Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 468-477.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Karl Marx, "Zur Kritik der Politischen Ökonomie"

Erstes Heft, Berlin, Franz Duncker, 1859

Geschrieben vom 3. bis 15. August 1859.


I

["Das Volk" Nr. 14 vom 6. August 1859]

<468> Auf allen wissenschaftlichen Gebieten haben die Deutschen längst ihre Ebenbürtigkeit, auf den meisten ihre Überlegenheit gegenüber den übrigen zivilisierten Nationen bewiesen. Nur eine Wissenschaft zählte keinen einzigen deutschen Namen unter ihren Koryphäen: die politische Ökonomie. Der Grund liegt auf der Hand. Die politische Ökonomie ist die theoretische Analyse der modernen bürgerlichen Gesellschaft und setzt daher entwickelte bürgerliche Zustände voraus, Zustände, die in Deutschland seit den Reformations- und Bauernkriegen und besonders seit dem Dreißigjährigen Krieg auf Jahrhunderte lang nicht aufkommen konnten. Die Lostrennung Hollands vom Reich drängte Deutschland vom Welthandel ab und reduzierte seine industrielle Entwicklung von vornherein auf die kleinlichsten Verhältnisse; und während die Deutschen sich so mühsam und langsam von den Verwüstungen der Bürgerkriege erholten, während sie alle ihre bürgerliche Energie, die nie sehr groß war, abarbeiteten im fruchtlosen Kampf gegen die Zollschranken und verrückten Handelsregulationen, die jeder kleine Duodezfürst und Reichsbaron der Industrie seiner Untertanen auflegte, während die Reichsstädte im Zunftkram und Patriziertum verkamen -währenddessen eroberten Holland, England und Frankreich die ersten Plätze im Welthandel, legten Kolonie auf Kolonie an und entwickelten die Manufakturindustrie zur höchsten Blüte, bis endlich England durch den Dampf, der seinen Kohlen- und Eisenlagern erst Wert gab, an die Spitze der modernen bürgerlichen Entwicklung trat. Solange aber noch der Kampf gegen so lächerlich antiquierte Reste Mittelalter zu führen war, wie sie bis 1830 die materielle bürgerliche Entwicklung Deutschlands fesselten, solange <469> war keine deutsche politische Ökonomie möglich. Erst mit der Errichtung des Zollvereins kamen die Deutschen in eine Lage, in der sie politische Ökonomie überhaupt nur verstehen konnten. Von dieser Zeit an begann in der Tat die Importation englischer und französischer Ökonomie zum Besten des deutschen Bürgertums. Bald bemächtigte sich das Gelehrten- und Bürokratentum des importierten Stoffs und verarbeitete ihn in einer dem "deutschen Geist" nicht sehr kreditablen Weise. Aus dem Sammelsurium von schriftstellernden Industrierittern, Kaufleuten, Schulmeistern und Bürokraten entstand dann eine deutsch-ökonomische Literatur, die an Fadaise, Seichtigkeit, Gedankenlosigkeit, Breite und Plagiarismus nur am deutschen Roman ein Seitenstück hat. Unter den Leuten mit praktischen Zwecken bildete sich zuerst die Schutzzöllnerschule der Industriellen aus, deren Autorität, List, immer noch das beste ist, was die deutsche bürgerlich ökonomische Literatur produziert hat, obwohl sein ganzes glorioses Werk von dem Franzosen Ferrier, dem theoretischen Urheber des Kontinentalsystems, abgeschrieben ist. Dieser Richtung gegenüber entstand in den vierziger Jahren die Freihandelsschule der Kaufleute in den Ostseeprovinzen, die die Argumente der englischen Freetrader in kindlichem, aber interessiertem Glauben nachlallten. Endlich unter den Schulmeistern und Bürokraten, die die theoretische Seite der Disziplin zu behandeln hatten, gab es dürre Herbariensammler ohne Kritik, wie Herr Rau, klugtuende Spekulanten, die die ausländischen Sätze ins unverdaute Hegelsche übersetzten, wie Herr Stein, oder belletristisierende Ährenleser auf dem "kulturhistorischen" Gebiet, wie Herr Riehl. Was dabei denn schließlich herauskam, war die Kameralistik, ein von einer eklektisch-ökonomischen Sauce angespülter Brei von allerhand Allotriis, wie sie einem Regierungsreferendarius zum Staatsexamen nützlich zu wissen sind.

