Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 439-444.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Die öffentliche Meinung in England

Aus dem Englischen.


["New-York Daily Tribune" Nr. 6499 vom 1. Februar 1862]

|439| London, 11. Januar 1862

Die Nachricht von der friedlichen Lösung des "Trent"Konfliktes" wurde von der Mehrheit des englischen Volkes mit einer Begeisterung begrüßt, welche die Unpopularität des erwarteten Krieges und die Furcht vor seinen Folgen unmißverständlich bewies. Man sollte in den Vereinigten Staaten niemals vergessen, daß zumindest die Arbeiterklasse Englands sie vom Beginn bis zum Ende des Streits nicht im Stich gelassen hat. Ihr war es zu verdanken, daß während der ganzen Zeit, da der Frieden auf Messers Schneide stand, trotz der von der feilen und verantwortungslosen Presse täglich verabfolgten Giftspritzen im Vereinigten Königreich nicht ein einziges öffentliches Kriegsmeeting abgehalten werden konnte. Bei dem einzigen Kriegsmeeting, das bei der Ankunft der "La Plata" in den Baumwollauktionsräumen der Liverpooler Börse zustande kam, waren die Baumwollspekulanten ganz unter sich. Sogar in Manchester verstand man die Stimmung in der Arbeiterklasse so gut, daß ein einzelner Versuch, ein Kriegsmeeting einzuberufen, kurz nach Aufkommen des Gedankens wieder aufgegeben wurde.

Wo in Schottland, England oder Irland auch öffentliche Meetings stattfanden, protestierten sie gegen das wütende Kriegsgeschrei der Presse, gegen die finsteren Pläne der Regierung und erklärten sich für eine friedliche Lösung der schwebenden Fragen. In dieser Beziehung sind die beiden zuletzt abgehaltenen Meetings, eins in Paddington, London, das andere in Newcastle-upon-Tyne, charakteristisch. Ersteres stimmte Herrn Washington Wilkes' Darlegung zu, daß England nicht das Recht habe, die Verhaftung der Kommissäre des Südens zu kritisieren; während auf dem Meeting in Newcastle beinahe einstimmig folgende Entschließung an- |440| genommen wurde: Erstens, daß sich die Amerikaner nur der gesetzlichen Ausübung des Durchsuchungs- und Festnahmerechtes schuldig gemacht haben; zweitens, daß der Kapitän des "Trent" wegen seiner Verletzung der von der Königin proklamierten englischen Neutralität bestraft werden müßte.

Unter gewöhnlichen Umständen hätte man die Haltung der britischen Arbeiter auf die natürliche Sympathie zurückführen können, welche die Volksmassen der ganzen Welt der einzigen Volksregierung der Welt entgegenbringen sollten. Unter den gegenwärtigen Umständen jedoch, da ein großer Teil der britischen Arbeiterklasse direkt und schwer unter den Folgen der Blockade des Südens leidet, da ein anderer Teil indirekt durch die Beschränkung des amerikanischen Handels getroffen wird, der - wie man ihnen erzählt - der selbstsüchtigen "Schutzpolitik" der Republikaner zuzuschreiben ist; da sich die einzige verbliebene demokratische Wochenzeitschrift, "Reynolds's Paper", an die Herren Yancey und Mann verkauft hat und Woche für Woche ihren ganzen Vorrat an schmutzigen Reden darin erschöpft, die Arbeiterklasse aufzurufen, im eigenen Interesse die Regierung zu einem Krieg mit der Union zu drängen - unter solchen Umständen erfordert die bloße Gerechtigkeit, daß man der festen Haltung der britischen Arbeiterklasse Achtung zollt, um so mehr, wenn man diese Haltung dem heuchlerischen, prahlenden, feigen und dummen Verhalten des offiziellen und wohlsituierten John Bull entgegenhält.

