Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 389-397.

1. Korrektur
Erstellt am .

Vorwort | Inhalt | II. Die Bürstenheimer

I. Die Schwefelbande


Clarin: Malas pastillas gasta; ---
----- hase untado
Con ungüento de azufre.
<Mit holden Worten wirft er gern um sich,
... er hat sich eingeschiert mit Schwefelsalbe.>
(Calderon)

<389> Die "abgerundete Natur", wie Advokat Hermann vor dem Bezirksgericht in Augsburg seinen kugelrunden Klienten, den Erb-Vogt auf Nichilburg, zartsinnig kennzeichnete, die "abgerundete Natur" beginnt ihre Naupengeheuerliche Geschichtsklitterung wie folgt: .

"Unter dem Namen der Schwefelbande, oder auch unter dem nicht weniger charakteristischen der Bürstenheimer, war unter der Flüchtlingsschaft von 1849 eine Anzahl von Leuten bekannt, die, anfangs in der Schweiz, Frankreich und England zerstreut, sich allmählich in London sammelten und dort als ihr sichtbares Oberhaupt Herrn Marx verehrten. Politisches Prinzip dieser Gesellen war die Diktatur des Proletariats etc." (p. 136 "Mein Prozeß gegen die Allgemeine Zeitung" von Karl Vogt, Genf, Dezember 1859.)

Das "Hauptbuch", worin diese wichtige Mitteilung unterläuft, erschien im Dezember 1859. Acht Monate vorher, Mai 1859, hatte jedoch "die abgerundete Natur" im Bieler "Handels-Courier" einen Artikel veröffentlicht, der als Grundriß der weitläufigeren Geschichtsklitterung betrachtet werden muß. Hören wir den Urtext:

"Seit dem Umschlage der Revolution von 1849", so schneidet der Bieler Commis voyageur auf, "hat sich nach und nach in London eine Clique von Flüchtlingen gesammelt, deren Glieder unter der schweizerischen Emigration unter dem Namen der 'Bürstenheimer’ oder der 'Schwefelbande' seiner (!) Zeit bekannt waren. Ihr Chef ist Marx, der frühere Redakteur der 'Rheinischen Zeitung' in Köln - ihr Losungswort 'Soziale Republik, Arbeiterdiktatur’ - ihre Beschäftigung Anspinnen von Verbindungen und Verschwörungen." (Wieder abgedruckt in dem "Hauptbuch", Dritter Abschnitt, Dokumente, No. 7, p. 31, 32.)

<390> Die Clique von Flüchtlingen, die "unter der schweizerischen Emigration" als "Schwefelbande" bekannt war, verwandelt sich 8 Monate später einem größeren Publikum gegenüber in eine über "die Schweiz, Frankreich und England zerstreute" Masse, die "unter der Flüchtlingsschaft" überhaupt als "Schwefelbande" bekannt war. Es ist die alte Geschichte von den Steifleinenen in Kendal-Green; so heiter erzählt von Karl Vogts Urtyp, dem unsterblichen Sir John Falstaff, der in seiner zoologischen Wiedergeburt keinenfalls an Stoff eingebüßt hat. Aus dem Urtext des Bieler Commis voyageur ergibt sich, daß "Schwefelbande" wie "Bürstenheimer" Schweizer Lokalgewächse waren. Sehen wir uns nach ihrer Naturgeschichte um.

Von Freunden belehrt, daß in dem Jahre 1849/1850 allerdings eine Flüchtlingsgesellschaft unter dem Namen "Schwefelbande" zu Genf blühte und Herr S. L. Borkheim, wohlbestallter Kaufmann in der City von London, nähere Auskunft über Ursprung, Wachstum und Verfall jener genialen Gesellschaft geben könne, wandte ich mich schriftlich, im Februar 1860, an den mir damals unbekannten Herrn und erhielt in der Tat, nach einer persönlichen Zusammenkunft, folgende Skizze, die ich unverändert abdrucken lasse.

"London, den 12. Februar l860
18, Union Grove, Wandsworth Road

Geehrter Herr!

