Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 496-498.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Eine internationale Affäre Mirès


["Die Presse" Nr. 120 vom 2. Mai 1862]

|496| London, 28. April 1862

Ein Hauptthema in hiesigen diplomatischen Kreisen bildet Frankreichs Auftreten in Mexiko. Man findet es rätselhaft, daß Louis Bonaparte die Expeditionstruppen vermehrt hat in dem Augenblicke, wo er versprach, sie zu vermindern, und daß er vorgehen will, während England sich zurückzieht. Man weiß hier genau, daß der Anstoß zur mexikanischen Expedition vom Kabinett von St. James ausging, nicht von dem der Tuilerien. Man weiß nicht minder, daß Louis Bonaparte alle seine Unternehmungen, namentlich aber die überseeischen Abenteuer, unter englischer Ägide auszuführen liebt. Das restaurierte Kaisertum hat bekanntlich seinem Original noch nicht das Kunststück nachgemacht, die französischen Heere in den Hauptstädten des modernen Europas einzuquartieren. Als ein pis aller |letzten Ausweg| hat es sie dagegen nach den Hauptstädten des alten Europa geführt, nach Konstantinopel, Athen und Rom und obendrein noch nach Peking. Sollte der Theatereffekt einer Spazierfahrt nach der Hauptstadt der Azteken verlorengehen und die Gelegenheit zu militärisch-archäologischen Sammlungen à la Montauban? Betrachtet man aber den gegenwärtigen Zustand der französischen Finanz und die zukünftigen ernsten Konflikte mit den Vereinigten Staaten und England, wozu Louis Bonapartes Vorgehen in Mexiko führen kann, so wird man obige Deutung seines Verfahrens, die von verschiedenen britischen Blättern beliebt wird, ohne weiteres verwerfen müssen. Ich glaube ihnen dagegen das Wort der Losung mitteilen zu können.

Zur Zeit der Konvention vom 17. Juli 1861, als die Ansprüche der englischen Gläubiger geregelt werden sollten, der englische Bevollmächtigte |497| aber zugleich Einsicht in das gesamte mexikanische Schulden- oder Sündenregister verlangte, gab der auswärtige Minister Mexikos die Schuld an Frankreich auf 200.000 Dollars an, also eine Bagatelle von etwa 40.000 Pfd.St. Die jetzt von Frankreich aufgestellte Rechnung hält sich dagegen keineswegs innerhalb dieser bescheidenen Schranken.

Unter der katholischen Administration von Zuloaga und Miramón wurde eine Ausgabe von mexikanischen Staatsobligationen zu dem Betrage von 14.000.000 Dollars vermittelst des Schweizer Bankierhauses J. B. Jecker und Comp. kontrahiert. Die ganze Summe, die auf die erste Ausgabe dieser Obligationen realisiert wurde, belief sich nur auf 5 Prozent des nominellen Betrages oder auf 700.000 Dollars. Die Gesamtsumme der ausgegebenen Obligationen fiel sehr bald in die Hände hervorragender Franzosen, darunter kaiserliche Verwandte und Mitlenker der "haute politique". Das Haus Jecker und Comp. ließ diesen Herren besagte Obligationen tief unter ihrem ursprünglichen Nominalpreis ab.

Miramón kontrahierte diese Schuld zu einer Zeit, wo er sich im Besitz der Hauptstadt befand. Später, nachdem er zur Rolle eines bloßen Guerillaführers herabgesunken war, ließ er durch seinen sogenannten Finanzminister, Senor Peza-y-Peza, abermals Staatsobligationen zum Nominalwert von 38.000.000 Dollars ausgeben. Wieder war es das Haus Jecker und Comp., welches die Ausgabe vermittelte, diesmal aber seine Vorschüsse auf die bescheidene Summe von kaum 500.000 Dollar oder von 1 bis 2 Prozent auf den Dollar beschränkte. Wieder wußten sich die Schweizer Bankiers ihres mexikanischen Eigentums möglichst rasch zu entledigen, und wieder fielen die Obligationen in die Hände jener "hervorragenden" Franzosen, worunter einige Habitues des imperialistischen Hofes, deren Namen ebensolange fortleben werden als die Affäre Mirès, in den Annalen der europäischen Börsen.

Diese Schuld also von 52.000.000 Dollars, worauf bisher noch nicht 4.200.000 Dollars vorgeschossen worden sind, verweigert die Administration des Präsidenten Juárez anzuerkennen, einerseits, weil sie nichts davon wisse, andererseits, weil die Herren Miramón, Zuloaga und Peza-y-Peza keine konstitutionelle Vollmacht zur Kontrahierung einer solchen Staatsschuld besessen hätten. Die obenerwähnten "hervorragenden" Franzosen jedoch wußten am entscheidenden Ort die umgekehrte Ansicht durchzusetzen. Lord Palmerston seinerseits ward rechtzeitig von einigen Parlamentsmitgliedern unterrichtet, daß die ganze Affäre zu höchst widrigen Inter- |498| pellationen im Unterhaus führen würde. Es sei unter anderm die Frage zu befürchten, ob die britische Land- und Seemacht verwendet werden dürfe, um die Spieloperationen gewisser rouge-et-noir-Politiker jenseits des Kanals zu unterstützen. Palmerston ergriff daher begierig die Konferenz von Orizaba, um sich aus einem Handel zurückzuziehen, der in eine internationale Affäre Mirès zu verschmutzen droht.