Welcher Unterschied liegt in dieser Haltung des Volkes gegenüber jener, welche sie in der Zeit des russischen Konfliktes einnahm, Damals winselten die "Times", die "Post" und die anderen Yellowplushes der Londoner Presse nach Frieden, und im ganzen Lande antworteten ihnen gewaltige Kriegsmeetings. Jetzt heulten sie nach Krieg, woraufhin ihnen Friedensmeetings antworteten, welche die freiheitsmörderischen Plane und die Sympathien der Regierung für die Sklaverei öffentlich brandmarkten. Die Grimassen, die die Auguren der öffentlichen Meinung auf die Nachricht von der friedlichen Lösung des "Trent"-Falles hin schnitten, sind wirklich amüsierend.

Zuallererst müssen sie sich durchaus zu der Würde, dem gesunden Menschenverstand, dem guten Willen und der Mäßigung gratulieren, die sie im Verlaufe eines vollen Monats täglich bewiesen haben. Sie waren in den ersten beiden Tagen nach der Ankunft der "La Plata" gemäßigt, als Palmerston unsicher war, ob man einen legalen Vorwand zum Streit finden |441| könne. Doch kaum stießen die Kronjuristen auf einen legalen Vorwand, da begannen sie ein derart mißtönendes Geschrei, wie man es seit dem Antijakobinerkrieg nicht gehört hatte. Die Depeschen der englischen Regierung verließen Queenstown Anfang Dezember. Vor Anfang Januar konnte keine offizielle Antwort Washingtons erwartet werden. Die inzwischen neueingetretenen Vorfälle sprachen alle zugunsten der Amerikaner. Der Ton der transatlantischen Presse war ruhig, obgleich die Nashville-Affäre ihre Leidenschaften erregt haben mochte. Alle festgestellten Tatsachen zeigen, daß Kapitän Wilkes auf eigene Faust gehandelt hatte. Die Lage der Washingtoner Regierung war heikel. Widersetzte sie sich den englischen Forderungen, so würde sie den Bürgerkrieg durch einen auswärtigen Krieg komplizieren. Gäbe sie nach, so würde sie ihrer Popularität im Lande schaden und dem Druck von außen nachzugeben scheinen. Und in dieser Lage führte die Regierung gleichzeitig einen Krieg, der auf seiner Seite die wärmsten Sympathien eines jeden hat, der nicht ein erklärter Räuber ist.

Gesunder Menschenverstand und elementarer Anstand hätten daher der Londoner Presse wenigstens in der Zeit zwischen der englischen Forderung und der amerikanischen Antwort diktieren müssen, sich sorgsam jedes Wortes zu enthalten, das dazu beigetragen hätte, die Leidenschaften zu erhitzen, Feindschaft hervorzurufen und die Schwierigkeiten zu komplizieren. Aber nein! Diese "unaussprechlich erbärmliche und kriecherische" Presse, wie sie William Cobbett - und er war eine Autorität auf dem Gebiet - bezeichnet, brüstete sich wirklich damit - als sie die vereinte Kraft der Vereinigten Staaten fürchtete -, sich der wachsenden Geringschätzung und den Beleidigungen der Pro-Sklaverei-Regierungen fast ein halbes Jahrhundert lang bescheiden unterworfen zu haben, während sie jetzt mit dem wilden Frohlocken von Feiglingen danach lechzt, an der republikanischen Regierung, die durch einen Bürgerkrieg abgelenkt ist, Rache zu nehmen. Die Geschichte der Menschheit verzeichnet kein niederträchtigeres Selbstbekenntnis als dieses.

Einer der Yellowplushes, Palmerstons privater Moniteur - die "Morning Post" -, findet sich selbst durch die amerikanischen Zeitungen eines schändlichen Vergehens angeklagt. John Bull wurde niemals informiert - eine Nachricht, die die über ihn herrschenden Oligarchen ihm sorgfältig vorenthielten -, daß Herr Seward, ohne Russells Depesche abzuwarten, jede Beteiligung des Washingtoner Kabinetts an der Tat Kapitän Wilkes geleugnet hatte. Herrn Sewards Depesche traf am 19. Dezember in London ein. Am 20. Dezember verbreitete sich das Gerücht dieses "Geheimnisses" an der Börse. Am 21. traten die Yellowplushes der "Morning Post" auf, um |442| ernst zu verkünden, daß "die fragliche Depesche sich keineswegs auf die Ausschreitungen gegenüber unserem Postdampfboot beziehe".