Während so Bürgertum, Schulmeistertum und Bürokratie in Deutschland sich noch abmühten, die ersten Elemente der englisch-französischen Ökonomie als unantastbare Dogmen auswendig zu lernen und sich einigermaßen klarzumachen, trat die deutsche proletarische Partei auf. Ihr ganzes theoretisches Dasein ging hervor aus dem Studium der politischen Ökonomie, und von dem Augenblick ihres Auftretens datiert auch die wissenschaftliche, selbständige deutsche Ökonomie. Diese deutsche Ökonomie beruht wesentlich auf der materialistischen Auffassung der Geschichte, deren Grundzüge in der Vorrede des oben zitierten Werks kurz dargelegt sind. Diese Vorrede ist der Hauptsache nach bereits im "Volk" abgedruckt worden, <470> weshalb wir darauf verweisen. Es war nicht nur für die Ökonomie, es war für alle historischen Wissenschaften (und alle Wissenschaften sind historisch, welche nicht Naturwissenschaften sind) eine revolutionierende Entdeckung, dieser Satz: "daß die Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt bedingt"; daß alle gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse, alle religiösen und Rechtssysteme, alle theoretischen Anschauungen, die in der Geschichte auftauchen, nur dann zu begreifen sind, wenn die materiellen Lebensbedingungen der jedesmaligen entsprechenden Epoche begriffen sind und erstere aus diesen materiellen Bedingungen abgeleitet werden. "Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." Der Satz ist so einfach, daß er für jeden sich von selbst verstehen müßte, der nicht in idealistischem Schwindel festgerannt ist. Aber die Sache hat nicht nur für die Theorie, sondern auch für die Praxis höchst revolutionäre Konsequenzen: "Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen dieser Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um ... Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus." Die Perspektive auf eine gewaltige, auf die gewaltigste Revolution aller Zeiten eröffnet sich uns also sofort bei weiterem Verfolgen unserer materialistischen These und bei ihrer Anwendung auf die Gegenwart.

Es zeigt sich aber auch sofort bei näherer Betrachtung, daß der anscheinend so einfache Satz, daß das Bewußtsein der Menschen von ihrem Sein abhängt und nicht umgekehrt, gleich in seinen ersten Konsequenzen allem Idealismus, auch dem verstecktesten, direkt vor den Kopf stößt. Sämtliche hergebrachte und angewöhnte Anschauungen über alles Geschichtliche werden durch ihn negiert. Der ganze traditionelle Modus des politischen Räsonierens fällt zu Boden; der patriotische Edelmut sträubt <471> sich entrüstet gegen solch gesinnungslose Auffassung. Die neue Anschauungsweise stieß daher notwendig an, nicht nur bei den Repräsentanten des Bürgertums, sondern auch bei der Masse der französischen Sozialisten, die die Welt mit der Zauberformel liberté, égalité, fraternité <Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit> aus den Angeln heben wollen. Großen Zorn aber erregte sie vollends bei den deutschen vulgär-demokratischen Schreiern. Trotzdem haben sie mit Vorliebe versucht, die neuen Ideen plagiarisch auszubeuten, jedoch mit seltnem Mißverständnis,

Die Entwicklung der materialistischen Auffassung auch nur an einem einzigen historischen Exempel war eine wissenschaftliche Arbeit, die jahrelange ruhige Studien erfordert hätte, denn es liegt auf der Hand, daß hier mit der bloßen Phrase nichts zu machen ist, daß nur massenhaftes, kritisch gesichtetes, vollständig bewältigtes historisches Material zur Lösung einer solchen Aufgabe befähigen kann. Die Februarrevolution warf unsere Partei auf die politische Bühne und machte ihr die Verfolgung rein wissenschaftlicher Zwecke damit unmöglich. Trotzdem geht die Grundanschauung als roter Faden durch alle literarischen Produktionen der Partei durch. In ihnen allen ist bei jedem einzelnen Fall nachgewiesen, wie die Aktion jedesmal aus direkten materiellen Anstößen, nicht aber aus den sie begleitenden Phrasen entsprang, wie im Gegenteil die politischen und juristischen Phrasen ebenso aus den materiellen Anstößen hervorgingen wie die politische Aktion und ihre Resultate.

