Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1863

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 605-620.

Friedrich Engels

Die englische Armee

Geschrieben Anfang 1864.
Nach der Handschrift.


|605| Die "Allg[emeine] Mil[itär] Z[ei]t[un]g" hat vor kurzem in einer ausführlichen Besprechung des Werkchens von Petrie und James die Organisation der englischen Armee, und seitdem in einem andern Artikel die Stellung dieses Heers im englischen Staate geschildert. Es bleibt nun noch übrig, diese Armee selbst in ihrer geschichtlichen Entwicklung in den letzten siebenzig Jahren, in ihrer jetzigen Erscheinung, ihrem Material, ihrem inneren Dienstbetrieb, ihrer taktischen Ausbildung und ihren eigentümlichen Gefechtsformen zu betrachten. Dies ist der Zweck der gegenwärtigen Zeilen.

Die englische Armee bietet für den militärischen Beobachter ganz besondres Interesse. Sie ist die einzige der Welt, die noch an der alten Lineartaktik steif und starr festhält, insofern wenigstens, daß sie Kolonnen im Feuerbereich der Infanterie (ausgenommen im Defilégefecht) nie gekannt hat. Sie feuert nicht nur in Linie, sie greift auch mit dem Bajonett nur in Linie an. Trotzdem - oder vielleicht ebendeswegen - ist sie unleugbar diejenige Armee, die die wenigsten Niederlagen erlitten hat, Es ist jedenfalls der Mühe wert, die Kampfweise einer solchen Armee näher zu untersuchen, namentlich jetzt, wo zum Erstaunen der ganzen Welt das unmöglich Geglaubte möglich wird: daß England uns Deutschen mit Krieg droht.

I

Wir fangen natürlich mit der Infanterie an. Der robur peditum |Die Elite-Infanterie| ist die Hauptstärke und der Hauptstolz der englischen Armee. Seit William Napier ist es Glaubensartikel geworden in ganz England, daß das Massenfeuer einer englischen Linie dem jeder andern Truppe überlegen, und daß das |606| britische Bajonett unwiderstehlich ist, und wahr ist es, daß die Engländer, wie freilich andere Leute auch, ihre Siege vor allem der Infanterie verdanken.

Die englische Infanterie hat 3 Garderegimenter mit 7 Bataillonen, 109 Linienregimenter, wovon Nr. 1 bis 25 zwei Bataillone, Nr. 60 (Jäger) 4 Bataillone und die übrigen jedes nur ein Bataillon haben. Dazu die Jägerbrigade mit 4 Bataillonen, im ganzen 141 Bataillone. Die Zahl der Bataillone im Linienregiment, ob eins oder zwei, richtet sich lediglich nach dem Bedürfnis; sobald die Umstände es erlauben, werden die zweiten Bataillone der ersten 25 Regimenter sicher wieder aufgelöst. Das Avancement der Offiziere geht auch im Regiment voran, woraus dann häufig fatale Störungen entstehen, wenn z.B. wie jetzt beim 13. Regt. das erste Bataillon in Jamaica, das andre in Neuseeland steht.

Als Reserve- und Elitetruppen gelten vor allem die Garden und die acht hochschottischen Regimenter, die ihrem Ruf auch stets Ehre gemacht haben. Als leichte Infanterie gelten 9 sogenannte "leichte" und 5 "Füsilier"-Regimenter, doch unterscheiden sie sich nur durch wenige Abzeichen von der Linie, und nur die 8 Jägerbataillone sind wirkliche leichte Infanterie. Die Regimenter Nr. 101 bis 109, ehemalige europäische Regimenter der Ostindischen Kompanie, dienen nur in Indien.

Außer diesen 141 Bataillonen britischer Infanterie gibt es im Inlande noch verschiedne Korps, auf die wir später zurückkommen, und in den Kolonien:

In Nordamerika: 1 Bataillon und 2 Kompanien britische Truppen

1.350 Mann

in Westindien: 4 Bat. Neger und Mulatten

3.700 Mann

Auf St. Helena: 1 britisches Bataillon

560 Mann

Auf Malta: eingeborne Festungsartillerie

560 Mann

Am Kap der Guten Hoffnung: berittene Jäger, 5/6 Hottentotten, 1/6 Europäer, meist Deutsche und Schweizer

900 Mann

In Ceylon: 3 Bat. eingeborne Jäger

1.460 Mann

8.610 Mann

Endlich in Indien die eingeborne Armee. 151 Bataillone mit im ganzen an 110.000 Mann. Diese Truppen sind mit wenig Ausnahmen von britischen Offizieren geführt und in ihrer ganzen Organisation der englischen Linie sehr ähnlich. Nur die indische Armee hat aus der Zeit der Ostindischen Kompanie her noch manches Eigentümliche; sie kennt z.B. den Stellenkauf nicht, wenigstens nicht offiziell, obgleich indirekt ähnliche Dinge dort auch vorkommen.

|607| Von der englischen Infanterie waren am 5. Februar d.J. in Indien 58 Bataillone, in China 3, auf Mauritius (Isle-de-France) 2, am Kap 4, in Kanada und den übrigen nordamerikanischen Besitzungen 12, in Bermuda 1, Westindien 2, Neuseeland (wegen des Kriegs mit den Eingebornen) 10, Gibraltar 5, den Ionischen Inseln 4, Malta 5, in England und auf der Heimfahrt 42. Von diesen letzteren waren in London 6, im Lager von Aldershot 9, in Portsmouth, Plymouth und Dover 10, in Jersey 1, im Innern von England 2, in Schottland 2, in Irland 10, auf der Rückreise 2. Man sieht hier den mächtigen Beistand, den die Flotte der Armee gewährt; ohne ihren Schutz und die raschen Transportmittel, die sie gewährt, wären diese schwachen Garnisonen bei weitem nicht ausreichend. Wo aber die Flotte nur wenig Schutz gewähren kann, wie in Indien und Kanada, da finden wir starke Besatzungen, und ebenso in den strategischen Positionen im Mittelmeer, wo man sich auf Kämpfe mit europäischen Truppen gefaßt machen muß.