Obgleich, trotz neunjährigen Verweilens in demselben Lande und meistens in der selben Stadt, wir, bis vor drei Tagen, persönlich nicht miteinander bekannt waren, haben Sie doch nicht mit Unrecht vorausgesetzt, daß ich Ihnen, als einem Mitexilierten, die gewünschte Mitteilung nicht versagen würde.

Wohlan denn zur 'Schwefelbande’.

Im Jahre 1849, bald nachdem wir Aufständischen aus Baden hinausgekugelt waren, fanden sich, teils von den Schweizer Behörden dorthin verwiesen, teils durch freiwillige Wahl des Aufenthalts, mehrere junge Männer in Genf zusammen, die, Studenten, Soldaten oder Kaufleute, schon vor 1848 in Deutschland untereinander befreundet gewesen oder wahrend der Revolution miteinander bekannt geworden waren.

Die Stimmung unter den Flüchtlingen war keine rosige. Die sogenannten politischen Führer wälzten sich gegenseitig die Schuld des Mißlingens zu, militärische Leiter kritisierten einer des andern rückgängige Offensivbewegungen, Flankenmärsche und offensive Retiraden; man fing sich an Bourgeoisrepublikaner, Sozialisten und Kommunisten zu schimpfen; es regnete Flugschriften, die keineswegs beruhigend wirkten; Spione wurden überall gewittert. und zu all’ dem verwandelten sich die Kleider der Mehrzahl in Lumpen, und auf vieler Gesicht las man den Hunger. In solchem Trübsal hielten die schon bezeichneten jungen Leute in Freundschaft zusammen. Sie waren:

<391> Eduard Rosenblum, geboren in Odessa, der Sohn deutscher Eltern; er hatte in Leipzig, Berlin und Paris Medizin studiert.

Max Cohnheim aus Fraustadt; er war Handlungsdiener gewesen und beim Ausbruch der Revolution einjähriger Freiwilliger bei der Gardeartillerie.

Korn, Chemiker und Apotheker aus Berlin.

Beccker, Ingenieur aus den Rheinlanden,

und ich selbst, der ich mich nach 1844 am Werderschen Gymnasium zu Berlin abgelegtem Abiturientenexamen in Breslau, Greifswald und Berlin Studierens halber aufgehalten hatte und den die 48er Revolution als Kanonier in seiner Vaterstadt (Glogau) fand.

Keiner von uns war, glaube ich, über 24 Jahre alt. Wir wohnten nahe beieinander, ja eine Zeitlang sogar im grand pré, alle in demselben Hause. Unsre Hauptbeschäftigung war, in dem kleinen Lande, das so wenig Gelegenheit bot zum Broterwerb, uns nicht von dem allgemeinen Flüchtlingselende und politischen Katzenjammer niederdrücken und demoralisieren zu lassen. Das Klima, die Natur waren herrlich - wir verleugneten unsre märkischen Antezedenzien nicht und fanden die Jegend jottvoll. Was der eine von uns besaß, hatte der andre, und wenn wir alle nichts hatten, so fanden wir gutmütige Schenkwirte oder andre liebe Leute, die sich ein Vergnügen draus machten, uns auf unsre jungen lebenslustigen Gesichter hin etwas zu borgen. Wir müssen wohl alle recht ehrlich und toll ausgesehen haben! Hier sei mit Dank des Cafétier Bertin (Café de l’Europe) erwähnt, der nicht nur uns, sondern noch vielen andern deutschen und französischen Flüchtlingen im wahren Sinne des Wortes rastlos 'pumpte’. 1856, nach sechsjähriger Abwesenheit, besuchte ich Genf auf meiner Rückkehr aus der Krim, lediglich, um mit der Pietät eines wohlmeinenden 'Bummlers’ meine Schulden zu bezahlen. Der gute, runde, dicke Bertin war erstaunt, versicherte mich, daß ich der erste sei, der ihm diese Freude mache, daß er aber dessenungeachtet es gar nicht bedaure, 10[.000] bis 20.000 Frs. bei Flüchtlingen ausstehen zu haben, die schon lange in alle Welt verjagt seien. Er erkundigte sich, abgesehen von Schuldverhältnissen, mit besondrer Innigkeit nach meinen nähern Freunden. Leider wußte ich ihm wenig zu sagen.