In den "Daily News", dem "Morning Star" und anderen Londoner Zeitungen wird man finden, daß mit Yellowplush ziemlich streng verfahren wird, doch man kann von ihnen nicht erfahren, was die Leute außerhalb sagen. Sie sagen, daß "Morning Post" und "Times" wie "Patrie" und "Pays" das Publikum nicht nur täuschten, um es politisch irrezuführen, sondern um es im Interesse ihrer Herren auch in der Finanzbranche auf der Börse zu plündern.

Die unverschämte "Times", völlig im klaren darüber, daß sie während der ganzen Krise niemanden als sich selbst kompromittiert und einen Beweis dafür geliefert hatte, wie hohl ihre Behauptung sei, sie beeinflusse das wirkliche Volk Englands, spielt heute einen Trick aus, der hier in London nur auf die Lachmuskeln wirkt, doch auf der anderen Seite des Atlantik falsch verstanden werden könnte. Die "Volksklassen" Londons, der "Mob", wie die Yellowplushes sie nennen, haben unmißverständliche Zeichen gegeben - haben sogar in Zeitungen darauf hingewiesen - daß sie es für einen außerordentlich passenden Witz betrachten würden, Herrn Mason (der nebenbei gesagt ein entfernter Verwandter von Palmerston ist, da sein Urgroßvater mit einer Tochter Sir W. Temples verheiratet war), Slidell und Co. mit denselben Demonstrationen zu bedenken, die Haynau bei seinem Besuch in Barclays Brauerei erhielt. Die "Times" ist schon bei dem Gedanken an einen so unerhörten Zwischenfall entsetzt; und wie versucht sie zu parieren? Sie ermahnte das englische Volk, Mason, Slidell und Co. mit keinerlei öffentlichen Ovationen zu überhäufen! Die "Times" weiß, daß ihr heutiger Artikel allen Schenkstuben Londons Anlaß zum Lachen geben wird. Das macht jedoch nichts! Menschen auf der anderen Seite des Atlantik mögen vielleicht denken, daß der Edelmut der "Times" sie vor dem Schimpf öffentlicher Ovationen für Mason, Slidell und Co. gerettet habe, während die "Times" in der Tat nur beabsichtigt, diese Herren vor öffentlicher Beleidigung zu schützen!

