Inhaltsverzeichnis Aufsätze für "The New American Cyclopædia"

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 95-106.

1. Korrektur.
Erstellt am 22.08.1998.

Friedrich Engels

Algerien

Geschrieben um den 15. September 1857.
Aus dem Englischen.


["The New American Cyclopædia", Band I]

<95> Algerien - ein Teil Nordafrikas, ehemals das türkische Paschalik Algier, doch seit 1830 zu den überseeischen Herrschaftsgebieten Frankreichs zählend. Es wird im Norden vom Mittelmeer begrenzt, im Osten von Tunis, im Westen von Marokko und im Süden von der Großen Sahara. Die größte Längenausdehnung von Osten nach Westen beträgt 500 Meilen, die größte Breite von Norden nach Süden 200 Meilen. Die Gebirgskette des Atlas ist eines der hervorragenden natürlichen Merkmale des Landes und trennt das Ackerland an der Meeresküste von der Wüste. Sie bildet auch die Wasserscheide dieses Gebietes nach Norden und Süden. Die Hauptkette des Gebirges verläuft von Osten nach Westen, doch ist das ganze Gebiet mit Ausläufern der zentralen Bergkette in allen Richtungen durchzogen. Der höchste der im westlichen Teil gelegenen Berge ist der Mount Wanaschris, der Mons Zalacus des Ptolemäus; im östlichen Teil sind es der Dschurdschura und der Aurès. Diese Berge erreichen eine Höhe von fast 7.000 Fuß. Der bedeutendste Fluß ist der Schiliff. Es gibt auch Flüsse von ansehnlicher Größe, die an der Südseite des Atlas entspringen und in der Wüste versiegen. Keiner dieser Flüsse ist schiffbar. Im Sommer sind sie fast ausgetrocknet, im Frühling aber überfluten sie eine beträchtliche Landfläche und machen den Boden fruchtbar.

Das Klima wird von einigen Reisenden als gesund angesehen. Augenentzündungen und Hautkrankheiten sind weit verbreitet. Angeblich gibt es in Algerien keine endemischen Fiebererkrankungen, aber die große Anzahl der französischen Truppen, die den Seuchen erlagen, lassen offensichtlich eine andere Schlußfolgerung zu. Die Atmosphäre ist rein und klar, und der Sommer ist sehr heiß; im Winter erlebt man gelegentlich, besonders im Bergland, eine sehr rauhe Witterung. Am Rande der Wüste ist der Boden unfruchtbar und sandig, doch zwischen den bergigen Gegenden ist er fruchtbar, besonders in der Nähe der Flüsse; Getreide aller Art, <96> europäisches Obst und Südfrüchte, Blumen, vor allem Rosen von bemerkenswerter Schönheit, und eine Sorte Zuckerrohr, welche die größte und ertragreichste aller bekannten Sorten sein soll, gedeihen in Algerien. Haustiere aller Arten gibt es die Menge. Die Pferde sind ohne Frage vortrefflich, die Esel haben einen schönen Wuchs und werden vielfach als Reittiere verwendet. Das algerische Kamel und das Dromedar sind ganz hervorragend. Das Merino-Schaf - und Spanien wurde damit zuerst aus Algerien versorgt -, ist hier heimisch, ebenso der numidische Löwe, der Panther und der Leopard. Strauße, Schlangen, Skorpione sowie andere giftige Reptilien gibt es im Lande im Überfluß.