Früher war es Regel, die Garden nur im Kriegsfall außer Landes zu schicken; jetzt befinden sich indes zwei Bataillone in Kanada.

Die Gesamtstärke der aktiven Infanterie beträgt jetzt 133.500 Mann; also 884 Mann durchschnittlich per Bataillon, die in 10 Kompanien eingeteilt sind, jede mit einem Hauptmann, einem Lieutenant und einem Fähnrich (ensign, gleich unserm Sekondelieutenant). Außerdem hat jedes Bataillon, mit Ausnahme der Garden, noch zwei Depotkompanien zur Einübung der Rekruten; 6 bis 8 dieser Depots werden in ein Depotbataillon vereinigt, deren es 23 gibt, in der Gesamtstärke von etwa 18.000 Mann. Diese Depots stehen alle im Inlande, meist an oder nahe der See. Die Gesamtstärke der englischen Infanterie ist also etwas über 150.000 Mann.

II

Die Offiziere rekrutieren sich aus allen gebildeten Klassen der Nation. Viel theoretische Schulbildung wird von den Aspiranten nicht verlangt; die vorgeschriebnen Examina machen Anforderungen, über die ein preußischer Portepeefähnrich lächeln würde. Man sucht indes mehr und mehr junge Leute aus der Militärschule zu Sandhurst in die Armee zu bringen, namentlich dadurch, daß man denen, die das beste Examen machen, Fähnrichsstellen ohne Kauf überweist. Sprachkenntnisse werden nur wenige verlangt, und dabei ist dem Aspiranten eine große Freiheit der Wahl zwischen mehreren europäischen und indischen Sprachen gelassen; die mathemati- |608| schen Anforderungen sind äußerst niedrig; dagegen wird auf gute, klare, einfache Ausdrucksweise in englischen Aufsätzen praktischer Art weit mehr gesehn als bei uns, wo fast jede deutsche Armee ihr apartes Deutsch schreibt, und nicht immer das Deutsch des gesunden Menschenverstandes. Daß man nicht nach politischen Meinungen inquiriert, versteht sich in einem Lande von selbst, wo die beiden Hauptparteien in der Aristokratie fast gleich vertreten sind; die größte Soldatenfamilie Englands, die Napiers, bestand und besteht fast aus lauter Radikalen. Im allgemeinen wird mehr auf männlichen Charakter gesehn als auf Kenntnisse, und da der englische Offizier mit Sicherheit darauf rechnen kann, in alle Enden der Welt kommandiert und bald ins Feuer geführt zu werden, so kann man sich wohl denken, daß die englische Armee nicht in dem Grade, wie manche andre, eine Versorgungsanstalt für Leute wird, denen fast alle körperlichen und moralischen Eigenschaften zum Soldaten fehlen. Dies letztere ist aber auch die Hauptgarantie für ein gutes Offizierkorps; denn trotz aller obigen schönen Regeln existiert nirgends mehr Nepotismus und Familienbevorzugung als in der englischen Armee. Ohne einflußreiche Verbindungen kommt niemand in das Offizierkorps, und ohne Geld kommt niemand voran, der nicht das Glück hat, daß sein Vormann im Gefecht erschossen wird. Allerdings gibt es auch hier ehrenvolle Ausnahmen; ein gewisser Schuhmacherssohn aus Glasgow starb voriges Jahr als Feldmarschall Lord Clyde, nachdem er das verlorne Indien wiedererobert hatte; aber der arme Colin Campbell hatte dafür auch schon 1807 den Feldzug gegen Buenos Aires als Offizier mitmachen müssen und war 1854, als er nach der Krim ging, erst Oberst. Und ohne einen entfernten Verwandten, der ein Regiment kommandierte, wäre er nie Offizier geworden.

Die englischen Offiziere bilden, namentlich im Lande selbst, ein sehr exklusives Korps. Sie haben sogar, wie in Preußen, einen eignen Dialekt oder vielmehr Akzent, und verkehren nur sehr wenig mit den Bürgern ihrer Garnisonstädte. Zu dieser Abgeschlossenheit trägt bei, daß die unverheirateten Offiziere in der Kaserne (d.h. einem separaten Nebengebäude im Kasernenhof) wohnen und am gemeinsamen Offizierstisch teilnehmen müssen. In einem Lande, wo die Armee in allen Strafsachen, die nicht streng militärischer Natur sind, unter der bürgerlichen Gerichtsbarkeit steht, ist dies Zusammenwohnen in der Kaserne eine Notwendigkeit. Die jungen Offiziere werden für tolle Streiche draußen in der Stadt, welche sie mit den Zivilbehörden in Kollision bringen könnten, streng bestraft; dafür herrscht aber auch eine ziemlich große Freiheit in der Kaserne selbst. Weiblicher Besuch aller Art geht aus und ein, es wird tüchtig gezecht und gespielt, und |609| die jungen Herren spielen sich untereinander die derbsten Späße mit. Wenn sich ein Duckmäuser unter sie verläuft, desto schlimmer für ihn. Vor einigen Jahren führten diese in einigen Regimentern bis zum Exzeß getriebenen practical jokes |derben Späße| zu skandalösen Kriegsrechtsverhandlungen, und seitdem sind strenge Verordnungen dagegen erlassen; in der Wirklichkeit aber werden derartige Scherze meist ganz gern gesehn, nur muß eben der öffentliche Skandal vermieden werden. Zum Offizierstisch steuert die Regierung 25 Pfund Sterling per Kompanie jährlich bei; derselbe soll anständig, aber sparsam gehalten werden und die unbemittelten Offiziere nie in den Fall setzen, Ausgaben über ihre Kräfte hinaus zu machen. Trotzdem aber ist Gelegenheit genug zum Geldausgeben da, und die Wucherjuden reiten mit Wechseln und Ehrenscheinen hier ebensoviel junge Offiziere ins Unglück wie anderswo.

