Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 548-551.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Der bisherige Verlauf des Krieges gegen die Mauren

Geschrieben um den 10. Dezember 1859.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5846 vom 19. Januar 1860, Leitartikel]

<548> Wir haben lange auf irgendeine entscheidende Aktion seitens der spanischen Armee in Marokko gewartet, welche die erste oder vorbereitende Periode des Krieges zum Abschluß bringen könnte. Aber vergeblich. Marschall O'Donnell scheint keine Eile zu haben, sein Lager auf den Höhen von Serrallo zu verlassen, und wir sind somit gezwungen, seine Operationen zu untersuchen, während sie noch kaum begonnen haben.

Am 13. November schiffte sich die erste Division der spanischen aktiven Armee unter General Echagüe in Algeciras ein und wurde einige Tage später in Céuta an Land gesetzt. Am 17. rückte sie aus der Stadt aus und besetzte Serrallo, d.h. das Weiße Haus, ein großes Gebäude, etwa eineinhalb Meilen vor den Stellungen von Céuta. In dieser Gegend ist das Gelände sehr uneben und zerklüftet und für Scharmützel und irreguläre Kämpfe besonders geeignet. Nach einem erfolglosen Versuch, Serrallo in derselben Nacht wiederzuerobern, zogen sich die Mauren zurück, und die Spanier begannen, ein verschanztes Lager als Basis für künftige Operationen zu errichten.

Am 22. wurde Serrallo von den Angheriten angegriffen, einem maurischen Stamm, der das Gebiet um Céuta bewohnt. Dieses Gefecht eröffnete eine Reihe ergebnisloser Kämpfe, die bisher den ganzen Feldzug ausmachen und von denen jeder einzelne allen anderen haargenau gleicht. Die Mauren greifen die spanischen Linien in größerer oder kleinerer Zahl an und versuchen, durch Überraschungs- oder Täuschungsmanöver diese teilweise in ihren Besitz zu bringen. Nach den Berichten der Mauren haben sie damit im allgemeinen Erfolg, aber sie geben die Redouten wieder auf, da sie keine Artillerie besitzen. Den Spaniern zufolge sah kein Maure je das Innere <549> einer spanischen Redoute, und alle ihre Angriffe erwiesen sich als völlig erfolglos. Beim ersten Angriff zählten die Angheriten nicht mehr als 1.600 Mann. Am nächsten Tag erhielten sie eine Verstärkung von 4.000 Mann und nahmen sogleich den Angriff wieder auf. Der 22. und 23. waren mit Scharmützeln ausgefüllt, aber am 25. gingen die Mauren mit all ihren Truppen vor, und es fand ein erbittertes Gefecht statt, in dem General Echagüe an der Hand verwundet wurde. Dieser Angriff der Mauren war so ernst, daß der Cid Campeador O'Donnell ein wenig aus seiner Schlafmützigkeit aufrüttelte, mit der er bisher den Krieg geführt hatte. Er befahl sofort, daß sich die zweite Division unter General Zabala und die Reservedivision unter General Prim einschiffen sollen und begab sich selbst nach Céuta. In der Nacht vom 27. war die gesamte spanische aktive Armee vor diesem Ort konzentriert. Am 29. erfolgte wiederum ein Angriff der Mauren, der am 30. wiederholt wurde. Nunmehr begannen die Spanier, an ihre beengte Position zu denken; das Ziel ihres ersten Vorgehens sollte Tetuán sein, etwa 20 Meilen südlich von Céuta und vier Meilen vom Meer gelegen. Sie begannen eine Straße zu dieser Stadt zu bauen; die Mauren leisteten bis zum 9. Dezember keinen Widerstand. Am Morgen dieses Tages überrumpelten sie die Besatzungen der beiden wichtigsten Redouten, verließen diese aber, wie gewöhnlich, im Laufe des Tages wieder. Am 12. kam es zu einem weiteren Gefecht vor dem spanischen Lager, etwa vier Meilen von Céuta entfernt; und am 20. telegraphiert O'Donnell, die Mauren hätten die beiden Redouten erneut angegriffen, wären jedoch, wie üblich, ruhmreich geschlagen worden. Die Dinge waren also am 20. Dezember kein Jota weiter als am 20. November. Die Spanier befanden sich noch immer in der Defensive, und ungeachtet der vor vierzehn Tagen oder drei Wochen gemachten Ankündigungen gab es keine Anzeichen für einen Vormarsch.

Die Spanier waren mit allen Verstärkungen, die sie bis zum 8. Dezember erhalten hatten, 35.000 bis 40.000 Mann stark, und 30.000 dürften für Angriffsoperationen zur Verfügung stehen. Mit einer derartigen Streitmacht sollte die Eroberung Tetuáns leicht sein. Es gibt allerdings keine guten Straßen, und der gesamte Proviant der Armee muß von Céuta herbeigeschafft werden. Aber wie machten es die Franzosen in Algerien oder die Engländer in Indien? Außerdem sind spanische Maulesel und Zugtiere keineswegs durch gute Straßen in ihrer Heimat so verwöhnt, daß sie sich weigern dürften, auf maurischem Boden zu laufen. Einerlei, was O'Donnell auch zur Rechtfertigung vorbringen mag, es kann keine Entschuldigung für diese fortwährende Inaktivität geben. Die Spanier sind jetzt so stark, wie sie überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt des Feldzuges sein können, falls <550> nicht unerwartete Rückschläge außerordentliche Anstrengungen zur Folge haben sollten. Die Mauren dagegen werden täglich stärker. Das Lager von Tetuán, unter Hadschi Abd-Salem, das die Truppen für den Angriff auf die spanische Linie am 3. Dezember stellte, ist ohne die Garnison der Stadt schon auf 10.000 Mann angewachsen. In Tanger befand sich ein weiteres Lager unter Muley-Abbas, und ständig trafen Verstärkungen aus dem Landesinnern ein. Allein diese Erwägung hätte O'Donnell zum Vorrücken bewegen müssen, sobald es das Wetter erlaubte. Er hat gutes Wetter gehabt, aber er ist nicht vorgerückt. Ohne Zweifel ist das ein Zeichen von völliger Unentschlossenheit; er erkannte, daß die Mauren keineswegs so verächtliche Gegner sind, wie er erwartet hatte. Zweifellos haben die letzteren ausgezeichnet gekämpft, und der beste Beweis dafür sind die aus dem spanischen Lager kommenden lauten Klagen über die Vorteile, die das Gelände vor Céuta den Mauren bietet.

