Inhaltsverzeichnis Briefe und Erklärungen zur Auseinandersetzung mit Karl Vogt

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 688-691.

1. Korrektur
Erstellt am 31.08.1998.

Karl Marx

Zum Prozesse von Karl Vogt contra die Augsburger "Allgemeine Zeitung"


["Die Reform" Nr. 139 vom 19. November 1859, Beilage]

<688> London, 7. Novbr. 1859 Aus Nummer 132 des "Freischütz", die mir von einem Freunde aus Hamburg zugeschickt worden, ersehe ich, daß Eduard Meyen sich gemüßigt gesehen hat, sein endgültig entscheidendes Gewicht in die Angelegenheit Vogt fallen zu lassen. Die horsepower <Pferdestärke> oder soll ich sagen die donkeypower <Eselsstärke> seiner Logik konzentriert sich in dem großen Satze: weil er mit Blind befreundet war und Blind ihm keine Kopie des anonymen Flugblattes zuschickte, das von mir der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" zugeschickte Original-Aktenstück notwendig ein Falsum ist. Er hütet sich natürlich in seiner kleinen Schlauheit dies direkt zu sagen; er sagt es indirekt.

Nebenbei bemerkt wünsche ich, daß Herr Eduard Meyen die Beweise dafür beibringt, daß meine Zeit wertlos genug ist, sie in Angriffen auf die deutsche Vulgärdemokratie zu vergeuden.

Seit Ende 1850 brach ich alle Zusammenhänge mit der deutschen Londoner Emigration ab, die erst recht zerfiel, sobald ich ihr den einzigen Gemeinpunkt, den Gegensatz gegen mich, unter den Füßen weggezogen hatte. Ihr Auflösungsprozeß wurde namentlich beschleunigt durch die Betriebsamkeit solcher Agenten wie Meyen, der z.B. öffentlich für die Fraktion Kinkel gegen die Fraktion Ruge agitierte. In den 9 Jahren, die seitdem verflossen sind, war ich fortwährend Mitarbeiter der "New-York Tribune", eines Blattes, das 200.000 Abonnenten zählt, einen Leserkreis, der ungefähr dem des "Freischütz" annähern wird. Habe ich je den Namen eines der <689> deutschen Vulgärdemokraten auch nur genannt, habe ich die schmutzigen Angriffe, die diese Biedermänner während 5 Jahren in der deutschen und namentlich in der deutschamerikanischen Presse auf mich häuften, auch nur eines Wortes gewürdigt?

Ich habe allerdings während dieser Zeit "große" und von Herrn Eduard Meyen pflichtschuldigst bewunderte "Demokraten" angegriffen, obgleich nicht verleumdet. So den großen Demokraten Lord Palmerston. Mein Vergehen war um so unverzeihlicher, als nicht nur englische Blätter der verschiedensten Parteirichtung - vom "People's Paper", dem Chartistenblatt, bis zur "Free Press", dem Organ des Herrn Urquhart meine "Verleumdung" abdruckten, sondern dieselbe "Verleumdung" in Pamphletform zu wenigstens 15.000 Exemplaren in London, Sheffield und Glasgow ohne mein Zutun vervielfacht wurde. Ich habe ferner während derselben Zeit den großen Demokraten Louis Bonaparte denunziert, erst in einer deutschen Schrift ("Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte"), die überall an den deutschen Grenzen konfisziert wurde, aber in den Vereinigten Staaten zahlreich zirkulierte und im Auszug im damaligen Londoner Organ des Chartismus erschien. Ich habe diese Verleumdung des "großen Demokraten" Bonaparte in der "Tribune" durch Analyse seines Finanzsystems, seiner Diplomatie, seiner Kriegsführung, seiner idées napoléoniennes <napoleonische Ideen> bis zum heutigen Tage fortgesetzt. Louis Bonaparte hat der "New-York Times" für ihren Gegensatz zu diesen "Verleumdungen" ein öffentliches Denkschreiben zugeschickt. Ich habe sogar vor 7 Jahren den "großen Demokraten" Stieber denunziert in den "Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß", die an der badisch-schweizerischen Grenze eingestampft wurden. Das wird mir Herr Meyen nun schon zugute halten. Heutzutage ist diese Verleumdung demokratisch, da "mit hoher obrigkeitlicher Erlaubnis". Wie oft ich mich in der Zeit irrte, beweist neben dem Organ des Herrn Eduard Meyen das Organ des Herrn Joseph Dumont zu Köln <"Kölnische Zeitung">. Als ich mir 1848 und 1849 in der "Neuen Rheinischen Zeitung" die Freiheit nahm, für die ungarische, italienische und polnische Nationalität aufzutreten, wer keifte mehr, wer heulte mehr als das Organ des Herrn Joseph Dumont zu Köln? Aber allerdings, damals hatte noch kein Louis-Napoleon Bonaparte den Nationalitäten die "liberale" Weihe erteilt. Daß die ehemaligen Redakteure der "Neuen Rheinischen Zeitung" ihrer Ansicht treu geblieben sind, weiß selbst der ehemalige Herr Joseph Dumont, jetzige Guiseppe Delmonte aus dem von Friedrich Engels beim Beginn des Krieges veröffentlichten Pam- <690> phlet: "Po und Rhein". Was nun die Eduard Meyensche Demokratie "im engern Sinn" betrifft, so habe ich nach 9jährigem Ignorieren derselben nur zweimal mein Stillschweigen gebrochen, und zwar in letzterer Zeit, das eine Mal gegen Kossuth, das andere Mal gegen Herrn Gottfried Kinkel. Ich machte in der Tat vom rein grammatischen Standpunkt im "Volk" einige Randglossen über Kinkels ästhetische Ergüsse im "Hermann". Das war alles, was ich im "Volk" schrieb, außer einem Artikel über den Frieden von Villafranca unter dem Titel "Quid pro quo". In der Vorstellung des Eduard Meyen aber ist ein "guter Demokrat" wahrscheinlich ebensosehr berechtigt, die "despotischen" Regeln der Syntax zu verletzen als vom republikanischen Lager ins royalistische überzulaufen.

