieges war Schlachtenmaler G. <vermutlich Ginain>, ein gemeinschaftlicher Freund Boustrapas und des Regenten, mit einer Mission des erstern nach Berlin betraut worden. Er hatte die freundschaftlichsten Versicherungen zurückgebracht. Zur Zeit der Mobilisierung aber waren offizielle und offiziöse Beteuerungen nach Paris gewandert des Inhalts:

"Frankreich möge doch ja nicht die militärischen Maßregeln Preußens übel deuten. Wir machen uns keine Illusionen, wir wissen, wie unpolitisch ein Krieg gegen Frankreich, welche gefährliche Konsequenzen er haben würde. Aber möge der Kaiser sich Rechenschaft geben über die schwierige Lage, worin wir uns befinden. Das Gouvernement des Prinzregenten wird von allen Seiten gedrängt und geschoben. Wir befinden uns in Gegenwart von mißtrauischen Empfindlichkeiten, und wir sind gezwungen, sie zu schonen."

Oder:

"Wir werden mobilisieren. aber man glaube ja nicht, daß dies eine offensive Maßregel gegen Frankreich sei. In seiner Eigenschaft als quasi Chef des Deutschen Bundes hat der Regent nicht bloß die Pflicht, dessen Interessen zu schützen, sondern auch im Innern eine Stellung einzunehmen, die ihm erlaube, Überstürzungen zu verhindern und den andern deutschen Staaten seine Politik der Mäßigung aufzuzwingen. Möge der Kaiser dies wohl begreifen und nichts versäumen, um unser Aufgabe zu erleichtern."

<464> Die preußische Tripotage ging zur Komik fort, die französische Regierung anzugehn:

"Die gouvernementalen Blätter möchten Preußen nicht allzusehr auf Kosten Bayerns, Sachsens usw. herausstreichen, das könne Preußen nur kompromittieren."

Walewski erklärte also mit vollem Recht in seiner Zirkulardepesche vom 29. Juni:

"Die neuen militärischen Maßregeln, welche in Preußen ergriffen werden, flößen uns keine Besorgnis ein ... Die preußische Regierung erklärt, indem sie einen Teil ihrer Armee mobilisiert, daß sie keine andre Absicht habe, als die Sicherheit Deutschlands zu schützen und sich in den Stand zu setzen, einen gerechten Einfluß auf die weitern Vereinbarungsarrangements mit den beiden anderen Großmächten zu üben."

Preußens erhabner Beruf als bewaffnete Mediationsmacht war schon so sehr zum Stichwort unter den Großmächten geworden, daß Walewski den schlechten Witz reißen durfte, Preußen mobilisiere nicht gegen Frankreich, sondern gegen "die beiden andern Großmächte", die es sonst um seinen "gerechten" Einfluß auf die "Vereinbarungsarrangements" prellen möchten.

So endete der zweite Akt der preußischen Mediation.

IV

["Das Volk" Nr. 16 vom 20. August 1859]

Der erste Akt der preußischen Mediation - Ende April bis Ende Mai - verhing über Deutschland la mort sans phrase. Im zweiten Akt - Ende Mai bis 24. Juni - wird die Lahmlegung des "großen Vaterlandes" verbrämt durch die Phrase der Willisenschen Mission und die Arabeske der preußischen Mobilisation. Eine Nachszene dieses zweiten Akts spielt an den kleinen deutschen Höfen, die eine Note des Schleinitz anzuhören bekommen. Schleinitz' wie Stieber, liebt "gemischtes" mündliches Verfahren. Von seiner schon erwähnten Note, d.d. Berlin, 24. Juni, "an die preußischen Missionen an den deutschen Höfen" zitieren wir hier nur zwei Stellen. Warum versagte Preußen den österreichischen Wunsch der Verwandlung des "Gedankenaustausches" in einen "Notenaustausch"?

