Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 61-67.

1. Korrektur.
Erstellt am 22.08.1998.

Friedrich Engels

Aspern

Geschrieben zwischen 14. Juli und 10. August 1857.
Aus dem Englischen.


["The New American Cyclopædia", Band II]

<61> Aspern und Eßling - eine Stadt und ein Dorf am nördlichen Ufer der Donau, erstere ungefähr eine halbe, letzteres ungefähr 2 League unterhalb Wiens auf den weiten Auen des Marchfeldes gelegen, das sich vom Strom bis zu den bewaldeten Höhen des Bisamberges hinzieht, sind berühmt durch die zweitägige mörderische Schlacht zwischen den Franzosen und den Österreichern am 21. und 22. Mai 1809 und die erste Niederlage des Kaisers Napoleon, der hier von Erzherzog Karl geschlagen und zum Rückzug gezwungen wurde.

Zu Beginn des Feldzuges hatte Napoleon mit der Großen Armee seinen Weg durch Tirol genommen, die Flüsse Inn und Isar aufwärts, hatte den Erzherzog Karl bei Eggmühl besiegt und ihn bei Regensburg, das er im Sturm nahm, über die Donau in die Berge Böhmens getrieben; damit hatte er sich zwischen die österreichische Armee und die Hauptstadt geschoben; war dann, nachdem er Davout mit 40.000 Mann detachiert hatte, um den österreichischen General hinzuhalten, donauabwärts gezogen und hatte sich zum Herrn von Wien gemacht; währenddessen rückten Napoleons Generale Eugène Beauharnais und Macdonald von der italienischen Seite her siegreich durch Dalmatien, Krain und das Murtal aufwärts - in dem Jellachich schwer geschlagen wurde - vor, um sich mit ihrem Oberkommandierenden zu vereinigen. Inzwischen bezog Erzherzog Karl, der sich seit seiner Niederlage bei Eggmühl langsam auf dem nördlichen Ufer der Donau stromabwärts bewegt hatte - in der Hoffnung, eine günstige Gelegenheit zu einem aussichtsreichen Kampf zu finden und das Kaiserreich unmittelbar vor den Toren der Hauptstadt zu retten -, mit seiner Armee auf dem Bisamberg Stellung, gegenüber der Insel Lobau und einem anderen kleinen Inselchen, die hier die Donau in vier Arme teilen.

Der Erzherzog stand an der Spitze von 100.000 Mann und wartete stündlich darauf, sich mit den 40.000 Mann seines Bruders, des Erzherzogs <62> Johann, zu vereinigen, die sich auf 60.000 Mann erhöht hätten, wenn sich dieser, wie ihm ausdrücklich befohlen, mit Kolowrat bei Linz vereinigt und damit eine beherrschende Stellung im Rücken und an der Hauptverbindungslinie Napoleons bezogen hätte.

Napoleon hatte unter seinem eigenen Oberbefehl 80.000 vortreffliche, einsatzbereite Soldaten konzentriert, darunter die kaiserliche Garde und die Reservekavallerie von Bessières, und beabsichtigte, über die Donau zu setzen und dem Erzherzog [Karl] eine Schlacht zu liefern, in der Hoffnung, ihn vor dem Eintreffen seiner Verstärkungen zu vernichten. Zu diesem Zweck schlug er eine sehr stabile Brücke, getragen von 68 großen Booten und 9 riesigen Flößen, vom rechten Ufer zur Insel Lobau und eine leichtere Brücke aus Pontons von der Insel Lobau zum Marchfeld, halbwegs zwischen den Ortschaften Aspern und Eßling; und am Morgen des 21. Juni begann er mit äußerster Schnelligkeit und Sorgfalt seine Truppen überzusetzen. Der österreichische Befehlshaber beobachtete von seiner Stellung auf dem Berg aus dieses unbesonnene Manöver, durch das der Kaiser sein riesiges Heer über einen breiten und reißenden Strom mit Hilfe einer einzigen Brücke brachte, die nur ein langsames und allmähliches Defilieren der Soldaten aller Waffengattungen über ihren langen und schmalen Übergang gestatten konnte - schwierig für die Kavallerie, noch schwieriger für die Artillerie - und die, falls man ihn zum Rückzug zwang, kaum eine Möglichkeit bot, die Armee in Sicherheit zu bringen. Als Erzherzog Karl dies wahrnahm, entschloß er sich, unverzüglich die Gelegenheit zu nutzen, das halbe französische Heer auf dem nördlichen Ufer zu vernichten, solange der andere Teil der Armee noch die Brücke passierte oder sich am Südufer befand. Er befahl Kolowrat, Nordmann und den anderen kommandierende Offizieren, die stromaufwärts standen, Boote mit schwerem Material und Brennstoffen bereitzuhalten, um zu gegebener Zeit die Brücken zu zerstören, und hielt dabei seine große Armee außer Sicht; seiner Kavallerie und den Vorposten erteilte er den Befehl, nur zum Schein Widerstand zu leisten und dann vor den vorrückenden Franzosen, die von Masséna befehligt wurden, zurückzuweichen. Um 12 Uhr, als mehr als 40.000 Franzosen sich bereits auf dem nördlichen Ufer befanden, war das Manöver des Gegners genügend weit fortgeschritten, so daß Erzherzog Karl die Initiative ergreifen konnte.