Ich befinde mich nun am Ende dieser Epistel in der umgekehrten Schwierigkeit wie Hegel am Anfang seiner Logik. Er will vom Sein zum Nichts übergehen, ich vom Nichts zum Sein, nämlich von Eduard Meyen zu einer Sache, der Sache Vogt. Um es kurz zu machen, stelle ich Karl Blind folgende Fragen:

1. Hat Blind am 9. Mai auf der Plattform Urquhartschen Meetings dem Inhalte nach ganz mit dem Flugblatt "Zur Warnung" übereinstimmende Notizen über Vogt mir mitgeteilt?

2. Hat Blind in der London "Free Press" vom 27. Mai einen anonymen Artikel mit der Unterschrift: "The Grand-Duke Constantine to be King of Hungary" publiziert, der mit Weglassung des Namens Vogt den Inhalt des Flugblattes "Zur Warnung" im wesentlichen wiedergibt?

3. Hat Blind das besagte Flugblatt auf seine Rechnung in London bei Herrn F. Hollinger, Litchfield Street, Soho, drucken lassen?

Trotz aller Verdrehungsversuche der Meyenschen Demokratie und sogar dem großen Unbekannten, dem "ausgezeichneten Juristen" des Herrn Joseph Dumont zum Trotz, dreht sich alles um die Frage: Wer hat das Flugblatt "Zur Warnung" drucken lassen? Es ist nur dieses Flugblatt, wegen dessen Abdruckes die Augsb. "Allgem. Zeitung" angeklagt ist. Es sind nur die Anschuldigungen dieses Flugblattes, wovon Vogt sich vor der Welt reinigen zu müssen glaubte. Der Veröffentlicher des Flugblattes hat, wie Robert Peel gesagt haben würde, three courses open to himself <zwischen drei Wegen zu wählen>. Entweder er hat wissentlich gelogen. Dies glaube ich nicht von Karl Blind. Oder er hat sich später überzeugt, daß die Data, die ihm zum Druck des <691> Flugblattes berechtigten, falsch waren. Dann schuldet er um so mehr eine Erklärung. Oder endlich, er hat die Beweise in seiner Hand, wünscht aber aus Privatrücksichten die ganze Angelegenheit zu vertuschen und trägt mit großmütiger Resignation die faulen Eier, die auf mich, nicht auf ihn geworfen werden. Müssen aber nicht alle Privatrücksichten fallen in einer so wichtigen Angelegenheit wie Aufklärung des Verhältnisses zwischen dem deutschen Reichsregenten in partibus und dem Kaiser der Franzosen de facto?

Karl Marx