Diese Lebensweise gibt dem äußeren Auftreten des englischen Offiziers sein Gepräge. Gegenüber dem Zivil - obgleich er außer Dienst fast immer Zivilkleider trägt - ist er meist vornehm zurückhaltend; anmaßendes, vorlautes Wesen gegenüber Bürgerlichen findet sich als Ausnahme wohl in Garnisonsstädten wie Portsmouth oder in Schießschulen, wo viele Offiziere zusammen sind und den Ton angeben. Im allgemeinen hat der Offizier zu beweisen, daß er "ein Offizier und ein Gentleman" ist; er kann jeden Augenblick vor ein Kriegsgericht gestellt, entlassen und selbst kassiert werden "wegen eines für einen Offizier und Gentleman unpassenden Betragens", und dies geschieht ohne alle Gnade, sobald ein Offizier durch seine öffentliche Aufführung einen Skandal hervorgerufen hat, es sei denn, er danke vorher freiwillig ab. Vertuschungen öffentlicher Skandalgeschichten, wie solche in Deutschland unsres Wissens vorgekommen sind, sind in England nicht möglich, und der Geist der Armee kann dabei nur gewinnen.

Das Recht der Offiziere, außer Dienst Zivilkleider zu tragen, so ungewohnt es uns Deutschen auch ist, hat doch seine sehr guten Seiten, und daß es keineswegs ungünstig auf den militärischen Geist der Offiziere einwirkt, beweist England hinlänglich. Übrigens ist zu bemerken, daß in den Hauptgarnisonsorten, wie Chatham, Portsmouth usw., wo viel Dienst ist, die Offiziere auch seltener in Zivil erscheinen. Das Duell ist aus der englischen Armee gänzlich verschwunden. Das letzte Duell zwischen zwei Offizieren fand vor zwanzig Jahren zwischen zwei Schwägern, einem Major und einem Lieutenant, statt; der Major fiel, |610| der Lieutenant wurde wegen der vorhergegangenen unerhörten Provokation von den Geschwornen freigesprochen. Die Ansichten von Ehre, welche man - und niemand eifriger als Wellington selbst - in dem englischen Offizierkorps durchgesetzt hat, beruhen auf der Grundanschauung: daß derjenige, welcher einen andern ohne Grund beleidigt, sich selbst, nicht aber den Beleidigten, entehrt; und daß er seine Ehre nur dadurch wiederherstellen kann, daß er sein Unrecht, soweit es in seiner Kraft steht, wiedergutmacht. Wer also einen Kameraden zuerst insultiert, fällt damit unter die Anklage des eines Gentleman unwürdigen Betragens, wenn er sein Unrecht nicht wiedergutmacht, oder wenn der Insult überhaupt der Art ist, daß er nicht wiedergutgemacht werden kann; ein Kriegsgericht bringt die Sache bald in Ordnung. Diese Anschauungsweise mag in gewissen Kreisen, besonders der preußischen Armee, befremdlich genug erscheinen, sie hat aber sicher den gesunden Verstand mehr auf ihrer Seite, als dies bei dem phantastisch übertriebnen Duell-Point d'honneur |Ehrenduell| mancher Leute der Fall ist. Daß das militärische Ehrgefühl dabei ganz gut bestehen kann, beweisen die englischen Offiziere selbst, die in dieser Beziehung keinen Vergleich zu scheuen haben.

Das Avancement geschieht im Regiment durchweg nach dem Dienstalter, verbunden mit Stellenkauf, und zwar so: Sobald eine Vakanz eintritt, hat der älteste Offizier des folgenden Grades die Wahl, ob er sie kaufen will oder nicht; schlägt er sie aus, was nur bei Mangel an Geldmitteln geschieht, so kommt der Zweitälteste an die Reihe usw. Dieser Stellenkauf ist unbedingt eine der schlechtesten Einrichtungen in der englischen Armee, ein Punkt, mit dem ausländische Soldaten sich nie versöhnen werden. Die Sache bleibt abgeschmackt und verwerflich, selbst wenn man alle die Milderungsgründe gelten läßt, die die Engländer zu ihrer Verteidigung anführen: daß dadurch jüngere Offiziere rascher in höhere Stellen rücken, daß es eine altüberkommene Einrichtung ist, die schwer abzuschaffen ist, usw. Es ist und bleibt eine Schande für die englische Armee, daß sie dies System nicht hat überwinden können, und es schadet dem Geist des Offizierkorps unbedingt im höchsten Grad, daß tüchtige Offiziere in niedern Graden versauern müssen, weil sie eben nur ihre Gage, aber kein Kapital haben.

Der Preis eines Fähnrichs- (d.h. Unterlieutenants-) Patents ist bei der Linien-Infanterie 450 Pfd.St. (3.000 Taler); will der Fähnrich zum Lieutenant avancieren, so muß er weitere 250 Pfd. (1.700 Tlr.) zahlen; für das Hauptmannspatent weitere 1.100 Pfd. (7.030 Tlr.); Majorspatent weitere 1.400 Pfd. |611| (9.030 Tlr.); Oberstlieutenantspatent noch 1.300 Pfd. (8.700 Tlr.). Dies Patent ist also summa summarum 4.540 Pfd.St. oder über 30.000 Taler wert, die der Besitzer auch von seinem Nachfolger zurückerhält, sobald er zum Obersten avanciert. In der Garde und der Kavallerie sind die Preise noch weit höher; in der Artillerie und im Genie findet kein Stellenkauf statt. Stirbt der Offizier, so ist das ganze angelegte Kapital verloren, und der nächste im Dienstalter rückt ohne Kauf an seine Stelle. Vom Obersten an findet kein Kauf mehr statt; jeder Oberstlieutenant, der 3 Jahre im aktiven Dienst als solcher gestanden hat, wird von Rechts wegen Oberst. Es ist bei Kassation verboten, mehr als den festgestellten Preis für eine Offiziersstelle zu zahlen, doch geschieht dies durchweg.