Die Berber, Kabylen oder Mazigh - unter diesen drei Bezeichnungen sind sie bekannt - sollen die Ureinwohner Algeriens sein. Von ihrer Stammesgeschichte ist wenig mehr bekannt, als daß sie einst ganz Nordwestafrika bewohnten und auch an der Ostküste zu finden sind. Die Kabylen leben in den Gebirgsgegenden. Die anderen Einwohner sind Araber, die Nachkommen der mohammedanischen Eroberer, sowie Mauren, Türken, Kulugli, Juden und Neger und schließlich Franzosen. Die Bevölkerungszahl im Jahre 1852 betrug 2.078.035, wovon 134.115 Europäer aller Nationen waren, neben einer Armee von 100.000 Mann. Die Kabylen sind ein fleißiger Volksstamm, sie leben in regelrechten Dörfern, sind ausgezeichnete Ackerbauern und arbeiten in Bergwerken, bei der Metallbearbeitung und in Werkstätten für Rohwolle und Baumwolle. Sie stellen Schießpulver und Seife her, sammeln Honig und Wachs und versorgen die Städte mit Geflügel, Obst und anderen Nahrungsmitteln. Die Araber folgen den Sitten ihrer Vorfahren, sie führen ein Nomadenleben und verlegen ihre Lager von Ort zu Ort, je nach den Erfordernissen der Weidegründe oder anderen Notwendigkeiten. Die Mauren sind wahrscheinlich von allen Einwohnern die am wenigsten angesehenen. Sie wohnen in den Städten und führen ein üppigeres Leben als die Araber oder die Kabylen. Infolge ständiger Unterdrückung durch ihre türkischen Herrscher sind sie furchtsam, haben sich aber dennoch ihre Grausamkeit und Rachsucht erhalten und stehen in moralischer Beziehung auf sehr niedriger Stufe.

Die wichtigsten Städte Algeriens sind die Hauptstadt Algier, Constantine, mit einer Bevölkerung von etwa 20.000 Menschen, und Bona, eine befestigte Stadt an der Meeresküste, die 1847 etwa 10.000 Einwohner zählte. In der Nähe dieser Stadt befinden sich die Plätze der Korallenfischerei, die von den Fischern aus Frankreich und Italien aufgesucht werden. Bougie liegt am Golf gleichen Namens. Die Inbesitznahme dieses Ortes wurde durch die Ausschreitungen der Kabylen in der Nachbarschaft beschleunigt, <97> die eine französische Brigg zum Stranden brachten, indem sie ihr Ankertau durchschnitten, sie dann plünderten und die Besatzung niedermachten.

Im Innern Algeriens, besonders in der Provinz Constantine, befinden sich noch Überreste aus dem Altertum, unter anderen die Ruinen der antiken Stadt Lambessa; erhalten sind Überreste der Stadttore, Teile eines Amphitheaters und ein Mausoleum, das von korinthischen Säulen getragen wird. An der Küste liegen Coleah und Scherschel, das alte Julia Caesarea, ein Ort von einiger Bedeutung für die Franzosen. Es war dies die Residenz von Juba, und in seiner Umgebung befinden sich antike Überreste. Oran ist eine befestigte Stadt. Sie blieb bis 1792 im Besitz der Spanier. Tlemcen, seinerzeit die Residenz Abd el Kaders, liegt in einer fruchtbaren Gegend; die alte Stadt wurde 1670 durch Feuer und die neue Stadt fast ganz von den Franzosen zerstört. In ihren Mauern werden Teppiche und Wolldecken hergestellt. Südlich des Atlas liegt das Zaab, das alte Gaetulia. Der Hauptort ist Biskra; dessen Einwohner sind friedfertige Leute und sehr beliebt in den nördlichen Häfen als Hausknechte und Packträger.