Nach vorgehender Einschaltung kehre ich nun wieder zum Jahre 1849 zurück.

Wir kneipten fröhlich und sangen lustig. Flüchtlinge aller verschiedenen politischen Nuancen, auch französische und italienische, erinnere ich mich, an unsrem Tische gesehen zu haben. Fröhliche Abende, in solchem dulci jubilo verbracht, schienen allen Oasen zu sein in der sonst allerdings jämmerlichen Wüste des Flüchtlingslebens. Auch Freunde, die damals Genfer Großräte waren oder es später geworden sind, fanden sich zur Erholung mitunter bei unsern Gelagen ein.

Liebknecht, der jetzt hier und den ich in neun Jahren nur drei- oder viermal gesehn, indem ich ihn immer zufällig auf der Straße traf, war nicht selten von der Gesellschaft. Studenten, Doktoren, ehemalige Freunde vom Gymnasium und Universität her, auf Ferienreisen begriffen, tranken sich oft mit uns durch viele Gläser Bier und manche Flasche des guten und billigen Mâcon. Mitunter lagen wir tage-, ja sogar wochenlang auf dem Genfer See umher, ohne je ans Land zu steigen, sangen Minnelieder und <392> 'schnitten’, mit der Gitarre in der Hand, 'die Cour’ vor den Fenstern der Villas auf savoyischer und schweizerischer Seite.

Ich scheue mich nicht, hier anzuführen, daß sich unser burschikoses Blut mitunter in polizeiwidrigen Sprüngen Luft machte. Der so liebe, nun verstorbene Albert Galeer, Fazys nicht unbedeutender politischer Gegner in der Genfer Bürgerschaft, pflegte uns dann im freundlichsten Tone Moral zu predigen. 'Ihr seid tolle Bursche’, sagte er, 'jedoch ist es wahr, daß in eurem Flüchtlingsjammer solchen Humor zu haben, man kein Schwächling sein darf an Leib oder Geist - es gehört Elastizität dazu.’ Dem gutherzigen Manne kam es hart an, uns harter anzulassen. Er war Großrat des Kantons Genf.

Von Duellen hatte meines Wissens damals nur eins statt, und zwar mit Pistolen zwischen mir und einem Herrn R...n. Die Veranlassung war aber durchaus nicht politischer Natur. Mein Sekundant war ein Genfer nur französisch sprechender Artillerist, und der Unparteiische war der junge, später in München als Student leider zu früh von einem Nervenfieber dahingeraffte Oskar Galeer, Bruder des Großrats. Ein zweites Duell, dessen Veranlassung aber auch nicht politischer Natur war, sollte stattfinden zwischen Rosenblum und einem flüchtigen badischen Leutnant v. F...g, der bald darauf ins Vaterland zurückkehrte und, ich glaube, wieder ins regenerierte badische Heer eintrat. Der Streit wurde, ohne daß es zum Äußersten kam, am Morgen des Kampftages durch Vermittlung des Herrn Engels - ich vermute, es war derselbe, der jetzt in Manchester sein soll und den ich seit damals nicht wieder gesehen - in Freundschaft beigelegt. Dieser Herr Engels war in Genf auf seiner Durchreise begriffen, und wir tranken der Flaschen Wein nicht wenige in seiner erheiternden Gesellschaft. Das Begegnen mit ihm kam uns, wenn ich mich recht entsinne, ganz besonders deswegen erwünscht, weil wir seiner Kasse erlauben konnten, das Kommando zu führen.