Die Spanier berichten, daß die Mauren in Buschwerk und Schluchten sehr zu fürchten sind und außerdem jeden Zoll Boden kennen; daß aber, sobald sie in die Ebenen kommen, die Gediegenheit der spanischen Infanterie die maurischen Irregulären bald zur Umkehr und Flucht zwinge. Das ist eine ziemlich bedenkliche Schlußfolgerung in einer Zeit, wo Scharmützelgefechte in zerklüftetem Gelände drei Viertel jeder Schlacht ausmachen. Wenn die Spanier, nachdem sie sechs Wochen vor Céuta standen, das Gelände nicht ebensogut kennen wie die Mauren, dann um so schlimmer für sie. Daß zerklüftetes Gelände für Irreguläre günstiger ist als ebenes Terrain, ist völlig klar. Aber selbst in zerklüftetem Gelände müßte reguläre Infanterie den Irregulären weit überlegen sein. Das moderne System des Scharmützelgefechts mit Unterstützungsgruppen und Reserven hinter der auseinandergezogenen Schützenkette, die Regelmäßigkeit der Bewegungen, die Möglichkeit, die Truppen gut in der Hand zu halten und zu veranlassen, daß sie sich gegenseitig unterstützen und sich alle für ein gemeinsames Ziel einsetzen, - all das gibt den regulären Truppen eine derartige Überlegenheit über irreguläre Haufen, daß in einem für Scharmützel besonders geeigneten Gelände Irreguläre niemals in der Lage sein dürften, ihnen zu widerstehen, selbst nicht bei einem Verhältnis von zwei zu eins. Bei Céuta indessen ist das Verhältnis umgekehrt. Die Spanier sind zahlenmäßig überlegen, und trotzdem wagen sie nicht vorzugehen. Die einzige Schlußfolgerung ist, daß die spanische Armee das Scharmützelgefecht überhaupt nicht beherrscht und daß somit die Unterlegenheit jedes einzelnen Soldaten in dieser Kampfart die Vorteile ausgleicht, die ihnen ihre Disziplin und ihre reguläre Ausbildung eigentlich verleihen sollten. In der Tat <551> scheint man ungewöhnlich oft Mann gegen Mann mit Yatagan und Bajonett zu kämpfen. Wenn die Spanier dicht genug heran sind, stellen die Mauren das Schießen ein und stürzen sich mit dem Schwert in der Hand auf sie, genau so, wie es die Türken zu tun pflegten, und das ist sicherlich für so unerfahrene Truppen wie die spanischen nicht sehr angenehm. Doch sollten die vielen Treffen, die stattgefunden haben, sie mit den Besonderheiten der maurischen Kampfweise und der richtigen Art, ihr zu begegnen, vertraut gemacht haben; und wenn wir den Befehlshaber noch immer unschlüssig und in seiner Verteidigungsstellung verharrend vorfinden, können wir seiner Armee kein sehr gutes Zeugnis ausstellen.

Der spanische Feldzugsplan scheint, wie die bisherigen Maßnahmen andeuten, Céuta als Operationsbasis und Tetuán als erstes Angriffsziel zu betrachten. Der unmittelbar der spanischen Küste gegenüberliegende Teil Marokkos bildet eine Art Halbinsel, etwa 30 bis 40 Meilen breit und 30 Meilen lang. Tanger, Céuta, Tetuán und Larache (El-Araiche) sind die vier wichtigsten Städte dieser Halbinsel. Durch die Einnahme dieser vier Städte, von denen sich Céuta bereits in der Hand der Spanier befindet, könnte diese Halbinsel leicht unterworfen und als Basis für weitere Operationen gegen Fez und Mequinez benutzt werden. Die Eroberung dieser Halbinsel dürfte daher das Ziel der Spanier und die Einnahme von Tetuán der erste Schritt dazu sein. Dieser Plan erscheint recht vernünftig; er beschränkt die Operationen auf ein kleines Gebiet, das von drei Seiten durch das Meer und an der vierten Seite durch zwei Flüsse (Tetuán und Lukkos) begrenzt wird, und daher sehr viel leichter zu erobern ist als das Land weiter südlich. Er vermeidet außerdem die Notwendigkeit, in der Wüste zu operieren, was unumgänglich gewesen wäre, wenn man Mogador oder Rabat als Operationsbasis genommen hätte; und er verlegt das Kampfgebiet in die Nähe der Grenzen Spaniens, da dort nur die Straße von Gibraltar dazwischen liegt. Aber welches auch immer die Vorteile dieses Plans sein mögen, sie sind völlig nutzlos, wenn der Plan nicht ausgeführt wird; und wenn O'Donnell so weiter macht wie bisher, wird er sich und den Ruf der spanischen Armee mit Schande bedecken, trotz der hochtrabenden Sprache seines Bulletins.