Da übrigens die Anforderungen zum Fähnrichsexamen gar keine militärischen Kenntnisse in sich schließen, so findet vor dem Aufrücken zum Lieutenant und Hauptmann noch ein besondres Examen statt, das sich auf den praktischen Dienst, die Dienstvorschriften, die Militärgesetzgebung und das Exerzitium beschränkt. Theoretische Kenntnisse in der Taktik werden nicht verlangt.

Die Offiziere in der Garde haben höheren Rang; der Fähnrich den des Lieutenants, der Lieutenant den des Hauptmanns, der Hauptmann den des Oberstlieutenants. Dies setzt viel Ärger in der Linie.

Das Avancement von Unteroffizieren zu Offizieren kommt nur in Ausnahmsfällen vor. In jedem Bataillon fällt die Hauptroutinearbeit drei Offizieren zu: dem Adjutanten, dem Quartiermeister und dem Zahlmeister. Zu diesen Posten werden daher häufig alte verläßliche Unteroffiziere genommen, die dann auch nie über den ihnen gratis erteilten Lieutenantsrang hinausrücken. Sonst findet Beförderung zum Offizier nur in seltnen Fällen statt für besondre Auszeichnung vor dem Feinde. Der Charakter der englischen Werbearmee, der eine sehr starke Mischung von niedrigen und rohen Elementen bedingt, der davon abhängige Ton unter der Truppe und die dabei notwendige Art der Disziplin macht es nötig, daß die Offiziere von vornherein einer höheren Gesellschaftsklasse angehören als die Soldaten. Der Abstand zwischen Offizier und Soldat ist daher in England größer als irgendwo anders. Daher ist die Beförderung von der Pike auf hier sehr erschwert und wird, solange einerseits der Stellenkauf und andrerseits das Werbsystem dauert, immer nur seltne Ausnahme bleiben. Daß gebildete junge Leute als Freiwillige in die Armee treten, um auf Avancement zu dienen, wie dies in Preußen und Frankreich so häufig geschieht, kann in England nicht vorkommen; der Charakter der Truppe ist eben der Art, daß man allgemein glauben würde, der junge Mann habe aus ganz andren |612| Motiven, die er lieber verschweigt, zum Soldatenhandwerk gegriffen. Es ist also ganz begreiflich, daß das englische Offizierskorps fast ausschließlich aus Leuten besteht, die als Gentlemen erzogen sind, und daß die Masse der Soldaten mehr Respekt vor Offizieren hat, die schon von vornherein ihre "natürlichen Vorgesetzten" sind, wie man in England sagt.

Dementsprechend ist auch der Ton, der zwischen Offizieren und Soldaten herrscht, kalt und geschäftsmäßig. Die beiden Klassen sind eben nur durch das Verhältnis des Befehlens und Gehorchens miteinander verbunden. Es fallen weder Vertraulichkeiten und Späße noch Ausbrüche der Leidenschaft vor. Lob und Tadel werden den Soldaten von den Offizieren nur selten direkt erteilt und dann stets mit derselben ruhigen Geschäftsstimme. Dies bezieht sich natürlich nur auf das dienstliche Verhältnis beim Exerzieren usw.; unter der Hand können die englischen Offiziere fluchen |Die folgenden zwei Worte sind unleserlich| ..., wovon ihre Burschen genug erzählen könnten.

Eine der englischen Armee ganz eigentümliche Einrichtung ist die, wonach ein Offizier zweierlei Rang haben kann: einen niederen in seinem Regiment und einen höheren in der Armee. Dieser zweite Rang, wenn er permanent und unbedingt erteilt ist, heißt Brevet-Rang. So kann ein Hauptmann in der Armee Brevet-Major oder Brevet-Oberstlieutenant sein; es ist sogar schon vorgekommen (namentlich bei Kommandeurs indischer irregulärer Truppen), daß sie in ihrem Regiment nur Lieutenants, in der Armee aber Majore waren. Ein solcher Hauptmann und Brevet-Major tut in seinem Regiment Hauptmannsdienst, zählt aber für den Dienst in der Garnison oder dem Lager als Stabsoffizier. Dieser höhere Rang kann auch nur für eine gewisse Zeit oder für eine gewisse Kolonie oder Kriegsschauplatz erteilt werden. So wurden in den letzten 10 Jahren manche Obersten für die Dauer des Krimkriegs oder auch für die Dauer ihres Aufenthalts in der Levante zu "Brigadier-Generälen" oder auch "General-Majors" ernannt, und ebenso in Indien. Es ist dies System ein Mittel, trotz der Anciennität einzelne begünstigte oder besonders brauchbare Leute in höhere Stellungen zu bringen; es hat aber, wie auf der Hand liegt, viele Unannehmlichkeiten und Verwirrung zur Folge. Den Franzosen in der Krim konnten die Engländer es nie begreiflich machen, daß ein Mann gleichzeitig Hauptmann und Major sein könne. Im Avancement gilt die Regel, daß niemand Hauptmann werden kann, der nicht mindestens zwei Jahre als Fähnrich und Lieutenant seinen vollen Dienst getan, niemand Major, der nicht sechs Jahre Offizier war.

|613| Die militärische Ausbildung der Offiziere, welche nicht von der Sandhurster Schule herkommen, geschieht in der Pelotons- und Kompanieschule ganz wie die der Soldaten; erst nach einem Examen vor dem Bataillonskommandeur werden sie vom Exerzieren befreit und zum Dienst als Offiziere zugelassen. Sämtliche Subaltern-Offiziere eines Bataillons werden jährlich einmal, ehe der Frühjahrs-Exerzierkursus des Bataillons beginnt, unter Befehl eines Stabsoffiziers in einem Zug vereinigt und müssen in dieser Gestalt, die Büchse in der Hand, die Mannes-, Pelotons- und Kompanieschule vollständig durchexerzieren. Doch mag dies meist wohl nur sehr oberflächlich geschehen.

