Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 246-254.

1. Korrektur
Erstellt am 20.09.1998

Friedrich Engels

Marschall Bugeaud über den moralischen Faktor im Kampf

Geschrieben Anfang Februar 1861.
Aus dem Englischen.


["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 23 vom 9. Februar 1861]

<246> Die folgenden Zeilen sind eine Übersetzung der Instruktionen, die der damalige Oberst Bugeaud vom 56. französischen Regiment für seine Offiziere niederschrieb. Es ist zweifellos das Beste, was der Marschall jemals geschrieben hat. Darin sind mit mannhaftem Nachdruck, der in der Militärliteratur aller Länder unübertroffen ist, und mit einer Klarheit, wie sie nur lange Kriegserfahrung geben kann, jene Grundsätze des Infanteriekampfes niedergelegt, die selbst heute noch unverändert von den Franzosen befolgt werden und die ihnen bis jetzt den Sieg über Armeen verliehen haben, welche sich durch die Gewohnheiten eines langen Friedens anscheinend mehr auf die wissenschaftliche Taktik verlassen haben, als darauf, alle moralischen Kräfte der Soldaten zu wecken. Diese Prinzipien sind weder neu, noch in irgendeiner Weise ausschließlich französisch; aber sie sind hier gut zusammengestellt und in schöner, kraftvoller Sprache ausgedrückt. Sie ersetzen keineswegs die Wissenschaft von der Taktik, sondern bilden eine sehr notwendige Ergänzung dazu; und die meisten von ihnen sind dabei so augenscheinlich und erfordern zu ihrem Verständnis so wenig militärisches Wissen, daß sie der Mehrheit der Freiwilligen völlig begreiflich sein werden.

Meine Herren, die Kunst, einen Truppenkörper im Kampf einzusetzen, hat auf dessen Ausgang einen starken Einfluß; dadurch werden gute Dispositionen von Erfolg gekrönt, und fehlerhaften werden ihre schlimmsten Folgen genommen. Zwischen Truppen mit hochentwickelten moralischen Eigenschaften, die energisch geführt werden und von den realen Grundsätzen des Kampfes durchdrungen sind, und solchen, die wie die meisten europäischen Truppen aufgebaut und ausgebildet sind, besteht der gleiche Unterschied wie zwischen Erwachsenen und Kindern. Das ist eine Wahrheit, von der <247> ich durch zwanzig Engagements überzeugt worden bin. Ich hoffe, daß Sie das ebenfalls erkennen werden und daß Sie mich mit Ihren ganzen Kräften unterstützen werden, das 56. auf einen solch hohen Stand der Moral und der Ausbildung zu bringen, daß keine kaiserlichen oder königlichen Garden der Welt uns fünf Minuten lang widerstehen können, bei gleich günstigen Bedingungen für beide Seiten.

Die meisten von Ihnen, meine Herren, haben Infanteriekämpfe gesehen, die lediglich auf einen zaghaften Feuerwechsel aus sehr großer Schußweite bei parallel zueinanderstehenden Truppen hinausliefen.

Jede Seite schien den Sieg vom Zufall zu erwarten oder von dem Schrecken, den ihre Kugeln dem Gegner einflößen könnten. Millionen von Patronen wurden verfeuert mit keinem anderen Ergebnis, als Tote und Verwundete auf beiden Seiten, bis der eine oder der andere Umstand, meist unabhängig von den kämpfenden Truppen, den Rückzug einer der beiden Linien herbeiführte. Männer, die auf diese Weise ihre Feuerkraft erschöpft haben und ihre Reihen gelichtet sehen, sind nur wenig zu neuen Anstrengungen geneigt und werden leicht durch frische Truppen, die nach besseren Grundsätzen handeln, in die Flucht geschlagen.

Das ist nicht die Kampfweise einer gründlich ausgebildeten Infanterie. Wir werden nun versuchen, jene Grundsätze aufzustellen, die uns eine gewaltige Überlegenheit über jede Infanterie Europas geben müssen.

