Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen von Januar bis Dezember 1859

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 552-559.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.08.1998

Friedrich Engels

Der Krieg gegen die Mauren

Geschrieben um den 18. Januar 1860.
Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 5863 vom 8. Februar 1860, Leitartikel]

<552> Der Feldzug in Marokko hat endlich richtig begonnen, und mit diesem Beginn verschwinden all die romantischen Farben, mit denen die spanische Presse und die spanische Volksbegeisterung O'Donnell herausgeputzt hatten, und er sinkt nun zu einem passablen Durchschnittsgeneral herab; an Stelle der Ritterschaft von Kastilien und León haben wir jetzt die Princesa-Husaren, und statt der Toledoklingen verrichten gezogene Kanonen und zylindrisch-konische Granaten die Arbeit.

Um den 20. Dezember begannen die Spanier eine für Artillerie und Fuhrwerke befahrbare Straße zu bauen, die über das hügelige Gelände zu dem südlich von Céuta gelegenen Lager führen sollte. Die Mauren versuchten nicht, die Straße zu zerstören; zuweilen griffen sie General Prim an, dessen Division die Arbeitsgruppen deckte, zuweilen das Lager, aber immer ohne Erfolg. Keines dieser Treffen ging über die Ausmaße von Vorpostenplänkeleien hinaus, und bei dem ernsthaftesten von ihnen, am 27. Dezember, betrugen die spanischen Verluste nicht mehr als sechs Tote und 30 Verwundete. Vor Ende des Jahres wurde die nur zwei Meilen lange Straße fertiggestellt; aber ein neuer Einbruch von Sturm und Regen hinderte die Armee, sich in Bewegung zu setzen. Inzwischen, als ob der maurischen Seite der bevorstehende Vormarsch der Armee angekündigt werden sollte, fuhr ein spanisches Geschwader, bestehend aus einem Liniensegelschiff, drei Schraubenfregatten und drei Raddampfern, mit insgesamt 246 Kanonen, zur Mündung des Tetuán und bombardierte am 29. Dezember die an der Flußmündung gelegenen Forts. In etwa drei Stunden wurden die Forts zum Schweigen gebracht und die Erdbefestigungen zerstört; dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß dies dieselben Forts waren, welche <553> die Franzosen etwa einen Monat vorher mit einem weit geringeren Aufgebot bombardiert hatten.

Nachdem am 29. günstiges Wetter eingetreten war, begann die spanische Armee am 1. Januar sich endlich in Bewegung zu setzen. Das erste Korps mit zwei Divisionen unter Echagüe, das als erstes in Afrika gelandet war, blieb in den Stellungen vor Céuta. Während es in den ersten Wochen viel durch Krankheit gelitten hatte, war es nun ganz gut akklimatisiert und zählte mit den inzwischen erhaltenen Verstärkungen 10.000 Mann, also beträchtlich mehr als das zweite oder das dritte Korps. Diese beiden Korps, das zweite unter dem Kommando von Zabala und das dritte unter Ros de Olano, gemeinsam mit Prims Reservedivision insgesamt 21.000 bis 22.000 Mann, setzten sich am ersten Tag des neuen Jahres in Marsch. Jeder Mann trug Rationen für sechs Tage bei sich, und eine Million Rationen, d.h. der Proviant der Armee für einen Monat, wurden auf Transportfahrzeugen verladen, um sie mit der Armee mitzuführen. Das hochgelegene Gelände südlich von Céuta wurde passiert, wobei Prim die Vorhut Kommandierte und von Zabala dabei unterstützt wurde, während Ros de Olano den Zug beschloß. Die neue Straße führte in etwa zwei Meilen Entfernung vom Lager zum Mittelmeer. Dort dehnt sich eine weite halbkreisförmige Ebene aus, deren Sehne vom Meer gebildet wird und deren Umgebung ein zerklüftetes Gelände darstellt, das allmählich zu steilen Bergen ansteigt. Sobald sich Prims Division etwas vom Lager entfernt hatte, begann des Geplänkel. Die spanische leichte Infanterie trieb die Mauren mühelos in die Ebene und von dort in die Hügel und das Buschwerk neben ihrer Marschlinie zurück. Hier geschah es, daß durch irgendein Mißverständnis zwei schwache Schwadronen Princesa-Husaren zur Attacke geführt wurden, die sie mit so viel Schwung ausführten, daß sie durch die Linien der Mauren direkt bis in ihr Lager gelangten; da sie aber überall in zerklüftetes Gelände gerieten und nirgends auf gangbarem Boden Kavallerie oder Infanterie antrafen, die sie hätten attackieren können, mußten sie neben Verlusten in der Mannschaft unter Verlust von sieben, d.h. fast allen ihren Offizieren kehrtmachen. Bis dahin war der Kampf hauptsächlich von der Infanterie in Plänklerordnung und von einigen Batterien Gebirgsartillerie geführt worden, die hier und da durch die - mehr moralische als tatsächliche - Wirkung des Feuers einiger Kanonenboote und Dampfer unterstützt wurden. Es scheint, daß O'Donnell beabsichtigte, in der Ebene Halt zu machen, ohne den Bergrücken, der diese Ebene nach Süden begrenzt, schon auf die Dauer zu besetzen. Um aber seine Stellung für die Nacht zu sichern, befahl er Prim, die maurischen Plänkler von dem Nordabhang des Bergrückens zu <554> vertreiben und dann bei Einbruch der Nacht wieder zu ihm zu stoßen. Prim jedoch, der kämpferischste General der spanischen Armee, verwickelte sich in ein ernsthaftes Gefecht, das damit endete, daß er die ganze Höhe des Bergrückens in Besitz nahm, allerdings nicht ohne schwere Verluste. Seine Vorhut kampierte auf dem Bergrücken und warf an seiner Frontlinie Feldschanzen auf. An diesem Tag beliefen sich die spanischen Verluste auf 73 Tote und 481 Verwundete.