Algerien ist nacheinander von den Römern, den Vandalen und den Arabern erobert worden. Als die Mauren 1492 aus Spanien vertrieben wurden, schickte Ferdinand eine Expedition nach Algerien und drohte nach der Einnahme von Oran, Bougie und Algier mit der Unterwerfung des ganzen Landes. Selim Eutemi, der Emir der Metidschah, einer fruchtbaren Ebene in der Nähe von Algier, war nicht in der Lage, es mit dem mächtigen Eindringling aufzunehmen, und bat die Türken um Unterstützung, die ihm daraufhin den berüchtigten Korsaren Barbarossa Horuk zu Hilfe sandten. Horuk landete 1516, und nachdem er sich zum Herrn des Landes gemacht und Selim Eutemi mit eigener Hand erschlagen hatte, griff er die Spanier an. Nach Kriegshandlungen mit wechselndem Glück mußte er sich jedoch nach Tlemcen zurückziehen. Die Stadt wurde durch eine spanische Armee belagert, er selbst gefangengenommen und 1518 hingerichtet. Horuks Bruder Cheireddin wurde sein Nachfolger. Er wandte sich um Hilfe an Sultan Selim I. und erkannte diesen Fürsten als seinen Souverän an. Demzufolge ernannte ihn Selim zum Pascha von Algier und sandte ihm Truppen, mit denen er die Spanier zurückschlagen und sich schließlich zum Herrn des Landes machen konnte. Seine Unternehmungen gegen die Christen im Mittelmeer brachten ihm von Suleiman I. die Würde eines Kapudan-Paschas ein. Karl V. machte einen Versuch, die spanische Herrschaft wiederherzustellen, und 1541 setzte eine starke Expedition von 370 Schiffen und 30.000 Mann über das Mittelmeer. Aber ein schrecklicher Sturm und ein Erdbeben zerstreuten die Flotte und schnitten alle Verbindungen <98> zwischen ihr und der Armee ab. Schutzlos den zermürbenden Angriffen eines wagemutigen Feindes ausgesetzt, mußten die Truppen sich wieder einschiffen und unter Verlust von 8.000 Mann, 15 Kriegsschiffen und 140 Transportschiffen die Flucht ergreifen. Von dieser Zeit an gab es endlose Feindseligkeiten zwischen den Barbareskenstaaten und den Malteser-Rittern; hieraus entsprang jenes System der Seeräuberei, das die algerischen Korsaren im Mittelmeer so gefürchtet machte und dem sich die christlichen Mächte so lange unterwarfen. Die Engländer unter Blake, die Franzosen unter Duquesne, die Holländer und andere Mächte griffen Algier zu verschiedenen Zeitpunkten an; nachdem Duquesne die Stadt zweimal bombardiert hatte, sandte der Dei nach dem französischen Konsul Ludwigs XIV., und, nachdem er von ihm die Kosten des Bambardements erfahren hatte, sagte der Dei spöttisch, daß er für die Hälfte dieses Geldes selbst die Stadt niedergebrannt hätte.