Diese Prinzipien, meine Herren, sind nicht bloße Spekulationen eines Bücherwurms; sie sind das Resultat meiner Erfahrungen seit Beginn des spanischen Krieges 1808 gegen England, und sie haben mir gegen die Spanier, Engländer (1) und Österreicher immer den Erfolg gesichert. Ich hoffe, daß Sie sich diese Grundsätze aneignen werden, denn sie stehen mit dem in Einklang, was Sie bei den Engagements, an denen Sie teilnahmen, selbst beobachtet haben müssen. Sie werden Ihr Möglichstes tun, um Ihre Untergebenen damit zu erfüllen, und wenn diese Grundsätze den Geist des ganzen Regiments, vom Trommler bis zum Oberst, durchdringen, kann sich das 56. für unbesiegbar halten; es kann durch gemeinsam agierende verschiedene Truppengattungen, die gleichzeitig gegen das Regiment vorgehen, geschlagen werden, doch niemals von Infanterie allein, auch wenn diese Infanterie zahlenmäßig weit stärker sein sollte.

Der Kampf hat seine moralische und seine physische Seite. Die erste scheint mir die wichtigste zu sein, doch wollen wir mit der Behandlung der zweiten beginnen.

Aus weiter Entfernung zu schießen, ist bezeichnend für schlechte Infanterie; gute Infanterie geizt mit ihrem Feuer. Weil dieses Feuer ihre stärkste Kraft ist, sollte eine Infanterie sie nicht verschwenden, sondern unterwiesen werden, mit äußerster Genauigkeit zu zielen. Wenn die Zeit zum Feuern noch nicht gekommen ist, halten Sie Ihre Truppen außer Schußweite oder in Deckung. Wenn dieser Zeitpunkt da ist, rücken Sie vor, um auf den Feind mit einer Energie und Kaltblütigkeit zu stoßen, die Ihnen <248> gestattet, alles zu vollbringen. Wenn Ihr Gegner entgegen aller Wahrscheinlichkeit feststehen sollte und Ihnen erlaubt, sehr nahe an ihn heranzukommen, ohne selbst zu feuern, geben Sie die erste Salve ab und achten gut darauf, daß Ihre Männer immer zwei Kugeln je Schuß laden. Ich habe den Erfolg mehr als einmal der Verwendung dieser zwei Kugeln zu verdanken gehabt. In der Hitze des Gefechts könnte ich vergessen, es zu befehlen, aber Sie werden daran denken; ich lege großen Wert darauf. Mit dieser kaltblütigen Entschlossenheit und bei dem Feuer von zwei Kugeln je Schuß werden Sie selten eine zweite Salve abzufeuern haben, weder beim Angriff auf eine Stellung, noch beim Zurückschlagen eines Truppenkörpers, der Sie angreift.

Wer auch nur etwas vom Krieg versteht, wird wissen, daß es nicht anders sein kann. Wie könnte der Feind widerstehen, wenn Sie mit geladenen Waffen dicht an ihn herankommen und er seine Feuerkraft bereits erschöpft hat? Sein moralischer Mut wird durch die Angst vor einer Salve aus unmittelbarer Nähe, die schrecklich sein muß, gelähmt, und er wird zurückweichen. Feuern Sie dann Ihre Salve ab, dringen in die Reihen des Feindes ein und machen Gefangene, was besser ist als töten; während Sie einen Mann mit dem Bajonett töten, können Sie sechs Gefangene gemacht haben. Diese Kämpfe kosten den Sieger nur wenig; Sie verlieren ein paar Leute beim Vorrücken, aber sobald Sie im Handgemenge sind und den Feind in Verwirrung gebracht haben, verlieren Sie keinen Mann. Diese Taktik, meine Herren, wird Ihnen den Sieg sichern; und wenn die ganze Armee davon durchdrungen ist, wird sie siegen, unabhängig davon, wie schlecht die allgemeinen Dispositionen auch sein mögen. Diese Dispositionen sind nicht unsere Sache; aber wenn uns der Ort angegeben wird, wo wir kämpfen sollen, müssen wir so kämpfen, daß alles, was vor uns steht, von uns geschlagen wird. Das war die Taktik von Duguay-Trouin, und diese Kampfweise begründete seinen glänzenden Ruf mehr als all seine andern Fähigkeiten. Er kam unmittelbar an das feindliche Schiff heran, wobei alle seine Kanonen geladen waren und seine Leute auf dem Deck lagen; sobald er mit seinem Gegner in Berührung kam, sprangen seine Leute auf und bestrichen das feindliche Deck mit einem überlegenen Feuer; das machte das Entern zu einer einfachen Angelegenheit.

