Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 314-317.

1. Korrektur
Erstellt am 20.09.1998

Karl Marx

Der britische Baumwollhandel

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6405 vom 14. Oktober 1861]

<314> London, 21. September 1861

Das ständige Steigen der Preise für Rohbaumwolle beginnt sich ernstlich auf die Baumwollfabriken auszuwirken, deren Baumwollverbrauch jetzt 25 Prozent niedriger ist als der Normalverbrauch. Dieses Resultat ergibt sich aus der sich täglich verringernden Produktionsrate, da viele Fabriken nur vier oder drei Tage pro Woche arbeiten, ein Teil der Maschinen sowohl in jenen Unternehmen, die mit der Kurzarbeit begonnen haben, als auch in jenen, die noch ganztägig arbeiten, stillgelegt wurde und einige Fabriken vorübergehend überhaupt geschlossen sind. In einigen Orten, wie z.B. in Blackburn, war die Kurzarbeit mit einer Lohnsenkung verbunden. Die Kurzarbeit-Bewegung ist jedoch erst in ihrem Anfangsstadium, und wir können mit absoluter Sicherheit voraussagen, daß in einigen Wochen dieser Produktionszweig dazu übergehen wird, nur drei Tage pro Woche zu arbeiten. Gleichzeitig wird man in den meisten Unternehmen einen großen Teil der Maschinen stillegen. Im großen und ganzen nahmen die englischen Fabrikanten und Kaufleute nur äußerst langsam und widerstrebend von dem mißlichen Stand ihrer Baumwollbelieferung Kenntnis.

"Die ganze letzte amerikanische Ernte", sagten sie, "ist schon vor längerer Zeit nach Europa gesandt worden. Das Pflücken der neuen Ernte hat kaum begonnen. Wir hätten nicht einen Ballen Baumwolle mehr bekommen können, als wir bekommen haben, selbst wenn man nichts von Krieg und Blockade gehört hätte. Die Schiffahrtssaison fängt nicht vor dem späten November an, und es wird gewöhnlich Ende Dezember, ehe irgendwelche große Verschiffungen stattfinden. Bis dahin hat es nur wenig Bedeutung, ob die Baumwolle auf den Plantagen zurückbehalten oder gleich nach ihrer <315> Verpackung zu den Häfen befördert würde. Wenn die Blockade zu irgendeiner Zeit vor Ende des Jahres aufhört, so werden wir wahrscheinlich im März oder April eine gewöhnliche Baumwollzufuhr erhalten, als wenn die Blockade nie stattgefunden hatte."

Im tiefsten Winkel der Krämerseele wurde die Hoffnung genährt, daß die ganze amerikanische Krise und demzufolge die Blockade vor Ende des Jahres enden werde oder daß Lord Palmerston die Blockade gewaltsam durchbrechen würde. Der letzte Gedanke wurde aber völlig aufgegeben, als Manchester neben allen anderen Umständen bemerkte, daß sich zwei gewaltige Interessengruppen, nämlich die Geldkapitalisten, die ein riesiges Kapital in die Industrieunternehmen Nordamerikas gesteckt haben, und der Kornhandel, der sich auf Nordamerika als seine Hauptlieferquelle stützt, vereinen würden, um jedem nicht herausgeforderten Angriff seitens der britischen Regierung Einhalt zu gebieten. Die Hoffnung, daß die Blockade rechtzeitig für die Erfordernisse Liverpools oder Manchesters aufgehoben oder daß der amerikanische Krieg durch einen Kompromiß mit den Sezessionisten beendet werde, sind einer Erscheinung gewichen, die auf dem Baumwollmarkt bisher unbekannt war, nämlich den amerikanischen Baumwolloperationen in Liverpool, die sich teils in Spekulationen äußern, teils in Rückverschiffungen nach Amerika. Demzufolge befand sich der Liverpooler Baumwollmarkt in den letzten zwei Wochen in fieberhafter Erregung, da die spekulative Kapitalanlage der Liverpooler Kaufleute in Baumwolle von der spekulativen Kapitalanlage der Fabrikanten von Manchester und anderer gestützt wurde, welche danach trachteten, sich mit Rohstoffvorräten für den Winter zu versorgen. Das Ausmaß dieser Transaktionen wird zur Genüge dadurch bewiesen, daß ein beträchtlicher Teil der Reserve-Speicherräume in Manchester durch diese Vorräte bereits gefüllt ist und daß während der Woche vom 15. September bis zum 22. September "Middling Arnericans" um 3/8 d. pro Pfund und die beste 6 Sorte um 5/8 d. gestiegen sind.