Zu diesem Zeitpunkt warf er sich mit 80.000 Mann, darunter 14.000 Mann ausgezeichnete Kavallerie, und 288 Geschützen von den bewaldeten Höhen des Bisamberges auf den Feind, wobei er die beiden Ortschaften Aspern und Eßling in Napoleons Flanken zu den Hauptpunkten seines <65> Angriffs machte; der zentrale Raum zwischen diesen beiden starken, meist aus Steingebäuden bestehenden und von Gartenmauern und vielen Einfriedungen umgebenen Orten wurde von gewaltigen österreichischen Batterien besetzt, die hauptsächlich von Kavallerie und im Rücken von Hohenzollerns Infanteriereserve gedeckt wurden. Der Kampf während der beiden Flankenangriffe war furchtbar, die Wucht der Angriffe und die Hartnäckigkeit der Verteidigung fast beispiellos in der Kriegsgeschichte. Beide Ortschaften wechselten mehrere Male den Besitzer und die österreichische Artillerie wütete so furchtbar in den französischen Linien, daß Napoleon eine große Kavallerieattacke befahl, um nach Möglichkeit die Batterien zu erobern. Die ausgezeichneten französischen Gardekürassiere griffen mit ihrer üblichen ungestümen Tapferkeit an, schlugen die österreichische Reiterei in die Flucht und hätten die Geschütze erobert; doch diese wurden schnell zurückgezogen, und die Infanterie bildete Karrees, die, wie später bei Waterloo, allen Versuchen widerstanden, ihre feste Formation zu durchbrechen, schließlich die Reiterei abwehrten und sie zwangen, sich aufgelöst und dezimiert zu ihren eigenen Linien zurückzuziehen. Inzwischen wurde Aspern von den Österreichern eingenommen; ihr Zentrum gewann langsam, aber unaufhaltsam an Boden, trotz des Heldenmuts der Kürassiere, die immer wieder mit ständig verringerter Anzahl angriffen und allein die französischen Linien vor einem feindlichen Durchbruch bewahrten.

Die Nacht brachte eine kurze Unterbrechung des Kampfes; aber die Franzosen hatten in einer entscheidenden Schlacht eine klare Niederlage erlitten; ihre linke Flanke war umgangen, ihr Zentrum fast bis zu den Brücken zurückgedrängt worden; und obwohl Eßling auf ihrem rechten Flügel durch die Tapferkeit von Lannes gehalten worden war, war es von den Österreichern eingeschlossen, die auf ihren Waffen zwischen den toten Franzosen schliefen und nur auf den Tagesanbruch warteten, um erneut anzugreifen.

Während der ganzen Nacht jedoch zogen frische Truppen über die Brücken und strömten auf das Marchfeld, und bei Tagesanbruch hatte Napoleon nach all den Verlusten des Vortages volle 70.000 Mann auf dem Schlachtfeld, während Davout an der Spitze von weiteren 30.000 Mann überzuzetzen begann. Die Schlacht begann mit erneuten Angriffen auf die beiden umstrittenen Ortschaften; Eßling wurde von den Österreichern eingenommen und Aspern von den Franzosen zurückerobert. Beide Orte waren Schauplatz verzweifelter, den ganzen Tag andauernder Kämpfe, und beide wechselten mehrere Male im Nahkampf den Besitzer, blieben jedoch <66> zuletzt in den Händen der Österreicher, die gegen Abend ihre Artillerie über beide Ortschaften hinaus vorschoben und ihr Kreuzfeuer wirksam in den Rücken der Franzosen verlegten. Aber während dieser blutigen Kämpfe hatte Napoleon, der dank großer Verstärkungen der Notwendigkeit enthoben war, aus der Defensive heraus zu handeln, zu seinem Lieblingsmanöver Zuflucht genommen, einem überwältigenden Angriff auf das Zentrum. An der Spitze einer riesigen Kolonne von über 20 000 Mann Infanterie, der 200 Geschütze vorausgingen und gewaltige Kavalleriekräfte folgten, ließ er Lannes und Oudinot das österreichische Zentrum direkt angreifen, wo die Linien am schwächsten schienen, zwischen dem linken Flügel von Hohenzollern und dem rechten von Rosenberg. Zuerst schien dieser wuchtige Angriff völlig gelungen zu sein; die österreichischen Linien wurden durchbrochen und eine gewaltige Lücke zwischen Hohenzollern und Rosenberg gerissen, in die die Kavallerie mit erschreckendem Ungestüm eindrang und sich glatt bis zu den weit hinten stehenden Reserven des Fürsten von Reuß durchschlug. Schon pflanzte sich der Ruf fort, daß die Schlacht verloren sei; aber Erzherzog Karl war der schwierigen Lage gewachsen; die Grenadiere der Reserve wurden im Eiltempo herangebracht und schachbrettförmig in Karrees aufgestellt; die zahlreichen Dragoner des Fürsten von Liechtenstein schlossen im Galopp auf, und mit der Fahne des Zachschen Regiments in der Hand, nahm der tapfere Fürst den Kampf wieder auf.