["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 24 vom 16. Februar 1861]

Außer dem oben erwähnten müssen wir noch andere Mittel anwenden, denn wir sollten so viele Vorteile wie möglich auf unserer Seite haben. Eine gute Verwendung von Tirailleuren wird eine starke Hilfe sein; ihre Aktionen müssen immer denen der Massen vorausgehen, sei es beim Angriff oder bei der Verteidigung. Wenn Sie angreifen, werden die Tirailleure Terrainvorteile feststellen, die das Auge von weitem nicht wahrnehmen konnte; sie werden in die feindlichen Reihen einen Kugelregen schicken, der diese verwirren wird und sie daran hindert, mit Genauigkeit auf die Linie zu zielen, die ohne zu schießen vorrückt. Sie sollen so weit wie möglich auf die Punkte gelenkt werden, wo der entscheidende Kampf nicht stattfinden wird. Wenn die <249> Tirailleure jedoch eingesetzt werden sollten, um vor der Angriffslinie zu operieren, werden sie zuletzt, um die Aktion der Linie nicht zu behindern, nach den Flanken ausweichen und versuchen, gegen die Flanken des Feindes vorzugehen, um ihn zu demoralisieren und Gefangene zu machen; oder aber, sie werden sich durch die Intervalle zwischen den Bataillonen zurückziehen oder sich flach auf den Boden legen, um die Linie über sich passieren zu lassen.

Das Feuer der Tirailleure sollte ebensowenig vergeudet werden, wie das der Linie. Es ist nicht eine Frage bloßen Kugelwechsels, diese Kugeln sollen zum Erfolg beitragen. Zu diesem Zweck werden den Tirailleuren kurz vor dem Angriff der Linie die Positionen gezeigt, die sie zu besetzen haben, ehe sie zu schießen anfangen; sobald sie das Feuer eröffnet haben, wird die Linie zum Angriff vorgehen. Sie werden verstehen, daß, wenn die Tirailleure eine längere Zeit in unmittelbarer Nähe der feindlichen Streitkräfte auf sich allein gestellt blieben, sie zurückgeschlagen würden und der beabsichtigte Zweck nicht erreicht werden könnte. Sie müßten sie verstärken, um die Tirailleure des Feindes zurückzuschlagen, die unsere zurückgetrieben hatten, und das würde ernste Schwierigkeiten mit sich bringen. Es ist daher von höchster Wichtigkeit, die Tirailleure nie anders als à propos <bei rechter Gelegenheit> einzusetzen, und der geeignete Zeitpunkt wird fast immer der des Angriffs sein. In dem Falle, wo der Feind uns vor diesem Zeitpunkt durch seine Tirailleure belästigt, werden wir sie durch plötzliche und kurze, aber heftige Angriffe zurückwerfen. Sie können sicher sein, sie zum Zurückweichen zu bringen, wenn Sie, anstatt ihnen eine parallele Tirailleurlinie gegenüberzustellen, wie es gewöhnlich geschieht, sie in den Flanken umfassen; oder wenn Sie die gegnerische Linie durchbrechen, die gegen Sie geschlossen anrennt. Das ist die Folge eines moralischen Effekts, den ich mir auf folgende Weise zu erklären versuche:

Tirailleure können nicht jene moralische Kraft haben, jenes Zusammengehörigkeitsgefühl das sich aus der Berührung von Schulter zu Schulter und aus der Einheitlichkeit des Kommandos ergibt. Jeder Tirailleur befiehlt sich bis zu einem gewissen Grade selbst und verläßt sich nur auf seine eigenen Kräfte. Er sieht eine zahlreiche Menge von Soldaten auf sich zulaufen; er ist zu schwach, um standzuhalten, und weicht zurück. Sein rechter und linker Nachbar tun das gleiche, und ihnen folgen wiederum ihre Nachbarn, die in unbewußter Nachahmung oder aus Angst, abgeschnitten zu werden, zurücklaufen; sie ralliieren weiter hinten, um das Feuer wieder zu eröffnen.

Unsere angreifende Kompanie wird dieses Feuer nicht erwidern; sie zieht sich entweder wieder zurück oder sucht hinter irgendeiner Bodenwelle Deckung. Nichts ist so einfältig, so nachteilig wie diese andauernden Tirailleurgefechte, die zu nichts führen; Sie brauchen Ihre Leute und Ihre Munition auf, ohne die Dinge voranzutreiben, und Ihnen fehlen im entscheidenden Moment oft die Mittel, die Sie auf diese Weise vergeudet haben. Ich betone das deshalb, weil Munitionsverschwendung der größte Fehler unserer wie jeder anderen Infanterie ist. Oftmals vernimmt man nach halbstündigem Feuer und ehe irgend etwas entschieden ist, überall das Geschrei, daß die Patronen ausgehen; <250> Männer verlassen die Reihen, um welche herbeizuschaffen, und das ist oft die Ursache für eine Niederlage. Sechzig Schuß pro Mann sollten für die größte Schlacht ausreichen. 1815 stand das l 4. Linienregiment, das damals von Oberst Bugeaud befehligt wurde, acht Stunden lang in den Alpen unter Feuer und behielt ein Drittel seiner Patronen. Der Feind schoß die ganzen acht Stunden über, aber das 14. antwortete nur mit einzelnen Salven und das nur, wenn die angreifenden Österreicher dicht vor seiner Stellung waren. Der Salve folgte immer und sofort ein Bajonettangriff, der diesen Angriff ohne weitere Tiraillements und Streufeuer entschied. Beide Parteien kehrten in ihre Ausgangspositionen zurück, die sich sehr nahe beieinander befanden. Die Österreicher setzten das Feuer fort, doch das 14. hielt sich zurück, bis es wieder angegriffen wurde.

Dieses Beispiel verfolgt auch den Zweck, Sie zu einer Würdigung der richtigen Grundsätze eines Kampfes bei der Verteidigung einer Position zu bringen, nämlich immer im letzten, entscheidenden Moment selbst anzugreifen. In der Verteidigung wie beim Angriff gibt es aber ein weiteres äußerst wirksames Mittel, um den Sieg herbeizuführen, und zwar, wenn irgendwie möglich einen Parallelkampf zu vermeiden, der in gewissem Grade Vorteile ausgleicht und nur durch moralische Überlegenheit und durch unser stärkeres Feuer von zwei Kugeln pro Schuß zu unseren Gunsten entschieden werden kann. Wir werden daher versuchen, im entscheidenden Moment die Flanken des Feindes zu umfassen. Bei der Verteidigung in durchbrochenem Gelände ist das leicht möglich. Sobald der Angriff des Feindes gut entwickelt ist, schicken wir einen Teil unserer Reserven in Kolonne zu den Flanken der Stellung, und im entscheidenden Moment erscheinen diese Truppen, rücken vor und deployieren, um den Feind in der Flanke zu fassen; wir schicken Tirailleure in seinen Rücken, und sobald jedes Bataillon oder jeder Flügel in Linie aufmarschiert ist, greifen sie sofort an, um dem Feind keine Zeit zu lassen, den Angriff zu parieren. Gleichzeitig von vorn und in der Flanke angegriffen, müßte er schnell besiegt sein.