Die Stellung, die an diesem Tage gewonnen wurde, ist unter dem Namen Castillejos bekannt, der von zwei weißen Gebäuden herrührt, das eine am unteren Abhang nahe der Ebene, und das andere auf dem Bergrücken gelegen, den Prim am Nachmittag erobert hatte. Die offizielle Bezeichnung dieses Lagers scheint jedoch Campamento de la Condesa zu sein. Am selben Tage hatten die Mauren versucht, ein unbedeutendes Ablenkungsmanöver gegen das Lager vor Céuta auszuführen, indem sie sowohl die äußere rechte Redoute als auch den Raum zwischen den beiden äußersten linken Redouten angriffen. Sie wurden jedoch mühelos von Echagües Infanterie und durch Artilleriefeuer zurückgeschlagen.

Die aktive Armee blieb drei Tage im Lager de la Condesa. Die Feldartillerie und eine Raketenbatterie, wie auch der Rest der Kavallerie (die ganze Kavalleriebrigade besteht aus acht Schwadronen Husaren, vier Schwadronen Kürassieren ohne Kürasse und vier Schwadronen Ulanen, insgesamt 1.200 Mann) kamen im Lager an. Nur der Belagerungstrain (in dem sich eine Batterie gezogener 12pfünder befand) war noch weit zurück. Am 3. rekognoszierte O'Donnell in Richtung des Monte Negro, dem nächsten Gebirgszug im Süden. Das Wetter blieb schön, mittags heiß und in der Nacht sehr starker Taufall. Die Cholera grassierte immer noch in einigen Divisionen; und einige Korps hatten schrecklich unter Krankheiten gelitten. Die beiden Geniebataillone zum Beispiel, die es besonders schwer betroffen hatte, waren von 135 Mann auf 90 Mann je Kompanie reduziert worden.

Soweit besitzen wir detaillierte Berichte; für das Folgende verfügen wir nur über dürftige und nicht ganz übereinstimmende Telegramme. Am 5. ging die Armee vor. Am 6. bezog sie Lager "im Norden des Negro-Tals, nachdem sie die Pässe ohne Widerstand überschritten hatte". Ob das bedeutet, daß der Kamm des Monte Negro passiert war und die Armee an seinem südlichen Abhang ihr Lager aufschlug, ist sehr ungewiß. Am 9. soll die Armee eine Meile von Tetuán entfernt gewesen und ein Angriff der Mauren zurückgeschlagen worden sein. Am 13. waren die gesamten Positionen von Cabo Negro eingenommen, ein vollständiger Sieg wurde errungen, <557> und die Armee stand vor Tetuán; sobald die Artillerie herangebracht worden sei, würde der Angriff auf die Stadt beginnen. Am 14. landete die Division des Generals Rios, die in Malaga konzentriert worden war, mit zehn Bataillonen an der Mündung des Tetuán und besetzte die Forts, die die Flotte vierzehn Tage zuvor zerstört hatte. Am 6., so wird berichtet, war die Armee im Begriff, den Fluß zu überschreiten und Tetuán anzugreifen.

Um das zu erklären, möchten wir darauf hinweisen, daß zwischen Céuta und Tetuán vier verschiedene Bergketten passiert werden müssen. Die erste liegt unmittelbar südlich des Lagers und führt auf die Ebene von Castillejos; die zweite schließt diese Ebene nach Süden ab. Diese beiden wurden von den Spaniern am 1. genommen. Noch weiter südlich und senkrecht zur Mittelmeerküste verläuft der Monte Negro, und parallel zu diesem Gebirgszug, nur noch weiter im Süden, folgt eine weitere und höhere Bergkette, die an der Küste in dem Cabo Negro endet; südlich davon fließt der Tetuán. Die Mauren, die sich am 1. an die Flanken der eindringenden Armee geklammert hatten, änderten danach ihre Taktik; sie begaben sich weiter nach Süden und versuchten, die Straße nach Tetuán frontal zu sperren. Es wurde erwartet, daß der entscheidende Kampf um den Besitz dieser Straße in den Pässen des letzten, des Cabo-Negro-Höhenzuges entbrennen würde, und das scheint am 13. der Fall gewesen zu sein.