Als nach der Niederlage der Revolution von 1848/49 ein Zeitpunkt eintrat, wo die Einwirkung auf Deutschland, vom Auslande aus, mehr und mehr unmöglich wurde, überließ unsre Partei das Feld des Emigrationsgezänks - denn das blieb die einzig mögliche Aktion - der vulgären Demokratie. Wahrend diese sich nach Herzenslust herumhetzte, sich heute katzbalgte, um morgen zu fraternisieren, und übermorgen wieder ihre ganze schmutzige Wäsche vor der Welt auswusch, während sie durch ganz Amerika betteln ging, um gleich darauf über die Verteilung der paar erbeuteten Taler neuen Skandal anzurichten - war unsere Partei froh, wieder einige Ruhe zum Studieren zu finden. Sie hatte den großen Vorzug, eine neue wissenschaftliche Anschauung zur theoretischen Grundlage zu haben, deren Ausarbeitung ihr hinreichend zu tun gab; schon deswegen konnte sie nie so tief verkommen wie die "großen Männer" der Emigration.

Die erste Frucht dieser Studien ist das vor uns liegende Buch.

II

["Das Volk Nr. 6 vom 20. August 1859]

<472> In einer Schrift wie der vorliegenden kann von einer bloß desultorischer Kritik einzelner Kapitel aus der Ökonomie, von der abgesonderten Behandlung dieser oder jener ökonomischen Streitfrage nicht die Rede sein. Sie ist vielmehr von vornherein auf eine systematische Zusammenfassung des gesamten Komplexes der ökonomischen Wissenschaft angelegt, auf eine zusammenhängende Entwicklung der Gesetze der bürgerlichen Produktion und des bürgerlichen Austausches. Da die Ökonomen nichts anders sind als die Dolmetscher und Apologeten dieser Gesetze, so ist diese Entwicklung zugleich die Kritik der gesamten ökonomischen Literatur.

Seit Hegels Tod ist kaum ein Versuch gemacht worden, eine Wissenschaft in ihrem eignen, inneren Zusammenhang zu entwickeln. Die offizielle Hegelsche Schule hatte von der Dialektik des Meisters nur die Manipulation der allereinfachsten Kunstgriffe sich angeeignet, die sie auf alles und jedes, und oft noch mit lächerlichem Ungeschick, anwandte. Die ganz Hinterlassenschaft Hegels beschränkte sich für sie auf eine pure Schablone mit deren Hülfe jedes Thema zurechtkonstruiert wurde, und auf ein Register von Wörtern und Wendungen, die keinen andern Zweck mehr hatten als sich zur rechten Zeit einzustellen, wo Gedanken und positive Kenntnisse fehlten. So kam es, daß, wie ein Bonner Professor sagte, diese Hegelianer von nichts etwas verstanden, aber über alles schreiben konnten. Es war freilich auch danach. Indessen hatten doch diese Herren, trotz ihrer Suffisance so sehr das Bewußtsein ihrer Schwäche, daß sie sich von großen Aufgaben möglichst fernhielten; die alte Zopfwissenschaft behauptete ihr Terrain durch Überlegenheit an positivem Wissen; und als erst Feuerbach den spekulativen Begriff aufgekündigt hatte, schlief die Hegelei allmählich ein und es schien, als habe das Reich der alten Metaphysik mit ihren fixen Kategorien von neuem in der Wissenschaft begonnen.

Die Sache hatte ihren natürlichen Grund. Auf das Regime der Hegelschen Diadochen, das sich in pure Phrasen verlaufen hatte, folgt naturgemäß eine Epoche, in der der positive Inhalt der Wissenschaft wieder die formelle Seite überwog. Deutschland warf sich aber auch gleichzeitig mit einer ganz außerordentlichen Energie auf die Naturwissenschaften, entsprechend der gewaltigen bürgerlichen Entwicklung seit 1848; und mit dem Modewerden dieser Wissenschaften, in denen die spekulative Richtung nie zu irgendwelcher bedeutenden Geltung gekommen war, riß auch die alte metaphysische Manier des Denkens bis auf die äußerste Wolffsch <473> Plattheit wieder ein. Hegel war verschollen, es entwickelte sich der neue naturwissenschaftliche Materialismus, der sich von dem des 18. Jahrhunderts theoretisch fast gar nicht unterscheidet und meist nur das reichere naturwissenschaftliche, namentlich chemische und physiologische, Material voraus hat. Bis zur äußersten Platitüde reproduziert finden wir die bornierte Philisterdenkweise der vorkantischen Zeit bei Büchner und Vogt, und selbst Moleschott, der auf Feuerbach schwört, reitet sich jeden Augenblick auf höchst ergötzliche Weise zwischen den allereinfachsten Kategorien fest. Der steife Karrengaul des bürgerlichen Alltagsverstandes stockt natürlich verlegen vor dem Graben, der Wesen von Erscheinung, Ursache von Wirkung trennt; wenn man aber auf das sehr kupierte Terrain des abstrakten Denkens par force jagen geht, so muß man eben keine Karrengäule reiten.