Die gleichen Mittel können angewendet werden, wenn wir angreifen. Zwei kleine Kolonnen würden hinter den beiden Flanken der deployierten Linie vorrücken und sich, genügend dicht an den Feind herangekommen, ebenfalls zur Linie formieren, um diese zu verlängern und eine Art Halbmond zu bilden, der die Linie des Feindes überflügelt und umfaßt, oder, wenn Sie nicht genügend Truppen für diese Absicht haben, könnten die Flankenbataillone der angreifenden Linie während des Vorrückens in offene Kolonnen einschwenken, die Flanken des Feindes erreichen, wieder eine Linie bilden und angreifen, während die Lücken von Tirailleuren geschlossen werden. Diese Bewegung scheint mir für das beabsichtigte Ziel sehr gut geeignet und leicht durchführbar, wenn der Kommandeur des Bataillons seine Entfernung gut beurteilen kann, damit er sie weder zu früh noch zu spät beginnt. Wenn es Ihnen natürlich Dunkelheit oder durchbrochenes Gelände erlaubt, ungesehen die Flanken Ihres Feindes zu erreichen, dann muß das vorzugsweise ausgenutzt werden.

Seien Sie besonders sparsam mit Ihrer Munition beim Zurückgehen. Solange Sie sich durch das Feuer verteidigen, verlieren Sie Boden und kommen Ihrem Bestimmungsort um nichts näher. Es gibt sogar Fälle, wo Sie laufen müssen, um aus der Reichweite des Gegners zu kommen. Das ist oft das einzige Mittel, um der Vernichtung zu <251> entgehen. Wie viele Truppenkörper sind vernichtet worden, weil sie einen langsamen und gemessenen Rückzug antraten, der fälschlich methodisch genannt wurde? Die einzig vernünftige Methode ist die, alles zu tun, um Ihr Ziel zu erreichen: Bei einem Rückzug besteht dieses Ziel darin, schnell aus dem Bereich des Gegners zu kommen, da die Lage es Ihnen nicht länger erlaubt, zu kämpfen; doch Ihr Ziel darf niemals sein, sich aus falschverstandenem Ehrgefühl in einen Kampf zu verwickeln, der nicht anders als verhängnisvoll sein kann, und aus dem sich zu lösen Sie oft keine Möglichkeit finden werden. In diesem Falle ist Flucht die einzige erfolgversprechende Methode. Dafür gibt es ein Beispiel aus dem Leben eines unserer größten modernen Feldherrn.

Während des Rückzugs von Marschall Massena aus Portugal wurde Marschall Ney beauftragt, die Engländer mit der Nachhut zurückzuhalten, um dem Train Zeit zu lassen, einen défilé zu passieren. Er führte diese Aufgabe mit gewohnter Energie durch; aber da die englische Armee Verstärkung auf Verstärkung erhielt, war die Position nicht länger zu halten. Um sie zu verlassen, hätte er in ein enges Tal hinunter und einen anderen jenseitigen Berghang wieder hinaufsteigen müssen. Währenddessen waren seine Truppen dem Feuer des Feindes ausgesetzt gewesen, der natürlich sofort die aufgegebene Stellung besetzt hätte. Der Marschall überlegte, daß ein langsamer Rückzug ihm zu große Verluste einbringen würde; er befahl daher den Fahnengruppen der Bataillone, den Stabsordonanzen etc., auf dem Hügel hinter der Stellung eine neue Linie zu markieren, die von den Stabsoffizieren bestimmt werden sollte. Sobald das geschehen war, schickte er seine Soldaten im Laufschritt durch das Tal, um diese Linie zu besetzen, die somit wie durch Zauberei neu geschaffen wurde. Ohne diese bewundernswerte Vorsichtsmaßnahme hätten wir viele Leute verloren, und wahrscheinlich wäre die Sache damit beendet worden, daß man uns in die Flucht geschlagen hätte. Dabei ist es klar, daß dies Manöver nicht anwendbar ist, wenn Sie von Kavallerie bedroht werden; in dem Falle müssen Sie trachten, so schnell Sie können, voranzukommen, wobei Sie ständig eine respektable Ordnung aufrechtzuerhalten haben.