Wir schlossen uns weder sogenannten blau- noch rot-republikanischen, noch sozialistischen, noch kommunistischen Parteiführern an. Wir erlaubten uns, das politische Treiben von Reichsregenten, Mitgliedern des Frankfurter Parlaments und andrer Sprechsäle, Revolutionsgeneralen oder Korporalen oder Dalai-Lamas des Kommunismus frei und unabhängig - ich will nicht behaupten stets richtig - zu beurteilen, und gründeten sogar für diesen und andre uns belustigende Zwecke ein Wochenblatt, betitelt:

"RUMMELTIPUFF"

Organ der Lausbubokratie (1)

Dies Blatt erlebte nur zwei Nummern. Als man mich später in Frankreich verhaftete, um mich hierher zu senden, wurden mir von der französischen Polizei meine Papiere und Tagebücher mit Beschlag belegt, und ich erinnere mich nicht mehr genau, ob das Blatt durch obrigkeitliches Verbot oder durch Armut zu Grabe getragen wurde.

<393> 'Philister’ - sie gehörten den sogenannten Bourgeoisrepublikanern und auch den Reihen der sogenannten kommunistischen Arbeiter an - bezeichneten uns mit dem Namen 'Schwefelbande'. Mitunter ist es mir, als hatten wir uns selbst diesen Namen beigelegt. Jedenfalls haftete er der Gesellschaft lediglich an in dem gemütlichen deutschen Sinne des Worts. In freundlichster Weise komme ich mit Verbannungsgenossen zusammen, die Freunde des Herrn Vogt, und mit andern, welche die Ihrigen waren und es wahrscheinlich noch sind. Aber ich freue mich, auf keiner Seite je gefunden zu haben, daß man von den Mitgliedern der von mir bezeichneten 'Schwefelbande’, sei es in politischer oder privater Beziehung, mit Mißachtung spricht.

Diese 'Schwefelbande’ ist die einzige, deren Existenz mir bekannt. Sie bestand von 1849 bis 1850 in Genf. Mitte 1850 wurden die wenigen Mitglieder dieser gefährlichen Gesellschaft, da sie zu den auszuweisenden Kategorien der Flüchtlinge gehörten, gezwungen, die Schweiz zu verlassen, mit Ausnahme von Korn. Somit hatte also das Leben dieser 'Schwefelbande’ sein Ende erreicht. Von andern 'Schwefelbanden’, ob sie an andern Orten und wo und zu welchem Zwecke sie bestanden haben, weiß ich nichts.

Korn blieb, glaube ich, in der Schweiz und soll daselbst als Apotheker ansässig sein. Cohnheim und Rosenblum gingen vor der Schlacht bei Idstedt nach Holstein. Ich glaube, sie haben beide an derselben teilgenommen. Später, 1851, segelten sie nach Amerika. Rosenblum kehrte Ende desselben Jahres nach England zurück und ging 1852 nach Australien, von wo ich seit 1855 nichts von ihm gehört. Cohnheim soll schon seit einiger Zeit Redakteur des 'New-Yorker Humoristen’ sein. Becker begab sich gleich damals 1850 nach Amerika. Was aus ihm geworden, kann ich leider nicht mit Bestimmtheit sagen.

Ich selbst hielt mich im Winter 1850/1851 in Paris und Straßburg auf und wurde von der französischen Polizei, wie schon oben angedeutet, im Februar 1851 gewaltsam - drei Monate lang schleppte man mich durch 25 Gefängnisse und meistens während des Marsches in schweren eisernen Ketten - nach England verschickt. Hier wohne ich, nachdem ich das erste Jahr zur Eroberung der Sprache verwandt, dem Geschäftsleben gewidmet, nicht ohne stetes und reges Interesse für die politischen Ereignisse in meinem Vaterlande, aber immer frei von jeglichem Treiben politischer Flüchtlingscliquen. Es geht mir nun so leidlich, oder wie der Engländer sagt: very well, sir, thank you <sehr gut mein Herr, danke>. - Es ist Ihre eigne Schuld, wenn Sie durch diese lange, aber jedenfalls nicht sehr wichtige Geschichte zu waden haben.

Mit Achtung verbleibe ich Ihr ganz ergebener
Sigismund L. Borkheim"

Soweit Herrn Borkheims Brief. Im Vorgefühl ihrer historischen Wichtigkeit ergriff die "Schwefelbande" die Vorsichtsmaßregel, ihr eignes Zivilstandsregister mit Holzschnitten in das Buch der Geschichte einzukeilen. <394> Die erste Nummer des "Rummeltipuff" ist nämlich mit den Bildnissen seiner Stifter geschmückt.