"Die Erfüllung dieses Wunsches" , flüstert Schleinitz den deutschen Höfen zu, "würde einer Garantie der Lombardei gleichgekommen sein. Eine solche Verpflichtung unbestimmten Eventualitäten gegenüber zu übernehmen, war für Preußen unerfüllbar."

Vom Berliner Standpunkt also war der Verlust der Lombardei weder "eine ernstliche Gefährdung des österreichischen Besitzstandes in Italien" <465> noch "die bestimmte Eventualität", der das preußische Schwert auflauerte, um aus der Scheide zu springen.

"Es müßte ferner", fährt Schleinitz fort, "sogar jedes Engagement formeller Art ferngehalten werden, welches unsere Stellung als Mediationsmacht alterieren konnte."

Es war also nicht der Zweck preußischer Mediation, die "unbestimmten Eventualitäten" im Interesse Österreichs zu alterieren; es war vielmehr der Beruf aller möglichen Eventualitäten, "die Stellung Preußens als Mediationsmacht" unalteriert zu lassen. Während es die Einräumung der Initiative am Deutschen Bund kategorisch von Österreich verlangt, reicht es ihm das hypothetische Äquivalent von preußischem gutem Willen, garantiert durch gute preußische Absicht. Zwiebelsuppe mit Rosinensoße, wie der Berliner Eckensteher sagt.

Im dritten Akt der Mediation erscheint Preußen endlich als europäische Großmacht, und Schleinitz verfertigt eine Depesche in zwei Kopien, die eine adressiert an Graf Bernstorff in London, die andre an Baron Bismarck in Petersburg, die eine dem Lord John Russell zu verlesen, die andre dem Fürsten Gortschakow. Die Hälfte der Depesche besteht aus Verbeugungen und Entschuldigungen. Preußen hat einen Teil seiner Streitkräfte mobilisiert, und Schleinitz ist unerschöpflich in der Motivierung dieser kühnen Tat. In dem allgemeinen Rundschreiben an die europäischen Großmächte vom 19. Juni war es die Sicherung des deutschen Bundesgebiets, die Rolle als bewaffnete Mediationsmacht, namentlich aber "Zuvorkommen von Spaltungen in Deutschland". In dem Schreiben an die deutschen Bündler sollte "diese Maßregel die militärischen Streitkräfte Frankreichs binden und Österreichs Stellung erheblich erleichtern". In der Depesche an England und Rußland sind es "die Rüstungen der Nachbarn", die "Überwachung der Ereignisse", das "Näherrücken des Kriegs an die deutsche Grenze", Würde, Interessen, Beruf und so fort. Aber "andrerseits" und "nichtsdestoweniger" und "ich wiederhole es, Herr Graf, Herr Baron", hat Preußen kein Arg mit seinen Rüstungen. Es ist "sicherlich nicht seine Absicht, neue Verwickelungen hinzuzufügen". Es verfolgt "kein andres Ziel, als welches es, im Einverständnisse mit England und Rußland, vor kurzem anstrebte". Nous n'entendons pas malice <Wir beabsichtigen nicht Schlechtes>, ruft Schleinitz.

"Was wir wünschen", ist "der Frieden", und "wir wenden uns vertrauensvoll an die Kabinette von London und Petersburg, um im Verein mit ihnen die Mittel aufzufinden, dem Blutvergießen Einhalt zu tun."

<466> Um sich des Vertrauens von England und Rußland würdig zu zeigen, schwört Preußen auf zwei russisch-englische Funktionen: die erste, daß Österreich den Krieg herbeigeführt durch die Ultimate; die zweite, daß der Kampf sich um liberal-administrative Reformen drehe und um Auflösung des österreichischen Protektorats über benachbarte italienische Staaten. Ausgleichung der Rechte des österreichischen Kaiserhauses mit einem nationalliberalen "Reorganisationswerke", das bezweckt Preußen. Endlich glaubt es, wie Schleinitz sagt, an Louis Bonapartes selfdenying declarations <selbstverleugnenden Erklärungen>.