Ich habe oft angebliche Taktiker sagen hören, daß ein Rückzug langsam durchgeführt werden müsse; dieses Prinzip schien mir jedoch immer falsch. Zweifellos gibt es Fälle, wo ein Teil der Armee den Feind aufhalten muß, um den übrigen Zeit zum Davonkommen zu geben, aber dann darf man nicht langsam marschieren, sondern man muß kämpfen und sehr oft vorrücken und angreifen, um die moralische Kraft der Leute wiederherzustellen und die des Feindes zu vermindern. Aber wenn dieser Teil der Armee seine Sache durchgeführt hat, wenn das Ziel erreicht ist, wenn die ständige Verstärkung der feindlichen Streitkräfte es diesem Teil unmöglich macht weiterzukämpfen, dann muß er sich bald, so schnell es die Umstände erlauben, zurückziehen.

Wir müssen deshalb lernen, uns auch in aufgelöster Ordnung methodisch zurückzuziehen und schnell unsere Reihen wieder zu bilden; uns im Laufschritt in umgekehrter oder fester Ordnung an einer Flanke des Gegners in Linie zu formieren und immer mit größter Präzision zu zielen.

["The Volunteer Journal, for Lancashire and Cheshire" Nr. 26 vom 2. März l 861]

<252> Moralische Kraft scheint mir der physischen Kraft immer überlegen zu sein. Sie bilden diese moralische Kraft aus, indem Sie den Soldaten begeistern, ihm Liebe zum Ruhm, das Gefühl für die Ehre seines Regiments anerziehen, und besonders durch die Entwicklung des als Keim in der Brust eines jeden Soldaten schlummernden Patriotismus. Mit so erzogenen Soldaten können Sie sehr leicht große Dinge vollbringen, wenn Sie es verstanden haben, deren Vertrauen zu gewinnen. Um dies zu erlangen, müssen Sie ihnen gegenüber alle Ihre Pflichten erfüllen, sie zu Ihren Freunden machen, mit ihnen oft über Krieg und Kriegführung sprechen und ihnen beweisen, daß Sie fähig sind, sie gut zu führen. Im Feuer müssen Sie ihnen ein glänzendes Beispiel von Mut und Kaltblütigkeit geben.

Sie sollten jedem Umstand, der zu einer Erhöhung des moralischen Mutes Ihrer eigenen Leute und zur Schwächung des Ihres Gegners führt, alle Aufmerksamkeit zuwenden. Eben deshalb wird das 56. sich niemals erlauben, angegriffen zu werden; es wird im entscheidenden Moment immer die Initiative des Kampfes ergreifen und zum Angriff vorgehen. Bei der Defensive wird es sich hinter der Linie aufstellen, auf der es beabsichtigt, den Kampf anzunehmen, um im entscheidenden Moment zu ihr vorzurücken. In einem solchen Falle sehen Sie die Kraft moralischer Einflüsse. Jeder physische Vorteil begünstigt eine Truppe, die in einer durch Natur und Menschenhand starken Stellung aufgestellt ist. Und doch wird diese postierte Truppe fast immer vertrieben werden, wenn sie sich auf einen Kampf auf der Stelle beschränkt. Vom moralischen wie vom physischen Standpunkt aus darf man sagen, daß eine gute Verteidigung immer offensiv geführt werden muß. Angriffsbewegungen an den Flanken und im Rücken Ihres Gegners wirken fast immer; auch wenn sie von einer bloßen Handvoll Männer durchgeführt werden, beeinträchtigen sie die Moral des Gegners außerordentlich. Zu diesen Bewegungen eignet sich kein besseres Manöver, als die Bildung von geschlossenen Kolonnen hinter den Flanken der Angriffslinie; diese Kolonnen schwenken dann in Linie und umfassen den Feind, sobald sie in dessen nächste Nähe kommen. Und weil diese Manöver so wirkungsvoll sind, müssen Sie Ihre eigenen Leute vor ihnen warnen, indem Sie ihnen klarmachen, daß sie selbst auf diese Weise angegriffen werden könnten, ihnen zeigen, wie man sich dagegen schützen kann. Sie müssen ihnen auch sagen, daß hinten Schreckensrufe ertönen können wie: "Wir sind eingeschlossen", "Wir sind abgeschnitten" etc. Sie werden ihnen mitteilen, daß die schließenden Offiziere und daneben Abteilungen ausgesuchter Leute hinten strikte Befehle gaben, alle vom Gegner vorgeschickten Leute oder alle eigenen schlechten Soldaten, die derartige Rufe ausstießen, mit dem Bajonett niederzumachen oder zu erschießen; daß diejenigen feindlichen Abteilungen, die es wagen sollten, uns in den Flanken und im Rücken zu bedrohen, bald von unseren Reserven vernichtet werden, und daß Ihre eigenen Leute im Augenblick an nichts anderes zu denken haben als daran, wie sie den gerade vor ihnen befindlichen Feind schlagen können.