Seit Ausbruch des amerikanischen Krieges sind die Baumwollpreise ständig gestiegen, doch das enorme Mißverhältnis zwischen den Rohmaterialpreisen und den Garn- und Tuchpreisen wurde erst in den letzten Augustwochen offenbar. Bis dahin war jedes ernsthafte Absinken der Preise von Baumwollfabrikaten, welches aus der beträchtlichen Verringerung der amerikanischen Nachfrage hätte erwartet werden können, durch eine Erhöhung der Lagerbestände in erster Hand und durch spekulative <316> Konsignationen nach China und Indien ausgeglichen worden. Diese asiatischen Märkte waren jedoch bald überfüllt.

"Die Lagerbestände", schreibt der "Calcutta Price Current" vom 7. August 1861, "wachsen an, seit unserer letzten Ausgabe sind nicht weniger als 24.000.000 Yard glatte Baumwolle angeliefert worden. Berichte aus England sprechen von einer Fortsetzung der Schiffslieferungen weit über unseren Bedarf hinaus, und solange dies der Fall ist, können wir keine Besserung erwarten ... Auch der Markt von Bombay ist bei weitem überbeliefert."

Einige andere Umstände trugen dazu bei, den indischen Markt einzuschränken. Der letzten Hungersnot in den Nordwestprovinzen folgten die Verheerungen durch die Cholera, während im ganzen unteren Bengalen ein unaufhörlicher Regen, der das Land unter Wasser setzte, die Reisernte ernsthaft schädigte. In Briefen aus Kalkutta, die in der letzten Woche in England eintrafen, wird berichtet, daß die Verkäufe Nettopreise von 91/4 d. pro Pfund 40er Garn einbrachten, welches in Manchester nicht unter 113/8 d. gekauft werden kann, während Verkäufe von 40 Zoll Schirtings, verglichen mit den bestehenden Preisen in Manchester, Verluste von 71/2 d., 9 d. und 12 d. pro Stück brachten. Auch auf dem Markt Chinas wurden infolge der Anhäufung der importierten Warenvorräte die Preise gedrückt. Unter diesen Umständen können, da die Nachfrage nach britischen Baumwollfabrikaten abnimmt, deren Preise mit dem fortschreitenden Steigen der Rohmaterialpreise natürlich nicht Schritt halten, im Gegenteil, in vielen Fällen können die für das Spinnen, das Weben und den Baumwolldruck erzielten Preise nicht die Produktionskosten decken. Nehmen wir z.B. den folgenden Fall, den einer der größten Fabrikanten von Manchester bezüglich der Grobspinnerei mitteilt:

pro Pfund

Verk. Spanne

Spinnkosten pro Pfund

17. September l860

Baumwollkosten

61/4 d.

4 d.

3 d.

16er Kette verkauft für

101/4 d.

-

-

Gewinn 1 d. pro Pfund

17. September 1861

9 d.

2 d.

31/2 d.

11 d.

Verlust 11/2 d. pro Pfund

<317> Der Verbrauch indischer Baumwolle steigt rapide an, und bei einem weiteren Steigen der Preise werden die indischen Lieferungen zunehmen, doch bleibt es immer noch unmöglich, alle Produktionsbedingungen in ein paar Monaten zu ändern und dem Handelsablauf eine Wendung zu geben. England zahlt jetzt den Preis für seine langwährende Mißherrschaft über das weite indische Reich. Die zwei Haupthindernisse, mit denen es bei seinen Versuchen, amerikanische Baumwolle durch indische Baumwolle zu ersetzen, kämpfen muß, sind die fehlenden Verkehrs- und Transportmittel in ganz Indien und die elende Lage der indischen Bauern, die ihn unfähig macht, günstige Verhältnisse herbeizuführen. An beiden Schwierigkeiten sind die Engländer selbst schuld. Englands moderne Industrie beruhte im allgemeinen auf zwei gleich scheußlichen Stützen. Die eine war die Kartoffel als einziges Nahrungsmittel für die Bevölkerung Irlands und einen großen Teil der englischen Arbeiterklasse. Diese Stütze zerbrach mit der Kartoffelkrankheit und der daraus entstandenen irischen Katastrophe. Es mußte nun eine breitere Basis für die Reproduktion und Erhaltung der arbeitenden Millionen gefunden werden. Die zweite Stütze der englischen Industrie war die von Sklaven angebaute Baumwolle der Vereinigten Staaten. Die gegenwärtige amerikanische Krise zwingt sie, ihr Bezugsgebiet zu vergrößern und die Baumwolle von sklavenzüchtenden und sklavenfressenden Oligarchien zu befreien. Solange die englischen Baumwollfabrikanten sich auf Baumwolle stützten, die durch Sklaven angebaut wurde, konnte wahrheitsgemäß behauptet werden, daß sie sich durch zweifache Sklaverei erhielten: durch die indirekte Sklaverei des weißen Mannes in England und die direkte Sklaverei des schwarzen Mannes auf der anderen Seite des Atlantik.