Und diese gemeinplätzlichen Fadheiten sind alles, was Preußen "mit vollem Vertrauen und freimütiger Offenheit" den neutralen Großmächten von seinen "Mediationsplänen" verlegen vorstottert. Schleinitz, "der nüchterne, modeste Junge", fürchtet "in gewissem Umfang die Frage zu präjudizieren, wenn er seine Ideen weiter präzisierte". Nur die fixe Idee platzt schließlich aus. Preußen glaubt sich zur "bewaffneten Mediationsmacht berufen". Mögen England und Rußland diesen Beruf anerkennen! Mögen sie

"ihre Ansichten aussprechen über eine Lösung der gegenwärtigen Verwicklungen und über den Weg, auf welchem sie den streitenden Teilen annehmbar gemacht werden könnte".

Mögen sie namentlich Preußen mit Instruktionen versehen, die ihm erlauben, unter hoher obrigkeitlicher Bewilligung, sozusagen avec garantie du gouvernement <mit Bürgschaft der Regierung>, die Rolle des Mediationslöwen zu übernehmen! Preußen will also den europäischen lion <Löwen> spielen, aber als Hans Schnock, der Schreiner.

Löwe:

So wisset denn, daß ich Hans Schnock, der Schreiner, bin,
Kein böser Löw', fürwahr, [noch eines Löwen Weib;]
Denn käm' ich als ein Löw', und hätte Harm im Sinn,
So dau'rte, meiner Treu, mich mein gesunder Leib.

Theseus:

Eine sehr höfliche Bestie, und sehr gewissenhaft.

Lysander:

Dieser Löwe ist ein rechter Fuchs an Herzhaftigkeit.

Theseus:

Wahrhaftig, und eine Gans an Klugheit.

Schleinitz' Depesche datiert vom 24. Juni, dem Tag der Schlacht von Solferino. Beide Kopien der Depesche lagen noch auf Schleinitz' Pult, als die Nachricht der österreichischen Niederlage in Berlin eintraf. Gleichzeitig brachte die Post eine Depesche Lord John Russells, "worin Mr. Broughams little man <kleiner Mann>" von ehedem, der "tom-tit of English liberalism" <"Zaunkönig des englischen Liberalismus">, der Herold der irischen "coercion-bills", Preußen in Palmerstons italienische Ideen <467> einweiht. Magdeburg liegt nicht am Mincio und Bückeburg nicht am Adige, sowenig wie Harwich am Ganges oder Salford am Satledsch. Bonaparte aber hat erklärt, daß ihm nicht gelüste nach Magdeburg und Bückeburg. Warum den gallischen Hahn denn reizen durch teutonische Roheit? Jack Russell entdeckt sogar, daß, wenn der "Sieg" auf dem Schlachtfeld "entschieden" sein wird, "die Kämpfer wahrscheinlich sehr willig sein werden, den erschöpfenden Kampf zu beendigen". Auf diese sinnreiche Entdeckung gestützt, Deutschlands Kriegsgelüst tadelnd, Preußens " gemäßigtes und aufgeklärtes Betragen" belobend, warnt Russell den Schleinitz, England "ganz so genau" nachzuäffen, "wie es die Umstände in Deutschland erlauben werden"!! Schließlich erinnert sich Jack of all trades <Hans Dampf in allen Gassen> an Preußens "erhabenen Mediationsberuf", und mit dem gewohnten kleinen, sauersüßen Grinsen wirft das Männlein seinem Schüler im Konstitutionalismus zum Abschied dir trostreichen Worte zu:

"Eine Zeit mag vielleicht sehr bald kommen, wenn die Stimme befreundeter und versöhnender Mächte sich mit Erfolg hören lassen kann und Friedensvorstellungen nicht länger wirkungslos sein werden!" (Russells Depesche an Lord Bloomfield zu Berlin, d.d. London, 22. Juni )