<253> Um die Moral der Soldaten zu heben, werden Sie sich weiterhin vergewissern, daß Ihre Reihen nicht durch Leute gelichtet werden, die vorgeben, sich um die Verwundeten zu kümmern. Wenn der Kampf vorbei ist, werden wir, wenn wir in der Nähe sind, ihnen jede Pflege angedeihen lassen; aber unsere erste Aufgabe und unsere erste Pflicht ist es, zu siegen. Die Verwundeten einer siegreichen Armee werden niemals aufgegeben, diejenigen einer geschlagenen Armee müssen tausendfache Leiden ausstehen. Uns mit den Verwundeten während der Schlacht zu beschäftigen, ist daher falsche Barmherzigkeit und im allgemeinen ein bloßer Vorwand für die Feigheit. Die Offiziere müssen hier wieder ein Beispiel für ihre Treue zur Sache gehen und bei Verwundung jede angebotene Hilfe von Soldaten, die eigentlich kämpfen sollten, ablehnen.

Bei der Schlacht von Austerlitz konnte man sehen, daß eine große Anzahl unserer verwundeten Soldaten ihre Kameraden, die sie zu den Verbandplätzen bringen wollten, zu ihren Bataillonen zurückschickten.

Eins der besten Mittel, den moralischen Mut der Soldaten aufrechtzuerhalten, ist das vorbildliche Verhalten der Offiziere in jeder Phase eines Engagements. Wird das Regiment durch Artilleriefeuer zum Halten gebracht, müssen Sie erhobenen Hauptes vor Ihren Leuten auf und ab gehen und deren Begeisterung durch lustiges Gespräch oder kraftvolle Worte aufrechterhalten. Geht es darum, sich auf den Feind zu werfen, müssen Sie Ihre Soldaten dafür vorbereiten, ihnen die oben niedergelegten Prinzipien über die Verwendung ihres Feuers wiederholen und ihnen empfehlen, sich beim Handgemenge soweit wie möglich zusammenzuhalten und beim ersten Signal sofort zu ralliieren.

Es gibt ein gutes Mittel, um Ihre Leute daran zu hindern, zu früh das Feuer zu eröffnen; es besteht einfach darin, daß die berittenen Offiziere sich vor die Linie begeben. "Soldaten", könnte der Oberst sagen, "ihr werdet nicht auf eure Offiziere schießen! Ich gehe nicht eher nach hinten, bis es Zeit ist, das Feuer zu eröffnen." So geführte Truppen werden immer tapfer sein und selten besiegt werden, da sie kaum einen Gegner finden, der ihre moralische Festigkeit und ihre Kampfprinzipien besitzt.