Die taktischen Vorkehrungen für diese Kämpfe scheinen sich für keine der beiden Parteien als besonders rühmlich zu erweisen. Von den Mauren können wir nur eine irreguläre Kriegführung erwarten, die mit der Tapferkeit und Schlauheit von Halbwilden ausgeübt wird. Aber selbst darin scheint es ihnen zu mangeln. Sie zeigen offenbar nicht jenen Fanatismus, den die Kabylen der algerischen Küstengebirge und vom Rif den Franzosen entgegenstellten; das lange, erfolglose Plänkeln vor den Redouten bei Céuta scheint die erste Begeisterung und Energie der meisten Stämme gebrochen zu haben. Auch in ihren strategischen Vorkehrungen reichen sie nicht an das Vorbild der Algerier heran. Nach dem ersten Tag verwerfen sie ihren ursprünglichen Plan, die Flanken und die Nachhut der anrückenden Kolonne zu bedrängen und ihre Kommunikationen mit Céuta zu unterbrechen oder zu bedrohen; stattdessen bemühen sie sich angestrengt, die Spanier zu überholen und ihnen die Straße nach Tetuán frontal zu versperren. Damit beschwören sie das herauf, was sie vermeiden sollten - eine offene Feldschlacht. Vielleicht lernen sie noch, daß mit den ihnen zur Verfügung stehenden Männern und in einem solchen Land wie dem ihren der Kleinkrieg das geeignetste Mittel ist, einen Feind zu zermürben, der, wie <558> überlegen er auch an Disziplin und Bewaffnung sein mag, in all seinen Bewegungen durch gewaltige impedimenta <Trosse> gehemmt ist, die ihnen selbst unbekannt sind und die in einem weglosen und ungastlichen Lande fortzubewegen keine leichte Sache ist.

Die Spanier sind weiter so verfahren, wie sie begannen. Nachdem sie zwei Monate müßig bei Céuta lagen, sind sie in sechzehn Tagen einundzwanzig Meilen marschiert, d.h. sie bewältigten in vier Tagen jeweils fünf Meilen! Bei aller notwendigen Berücksichtigung der schwierigen Wegverhältnisse ist das doch ein Grad an Langsamkeit, der in der modernen Kriegführung beispiellos ist. Den spanischen Generalen scheint die Fähigkeit, große Truppenkörper zu leiten, ausgedehnte Operationen vorzubereiten, eine Armee auf dem Marsch zu führen, die an Stärke kaum einem der französischen Armeekorps im letzten italienischen Feldzug gleichkommt, vollkommen verlorengegangen zu sein. Wie könnten sonst solche Verzögerungen eintreten. Am 2. Januar hatte O'Donnell seine ganze Artillerie mit Ausnahme des Belagerungstrains in Castillejos; trotzdem wartete er noch zwei Tage und rückte erst am 5. vor. Der Marsch der Kolonne selbst ist anscheinend recht gut organisiert, aber bei so kurzen Märschen könnte es kaum anders sein. Wenn die Spanier unter Feuer stehen, scheinen sie mit jener Verachtung des Feindes zu kämpfen, die überlegene Disziplin und eine Reihe von erfolgreichen Kämpfen unfehlbar hervorbringt; aber es bleibt abzuwarten, ob diese Siegeszuversicht anhält, wenn das Klima und die Mühsale eines Feldzugs, der bestimmt in einen erschöpfenden Kleinkrieg übergehen wird, die Armee sowohl moralisch als auch physisch reduziert haben werden. Über die Führung können wir bisher nur wenig sagen, da die näheren Angaben über alle Treffen, ausgenommen das erste Gefecht, noch unvollständig sind. Dieser erste Kampf offenbart jedoch zwei auffällige Fehler: die Attacke der Kavallerie und das Vorgehen General Prims über die gegebenen Befehle hinaus. Wenn sich diese Dinge als regelrechte Charakterzüge der spanischen Armee herausstellen sollten, dann wird es zu ihrem eigenen Nachteil sein.

Die Verteidigung Tetuáns wird wahrscheinlich kurz, aber hartnäckig sein. Die Befestigungswerke sind zweifellos schlecht, aber hinter Erdwällen sind die Mauren vorzügliche Soldaten, wie es sich in Constantine und vielen anderen algerischen Städten gezeigt hat. Die nächste Post kann uns die Nachricht bringen, daß die Stadt genommen wurde. In diesem Fall können wir eine Ruhepause im Feldzug erwarten, denn die Spanier werden <559> Zeit brauchen, die Straße zwischen Tetuán und Céuta zu verbessern, aus Tetuán eine zweite Operationsbasis zu machen und Verstärkungen heranzubringen. Danach wird der nächste Schritt in Richtung Larache oder Tanger erfolgen.