Hier war also eine andere Frage zu lösen, die mit der politischen Ökonomie an sich nichts zu tun hat. Wie war die Wissenschaft zu behandeln? Auf der einen Seite lag die Hegelsche Dialektik vor, in der ganz abstrakten, "spekulativen" Gestalt, worin Hegel sie hinterlassen; auf der andern Seite die ordinäre, jetzt wieder Mode gewordene, wesentlich wolffisch-metaphysische Methode, in der auch die bürgerlichen Ökonomen ihre zusammenhangslosen dicken Bücher geschrieben. Diese letztere war durch Kant und namentlich Hegel theoretisch so vernichtet, daß nur Trägheit und der Mangel einer andern einfachen Methode ihre praktische Fortexistenz möglich machen konnten. Andrerseits war die Hegelsche Methode in ihrer vorliegenden Form absolut unbrauchbar. Sie war wesentlich idealistisch, und hier galt es die Entwicklung einer Weltanschauung, die materialistischer war als alle früheren. Sie ging vom reinen Denken aus, und hier sollte von den hartnäckigsten Tatsachen ausgegangen werden. Eine Methode, die ihrem eignen Geständnis nach "von nichts durch nichts zu nichts kam", war in dieser Gestalt hier keineswegs am Platze. Trotzdem war sie, von allem vorliegenden logischen Material, das einzige Stück, an das wenigstens angeknüpft werden konnte. Sie war nicht kritisiert, nicht überwunden worden; keiner der Gegner des großen Dialektikers hatte Bresche in ihren stolzen Bau schießen können; sie war verschollen, weil die Hegelsche Schule nichts mit ihr anzufangen gewußt hatte. Vor allen Dingen galt es also, die Hegelsche Methode einer durchgreifenden Kritik zu unterwerfen.

Was Hegels Denkweise vor der aller andern Philosophen auszeichnete, war der enorme historische Sinn, der ihr zugrunde lag. So abstrakt und idealistisch die Form, so sehr ging doch immer seine Gedankenentwicklung parallel mit der Entwicklung der Weltgeschichte, und letztere soll eigentlich nur die Probe auf die erstere sein. Wenn dadurch auch das richtige <474> Verhältnis umgedreht und auf den Kopf gestellt wurde, so kam doch überall der reale Inhalt in die Philosophie hinein; um so mehr als Hegel sich dadurch von seinen Schülern unterschied, daß er nicht wie sie auf Ignoranz pochte, sondern einer der gelehrtesten Köpfe aller Zeiten war. Er war der erste, der in der Geschichte eine Entwicklung, einen innern Zusammenhang nachzuweisen versuchte, und wie sonderbar uns auch manches in seiner Philosophie der Geschichte jetzt vorkommen mag, so ist die Großartigkeit der Grundanschauung selbst heute noch bewundernswert, mag man seine Vorgänger oder gar diejenigen mit ihm vergleichen, die nach ihm über Geschichte sich allgemeine Reflexionen erlaubt haben. In der "Phänomenologie", der "Ästhetik", der "Geschichte der Philosophie", überall geht diese großartige Auffassung der Geschichte durch, und überall wird der Stoff historisch, im bestimmten, wenn auch abstrakt verdrehten Zusammenhang mit der Geschichte behandelt.

Diese epochemachende Auffassung der Geschichte war die direkte theoretische Voraussetzung der neuen materialistischen Anschauung, und schon hierdurch ergab sich ein Anknüpfungspunkt auch für die logische Methode. Hatte diese verschollene Dialektik schon vom Standpunkt des "reinen Denkens" aus zu solchen Resultaten geführt, war sie zudem wie spielend mit der ganzen früheren Logik und Metaphysik fertig geworden, so mußte jedenfalls mehr an ihr sein als Sophisterei und Haarspalterei. Aber die Kritik dieser Methode, vor der die ganze offizielle Philosophie sich gescheut hatte und noch scheut, war keine Kleinigkeit.