Trotz des ständigen Widerstandes der europäischen Mächte wurde das Kaperunwesen fortgesetzt; und selbst die Küsten Spaniens und Italiens wurden manchmal von den Desperados heimgesucht, die dieses schreckliche Gewerbe - Krieg und Plünderung - weiter fortführten. Tausende christlicher Sklaven schmachteten ständig in algerischer Gefangenschaft, und Gesellschaften frommer Männer wurden gebildet, deren ausdrückliches Ziel es war, Jahr für Jahr zwischen Europa und Algier hin und her zu fahren, um die Gefangenen mit den Summen loszukaufen, die ihnen von deren Verwandten anvertraut worden waren. Inzwischen war die Oberhoheit der türkischen Regierung auf den bloßen Namen reduziert worden. Die Deis wurden durch die Janitscharen gewählt und hatten ihre Unabhängigkeit von der Pforte verkündet. Der letzte türkische Pascha war 1705 von Dei Ibrahim vertrieben worden; in stürmischen Wahlen ernannten die Janitscharen neue Anführer, die sie oft im Verlaufe von Meutereien ermordeten. Die Janitscharen wurden aus den Kreisen türkischer Einwanderer geworben, und kein Eingeborener wurde in ihre Reihen aufgenommen, selbst wenn es sich um Söhne von Janitscharen mit eingeborenen Frauen handelte. Der Dei sandte gelegentlich Geschenke nach Konstantinopel als Zeichen seiner nominellen Untertanentreue, doch wurde jedweder regelmäßige Tribut eingestellt, und die Türken, durch ihre ständigen Kämpfe mit den Russen behindert, waren zu schwach, um die Rebellen einer weit entfernten Provinz zu züchtigen. Es war der jungen Republik der Vereinigten Staaten vorbehalten, den Weg zur Abschaffung der ungeheuerlichen Tyrannei zu weisen. Während der Kriege der Französischen Revolution und der napoleonischen Feldzüge hatten die starken Flotten im <101> Mittelmeer den Handel geschützt, und die Algerier waren gezwungen gewesen, zeitweilig ihre ungesetzlichen Eintreibungen einzustellen. Nach der Wiederherstellung des Friedens nahmen die Algerier ihre Raubzüge wieder auf; doch die Amerikaner, die 1795 noch gezwungen waren, dem Beispiel europäischer Nationen zu folgen und dem Dei Subsidien für die Aufrechterhaltung des Friedens zu zahlen, verweigerten jetzt den Tribut. 1815 bemächtigte sich der Kommodore Decatur bei einem Kampf mit einem algerischen Geschwader einer Fregatte und einer Brigg und segelte in die Bucht von Algier, wo er den Dei zwang, alle amerikanischen Gefangenen auszuliefern und jedem künftigen Anspruch auf Tribut zu entsagen. Diesem kühnen Beispiel folgten die Engländer, die 1816 unter Lord Exmouth die Stadt bombardierten, sie in Asche legten und so den Dei zwangen, seine Gefangenen herauszugeben. Dies war jedoch nur eine Bestrafung, denn die Freibeuterei hörte damit nicht auf; noch 1826 kaperten die Algerier ganz offen italienische Schiffe im Mittelmeer und dehnten ihre Streifzüge sogar bis in die Nordsee aus. 1818 ging die Herrschaft an Hussein-Bei über. Als 1823 der Wohnsitz des französischen Konsuls geplündert und verschiedentlich Gewalttaten gegen Schiffe verübt wurden, die unter französischer Flagge segelten, wurde Genugtuung verlangt, jedoch ohne Erfolg. Schließlich beleidigte der Dei von Algier persönlich den französischen Konsul und bediente sich respektloser Ausdrücke gegen den König von Frankreich, der einen Brief nicht beantwortete, den der Dei wegen einer Schuld der französischen Regierung an jüdische Kaufleute geschrieben hatte, die ihrerseits bei Hussein verschuldet waren. Um eine Entschuldigung zu erzwingen, wurde ein französisches Geschwader entsandt, das Algier blockierte. Verhandlungen wurden zwischen Frankreich, Mechmed Ali und der Pforte eröffnet, in deren Verlauf Mechmed Ali es auf sich nahm, mit Unterstützung Frankreichs Algier zu erobern und einen regelmäßigen Tribut an den Sultan zu zahlen, in dessen Namen er die Regierungsgeschäfte führen würde. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, teils wegen der Opposition Englands und teils, weil Mechmed Ali und Frankreich sich nicht über die konkreten Maßnahmen einigen konnten, wie der Plan zu verwirklichen sei. Die Regierung Karls X. unternahm nun allein eine Expedition gegen Algier, und am 13. Juni 1830 landete eine Armee von 38.000 Mann Infanterie und 4.000 Mann Kavallerie unter dem Kommando von General Bourmont vor Algier. Hussein-Dei hatte eine Armee von 60.000 Mann aufgeboten, um ihnen zu begegnen, aber da er ihre Landung zugelassen hatte, konnte er keinen wirksamen Widerstand leisten, und Algier kapitulierte am 4. Juli unter der Bedingung, daß das Privateigentum der <102> Bewohner und die Religion des Landes respektiert würden und daß dem Dei und seinen Türken freier Abzug gewährt würde. Die Franzosen ergriffen Besitz von der Stadt. Unter der Beute befanden sich 12 Kriegsschiffe, 1.500 Bronzekanonen und fast 10 Millionen Dollar in klingender Münze. Sie legten sofort eine Garnison nach Algier und errichteten eine Militärverwaltung. Die Regierung Karls X. hatte beabsichtigt, Algier dem Sultan zu übergeben, und Instruktionen dieses Inhalts waren bereits auf dem Wege nach Konstantinopel, als die Juli-Ereignisse von 1830 Karl X. entthronten. Eine der ersten Maßnahmen seines Nachfolgers <Louis-Philippe> bestand in der Entscheidung, auf der Eroberung zu bestehen, und an Stelle von Bourmont wurde Clausel als Oberbefehlshaber nach Algier geschickt.