III

Die Unteroffiziere und Soldaten werden bekanntlich durch Werbung ergänzt, und zwar ausschließlich in Großbritannien und Irland. Nur das 100. Regiment läßt in Kanada werben. Der Werbedienst steht unter dem General-Adjutanten der Armee und wird auf doppelte Weise betrieben: Erstens können die einzelnen Regimenter und Depotbataillone in ihren eignen Garnisonen werben lassen. Zweitens besteht unabhängig hiervon ein organisierter Werbedienst über das ganze Land, für welchen Zweck er in neun Werbbezirke geteilt ist (England 4, Schottland 2, Irland 3). Jeder Distrikt steht unter einem inspizierenden Stabsoffizier (gewöhnlich Brevet-Oberst) und wird nötigenfalls in kleinere Kreise unter Lieutenants oder Hauptleuten geteilt. - Im ganzen werden für diesen Dienst verwandt: 8 Stabsoffiziere, 9 Adjutanten, 9 Zahlmeister, 9 Ärzte, 11 rekrutierende Subaltern-Offiziere (auf Halbsold), 8 Feldwebel, 48 Sergeanten und eine angemessene Anzahl Soldaten. Außerdem rekrutiert die Garde noch ausschließlich zu ihrer eignen Ergänzung. Jeder Rekrut hat das Recht, sich das Korps zu wählen, bei dem er eintreten will. Als frommer Wunsch wird ausgesprochen, daß jedes Korps möglichst in derjenigen Grafschaft sich ergänzen soll, deren Namen es trägt. Ausländer sollen nur mit besonderer Erlaubnis angenommen werden, weshalb man sie häufig als "Schotten" passieren läßt.

In Kriegszeiten muß die Miliz hauptsächlich als Pflanzschule für die Linie dienen; auf eine jedesmal festzustellende Anzahl Leute, die aus der Miliz in die Linie treten, erhält ein Offizier des betreffenden Milizregiments ein Patent in der Linie. Während der indischen Rebellion 1857 ging man sogar so weit, jedem damaligen oder früheren Stabsoffizier, der 1.000 Rekruten zusammenbrachte, das Oberstlieutenants-Patent zu geben.

|614| Jeder Rekrut oder Kapitulant erhält seine volle Equipierung gratis und ein Handgeld, das nach dem Bedarf an Rekruten wechselt, das aber nie unter 1 Pfund, und sehr selten über 10 Pfund Sterling (67 Tlr.) beträgt. Es ist auch für verschiedne Truppenteile häufig verschieden; für die Genietruppen wird am meisten bezahlt, da hier nur die besten Leute verwendbar sind. Das Handgeld wird teilweise bei der Attestation, größtenteils aber erst beim Eintritt ins Regiment und nach Annahme des Rekruten durch dessen Chef ausbezahlt. Diese Attestation besteht darin, daß der Rekrut nicht eher als 24 Stunden nach der Anwerbung vor den Polizeirichter geführt wird und hier eidlich erklärt, daß er freiwillig eingetreten und daß seinem Eintritt in das Heer kein gesetzliches Hindernis entgegenstehe.

Für die Kavallerie, Artilleriefahrer, Genietruppen, Train und für die in Indien, China, Australien und St. Helena stehende Infanterie werden Rekruten im Alter von l 8 bis 25 Jahren, für die übrige Artillerie und Infanterie von 17 bis 25 Jahren angenommen. Die Körpergröße ist festgestellt wie folgt:

Kavallerie;

Gardekürassiere: 5'10" bis 6'.

Schwere Dragoner-Regimenter: 5'8" bis 5'11".

Mittlere Dragoner und Ulanen: 5'7" bis 5'9".

Husaren: 5'6" bis 5'8".

Artillerie;

Kanoniere: Minimum 5'7", wenn unter 18 Jahren, 5'6".

Fahrer: 5'4" bis 5'6".

Handwerker: Minimum 5'6".

Infanterie;

Minimum Garde: 5'81/2", Linie 5'6".

' = Fuß, '' = Zoll

Doch ist dies Minimum sehr variabel; jede ernsthafte Kriegsgefahr zwingt die Regierung sofort, es herabzusetzen, und selbst der Umstand, daß durch Verkürzung der Dienstzeit von 12 auf 10 Jahre in der nächsten Zeit sehr viele Soldaten frei werden, war hinreichend, die Regierung vor wenigen Wochen zu veranlassen, das Minimum für die Infanterie auf 5'5" zu reduzieren. Im allgemeinen wird auch hier, wie anderwo, das Maß immer mehr herabgesetzt, obwohl begreiflicherweise bei einer Werbe-Armee man sich immer noch durchschnittlich größere Soldaten verschaffen kann als bei allgemeiner Dienstpflicht oder Konskription. Daß dies auch in England der Fall ist, sieht man aus obigen Zahlen, die sich leicht auf rheinisches Maß reduzieren lassen, wenn man bei 5' bis 5'6", 21/4 Zoll und bei 5'7" bis 6', 21/2" in Abzug bringt, was hinreichend genau ist.

|615| Außer der Größe ist auch das Minimum des Brustumfangs bestimmt, welches bei 5'6" bis 5'8", 33 Zoll; [5']8" bis [4']10", 34 Zoll; über 5'10", 35 Zoll beträgt. Fahrkanoniere, Trainsoldaten und Schützen müssen unter allen Umständen 34" Brustumfang haben. Doch werden Fahrkanoniere auch dann angenommen, wenn sie diese Bedingungen nicht vollständig erfüllen, dagegen mit Pferden umzugehn gewohnt sind.