Die genialen Herren von der "Schwefelbande" hatten sich beteiligt an Struves republikanischem Putsch vom September 1848, dann im Gefängnis von Bruchsal bis Mai 1849 gesessen, endlich mitgekämpft als Soldaten in der Reichsverfassungskampagne, die sie über die Schweizer Grenze warf. Im Laufe des Jahres 1850 langten zwei Matadore derselben, Cohnheim und Rosenblum, in London an, wo sie sich um Herrn Gustav Struve "versammelten". Ich hatte nicht die Ehre, sie persönlich kennenzulernen. Politisch setzten sie sich mit mir in Beziehung, indem sie unter Struves Führung gegen das damals von mir, Engels, Willich und andern geleitete Londoner Flüchtlingskomitee ein Gegenkomitee zu bilden suchten, dessen uns feindliches Pronunziamento, unterzeichnet von Struve, Rosenblum, Cohnheim, Bobzin, Grunich und Oswald, unter andern auch in der Berliner "Abend-Post" erschien.

In der Blütezeit der Heiligen Allianz bildete die Kohlenbande (Carbonari) eine ergiebige Fundgrube für polizistische Tätigkeit und aristokratische Phantasie. Gedachte unser Reichs-Gorgellantua die "Schwefelbande" in der Weise der Kohlenbande auszubeuten zu Nutz und Frommen teutscher Bürgerschaft? Die Salpeterbande würde die polizeiliche Dreieinigkeit voll machen. Vielleicht auch ist Karl Vogt dem Schwefel abhold, weil er kein Pulver riechen kann. Oder haßt er gleich andern Kranken sein spezifisches Heilmittel? Der Geheimarzt Rademacher klassifiziert bekanntlich die Krankheiten nach ihren Heilmitteln. Unter Schwefelkrankheit fiele damit, was Advokat Hermann im Bezirksgericht zu Augsburg "die abgerundete Natur" seines Klienten hieß, was Rademacher ein "trommelartig gespanntes Bauchfell" und der noch größere Doktor Fischart "den gewelbeten Wanst aus Frankreich" nennt. Alle Falstaffsnaturen litten so in mehr als einem Sinn an der Schwefelkrankheit. Oder sollte den Vogt sein zoologisches Gewissen erinnert haben, daß Schwefel der Tod der Krätzmilbe, also ganz und gar zuwider den Krätzmilben, die mehrmals die Haut gewechselt haben? Denn, wie neuere Forschungen bewiesen, die gehäutete Krätzmilbe allein ist zeugungsfähig und daher zum Selbstbewußtsein durchgedrungen. Artiger Gegensatz, auf der einen Seite der Schwefel, auf der andern die selbstbewußte Krätzmilbe! Unter allen Umständen aber schuldete Vogt seinem "Kaiser" und dem liberalen teutschen Bürger den Nachweis, daß alles Unheil "seit dem Umschlage der Revolution von 1849" von der Schwefelbande zu Genf herrührt und nicht von der Dezemberbande zu Paris. Mich persönlich mußte er zum Chef der von ihm gelästerten und mir <395> bis zum Erscheinen des "Hauptbuchs" unbekannten Schwefelbande erhöhn, zur Strafe für meine jahrelang fortgesetzten Frevel gegen Haupt und Glieder der "Bande vom 10. Dezember". Um den gerechten Groll des "angenehmen Gesellschafters" begreiflich zu machen, zitiere ich hier einige auf die "Dezemberbande" bezügliche Stellen aus meiner Schrift "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte", New York 1852, (Siehe daselbst S. 31, 32 und 61, 62. <Siehe Band 8, S. 160-162, 206-207>)