Die riesige Kolonne unter Lannes konnte nicht weiter vordringen, sondern wurde zum Stehen gebracht und begann mit den Karrees ein Feuergefecht; unfähig, sich zu entfalten, wurde sie von dem konzentrierten Feuer der Batterien aus halber Musketenschußweite zusammengeschossen. Vergeblich stürmte die Kavallerie gegen die Bajonette der Karrees an, doch keines wankte oder wurde durchbrochen, bis schließlich die österreichischen Dragoner der Reserve mit lautem Geschrei hervorbrachen und ihrerseits die französischen Kürassiere angriffen, sie auseinandersprengten, in Unordnung zu ihrer Infanterie zurücktrieben und das Durcheinander vollständig machten. Unmittelbar nach diesem Rückschlag durchbrach Hohenzollern mit 6 ungarischen Grenadierregimentern auf der rechten Seite des Zentrums die französischen Linien und trieb alles bis hinter Eßling vor sich her, das zusammen mit Aspern endgültig von den Österreichern erobert wurde. Während das österreichische Zentrum jetzt die im vollen Rückzug zur Insel Lobau begriffene französische Armee trotz deren beispiellosen Anstrengungen vor sich hertrieb, nahmen die österreichischen Batterien von diesen Ortschaften aus die Brücken unter ein vernichtendes Kreuz- <67> feuer, wobei jeder Schuß auf die zusammengeballten Massen von Menschen und Pferden verheerend wirkte.

Um die gefahrvolle Lage der Franzosen noch zu verschlimmern, wurde inzwischen die Brücke, die die Insel Lobau mit dem südlichen Ufer verband, von den österreichischen Brandern und Flößen zerstört und den Franzosen jedes Entkommen von der Insel für den Augenblick unmöglich gemacht. Indessen hielt die beispiellose Standhaftigkeit der französischen Nachhut die Österreicher in Schach, bis gegen Mitternacht, nachdem sich der letzte der Feinde vom Schlachtfeld auf die Insel zurückgezogen hatte, der Donner der österreichischen Batterien schwieg und die erschöpften Artilleristen, völlig entkräftet von den Anstrengungen dieses beispiellosen und ruhmreichen Tages, neben ihren Geschützen einschliefen.

7.000 Franzosen wurden von den Siegern auf dem Schlachtfeld begraben; 29.793 wurden als Verwundete oder Gefangene nach Wien gebracht. Lannes und Saint-Hilaire waren tödlich verwundet und starben einige Tage später. Auf seiten der Österreicher waren 87 höhere Offiziere und 4.200 Soldaten gefallen, außerdem 16.300 verwundet. Aber der direkt vor den Toren und fast in Sichtweite der Hauptstadt errungene Sieg war vollständig; der Feind, gebrochen, besiegt und entmutigt, war auf der kleinen Insel Lobau zusammengedrängt, und wäre Erzherzog Johann, dem ihm erteilten Befehl entsprechend, am Morgen nach der Niederlage von Aspern mit 60.000 Mann frischer Truppen im Rücken der Franzosen aufmarschiert, so wäre das Ergebnis unschwer abzusehen gewesen.

Aber Napoleons Stunde war noch nicht gekommen, und die Völker mußten noch vier weitere Jahre leiden, ehe der endgültige Sturz des kriegerischen Kolosses auf den Schlachtfeldern von Leipzig und Waterloo ihnen ihre verlorene Freiheit wiedergeben sollte.