Von der ersten Besetzung Algeriens durch die Franzosen bis zum heutigen Tage ist das unglückliche Land der Schauplatz endlosen Blutvergießens, des Raubes und der Gewalttaten gewesen. Jede Stadt, ob groß oder klein, ist Haus für Haus unter unermeßlichen Opfern erobert worden. Die Araber- und Kabylenstämme, denen die Unabhängigkeit kostbar und der Haß auf die Fremdherrschaft teurer ist als das eigene Leben, sind durch die schrecklichen Razzien, in deren Verlauf Behausungen und Eigentum verbrannt und zerstört, die Ernte auf dem Halm vernichtet und die Unglücklichen, die übrigblieben, niedergemetzelt oder allen Schrecken der Lust und Brutalität ausgesetzt wurden, überwältigt und entmutigt worden. An diesem barbarischen System der Kriegführung haben die Franzosen gegen alle Gebote der Menschlichkeit, der Zivilisation und des Christentums festgehalten. Zur Rechtfertigung wird behauptet, daß die Kabylen grausam und mordlustig seien, daß sie ihre Gefangenen martern und daß Milde bei Wilden nicht am Platze sei. Die Politik einer zivilisierten Regierung, die sich auf die lex talionis <das Gesetz der Vergeltung von Gleichem mit Gleichem> beruft, kann sehr wohl in Zweifel gezogen werden. Und wenn man den Baum nach seinen Früchten beurteilt, dann kann man nur sagen, daß nach einer Ausgabe von vermutlich 100 Millionen Dollar und hunderttausenden geopferten Menschenleben Algerien nichts weiter ist als eine Kriegsschule für französische Generale und Soldaten, in welcher alle die französischen Offiziere, die sich im Krimkrieg Lorbeeren erwarben, ihre militärische Ausbildung und Kampferfahrung erhielten. Wie ein Vergleich der Anzahl der Europäer mit der der Einheimischen zeigt, ist auch der Kolonisierungsversuch gegenwärtig als ein fast völliger Mißerfolg zu betrachten; und dies in einem der fruchtbarsten Länder der Welt, der alten Kornkammer Italiens, 20 Stunden von Frankreich entfernt, wo nur eins <103> fehlt: die Sicherheit für Leben und Eigentum, die von militärischen Freunden und grausamen Feinden bedroht wird. Ob dieser Mißerfolg einer angeborenen Charakterschwäche der Franzosen zuzuschreiben ist, die sie für Auswanderung ungeeignet macht, oder einer unverständigen örtlichen Verwaltung - das zu beurteilen liegt nicht in unserer Kompetenz. Alle bedeutenden Städte, Constantine, Bona und Bougie, Arzew, Mostaganem und Tlemcen, wurden mit all den damit einhergehenden Schrecken im Sturm genommen. Die Eingeborenen hatten sich schon widerwillig ihren türkischen Herrschern unterworfen, die zumindest für sich beanspruchen konnten, der gleichen Religion zu sein; aber sie sahen keine Vorzüge in der sogenannten Zivilisation der neuen Regierung, gegen die sie außerdem die ganze Abneigung des religiösen Fanatismus empfanden. Jeder Gouverneur erschien nur, um die Härten seines Vorgängers zu wiederholen; Proklamationen verkündeten die wohlwollendsten Absichten, aber die Besatzungsarmee, die Truppenbewegungen, die furchtbaren, von beiden Seiten verübten Grausamkeiten, sie alle widerlegten die Friedens- und Wohlwollensbeteuerungen.

Im Jahre 1831 war Baron Pichon zum Zivilintendanten ernannt worden und er bemühte sich, ein System der Zivilverwaltung einzurichten, das mit der Militärregierung zusammen vorgehen sollte, aber die Kontrolle, die seine Maßnahmen dem Generalgouverneur auferlegt hätten, verärgerte Savary, den Herzog von Rovigo, Napoleons ehemaligen Polizeiminister, und auf seine Vorstellung hin wurde Pichon abberufen. Unter Savary wurde Algerien zum Exil all derer, die infolge ihrer politischen oder sozialen Vergehen mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren; gleichzeitig wurde in Algerien eine Fremdenlegion aufgestellt, deren Soldaten es verboten war, die Städte zu betreten. Der Deputiertenkammer wurde 1833 eine Petition vorgelegt, in der festgestellt wurde:

"Seit 3 Jahren ertragen wir alle möglichen Ungerechtigkeiten. So oft wir Beschwerden erhoben, wurden neue Grausamkeiten besonders gegen diejenigen verübt, von welchen die Beschwerden herrührten. Nun wagt niemand mehr, sich voran zu stellen, und darum trägt auch diese Bittschrift keine Unterschriften. O meine Herren, wir beschwören Sie im Namen der Menschlichkeit, befreien Sie uns von dieser schmählichen Tyrannei, erlösen Sie uns aus den Sklavenketten. Will man das Land mit der Militärregierung behalten, soll hier keine Zivilverwaltung stattfinden, so geht es zu Grunde, weil es niemals Frieden bekommen wird."

Diese Petition führte dazu, daß ein Untersuchungsausschuß eingesetzt wurde, dessen Tätigkeit zur Errichtung einer Zivilverwaltung führte. Nach dem Tode Savarys waren unter der Interimsverwaltung des Generals <104> Voirol einige Maßnahmen eingeleitet worden, welche die Erbitterung lindern sollten: die Trockenlegung von Sümpfen, Verbesserung der Straßen und die Aufstellung einer Eingeborenenmiliz. Nach der Rückkehr des Marschalls Clausel, unter welchem eine erste und äußerst unglückselige Expedition gegen Constantine stattfand, wurden diese Maßnahmen jedoch eingestellt. Seine Regierungstätigkeit war so unzulänglich, daß 1836 eine Petition, die von 54 in der Provinz in führender Position stehenden Persönlichkeiten unterzeichnet war, nach Paris gesandt wurde, mit der Bitte, eine Untersuchung der unter seiner Regierung verübten Mißbräuche einzuleiten. Dies führte schließlich zu Clausels Rücktritt. Die ganze Regierungsperiode Louis-Philippes war erfüllt von Versuchen zur Kolonisation, die nur auf Bodenspekulation hinausliefen, zur militärischen Kolonisation, die nutzlos war, da die Siedler, wenn sie sich mehr als eine Schußweite von ihren Blockhäusern entfernten, ihres Lebens nicht sicher waren, fernerhin von Versuchen, den östlichen Teil Algeriens zu besiedeln und Abd el Kader aus Oran und dem Westen zu vertreiben. Die Niederlage dieses rastlosen und unerschrockenen Anführers befriedete das Land so weit, daß der große Stamm der Hamianes Garabas sofort seine Unterwerfung erklärte.

Zur Zeit der Revolution von 1848 wurde General Cavaignac in Nachfolge des Herzogs von Aumale zum Generalgouverneur der Provinz ernannt, und dieser sowie der Prinz von Joinville, der sich ebenfalls in Algerien befand, traten zurück. Doch die Republik schien in der Verwaltung dieser Provinz nicht mehr Glück zu haben als die Monarchie. Während ihres kurzen Bestehens lösten mehrere Gouverneure einander ab. Kolonisten wurden ausgeschickt, um den Boden zu bestellen, aber sie kamen um oder gaben voller Widerwillen auf. Im Jahre 1849 marschierte General Pélissier gegen mehrere Stämme und die Dörfer der Beni Sillem, Ihre Ernte und alles erreichbare Eigentum wurden wie gewöhnlich verbrannt und zerstört, weil sie den Tribut verweigerten. Als in Zaab, einem fruchtbaren Gebiet am Rande der Wüste, große Erregung infolge der Predigten eines Marabuts aufgekommen war, wurde eine Expedition von 1.200 Mann ausgesandt, die von der Bevölkerung geschlagen wurde. Es stellte sich nun heraus, daß die Revolte weit verbreitet war und durch geheime Vereinigungen, die "Sidi Abderrahman" hießen, geschürt wurde, deren Hauptziel die Ausrottung der Franzosen war. Die Rebellen wurden erst niedergeschlagen, als man eine Expedition unter den Generalen Canrobert und Herbillon gegen sie ausgesandt hatte; und die Belagerung der arabischen Stadt Zaatscha bewies, daß die Eingeborenen weder den Mut verloren noch Zuneigung für die Eindringlinge gefaßt hatten. Die Stadt <105> widerstand 51 Tage lang den Angriffen der Belagerer und wurde schließlich im Sturm genommen. Klein-Kabylien ergab sich erst 1851, als General Saint-Arnaud es unterwarf und dadurch eine Verbindungslinie zwischen Philippeville und Constantine herstellte.