Zu Trommlern und Hornisten werden Knaben von mindestens 14 Jahren mit Einwilligung ihrer Eltern angeworben. Sie erhalten kein Handgeld.

Die Dienstzeit beträgt 10 Jahre für die Infanterie, 12 für Kavallerie, Artillerie, Genie und Train, nach deren Ablauf der Austretende, wenn er noch tüchtig befunden wird, auf weitere 11 Jahre in der Infanterie, 9 Jahre in den andern Truppengattungen, kapitulieren kann. Nach Ablauf dieser zweiten Kapitulation kann er auf dreimonatliche Kündigung weiterdienen. Befindet sich das Korps beim Ablauf der Dienstzeit im Auslande, so hat der die Station kommandierende Offizier das Recht, sie bis zu zwei Jahren zu verlängern.

Jeder Soldat von guter Führung erhält in der Regel die Erlaubnis, sich freizukaufen. Die Loskaufsumme richtet sich nach der bereits geleisteten und noch zu leistenden Dienstzeit, nach der Aufführung etc. und beträgt im Maximum in der Kavallerie 30 Pfd., in der Infanterie 20 Pfd., für farbige Soldaten in den Kolonialkorps 12 Pfd.

Nach 21jährigem Dienst ist jeder Soldat pensionsberechtigt. Der Betrag der Pension richtet sich nach der Dienstzeit, der Aufführung und den während des Dienstes erworbenen körperlichen Gebrechen; er ist für Soldaten und Unteroffiziere mindestens 8 Pence (6 Sgr. 8 Pf.) und höchstens 3 Schill. 6 Pence (1 Tlr. 5 Sgr.) täglich. Unter Umständen wird auch bei kürzerer Dienstzeit Pension bewilligt.

Die Werbesergeanten mit ihren beigegebenen Soldaten halten sich meist in den schlechteren Vierteln der großen Städte auf und beobachten hauptsächlich die Wirtshäuser. Oft auch ziehen sie, mit Bändern an der Mütze, in Begleitung einiger Trommler und Pfeifer in Prozession durch die Straßen, ziehen so eine Volksmenge an und suchen darunter zu fischen. Findet sich das gesuchte Wild darunter, so wird es baldmöglichst ins Wirtshaus gelockt, wo dann alle Künste aufgeboten werden, dasselbe zur Annahme des symbolischen Schillings zu bewegen, welche den Kontrakt festmacht. Hat der neue Ruhmeskandidat diesen Schilling erst genommen, so kann er sich gegen Zahlung eines "Schmerzensgeldes" (smart-money) von einem Pfd.St. vor dem Polizeirichter wieder frei machen. Das Gesetz schreibt zwar vor, daß der angehende Held nach Verlauf von mindestens 24 Stunden nach der |616| Anwerbung vor diesem Richter erklären muß, daß er freiwillig eintritt und auf seinem Entschlusse beharrt. Das Gesetz nimmt hierbei ganz richtig an, daß der Angeworbene in der Regel nicht nüchtern ist, wenn er den Schilling nimmt, und sucht ihm so Gelegenheit zu geben, erst wieder nüchtern zu werden. Es müßte aber ein schlechter Werbesergeant sein, der sich sein Wild so leicht entgehen ließe. Er und seine Leute lassen den Rekruten nicht aus den Augen, und ehe er vor den Richter kommt, haben Schnaps und Bier ihre Wirkung schon wieder hinreichend getan. Das Beste dabei ist, daß ein großer Teil der Zeche gewöhnlich vom Rekruten selbst bezahlt wird, für den der Sergeant auf Rechnung des Handgelds flott vorschießt. Unter diesen Umständen ist es naiv, aber richtig, wenn ausdrücklich vorgeschrieben ist: Zum Rekrutierungsdienst sollen nur unverheiratete Soldaten und Trommler, und nur im äußersten Notfall verheiratete Sergeanten, jedenfalls aber nur gesunde, kräftige Leute genommen werden. Wer nicht gut zechen kann, taugt für diesen Dienst nicht.

Man glaubt sich förmlich ins achtzehnte Jahrhundert zurückversetzt, wenn man diese Werberei sieht. Trotz der schützenden Förmlichkeiten, womit das Gesetz diese Praxis eingeschränkt hat, steht es doch fest, daß weitaus der größte Teil der "ganz aus Freiwilligen bestehenden englischen Armee" sehr unfreiwillig in diese Anstalt gerät; ob im Durchschnitt zu seinem schließlichen eignen Besten, ist eine andre Frage.