Falls sich Kavallerie zeigt, sollten die Soldaten an die Stärke unseres Karrees erinnert werden, das sie unangreifbar macht. Was mich betrifft, erkläre ich Ihnen, daß ich herzlich wünschte, wir würden beim ersten Engagement, an dem wir teilnehmen, von Kavallerie angegriffen werden - so sicher bin ich, daß dies für das 56. eine Gelegenheit wäre, Ruhm zu erwerben.

Der moralische Mut von Soldaten wird nie stärker auf die Probe gestellt als bei einem Rückzug. Man hat oft gesagt, daß die Franzosen für diese Kampfart wenig geeignet sind, was darauf hinausliefe zu sagen, die Franzosen seien schlechte Soldaten. Das ist absurd. Zahllose Tatsachen haben während der letzten vierzig Jahre bewiesen, daß die Franzosen bei guter Führung ausgezeichnete Rückzüge durchführen können. Der Nationalcharakter ist oft verantwortlich gemacht worden, wenn die Schuld den Generalen hätte gegeben werden müssen, die schlechte Dispositionen treffen, oder die unfähig waren, die moralische Kraft der Truppen zu wecken.

Ein altes Sprichwort sagt: "Mach ein Schaf aus Dir und Du wirst geschoren." Beim Rückzug müssen Sie Löwen aus sich machen; und wenn Sie einen Feind, der <254> Sie zu hart verfolgt, drei oder vier harte Schläge erteilt haben, wird man Sie respektieren. Mit ein wenig Erfahrung in der Kriegführung ist es leicht, einige jener Nachhuterfolge zu erzielen, die so sehr dazu beitragen, den moralischen Mut einer auf dem Rückzug befindlichen Armee zu heben und die Verfolger in höchstem Maße einzuschüchtern. Auf dem Rückzug haben immer Sie die Wahl des Geländes, auf dem gekämpft werden soll, dort sammeln und gruppieren Sie Ihre Kräfte, um die Spitze der feindlichen Kolonne, die während der Verfolgung sehr lang gezogen sein wird, leicht umfassen zu können. Die Aufgabe, die von jedem einzelnen durchzuführen ist, muß vorher gut durchdacht sein, und der Angriff muß rasch und mit Schwung erfolgen. Es darf weder Unentschlossenheit noch Zögern gezeigt werden. Die Spitze der feindlichen Kolonne muß vernichtet werden, und dann ziehen Sie sich schnell zurück, um nicht mit den Verstärkungen verwickelt zu werden, die fortlaufend eintreffen.

Meine Herren, ich habe genug gesagt, damit Sie die Kraft moralischer Stärke richtig einschätzen können. Diese moralische Stärke erwächst aus dem Vertrauen, das ein Offizier bei seinen Untergebenen zu erwecken weiß; man gewinnt es durch taktvolles, intelligentes und mutiges Handeln. Sie müssen darauf achten, Ihren Soldaten in Friedenszeiten eine gute Meinung von dem zu geben, wozu Sie in Kriegszeiten fähig sind. Sie werden das erreichen, wenn Sie sich nicht auf Inspektionen oder Musterungen verlassen oder auf ein bloßes ermüdendes Exerzieren - das sind alles Dinge, die zweifellos sehr nützlich, aber ohne jeden Einfluß auf die Moral der Soldaten sind. Sie müssen mit Ihren Leuten über unsere früheren Kriege debattieren, ihnen von den hervorragenden Aktionen unserer tapferen Armee berichten, in ihnen den Wunsch erregen, dieser nachzueifern, und, mit einem Wort, alles tun, um in ihnen den Sinn für die Ehre zu erwecken.


Fußnoten von Friedrich Engels

(1) Marschall Bugeaud kommandierte als Major bzw. Oberstleutnant ein Bataillon in der Armee von Marschall Suchet in Katalonien. Es ist wohlbekannt, daß dieser Teil der französischen Truppe der erfolgreichste in Spanien war und seine Position länger als jeder andere behauptete. <=