Die französischen Bulletins und Zeitungen sind voll von Erklärungen über den Frieden und den Wohlstand in Algerien. Sie sind jedoch nichts als ein Zugeständnis an die nationale Eitelkeit. Selbst heute ist das Land in seinem Innern genauso wenig kolonisiert wie früher. Die französische Oberhoheit besteht mit Ausnahme an der Küste und in der Nähe der Städte nur in der Einbildung. Die Stämme behaupten noch immer ihre Unabhängigkeit und geben ihrem Haß gegenüber dem französischen Regime Ausdruck; das abscheuliche System der Razzien wurde noch nicht aufgegeben. So wurde 1857 von Marschall Randon eine erfolgreiche Razzia auf die Dörfer und Wohnstätten der bisher nicht unterworfenen Kabylen veranstaltet, um ihr Territorium den französischen Besitzungen einzuverleiben. Die Eingeborenen werden noch immer mit der eisernen Faust regiert, und ständige Aufstände zeugen von der Unsicherheit des französischen Besatzungsregimes und von der Hohlheit eines Friedens, der mit derartigen Mitteln aufrechterhalten wird. Eine Gerichtsverhandlung, die im August 1857 in Oran stattfand und in der Hauptmann Doineau, der Präsident des Bureaux Arabes, für schuldig befunden wurde, einen prominenten und reichen Eingeborenen ermordet zu haben, enthüllte in der Tat, mit welcher zur Gewohnheit gewordenen Grausamkeit und Despotie französische Beamten, selbst untergeordneten Dienstgrades, ihre Macht ausüben, was ganz zu Recht die Aufmerksamkeit der Welt auf sich lenkte.

Gegenwärtig ist die Kolonialverwaltung auf die drei Provinzen Constantine im Osten, Algier im Zentrum und Oran im Westen verteilt. Das Land untersteht einem Generalgouverneur, der gleichzeitig Oberbefehlshaber ist. Ihm zur Seite stehen ein Sekretär und ein Zivilintendant sowie ein Beirat, der sich aus dem Direktor für Zivilangelegenheiten, dem Befehlshaber der Marine, dem Militärintendanten und dem Generalprokurator zusammensetzt, dessen Aufgabe darin besteht, die Verfügungen des Gouverneurs zu bekräftigen. Der Conseil des contentieux <Begutachtungsrat> zu Algier ist für zivile und kriminelle Rechtsüberschreitungen zuständig. Die Provinzen, in denen eine Zivilverwaltung organisiert wurde, haben Bürgermeister, Richter und Polizeikommissare. Die Stämme der Eingeborenen, die sich zur mohammedanischen Religion bekennen, haben noch ihre Kadis; doch ist <106> bei ihnen ein Schiedsgerichtsverfahren eingeführt worden, das sie angeblich bevorzugen sollen, und ein Beamter (l'avocat des Arabes <der Advokat der Araber>) ist speziell mit der Aufgabe betraut, arabische Interessen vor den französischen Tribunalen zu verteidigen.

Es wird behauptet, daß der Handel seit der französischen Besetzung beträchtlich angestiegen ist. Die Importe werden mit etwa 22 Millionen Dollar, die Exporte mit 3 Millionen Dollar bewertet. Die Importe sind Baumwolle, wollgewebte Stoffe und Seidenwaren, Getreide und Mehl, Kalk und raffinierter Zucker; die Exporte sind Rohkorallen, Häute, Weizen, Öl und Wolle sowie andere kleinere Bedarfsartikel.