Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 409-413.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Streit um die Affäre "Trent"


["Die Presse" Nr. 340 vom 11. Dezember 1861]

|409| London, 7. Dezember 1861

Die Palmerstonsche Presse - und ich werde bei einer andern Gelegenheit zeigen, daß Palmerston 9/10 der englischen Presse in auswärtigen Angelegenheiten ganz ebenso unbedingt kontrolliert wie Louis Bonaparte der französischen Presse - die Palmerstonsche Presse fühlt, daß sie unter "holden Hindernissen" arbeitet. Sie gesteht einerseits, daß die Kronjuristen die Klage gegen die Vereinigten Staaten auf einen bloßen Prozedurfehler, ein technisches Versehen, reduziert haben. Sie renommiert andererseits, daß auf Grund einer solchen bloßen Advokatenschikane den Vereinigten Staaten ein gebieterisches Ultimatum gestellt worden sei, wie es nur durch eine große Verletzung des Rechtes, nicht aber durch formellen Irrtum in der Ausübung eines anerkannten Rechtes, zu verteidigen. Die Palmerstonsche Presse plädiert daher jetzt wieder die materielle Rechtsfrage. Die große Wichtigkeit der Sache scheint ein kurzes Eingehen auf die materielle Rechtsfrage zu gebieten.

Vorläufig sei bemerkt, daß kein einziges englisches Blatt dem "San Jacinto" die Visitation und Durchsuchung des "Trent" vorzuwerfen wagt. Dieser Punkt fällt also außerhalb der Kontroverse.

Zunächst rufen wir die ins Gewicht fallende Stelle der Neutralitätsproklamation der Königin Victoria vom 13. Mai 1861 wieder ins Gedächtnis. Die Stelle lautet:

"Victoria R. Da wir uns im Frieden mit den Vereinigten Staaten befinden ... warnen wir alle unsere geliebten Untertanen ... unserer Proklamation zuwiderzuhandeln ... durch Brechung der gesetzlich anerkannten Blockade, oder durch den Transport von |410| Offizieren ... Depeschen ... oder irgend anderer Kriegskontrebande. Alle Personen, die eine solche Rechtsverletzung begehen, verfallen den verschiedenen Strafen, die das englische Munizipalrecht und das Völkerrecht gegen sie verhängen ... Solche Personen werden in keiner Weise unseren Schutz gegen die Folgen ihres Benehmens erhalten, sondern im Gegenteil unser Mißvergnügen zu tragen haben."

Diese Proklamation der Königin Victoria erklärt also zunächst Depeschen für Kontrebande und unterwirft das Schiff, das solche Kontrebande führt, den "Strafen des Völkerrechts". Welches sind diese Strafen?

Wheaton, ein amerikanischer Schriftsteller über Völkerrecht, dessen Autorität auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans gleichmäßig anerkannt ist, sagt in seinen "Elements of International Law" (Elemente des Völkerrechts), p. 565:

"Der Transport von Depeschen des Feindes unterwirft das neutrale Schiff, das sie transportiert, der Gefangennehmung und Konfiskation. Die Folgen einer solchen Dienstleistung gehen weit über den Effekt des Transports von gewöhnlicher Kontrebande hinaus ... wie Sir W. Scott, der englische Richter, sagt, ist der Transport von Kriegsmaterial notwendig beschränkter Natur, während durch den Transport von Depeschen eine Tat begangen wird, die den ganzen Feldzugsplan des Gegners vereiteln kann ... Die Konfiskation des anstößigen Artikels, der die gewöhnliche Strafe für Kontrebande bildet, würde lächerlich sein, wenn auf Depeschen angewandt. Depeschen zahlen keine Fracht. Ihre Konfiskation trifft also den Schiffseigentümer nicht, bestraft also das Schiff nicht, das sie transportiert. Das Schiff, das sie führt, muß daher konfisziert werden."

Walker in seiner "Introduction of American Law" (Vorschule des amerikanischen Rechts) sagt:

"Neutrale dürfen sich nicht am Transport feindlicher Depeschen beteiligen unter Strafe der Konfiskation des Schiffes und seiner Fracht."

Kent, der als entscheidende Autorität in englischen Gerichtshöfen gilt, erklärt in seinen "Commentaries" (Kommentaren):

"Findet man bei Durchsuchung eines Schiffes, daß es feindliche Depeschen führt, so verfällt es der Strafe der Wegnahme und der Konfiskation durch Urteil eines Prisengerichts."

