Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 458-460.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Interventionsfeindliche Stimmung


["Die Presse" Nr. 34 vom 4. Februar 186]

|458| London, 31. Januar 1862

Liverpools kommerzielle Größe leitet ihren Ursprung vom Sklavenhandel her. Die einzigen Beiträge, womit Liverpool die poetische Literatur Englands bereichert hat, sind Oden auf den Sklavenhandel. Vor fünfzig Jahren war es lebensgefährlich für Wilberforce, den Boden Liverpools zu betreten. Wie im vorigen Jahrhundert der Sklavenhandel, so bildete in diesem Jahrhundert der Handel mit dem Produkt der Sklaverei - der Baumwolle - die materielle Grundlage der Größe Liverpools. Kein Wunder daher, daß Liverpool das Zentrum der englischen Sezessionsfreunde. Es ist in der Tat die einzige Stadt innerhalb des Vereinigten Königsreichs, wo es möglich war, während der letzten Krise ein quasi öffentliches Meeting zugunsten eines Krieges mit den Vereinigten Staaten zu veranstalten. Und was sagt Liverpool jetzt? Hören wir eines seiner großen täglichen Organe, die "Daily Post".

In einem Leitartikel, betitelt "The cute Yankee" (der schlaue Yankee), heißt es unter anderm:

"Die Yankees haben mit ihrem gewöhnlichen Geschicke einen scheinbaren Verlust in einen wirklichen Gewinn verwandelt und England ihrem Vorteil dienstbar gemacht ... Großbritannien hat in der Tat seine Macht entfaltet, aber zu welchem Zwecke? Seit Gründung der Vereinigten Staaten nahmen die Yankees für eine neutrale Flagge stets das Privilegium in Anspruch, daß unter ihr segelnde Passagiere vor allen Eingriffen und Angriffen der Kriegführenden geschützt seien. Wir bestritten dies Privilegium aufs äußerste während des Antijakobinerkrieges, des englisch-amerikanischen Krieges von 1812 bis 1814, und neuerlich noch im Jahre 1842 während der Unterhandlungen zwischen Lord Ashburton und dem Staatssekretär Daniel Webster. Jetzt muß unsere Opposition aufhören. Das Yankee-Prinzip hat gesiegt. Herr Seward protokolliert die |459| Tatsache, erklärt, daß wir prinzipiell nachgeben und daß die Vereinigten Staaten durch den 'Trent'-Fall eine Konzession von uns erhalten, zu deren Erreichung sie bisher alle Mittel der Diplomatie und des Krieges umsonst erschöpft hatten."

Wichtiger noch ist das Geständnis der "Daily Post" über den Umschwung der öffentlichen Meinung, selbst in Liverpool.

"Die Konföderierten", sagt sie, "haben sicher nichts getan, um die ihnen bisher günstige Meinung einzubüßen. Ganz im Gegenteil! Sie haben nämlich gekämpft und ungeheure Opfer gebracht. Wenn sie ihre Unabhängigkeit nicht erhalten, muß jeder gestehen, daß sie dieselbe verdienen. Wie dem auch sei, die Strömung der öffentlichen Meinung läuft jetzt ihren Ansprüchen entgegen. Noch vor vier Wochen waren sie brave Burschen (fine fellows), Jetzt erklärt man sie für eine sehr traurige Bande (a very sorry set) ... Eine Reaktion ist in der Tat eingetreten. Die Anti-Sklaverei-Sekte, so kleinlaut während der letzten populären Aufregung, nimmt nun den Mund voll und donnert gegen Menschenhandel und rebellische Sklavenhalter! ... Sind nicht selbst die Wälle unserer Stadt bedeckt mit großen Plakaten voll von Denunziationen und giftigen Invektiven gegen die Herren Mason und Slidell, die Urheber des verfluchten Gesetzes über flüchtige Sklaven? ... Die Konföderierten haben durch die 'Trent'-Affäre verloren. Sie sollte ihr Gewinn sein, sie hat sich zu ihrem Ruin gewendet. Die Sympathie dieses Landes ist ihnen entzogen, und sie müssen sich möglichst bald mit dieser sonderbaren Lage der Dinge vertraut machen. Man hat sie sehr schlecht behandelt, aber dabei bleibts (there will be no redress)."

Aus diesem Geständnis des sezessionsfreundlichen Liverpooler Tagblattes erklärt sich leicht die veränderte Sprache, die einige gewichtige Organe Palmerstons jetzt plötzlich vor Eröffnung des Parlaments führen. So bringt der "Economist" vom letzten Samstag einen Artikel unter der Überschrift: "Soll die Blockade respektiert werden?"

Er geht zunächst von dem Axiom aus, daß die Blockade eine bloße Papierblockade, ihre Verletzung also durch das Völkerrecht gestattet sei. Frankreich verlange die gewaltsame Beseitigung derselben. Die praktische Entscheidung der Frage liege daher in der Hand Englands, das große und dringende Motive zu einem solchen Schritt habe. Namentlich bedürfe es der amerikanischen Baumwolle. Nebenbei bemerkt, ist nicht recht abzusehen, wie eine "bloße Papierblockade" die Verschiffung der Baumwolle verhindern kann.

"Dennoch aber", ruft der "Economist", "muß England die Blockade respektieren." Nach einer Reihe von Scheingründen, die dies Urteil motivieren, kommt er schließlich zu des Pudels Kern.

"In einem solchen Fall", sagt er, "müßte die Regierung das ganze Land hinter sich haben. Die große Masse des englischen Volkes ist jedoch noch nicht vorbereitet für |460| eine Einmischung, die selbst den Schein hätte, als unterstützten wir die Errichtung einer Sklavenrepublik. Das soziale System der Konföderation beruht auf der Sklaverei; die Föderalisten haben alles getan, um uns zu überreden, daß Sklaverei die Wurzel der Sezession ist, daß sie die Feinde der Sklaverei sind - und Sklaverei ist der Gegenstand unseres äußersten Abscheus ... Hierin liegt der eigentliche Irrtum des Volksgefühls. Die Auflösung, nicht die Wiederherstellung der Union, die Unabhängigkeit, nicht die Niederlage des Südens, ist der einzig sichere Weg zur Sklavenemanzipation. Wir hoffen dies gelegentlich unseren Lesern klarzumachen. Aber einstweilen ist es noch nicht klar. Die Majorität der Engländer denkt anders. So lange sie bei diesem Vorurteil verharrt, würde jeder Intervention unserer Regierung, die uns in aktive Opposition gegen den Norden, angebliche Allianz mit dem Süden stellte, die herzliche Mitwirkung der britischen Nation fehlen."

In anderen Worten: Der Versuch einer solchen Intervention würde das Ministerium stürzen, Und hieraus erklärt sich auch, weshalb die "Times" sich so entschieden gegen jede Intervention und für die Neutralität Englands aussprechen.