"Diese Bande datiert noch vom Jahre 1849. Unter dem Vorwande, eine Wohltätigkeitsgesellschaft zu stiften, war das Pariser Lumpenproletariat in geheime Sektionen organisiert worden, jede Sektion von bonapartistischen Agenten geleitet, an der Spitze des Ganzen ein bonapartistischer General. Neben zerrütteten Roués der Aristokratie mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, neben verkommenen und abenteuernden Ablegern der Bourgeoisie Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Lazzaronis, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus, Bordellhalter, Lastträger, Tagelöhner, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin und her geworfene Masse, die die Franzosen la Bohème nennen; mit diesem ihm verwandten Elemente bildete Bonaparte den Stock der Bande vom 10. Dezember. 'Wohltätigkeitsgesellschaft’ insofern alle Mitglieder wie Bonaparte das Bedürfnis fühlten, sich auf Kosten der arbeitenden Nation wohlzutun.

Dieser Bonaparte, der sich als Chef des Lumpenproletariats konstituiert, der hier allein in massenhafter Form die Interessen wiederfindet, die er persönlich verfolgt, der in diesem Auswurfe, Abfall, Abhub aller Klassen die einzige Klasse erkennt, auf die er sich unbedingt stützen kann, er ist der wirkliche Bonaparte, der Bonaparte sans phrase, unverkennbar selbst dann noch, wenn er später allmächtig einem Teile seiner alten Mitverschwörer die Schuld dadurch abträgt, daß er sie neben den Revolutionären nach Cayenne transportiert. Alter durchtriebener Roué, faßt er das geschichtliche Leben der Völker und die Haupt- und Staatsaktionen derselben als Komödie im ordinärsten Sinne auf, als eine Maskerade, wo die großen Kostüme, Worte und Posituren nur die kleinlichste Lumperei vermummen. So bei seinem Zuge nach Straßburg, wo ein eingeschulter Schweizer Geier den napoleonischen Adler vorstellte. Für seinen Einfall in Boulogne steckt er einige Londoner Lakaien in französische Uniformen. Sie stellen die Armee <396> vor. In seiner Bande vom 10. Dezember sammelt er 10.000 Lumpenkerls, die das Volk vorstellen müssen, wie Klaus Zettel den Löwen ...

Was für die sozialistischen Arbeiter die Nationalateliers, was für die Bourgeois-Republikaner die Gardes mobiles, das war für Bonaparte die Bande vom 10. Dezember, die ihm eigentümliche Parteistreitkraft. Auf seinen Reisen mußten die auf der Eisenbahn verpackten Abteilungen derselben ihm ein Publikum improvisieren, den öffentlichen Enthusiasmus aufführen, vive l’Empereur! <Es lebe der Kaiser!> heulen, die Republikaner insultieren und durchprügeln, natürlich unter dem Schutze der Polizei. Auf seinen Rückfahrten nach Paris mußten sie die Avantgarde bilden, Gegendemonstrationen zuvorkommen oder sie auseinanderjagen. Die Bande vom 10. Dezember gehörte ihm, sie war sein Werk, sein eigenster Gedanke. Was er sich sonst aneignet, gibt ihm die Macht der Verhältnisse anheim, was er sonst tut, tun die Verhältnisse für ihn oder begnügt er sich von den Taten andrer zu kopieren, aber er, mit den offiziellen Redensarten der Ordnung, der Religion, der Familie, des Eigentums öffentlich vor den Bürgern, hinter ihm die geheime Gesellschaft der Schufterles und der Spiegelbergs, die Gesellschaft der Unordnung, der Prostitution und des Diebstahls, das ist Bonaparte selbst als Originalautor, und die Geschichte der Bande vom 10. Dezember ist seine eigne Geschichte ...