Dr. Robert Phillimore, "Advocate of Her Majesty in her office of Admiralty" (Advokat der Königin Victoria in ihrem Admiralitätsgericht), sagt in seinem neuesten Werke über das Völkerrecht, p. 370:

"Offizielle Mitteilungen eines Beamten (official) über die Angelegenheiten einer kriegführenden Regierung sind Depeschen, die ihren Trägern (carriers) einen feindlichen Charakter aufdrücken. Die schädlichen Folgen eines solchen Dienstes sind un- |411| berechenbar und gehen weit über den Transport gewöhnlicher Kontrebande hinaus; denn es ist klar, daß durch die Beförderung solcher Depeschen die wichtigsten Pläne einer kriegführenden Armee unterstützt oder vereitelt werden können ... Die Strafe ist Konfiskation nicht nur des Schiffes, das die Depeschen führt, sondern auch seiner Fracht."

Zwei Punkte also stehen fest. Die Proklamation der Königin Victoria vom 13. Mai 1861 unterwirft englische Schiffe, die Depeschen der Konföderation befördern, den Strafen des Völkerrechts. Das Völkerrecht, seinen englischen und amerikanischen Auslegern gemäß, verhängt Gefangennehmung und Konfiskation als Strafe über solche Schiffe.

Palmerstons Organe logen daher in höherem Auftrage - und wir waren naiv genug, ihnen die Lüge zu glauben - der Kapitän des "San Jacinto" habe unterlassen, nach Depeschen auf dem "Trent" zu suchen, er habe also auch keine gefunden; der "Trent" sei daher durch dies Versehen kugelfest geworden. Die amerikanischen Journale vom 17. bis 20. November, die die englische Lüge noch nicht kennen konnten, erklären dagegen einstimmig, daß die Depeschen abgefaßt worden sind und bereits sich im Drucke befinden, um sie dem Kongreß zu Washington vorzulegen. Dies ändert die ganze Sachlage. Der "San Jacinto" hatte auf Grund dieser Depeschen das Recht, den "Trent" ins Tau zu nehmen, und jedes amerikanische Prisengericht hatte die Pflicht, ihn und seine Fracht zu konfiszieren. Mit dem "Trent" gelangten notwendig auch seine Passagiere in den Bereich amerikanischer Jurisdiktion.

Die Herren Mason, Slidell und Comp., sobald der "Trent" bei Monroe gelandet, fielen als Rebellen der amerikanischen Jurisdiktion anheim. Begnügte sich also der Kapitän des "San Jacinto" damit, statt den "Trent" selbst in einen amerikanischen Hafen zu schleppen, die Depeschen und ihre Träger abzufassen, so verschlechterte er die Lage von Mason, Slidell und Comp. in keiner Hinsicht, während sein Prozedurfehler andererseits dem "Trent", seiner Fracht und seinen Passagieren zugute kam. Und es wäre in der Tat unerhört, wollte England Krieg gegen die Vereinigten Staaten erklären, weil Kapitän Wilkes einen den Vereinigten Staaten schädlichen, England aber nützlichen Prozedurfehler beging.

Die Frage, ob Mason, Slidell und Comp. selbst Kontrebande, wurde nur aufgeworfen und konnte nur aufgeworfen werden, weil die Palmerston-Journale die Lüge verbreitet hatten, Kapitän Wilkes habe weder nach Depeschen gesucht, noch Depeschen abgefaßt. In diesem Fall nämlich konstituierten Mason, Slidell und Comp. in der Tat das einzige Objekt auf dem Schiff "Trent", das möglicherweise unter die Kategorie der Kontrebande |412| fallen konnte. Indes sehe man einen Augenblick hievon ab. Die Proklamation der Königin Victoria bezeichnet "officers" einer kriegsführenden Partei als Kontrebande. Sind "officers" bloß militärische Offiziere? Waren Mason, Slidell und Comp. "officers" der Konföderation? "Officers", sagt Samuel Johnson in seinem Dictionnaire der englischen Sprache, sind "men employed by the public", d.h. zu deutsch: öffentliche Beamte. Dieselbe Erklärung gibt Walker. (Siehe sein Dictionnaire, Ausgabe von 1861.)

