Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 389-392.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Der "Trent"-Fall


["Die Presse" Nr. 331 vom 2. Dezember 1861]

|389| London, 28. November 1861

Der Konflikt des englischen Postdampfboots "Trent" mit dem nordamerikanischen Kriegsschiff "San Jacinto" an der engen Passage des Old Bahama Canals ist der Löwe unter den Tagesereignissen. Nachmittags am 27. November brachte das Postdampfboot "La Plata" die Kunde von dem Vorfall nach Southampton, von wo der elektrische Telegraph sie sofort nach allen Teilen Großbritanniens blitzte. Noch denselben Abend war die Londoner Börse der Schauplatz ähnlicher stürmischer Szenen, wie zur Zeit der Ankündigung des italienischen Krieges. Die Kurse der Staatspapiere sanken um 3/4 bis 1 Prozent. Die wildesten Gerüchte liefen durch London. Der amerikanische Gesandte Adams habe seine Pässe erhalten, sämtliche amerikanische Schiffe in der Themse seien mit Embargo belegt usw. Gleichzeitig fand ein kaufmännisches Indignations-Meeting auf der Börse zu Liverpool statt, um die englische Regierung zu Maßregeln der Sühne für die verletzte Ehre der britischen Flagge aufzufordern. Jeder Normalengländer ging mit der Überzeugung zu Bett, daß er im Friedenszustand einschlafen, aber im Kriegszustand aufwachen werde.

Trotz alledem steht es beinahe kategorisch fest, daß der Konflikt zwischen "Trent" und "San Jacinto" keinen Krieg in seinen Falten trägt. Die halboffizielle Presse, wie "Times" und "Morning Post", wiegelt ab und übergießt das Leidenschaftsgeflacker mit juristisch-kühlen Deduktionen. Blätter wie der "Daily Telegraph", die auf das leiseste mot d'ordre |Losungswort| für den britischen Löwen brüllen, sind wahre Muster von Mäßigung. Nur die toryistische Oppositionspresse, "Morning Herald" und "Standard" |390| schlägt aus. Diese Tatsachen zwingen jeden Sachverständigen zum Schluß, daß das Ministerium bereits die Entscheidung gefaßt hat, aus dem "untoward event" (mißliebigen Ereignis) keinen casus belli zu machen.

Es kommt hinzu, daß das Ereignis, wenn auch nicht die Details seiner Aufführung, antizipiert war. Am 12. Oktober hatten die Herren Slidell, Botschafter der Konföderation in Frankreich, und Mason, Botschafter der Konföderation in England, nebst ihren Sekretären Eustis und Mac-Farland die Blockade von Charleston mit dem Dampfer "Theodora" durchbrochen, und waren nach Havanna gesegelt, um dort Gelegenheit zur Überfahrt nach Europa unter englischer Flagge zu suchen. Ihre Ankunft ward täglich in England erwartet. Nordamerikanische Kriegsschiffe waren von Liverpool aufgebrochen, um die Herren nebst ihren Depeschen auf dieser Seite des Atlantischen Ozeans abzufangen. Das englische Ministerium hatte seinen offiziellen Rechtskonsulenten die Frage, ob die Nordamerikaner zu einem solchen Schritt befugt, bereits zur Begutachtung vorgelegt. Die Antwort dieser Rechtskonsulenten soll bejahend gelautet haben.

Die juristische Frage dreht sich in einem engen Zirkel. Nordamerika hat seit Stiftung der Vereinigten Staaten das englische Seerecht in seiner ganzen Strenge adoptiert. Ein Hauptgrundsatz dieses Seerechts ist, daß alle neutralen Handelsschiffe der Durchsuchung von seiten der kriegführenden Parteien unterworfen sind.

"Dies Recht", sagte Lord Stowell in einem berühmt gewordenen Urteil, "bietet die einzige Sicherheit, daß keine Kontrebande auf den neutralen Schiffen geführt wird."

Die größte amerikanische Autorität, Kent, erklärt in demselben Sinne:

"Das Recht der Selbsterhaltung gibt der kriegführenden Nation dies Recht. Die Doktrin der englischen Admiralitätsgerichte über Visitations- und Durchsuchungsrecht ist zum vollsten Umfang von den Gerichtshöfen unseres Landes anerkannt worden."

Es war nicht, wie manchmal irrtümlich unterstellt wird, Opposition gegen das Durchsuchungsrecht, das den englisch-amerikanischen Krieg von 1812 bis 1814 hervorrief. Amerika erklärte vielmehr den Krieg, weil England ungesetzlich sich sogar die Durchsuchung amerikanischer Kriegsschiffe anmaßte, unter dem Vorwand, flüchtige englische Matrosen abzufangen.

Der "San Jacinto" hatte also das Recht, den "Trent" zu durchsuchen und die etwa auf demselben vorrätige Kontrebande zu konfiszieren. Daß Depeschen, im Besitz von Mason, Slidell und Comp. unter die Kategorie |391| der Kontrebande fallen, gestehen "Times", "Morning Post" usw. selbst zu. Bleibt die Frage, ob die Herren Mason, Slidell und Comp. selbst Kontrebande waren und daher konfisziert werden durften! Der Punkt ist heiklich, und es herrscht Meinungsverschiedenheit unter den Rechtsdoktoren. Pratt, die bedeutendste englische Autorität über "Kontrebande", erwähnt in dem Abschnitt: "Quasi-Kontrebande - Depeschen, Passagiere" namentlich "Mitteilung von Informationen und Befehlen einer kriegführenden Regierung an ihre auswärtigen Agenten, oder die Überfahrt militärischer Passagiere". Die Herren Mason und Slidell, wenn nicht Offiziere, waren ebensowenig Gesandte, da ihre Regierungen weder von England, noch von Frankreich anerkannt sind. Was sind sie also? Schon Jefferson bemerkt in seinen Memoiren zur Rechtfertigung der in den englisch-französischen Kriegen von England geltend gemachten, sehr weiten Begriffe von Kontrebande, daß die Kontrebande der Natur der Sache nach jede abschließende Definition ausschließt und notwendig der Willkür großen Spielraum läßt. Jedenfalls aber sieht man, daß die Rechtsfrage vom englischen Rechtsboden aus in eine Duns Scotische Kontroverse zusammenschrumpft, deren Explosionskraft über diplomatischen Notenwechsel nicht hinaustreiben wird.

Die politische Seite der nordamerikanischen Prozedur beurteilen die "Times" ganz richtig mit den Worten:

"Sogar Herr Seward muß einsehen, daß die Stimmen der südlichen Kommissäre, aus der Gefangenschaft erschallend, tausendmal beredter in London und Paris sind, als wenn sie in St. James und den Tuilerien gehört worden wären."

Und ist die Konföderation nicht bereits zu London durch die Herren Yancey und Mann vertreten?

Wir betrachten diese letzte Operation des Herrn Seward als eine der charakteristischen Taktlosigkeiten selbstbewußter Schwäche, die Kraft heuchelt. Wenn das Seeabenteuer Sewards Entfernung aus dem Washingtoner Kabinett beschleunigt, werden die Vereinigten Staaten keinen Grund haben, es als "untoward event" in die Annalen ihres Bürgerkrieges einzuschreiben.