Welche Bestandteile der Nation auf diese Weise in die Armee kommen, ist einleuchtend genug. Das Heer bleibt in großem Maß, wie unsre früheren Werbeheere, ein refugium peccatorum |Zufluchtsort für Sünder|, in dem der größere und bessere Teil aller abenteuernden Elemente des Volks sich zusammenfindet, um hier durch einen scharfen Exerzierkursus und eine sehr strenge Disziplin gebändigt zu werden. Die englische Armee steht daher auch, was ihren moralischen und intellektuellen Charakter angeht, weit unter allen denen, welche durch Konskription (selbst mit Stellvertretung) oder gar durch allgemeine Wehrpflicht ohne Stellvertretung gebildet werden. Nur die französische Fremdenlegion und die sonst hauptsächlich durch Stellvertreter gebildeten französischen Korps, wie die Zuaven, können mit ihr auf ähnliche Linie gestellt werden; obwohl sich nicht leugnen läßt, daß die ganze französische Armee durch die steigende Begünstigung der Berufssoldaten in Reih und Glied sich mehr und mehr dem Charakter der englischen nähert. Aber selbst der französische Remplaçant steht an gesellschaftlicher, äußerlicher Bildung weit über den rohen wüsten Burschen aus dem Ab- |617| schaum der großen Städte, welche in den englischen Kasernen den Ton angeben. In die französische Armee kann doch noch ein gebildeter junger Mann als Freiwilliger eintreten, um auf Avancement zu dienen, ohne daß ihm die Prüfungszeit als gemeiner Soldat gar zu unerträglich vorkommt; in England müßte einer wahnsinnig sein, um diesen Schritt zu tun. So stolz der Engländer auf seine Armee als Ganzes ist, so verachtet ist noch immer der einzelne gemeine Soldat; selbst in den unteren Volksschichten gilt es noch immer für einigermaßen unrühmlich, sich anwerben zu lassen oder einen Soldaten zum Verwandten zu haben. Übrigens hat sich der Charakter der Angeworbenen in den letzten zehn Jahren unleugbar sehr gebessert. Man sucht über die Antezedenzien der Rekruten möglichste Aufklärung sich zu verschaffen und entschieden schlechte Subjekte fernzuhalten. Die starken Werbungen, die der Krimkrieg und die indische Rebellion nötig machten, erschöpften bald die verkommene Klasse, aus der sich das Heer während der langen Friedenszeit in der Regel ergänzt hatte. Man mußte nicht nur das Maß heruntersetzen (einmal bis auf 5'3" für die Infanterie), sondern auch das Soldatenleben anziehender machen und den Ton in den Kasernen zu heben suchen, damit auch die solidere Arbeiterklasse in den Bereich der Werbung gezogen werden konnte. Der Mangel an tauglichen Subjekten für die vielen neuen Unteroffiziersstellen (im Krimkrieg wurden die Bataillone beinahe auf doppelte Stärke gesetzt) kam noch dazu. Auch sah man ein, daß eine Kriegführung, wie die Wellingtons in Spanien, mit obligater Plünderung aller erstürmten Festungen, jetzt in Europa nicht mehr an der Zeit sei. Die Presse nahm sich der Soldaten an, und bald wurde es Mode unter den höheren Offizieren, die Philanthropie auf die Truppen auszudehnen. Man bemühte sich, den Soldaten das Leben angenehmer zu machen, ihnen für die Mußestunden die Mittel zur Zerstreuung und Selbstbeschäftigung in der Kaserne oder im Lager zu verschaffen und sie von den Wirtshäusern fernzuhalten. So entstanden, besonders in den letzten sieben Jahren, meist durch Privatsubskription, Bibliotheken, Lesezimmer, Gesellschaftszimmer mit allerlei Spielen, Soldatenklubs usw. In den Lagern wurde nach französischem Muster den Soldaten, wo möglich, etwas Gartenland angewiesen, Versuche mit theatralischen Vorstellungen und Vorlesungen gemacht und von Zeit zu Zeit Ausstellungen von allerlei kleinen, von ihnen verfertigten Kunstprodukten u.a. arrangiert. Alle diese Sachen sind erst in der Kindheit, werden aber immer allgemeiner. Sie sind auch durchaus nötig. Die Rekruten während der Feldzüge in der Krim und in Indien standen unbedingt auf einer weit höheren Stufe als die bisherigen, da beide Kriege bei den Massen sehr populär waren. Sie haben den Ton in der |618| Armee sehr gebessert. Die Berührung mit den französischen Soldaten in der Krim tat auch das ihrige. Es handelt sich jetzt darum, diesen Geist zu erhalten, damit man auch während einer längeren Friedenszeit ähnliche bessere Rekruten bekommt und nicht wieder ausschließlich auf die im Frieden immer zuerst sich anbietenden, vagabundierenden Elemente der Bevölkerung angewiesen bleibt.

Trotzdem bilden die letzteren immer noch den größeren Teil der Truppe, und danach sind alle Einrichtungen getroffen. Eine englische Kaserne mit Nebengebäuden und Hof ist nach allen Seiten von hohen Mauern umgeben, welche in der Regel nur ein Tor haben. Ein separates Gebäude enthält die Offizierswohnungen, eins oder mehrere andre die der Soldaten. Wo das Soldatenquartier Fenster nach der Straße hat, wird bei neueren Anlagen dieser Teil des Gebäudes meist mit einem tiefen Graben und starken Eisenzaun am äußern Grabenrand abgeschlossen. In großen Städten findet man, namentlich bei Milizkasernen, welche ein Zeughaus enthalten (die Miliz ist bloß 4 Wochen im Jahr versammelt), die ganze Straßenfront des Gebäudes mit Gewehrscharten statt Fenstern und die Flügelecken mit für Gewehr-Flankierung eingerichteten kleinen Türmen versehen - ein Beweis, daß man Arbeiteraufstände doch nicht für so unmöglich hält. In diesem großen Kasernengefängnis verbringt der Soldat sein Leben mit Ausnahme seiner Freistunden. Der Zugang für Bürgerliche wird streng überwacht, und das ganze Gebäude ist gegen Einsicht von außen möglichst defiliert, so daß der Soldat möglichst unter Kontrolle gehalten und von Zivilisten abgesondert wird. Der gemütliche Verkehr zwischen Bürgern und Soldaten, der in Deutschland so allgemein ist, die Leichtigkeit des Zutritts in die Kaserne für jeden, fehlen hier gänzlich, und damit keine dauernden Verbindungen geknüpft werden können, wechseln die Garnisonen in der Regel jährlich.