Marx war und ist der einzige, der sich der Arbeit unterziehen konnte, aus der Hegelschen Logik den Kern herauszuschälen, der Hegels wirkliche Entdeckungen auf diesem Gebiet umfaßt, und die dialektische Methode, entkleidet von ihren idealistischen Umhüllungen, in der einfachen Gestalt herzustellen, in der sie die allein richtige Form der Gedankenentwicklung wird. Die Herausarbeitung der Methode, die Marx' Kritik der politischen Ökonomie zugrunde liegt, halten wir für ein Resultat, das an Bedeutung kaum der materialistischen Grundanschauung nachsteht.

Die Kritik der Ökonomie, selbst nach gewonnener Methode, konnte noch auf zweierlei Weise angelegt werden: historisch oder logisch. Da in der Geschichte, wie in ihrer literarischen Abspiegelung, die Entwicklung im ganzen und großen auch von den einfachsten zu den komplizierteren Verhältnissen fortgeht, so gab die literargeschichtliche Entwicklung der politischen Ökonomie einen natürlichen Leitfaden, an den die Kritik anknüpfen konnte, und im ganzen und großen würden die ökonomischen Kategorien dabei in derselben Reihenfolge erscheinen wie in der logischen <475> Entwicklung. Diese Form hat scheinbar den Vorzug größerer Klarheit, da ja die wirkliche Entwicklung verfolgt wird, in der Tat aber würde sie dadurch höchstens populärer werden. Die Geschichte geht oft sprungweise und im Zickzack und müßte hierbei überall verfolgt werden, wodurch nicht nur viel Material von geringer Wichtigkeit aufgenommen, sondern auch der Gedankengang oft unterbrochen werden müßte; zudem ließe sich die Geschichte der Ökonomie nicht schreiben ohne die der bürgerlichen Gesellschaft, und damit würde die Arbeit unendlich, da alle Vorarbeiten fehlen. Die logische Behandlungsweise war also allein am Platz. Diese aber ist in der Tat nichts andres als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten. Womit diese Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang ebenfalls anfangen, und sein weiterer Fortgang wird nichts sein als das Spiegelbild, in abstrakter und theoretisch konsequenter Form, des historischen Verlaufs; ein korrigiertes Spiegelbild, aber korrigiert nach Gesetzen, die der wirkliche geschichtliche Verlauf selbst an die Hand gibt, indem jedes Moment auf dem Entwicklungspunkt seiner vollen Reife, seiner Klassiziät betrachtet werden kann.

Wir gehen bei dieser Methode aus von dem ersten und einfachsten Verhältnis, das uns historisch, faktisch vorliegt, hier also von dem ersten ökonomischen Verhältnis, das wir vorfinden. Dies Verhältnis zergliedern wir. Darin, daß es ein Verhältnis ist, liegt schon, daß es zwei Seiten hat, die sich zueinander verhalten. Jede dieser Seiten wird für sich betrachtet; daraus geht hervor die Art ihres gegenseitigen Verhaltens, ihre Wechselwirkung. Es werden sich Widersprüche ergeben, die eine Lösung verlangen. Da wir aber hier nicht einen abstrakten Gedankenprozeß betrachten, der sich in unsern Köpfen allein zuträgt, sondern einen wirklichen Vorgang, der sich zu irgendeiner Zeit wirklich zugetragen hat oder noch zuträgt, so werden auch diese Widersprüche in der Praxis sich entwickelt und wahrscheinlich ihre Lösung gefunden haben. Wir werden die Art dieser Lösung verfolgen und finden, daß sie durch Herstellung eines neuen Verhältnisses bewirkt worden ist, dessen zwei entgegengesetzte Seiten wir nunmehr zu entwickeln haben werden usw.