Solange die "Trent"-Affäre unentschieden war, haben die "Times", die "Post", der "Herald", der "Economist" und die "Saturday Review", in der Tat die ganze vornehme käufliche Presse Londons, alles versucht, John Bull zu überzeugen, daß die Washingtoner Regierung, selbst wenn sie wollte, unfähig sei, Frieden zu halten, weil der Yankee-Mob es nicht erlauben würde und weil die Bundesregierung eine Regierung des Mobs sei. Die Tatsachen haben sie jetzt Lügen gestraft. Sühnen sie jetzt ihre böswilligen Beleidigungen des amerikanischen Volkes? Bekennen sie wenigstens den Irrtum, dem Yellowplush verfallen mußte, da er sich anmaßte, die Taten eines freien |443| Volkes zu beurteilen? Keineswegs. Sie entdecken jetzt einmütig, daß die amerikanische Regierung, als sie Englands Forderungen nicht zuvorkam, und die Verräter aus den Südstaaten sofort nach ihrer Festnahme übergab, eine glänzende Gelegenheit verpaßte und ihre gegenwärtige Konzession wertlos machte. Wahrhaft Yellowplush! Herr Seward verurteilte die Handlung Wilkes' vor dem Eintreffen der englischen Forderungen und erklärte sich sofort willens, einen versöhnlichen Weg einzuschlagen. Und was haben sie bei ähnlicher Gelegenheit getan? Als unter dem Vorwand der gewaltsamen Werbung englischer Matrosen an Bord amerikanischer Schiffe - ein Vorwand, der mit den Seekriegsrechten überhaupt nichts zu tun hat, sondern eine offensichtliche ungeheure Usurpation gegen jedes internationale Recht ist - der "Leopard" eine Breitseite auf die "Chesapeake" feuerte, sechs Matrosen tötete, einundzwanzig verwundete und die angeblichen Engländer an Bord der "Chesapeake" gefangennahm; und was tat die englische Regierung? Dieser Übergriff geschah am 20. Juni 1807. Wirkliche Satisfaktion, die Auslieferung der Matrosen usw. kam erst am 8. November 1812, also fünf Jahre später, zustande. Zwar verurteilte die britische Regierung sofort diese Handlung Admiral Berkeleys, ebenso wie es Herr Seward in bezug auf Kapitän Wilkes tat, doch als Strafe avancierte der Admiral von einem niedrigeren zu einem höheren Rang. England gab, als es seine Anordnungen im Rat bekanntgab, offen zu, daß es Ausschreitungen gegen die Rechte Neutraler im allgemeinen und der Vereinigten Staaten im besonderen seien; daß sie ihm als Vergeltungsmaßnahmen gegen Napoleon aufgezwungen worden seien, und daß es sich sehr freuen wurde, sie aufheben zu können, wenn Napoleon seine Übergriffe gegen neutrale Rechte einstellte. Napoleon stellte sie, soweit sie die Vereinigten Staaten betrafen, im Frühjahr 1810 ein. England beharrte auf seinen offen bekannten Übergriffen gegen die maritimen Rechte Amerikas. Sein Widerstand dauerte von 1806 bis zum 23. Juni 1812 - nachdem die Vereinigten Staaten am 18. Juni 1812 England den Krieg erklärt hatten. England lehnte in diesem Falle sechs Jahre lang nicht ab, seine offen zugegebenen Übergriffe wiedergutzumachen, lehnte aber ab, sie einzustellen. Und diese Leute sprechen von der glänzenden Gelegenheit, die die amerikanische Regierung verpaßte! Ob falsch oder richtig, es war eine feige Tat der britischen Regierung, eine Beschwerde, die sich auf einen angeblichen technischen Irrtum und einen reinen Prozedurfehler gründete, durch ein Ultimatum, durch die Forderung nach Auslieferung der Gefangenen zu verstärken. Die amerikanische Regierung könnte Gründe haben, dieser Forderung nachzukommen, sie konnte keine haben, ihr zuvorzukommen.

|444| Durch die gegenwärtige Beilegung des "Trent"-Konfliktes wurde die Frage, die den ganzen Disput hervorrief und die wahrscheinlich wieder auftauchen wird - nämlich die Kriegsrechte einer Seemacht gegenüber Neutralen - nicht gelöst. Ich werde mit Ihrer Erlaubnis versuchen, die ganze Frage in einem folgenden Artikel zu behandeln. Vorläufig erlauben Sie mir hinzuzufügen, daß meiner Meinung nach die Herren Mason und Slidell der Bundesregierung einen großen Dienst erwiesen haben. Es gab in England eine einflußreiche Kriegspartei, die teils aus kommerziellen, teils aus politischen Gründen nach einem Zusammenstoß mit den Vereinigten Staaten trachtete. Die "Trent"-Affäre hat diese Partei einer Feuerprobe unterzogen. Sie hat diese nicht bestanden. Die Kriegswut wurde durch eine unbedeutende Angelegenheit vermindert, das Ventil geöffnet; die brüllende Begeisterung der Oligarchie hat den Argwohn der englischen Demokratie hervorgerufen, die großen, mit den Vereinigten Staaten verbundenen englischen Interessen leisteten Widerstand, der wahre Charakter des Bürgerkrieges wurde den Arbeitern klar gemacht, und last not least neigt sich die gefährliche Periode, da Palmerston selbstherrlich regierte, ohne vom Parlament gehindert zu werden, schnell dem Ende zu. Das war die einzige Zeit, in der mit dem Gedanken an einen englischen Krieg für die Sklavenhalter gespielt werden konnte. Jetzt ist der Zeitpunkt dafür vorbei.