Die gewöhnlichsten Disziplinarvergehen lassen sich aus dem Charakter der Armee leicht erraten. Es sind Trunkenheit, Abwesenheit nach dem Zapfenstreich ohne Erlaubnis, Diebstahl von Kameraden, Schlägereien, Widersetzlichkeit und tätliches Vergreifen an Vorgesetzten. Die leichteren Vergehen straft der Bataillonskommandeur summarisch. Er hat ausschließliche Strafgewalt, doch kann er den Kompaniechefs Strafgewalt bis zu drei Tagen Kasernenarrest delegieren. Seine eigne Strafgewalt erstreckt sich auf: 1. Gefängnis bis zu 7 Tagen, mit oder ohne Einzelhaft, mit oder ohne Strafarbeit. Soldaten, die hierzu verurteilt werden, haben das Recht, vom Bataillonschef an ein Kriegsgericht zu appellieren. 2. Einsperrung in dunkler Zelle (black-hole) bis zu 48 Stunden. 3. Kasernenarrest bis zu |619| einem Monat, wobei der Arrestant allen Dienst und außerdem noch alle ihm vom Kommandeur übertragnen Extra-Arbeiten verrichten muß. Außerdem zieht jeder Kasernenarrest Strafexerzieren mit vollem Gepäck bis zu 14 Tagen nach sich. Das Strafexerzieren soll nie länger als eine Stunde auf einmal dauern, kann aber bis viermal täglich wiederholt werden. In den Fällen ad 2 und 3 kann der Kommandeur Appell an ein Kriegsgericht gestatten. Einsame oder dunkle Einsperrung sollen möglichst für Fälle von Trunkenheit, Schlägerei und Insolenz gegen Vorgesetzte aufgespart, und können in schweren Fällen mit Kasernenarrest in der Weise kombiniert werden, daß die ganze Periode des Arrests einen Monat nicht überschreitet.

Wie man sieht, hat ein englischer Bataillonschef Mittel genug in Händen, unter seinen wilden Burschen Ordnung zu halten. Reichen diese Mittel nicht hin, so schafft ein Kriegsgericht Rat, wo dann in letzter Instanz dem rebellischen Gesellen die neunschwänzige Katze winkt. Dies ist eins der barbarischsten Züchtigungswerkzeuge, welche es gibt: eine kurzstielige Peitsche mit neun langen, harten und knotigen Schnüren. Der Sträfling, bis auf die Hüften nackt, wird in ein dreieckiges Gestell gebunden und die Hiebe mit der äußersten Kraft erteilt. Schon der erste Hieb zerfetzt die Haut und holt Blut. Nach wenig Hieben wird Peitsche und Peitschenführer gewechselt, damit dem Delinquenten ja nichts geschenkt werde. Der Arzt steht natürlich immer dabei. Fünfzig solcher Hiebe machen immer eine langwierige Kur im Lazarett nötig. Und doch finden sich häufig Leute, die diese fünfzig ohne einen Schmerzenslaut ertragen, weil es für eine größere Schande gilt, den Schmerz zu zeigen als die Hiebe zu bekommen.

Bis vor zwölf Jahren wurde die Katze sehr häufig angewandt, und es waren bis zu 150 Hieben gestattet. Wenn ich nicht irre, konnte auch bis um dieselbe Zeit der Regimentskommandeur summarisch eine gewisse Anzahl Hiebe erteilen lassen. Dann wurde die Zahl auf 50 Hiebe beschränkt und die Befugnis, sie zu diktieren, ausschließlich den Kriegsgerichten überwiesen. Endlich, nach dem Krimkrieg, wurde besonders auf Veranlassung des Prinzen Albert die preußische Einteilung der Soldaten in zwei Klassen eingeführt und bestimmt, daß nur Soldaten, welche bereits wegen früherer Vergehen in die zweite Klasse versetzt worden und sich nicht durch ein Jahr tadelloser Dienstzeit wieder in die erste Klasse aufgeschwungen hätten, für ein neues Vergehen körperlich gezüchtigt werden können. Dieser Unterschied hört jedoch vor dem Feind auf; hier wird wieder jeder gemeine Soldat der Peitsche unterworfen. Im Jahre 1862 wurden in der Armee 126 Mann körperlich gezüchtigt, wovon 114 die höchste gesetzliche Zahl von 50 Hieben erhielten.

|620| Im allgemeinen sieht man, daß sowohl das Bedürfnis wie die Lust, die Peitsche anzuwenden, sehr abgenommen haben, und da dieselben Ursachen in der Armee noch fortwirken, ist anzunehmen, daß dies auch fernerhin der Fall sein und die Katze mehr und mehr als ein exzeptionelles, äußerstes Schreckmittel gelten wird, das man für schlimme Fälle vor dem Feind in Reserve hält. Man hat eben gesehen, daß der Appell an das Ehrgefühl der Soldaten mehr hilft als entehrende Strafen, und darüber ist in der ganzen englischen Armee nur eine Stimme, daß ein gepeitschter Soldat nachher nie mehr etwas wert ist. Trotzdem wird man in England sobald nicht zur vollständigen Abschaffung der Katze kommen. Wir alle wissen, wie stark die Vorurteile für körperliche Strafen gewesen sind und teilweise noch sind, selbst in Armeen, die aus weit besseren sozialen Elementen bestehen als die englische; und bei einer Werbearmee hat ein solches äußerstes Schreckinstrument noch am ehesten seine Entschuldigung. Darin aber haben die Engländer sicher recht, wenn einmal Körperstrafe sein soll, daß sie sie nur als äußerstes Mittel, dann aber auch sehr ernsthaft, anwenden. Die ewige Stockprügelei in gelindem Maßstabe, wie sie in manchen und leider auch deutschen Armeen noch vorkommt, und die nur dazu dienen kann, die Furcht vor dieser Strafe abzuschwächen ... |Hier bricht die Handschrift ab|