Die politische Ökonomie fängt an mit der Ware, mit dem Moment, wo Produkte - sei es von einzelnen, sei es von naturwüchsigen Gemeinwesen - gegeneinander ausgetauscht werden. Das Produkt, das in den Austausch tritt, ist Ware. Es ist aber bloß dadurch Ware, daß sich an das Ding, das Produkt, ein Verhältnis zwischen zwei Personen oder Gemeinwesen knüpft, das Verhältnis zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten, die hier nicht mehr in derselben Person vereinigt sind. Hier haben wir gleich ein <476> Beispiel einer eigentümlichen Tatsache, die durch die ganze Ökonomie durchgeht und in den Köpfen der bürgerlichen Ökonomen böse Verwirrung angerichtet hat: Die Ökonomie handelt nicht von Dingen, sondern von Verhältnissen zwischen Personen und in letzter Instanz zwischen Klassen; diese Verhältnisse sind aber stets an Dinge gebunden und erscheinen als Dinge. Diesen Zusammenhang, der in einzelnen Fällen diesem oder jenem Ökonomen allerdings aufgedämmert ist, hat Marx zuerst in seiner Geltung für die ganze Ökonomie aufgedeckt und dadurch die schwierigsten Fragen so einfach und klar gemacht, daß jetzt selbst die bürgerlichen Ökonomen sie werden begreifen können.

Betrachten wir nun die Ware nach ihren verschiedenen Seiten hin, und zwar die Ware, wie sie sich vollständig entwickelt hat, nicht wie sie sich in naturwüchsigen Tauschhandel zweier ursprünglicher Gemeinwesen erst mühsam entwickelt, so stellt sie sich uns dar unter den beiden Gesichtspunkten von Gebrauchswert und Tauschwert, und hier treten wir sofort auf das Gebiet der ökonomischen Debatte. Wer ein schlagendes Exempel davon haben will, daß die deutsche dialektische Methode auf ihrer jetzigen Ausbildungsstufe der alten platt-kannegießernden, metaphysischen wenigstens ebenso überlegen ist wie die Eisenbahnen den Transportmitteln des Mittelalters, der lese nach bei Adam Smith oder irgendeinem andern offiziellen Ökonomen von Ruf, welche Qual diesen Herren der Tauschwert und der Gebrauchswert machte, wie schwer es ihnen wird, sie ordentlich auseinanderzuhalten und jeden in seiner eigentümlichen Bestimmtheit zu fassen, und vergleiche dann die klare, einfache Entwicklung bei Marx.

Nachdem nun Gebrauchswert und Tauschwert entwickelt sind, wird die Ware als unmittelbare Einheit beider dargestellt, wie sie in den Austauschprozeß eintritt. Welche Widersprüche sich hier ergeben, mag man p. 20, 21 nachlesen. Wir bemerken nur, daß diese Widersprüche nicht bloß theoretisches, abstraktes Interesse haben, sondern zugleich die aus der Natur des unmittelbaren Austauschverhältnisses, des einfachen Tauschhandels, hervorgehenden Schwierigkeiten, die Unmöglichkeiten widerspiegeln, auf die diese erste rohe Form des Austausches notwendig hinausläuft. Die Lösung dieser Unmöglichkeiten findet sich darin, daß die Eigenschaft, den Tauschwert aller andern Waren zu repräsentieren, auf eine spezielle Ware übertragen wird - das Geld. Das Geld oder die einfache Zirkulation wird nun im zweiten Kapitel entwickelt, und zwar 1. das Geld als Maß der Werte, wobei dann der im Geld gemessene Wert, der Preis, seine nähere Bestimmung <477> erhält; 2. als Zirkulationsmittel und 3. als Einheit beider Bestimmungen als reales Geld, als Repräsentant des ganzen materiellen bürgerlichen Reichtums. Hiermit schließt die Entwicklung des ersten Hefts, dem zweiten den Übergang des Geldes ins Kapital vorbehaltend.

Man sieht, wie bei dieser Methode die logische Entwicklung durchaus nicht genötigt ist, sich im rein abstrakten Gebiet zu halten. Im Gegenteil, sie bedarf der historischen Illustration, der fortwährenden Berührung mit der Wirklichkeit. Diese Belege sind daher auch in großer Mannigfaltigkeit eingeschoben, und zwar sowohl Hinweisungen auf den wirklichen historischen Verlauf auf verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung wie auch auf die ökonomisch Literatur, in denen die klare Herausarbeitung der Bestimmungen der ökonomischen Verhältnisse von Anfang an verfolgt wird. Die Kritik der einzelnen mehr oder minder einseitigen oder verworrenen Auffassungsweisen ist dann im wesentlichen schon in der logischen Entwicklung selbst gegeben und kann kurz gefaßt werden.

In einem dritten Artikel werden wir auf den ökonomischen Inhalt des Buches selbst eingehen.