Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 502-503.

1. Korrektur.
Erstellt am 25.10.1998.

Karl Marx

Ein Vertrag gegen den Sklavenhandel


["Die Presse" Nr. 140 vom 22. Mai 1862]

|502| London, 18. Mai 1862

Der am 7. April dieses Jahres in Washington zwischen den Vereinigten Staaten und England abgeschlossene Vertrag zur Unterdrückung des Sklavenhandels wird jetzt von den amerikanischen Zeitungen in extenso |ausführlich| mitgeteilt. Die Hauptpunkte dieses wichtigen Dokuments sind folgende: Das Durchsuchungsrecht ist wechselseitig, kann aber auf beiden Seiten nur von solchen Kriegsschiffen ausgeübt werden, die spezielle Vollmacht zu diesem Zweck von einer der kontrahierenden Mächte erhalten haben. Die kontrahierenden Mächte liefern einander von Zeit zu Zeit eine vollständige Statistik des Teiles ihrer Marine, der zur Überwachung des Negerhandels bestimmt ist. Das Durchsuchungsrecht kann nur gegen Kauffahrteischiffe ausgeübt werden, innerhalb der Entfernung von 200 Meilen von der afrikanischen Küste, südlich vom 32. Grad nördlicher Breite und innerhalb 30 Seemeilen von der Küste von Kuba. Durchsuchung, sei es englischer Schiffe von amerikanischen Kreuzern oder amerikanischer Schiffe von englischen Kreuzern, findet nicht statt in dem Teil der See (also drei Seemeilen von der Küste), der zum englischen oder amerikanischen Territorium gehört; ebensowenig vor den Häfen oder Ansiedlungen fremder Mächte.

Gemischte Gerichtshöfe, zur Hälfte aus Engländern, zur Hälfte aus Amerikanern zusammengesetzt, in Sierra Leone, in der Kapstadt und in New York residierend, werden über die gekaperten Schiffe aburteilen. Im Falle der Verurteilung des Schiffes wird die Schiffsmannschaft, soweit dies ohne außerordentliche Unkosten geschehen kann, der Gerichtsbarkeit der Nation ausgeliefert, unter deren Flagge das Schiff segelte. Nicht nur die Schiffsmannschaft (Schiffskapitän, Steuermann usw. eingeschlossen), son- |503| dern auch die Eigentümer des Schiffes werden dann den landesüblichen Strafen verfallen. Entschädigungen für Kauffahrteifahrer, die von den gemischten Gerichten freigesprochen worden, sind innerhalb eines Jahres von der Macht zu erstatten, unter deren Flagge das kapernde Kriegsschiff segelte. Als legaler Grund zum Kapern von Schiffen gilt nicht nur die Anwesenheit von gefangenen Negern, sondern auch für den Negerhandel speziell getroffene Vorrichtungen in der Bauart des Schiffes, Handfesseln, Ketten und sonstige Instrumente zur Sicherung der Neger, endlich Mundvorräte, die in keinem Verhältnis zu den Bedürfnissen der Schiffsmannschaft stehen. Ein Schiff, auf dem dergleichen verdächtige Artikel sich vorfinden, hat den Beweis seiner Unschuld zu liefern und kann selbst im Falle der Freisprechung keine Entschädigung beanspruchen.

Der Befehlshaber eines Kreuzers, der seine vertragsmäßige Vollmacht überschreitet, ist von seiner respektiven Regierung zur Strafe zu ziehen. Sollte der Befehlshaber eines Kreuzers einer der kontrahierenden Mächte den Verdacht hegen, daß ein Kauffahrteischiff unter der Eskorte eines oder mehrerer Kriegsschiffe der anderen kontrahierenden Macht Neger an Bord führt oder im afrikanischen Sklavenhandel engagiert war oder für denselben ausgerüstet ist, so hat er seinen Verdacht dem Befehlshaber der Eskorte mitzuteilen und gemeinschaftlich mit ihm das verdächtige Schiff zu untersuchen, welches letztere zur Residenz eines der gemischten Gerichtshöfe abzuführen ist, wenn es vertragsmäßig unter die Kategorie der verdächtigen Schiffe fällt. Die an Bord verurteilter Schiffe befindlichen Neger werden zur Verfügung der Regierung gestellt, unter deren Flagge der Fang gemacht wurde. Sie sind unmittelbar in Freiheit zu setzen und bleiben frei unter Garantie der Regierung, in deren Territorium sie sich befinden. Der Vertrag kann erst nach zehn Jahren aufgelöst werden. Er bleibt in Kraft für ein volles Jahr nach dem Termin der Kündigung seitens einer der kontrahierenden Parteien.

Der Negerhandel hat durch diesen englisch-amerikanischen Vertrag - das Resultat des Amerikanischen Bürgerkriegs - einen tödlichen Stoß erhalten. Die Wirkung des Vertrags wird vervollständigt werden durch die von Senator Sumner kürzlich eingebrachte Bill, die das Gesetz von 1808 über den Handel in Negern an den Küsten der Vereinigten Staaten widerruft und den Sklaventransport von einem Hafen der Vereinigten Staaten zum andern als Verbrechen bestraft. Diese Bill paralysiert zum großen Teil den Handel, den die negerzüchtenden Staaten (border slave states) mit den negerkonsumierenden Staaten (den eigentlichen slave states) trieben.