Bonaparte möchte als der patriarchalische Wohltäter aller Klassen erscheinen. Aber er kann keiner geben, ohne der andern zu nehmen. Wie man zur Zeit der Fronde vom Herzog von Guise sagte, daß er der obligeanteste Mann von Frankreich sei, weil er alle seine Güter in Obligationen seiner Partisanen gegen ihn verwandelt habe, so möchte Bonaparte der obligeanteste Mann von Frankreich sein und alles Eigentum, alle Arbeit Frankreichs in eine persönliche Obligation gegen sich verwandeln. Er möchte ganz Frankreich stehlen, um es an Frankreich zu verschenken, oder vielmehr um Frankreich mit französischem Gelde wiederkaufen zu können, denn als Chef der Bande vom 10. Dezember muß er kaufen, was ihm gehören soll. Und zu dem Institute des Kaufens werden alle Staatsinstitute, der Senat, der Staatsrat, der gesetzgebende Körper, die Gerichte, die Ehrenlegion, die Soldatenmedaille, die Waschhäuser, die Staatsbauten, die Eisenbahnen, der état major der Nationalgarde ohne Gemeine, die konfiszierten Güter des Hauses Orléans. Zum Kaufmittel wird jeder Platz in der Armee und der Regierungsmaschine.

Das wichtigste aber bei diesem Prozesse, wo Frankreich genommen <397> wird, um ihm zu geben, sind die Prozente, die während des Umsatzes für das Haupt und die Glieder der Bande vom 10. Dezember abfallen. Das Witzwort, womit die Gräfin L., die Mätresse des Herrn de Morny, die Konfiskation der orleansschen Güter charakterisierte: 'C’est le premier vol de l’aigle’ <'Das ist der erste Flug (Diebstahl) des Adlers>, paßt auf jeden Flug dieses Adlers, der mehr Rabe ist. Er selbst und seine Anhänger rufen sich täglich zu, wie jener italienische Kartäuser dem Geizhals, der prunkend die Güter aufzählte, an denen er noch für Jahre zu zehren habe: 'Tu fai conto sopra i beni. Bisogna prima far il conto sopra gli anni.' Um sich in den Jahren nicht zu verrechnen, zählen sie nach Minuten.

An den Hof, in die Ministerien, an die Spitze der Verwaltung und der Armee drängt sich ein Haufe von Kerlen, von deren bestem zu sagen ist, daß man nicht weiß, von wannen er kommt, eine geräuschvolle, anrüchige, plünderungslustige Bohème, die mit derselben grotesken Würde in galonierte Röcke kriecht wie Soulouques Großwürdenträger. Man kann diese höhere Schichte der Bande vom 10. Dezember sich anschaulich machen, wenn man erwägt, daß Véron-Crevel ihr Sittenprediger ist und Granier de Cassagnac ihr Denker. Als Guizot zur Zeit seines Ministeriums diesen Granier in einem Winkelblatte gegen die dynastische Opposition verwandte, pflegte er ihn mit der Wendung zu rühmen: 'C’est le roi des drôles’ -'das ist der Narrenkönig’. Man hätte unrecht, bei dem Hofe und der Sippe Louis Bonapartes an die Regentschaft oder Ludwig XV. zu erinnern. Denn 'oft schon hat Frankreich eine Mätressenregierung erlebt, aber noch nie eine Regierung von hommes entretenus <ausgehaltenen Männern>’ ...

Durch die widersprechenden Forderungen seiner Situation gejagt, zugleich wie ein Taschenspieler in der Notwendigkeit, durch beständige Überraschung die Augen des Publikums auf sich als den Ersatzmann Napoleons gerichtet zu halten, also jeden Tag einen Staatsstreich en miniature zu verrichten, bringt Bonaparte die ganze bürgerliche Wirtschaft in Wirrwarr, tastet alles an, was der Revolution von 1848 unantastbar schien, macht die einen revolutionsgeduldig, die andern revolutionslustig und erzeugt die Anarchie selbst im Namen der Ordnung, während er zugleich der ganzen Staatsmaschine den Heiligenschein abstreift, sie profaniert, sie zugleich ekelhaft und lächerlich macht. Den Kultus des heiligen Rockes zu Trier wiederholt er zu Paris im Kultus des napoleonischen Kaisermantels. Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern des Louis Bonaparte fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen."


Fußnoten von Marx

(1) "Solcher Titel war, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, allen liberalen Parteien in irgendeiner der deutschen Duodezkammern oder im Frankfurter Parlamente beigelegt worden. Wir wollten ihn verewigen." (Borkheim.) <=