Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 434-435.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Französischer Nachrichtenhumbug
- Ökonomische Kriegskonsequenzen


["Die Presse" Nr. 4 vom 4. Januar 1862]

|434| London, 31. Dezember 1861

Der Wunderglaube scheint sich nur aus einer Sphäre zurückzuziehen, um sich in einer andern anzusiedeln. Verjagt man ihn aus der Natur, so ersteht er nun in der Politik. Wenigstens ist das die Ansicht der Pariser Zeitungen und ihrer Verbündeten in der Telegraphie und den Zeitungs-Korrespondenz-Boutiquen. So melden Pariser Abendblätter von gestern: Lord Lyons habe Herrn Seward erklärt, er werde bis zum Abend des 20. Dezember abwarten, dann aber nach London abreisen, im Falle das Kabinett von Washington die Auslieferung der Gefangenen verweigere. Die Pariser Blätter kannten also gestern bereits die Schritte, die Lord Lyons nach Empfang der ihm mit der "Europa" übersendeten Depeschen tat. Bis heute jedoch ist die Nachricht von der Ankunft der "Europa" in New York noch nicht in Europa eingetroffen. Die "Patrie" und Konsorten, bevor sie von der Ankunft der "Europa" in Amerika unterrichtet sind, publizieren in Europa Nachrichten über die Ereignisse, die der Ankunft der "Europa" in den Vereinigten Staaten auf dem Fuß nachfolgten. Die "Patrie" und Konsorten glauben offenbar, daß Geschwindigkeit keine Hexerei ist. Ein hiesiges Journal bemerkt in seinem Börsenartikel, daß diese Pariser Erfindungen, ganz wie die Hetzartikel einiger englischer Blätter, nicht nur den politischen Spekulationen gewisser Machthaber, sondern ebensosehr den Börsenspekulationen gewisser Privatmenschen dienen.

Der "Economist", bisher einer der vorlautesten Schreier der Kriegspartei, veröffentlicht in seiner letzten Nummer den Brief eines Liverpooler Kaufmannes und einen Leitartikel, worin das englische Publikum gewarnt wird, die Gefahren eines Krieges mit den Vereinigten Staaten ja nicht zu unterschätzen. England importierte während des Jahres 1861 für 15.380.901 |435| Pfd.St. Getreide, von welcher Gesamtsumme den Vereinigten Staaten beinahe 6 Millionen Pfd.St. zufielen. England würde mehr leiden von der Unfähigkeit, das amerikanische Getreide zu kaufen, als die Vereinigten Staaten von der Unfähigkeit, es zu verkaufen. Die Vereinigten Staaten würden den Vorteil früherer Information besitzen. Entschieden sie für Krieg, so würden sofort Telegramme von Washington nach San Francisco fliegen und die amerikanischen Schiffe im Stillen Ozean und den chinesischen Gewässern Kriegsoperationen beginnen, viele Wochen bevor England die Kriegsnachricht nach Indien bringen könnte.

Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges hat der amerikanisch-chinesische, ganz so wie der amerikanisch-australische Handel in ungeheurer Proportion abgenommen. Soweit er aber noch betrieben wird, kauft er seine Frachten meist mit englischen Kreditbriefen, also mit englischem Kapital. Umgekehrt ist der englische Handel aus Indien, China und Australien, stets sehr bedeutend, noch mehr gewachsen seit der Unterbrechung des Handels mit den Vereinigten Staaten. Amerikanische Kaperschiffe hätten also ein großes Feld der Kaperei, englische ein relativ unbedeutendes. Englische Kapitalanlage in den Vereinigten Staaten ist größer als das sämtliche in der englischen Baumwollindustrie angelegte Kapital. Amerikanische Kapitalanlage in England ist gleich Null. Die englische Marine eklipsiert die amerikanische, aber bei weitem nicht in dem Verhältnis, wie während des Krieges von 1812-1814.

Zeigten sich schon damals die amerikanischen Kaperschiffe den englischen weit überlegen, wie erst jetzt? Eine effektive Blockade der nordamerikanischen Häfen, namentlich im Winter, ist ganz außer Frage. In den Binnengewässern zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten - und die Überlegenheit hier ist entscheidend für den Landkrieg in Kanada - würden die Vereinigten Staaten bei Eröffnung des Krieges die unbedingte Alleinherrschaft besitzen.

Kurz, der Liverpooler Kaufmann kommt zu dem Schluß:

"Niemand in England wagt den Krieg der bloßen Baumwolle wegen zu empfehlen. Es wäre wohlfeiler für uns, sämtliche Baumwolldistrikte während drei Jahren von Staats wegen zu füttern, als ein Jahr für sie Krieg mit den Vereinigten Staaten zu führen."

Ceterum censeo, daß der "Trent"-Fall nicht zum Krieg führen wird.