Also fallen, dem englischen Sprachgebrauch gemäß, Mason, Slidell und Comp., diese Emissäre, id est Beamte der Konföderation, unter die Kategorie von "officers", welche die königliche Proklamation für Kontrebande erklärt. Der Kapitän des "Trent" kannte sie in dieser Qualität, machte also sich, sein Schiff und seine Passagiere konfiszierbar. Wenn nach Phillimore und allen anderen Autoritäten ein Schiff als carrier (Träger) einer feindlichen Depesche konfiszierbar wird, weil es die Neutralität verletzt, so in noch höherem Grade die Person, die die Depeschen führt. Nach Kheaton darf sogar ein feindlicher Gesandter, so lange er sich in transitu |auf dem Wege| befindet, aufgefangen werden. Die Grundlage alles Völkerrechts aber ist überhaupt, daß jedes Mitglied der kriegführenden Partei von der Gegenpartei als "kriegführend" betrachtet und behandelt werden darf.

"Solange ein Mann", sagt Vattel, "fortfährt, ein Bürger seines eigenen Landes zu sein, ist er ein Feind von allen, mit denen sich seine Nation im Krieg befindet."

Man sieht also, die englischen Kronjuristen reduzierten den Streitpunkt auf einen bloßen Prozedurfehler, nicht error in re |Fehler in der Sache|, sondern error in forma |Fehler in der Form|, weil in der Tat keine materielle Rechtsverletzung vorliegt. Die Palmerston-Organe beschwatzen wieder die materielle Rechtsfrage, weil ein bloßer Prozedurfehler, dazu im Interesse des "Trent", keinen stichhaltigen Vorwand für ein hochtöniges Ultimatum abgibt.

Unterdes haben sich gewichtige Stimmen in diesem Sinn von zwei diametral entgegengesetzten Seiten ausgesprochen, auf der einen Seite die Herren Bright und Cobden, auf der anderen David Urquhart. Es sind dies prinzipielle und persönliche Feinde, die einen friedfertige Kosmopoliten, der andere der "letzte Engländer"; die einen stets bereit, alles internationale Recht dem internationalen Handel zu opfern, der andere keinen Augenblick schwankend: "fiat justitia, pereat mundus" |"Gerechtigkeit muß sein, und sollte die Welt zugrunde gehen"|, und unter "Justiz" versteht er "englische" Justiz. Die Stimmen von Bright und Cobden sind |413| wichtig, weil sie eine mächtige Fraktion der Mittelklasse-Interessen vertreten und im Ministerium durch Gladstone, Milner Gibson, mehr oder weniger auch durch Sir Cornewall Lewis, vertreten sind. Die Stimme Urquharts ist wichtig, weil internationales Recht sein Lebensstudium und jeder ihn als unbestechbaren Dolmetsch dieses internationalen Rechts anerkennt.

Die gewöhnlichen Zeitungsquellen werden Brights Rede für die Vereinigten Staaten und Cobdens Brief, der in demselben Sinne abgefaßt, mitteilen. Ich verweile also nicht dabei.

Urquharts Organ, die "Free Press", erklärt in der letzten Nummer vom 4. Dezember:

"'Wir müssen New York bombardieren!' Dies tolle Geschrei konnte man vor acht Tagen auf allen Straßen Londons hören, am Abend der Nachricht von einem ganz unbedeutenden Kriegsereignis. Der Akt war einer, den England in jedem Krieg als etwas sich von selbst Verstehendes beging, nämlich die Abfassung feindlicher Personen und Eigentums an Bord eines neutralen Schiffes."

Die "Free Press" entwickelt weiter, Palmerston habe 1856 auf dem Kongreß zu Paris, ohne Vollmacht von Krone oder Parlament, das englische Seerecht im Interesse Rußlands geopfert, und fährt dann fort:

"Damals, um dies Opfer zu rechtfertigen, erklärten Palmerstons Organe: Durch Aufrechterhaltung des Visitations- und Durchsuchungsrechts würden wir unfehlbar bei Gelegenheit des ersten Krieges in Europa in Krieg mit den Vereinigten Staaten verwickelt werden. Und jetzt fordert er uns durch dieselben Organe auf, New York zu bombardieren, weil die Vereinigten Staaten nach eben diesem Recht handeln, das ihnen mit uns gemeinsam ist."

Mit Bezug auf die Äußerungen der "Organe der öffentlichen Meinung" bemerkt die "Free Press":

"Das Eselsgeschrei von Baron Münchhausens auftauendem Posthorn war nichts, wenn verglichen mit den Wirrtönen der britischen Presse über Masons und Slidells Gefangennahme."

Sie stellt dann humoristisch in "Strophe" und "Antistrophe" die Widersprüche zusammen, wodurch die englische Presse die Vereinigten Staaten eines "Rechtsbruchs" zu überführen sucht.