Inhaltsverzeichnis Rezensionen des Ersten Bandes "Das Kapital" 1867

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 214-215.

1. Korrektur.
Erstellt am .

Friedrich Engels

[Rezension
des Ersten Bandes "Das Kapital"
für die "Elberfelder Zeitung"]

Geschrieben am 22. Oktober 1867.


["Elberfelder Zeitung" Nr. 302 vom 2. November 1867]

Karl Marx über das Kapital
(Hamburg, Verlag von Otto Meißner, 1. Band, 1867)

|214| Fünfzig Bogen gelehrter Abhandlung, um uns zu beweisen, daß das gesamte Kapital unserer Bankiers, Kaufleute, Fabrikanten und großen Grundbesitzer nichts weiter ist als angesammelte und unbezahlte Arbeit der Arbeiterklasse! Wir erinnern uns, daß im Jahre 1849 die "Neue Rheinische Zeitung", im Namen der schlesischen Bauern, die Forderung einer "schlesischen Milliarde" aufstellte. Tausend Millionen Taler, so wurde behauptet, sei der Betrag, der bei der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Feudaldienste allein den schlesischen Bauern unrechtmäßig entzogen und in die Tasche der großen Grundbesitzer geflossen sei, und dieser Betrag wurde zurückgefordert. Aber die Herren von der weiland "Neuen Rheinischen Zeitung" sind wie die selige Sibylle mit ihren Büchern; je weniger man ihnen bietet, desto mehr fordern sie. Was sind tausend Millionen Taler gegen diese kolossale Rückforderung, die jetzt im Namen der gesamten Arbeiterklasse gemacht wird - denn so müssen wir es doch wohl verstehen! Ist das sämtliche angesammelte Kapital der besitzenden Klassen weiter nichts als "unbezahlte Arbeit", so scheint ja direkt daraus zu folgen, daß diese Arbeit nachträglich bezahlt, das heißt das gesamte fragliche Kapital an die Arbeit übertragen wird. Es würde sich da freilich zunächst noch darum handeln, wer dann eigentlich befugt wäre, es in Empfang zu nehmen. Doch Spaß beiseite! So radikalsozialistisch das vorliegende Buch auch zu Werke geht, so derb und schonungslos es auch nach allen Seiten gegen Leute auftritt, die sonst für Autoritäten gelten, so müssen wir doch gestehen, daß es eine äußerst gelehrte und auf strengste Wissenschaftlichkeit |215| Anspruch machende Arbeit ist. Es ist schon häufig davon in der Presse die Rede gewesen, daß Marx die Resultate seiner langjährigen Studien in einer Kritik der gesamten bisherigen Nationalökonomie zusammenfassen und damit den sozialistischen Bestrebungen die wissenschaftliche Unterlage geben wolle, die ihnen bisher weder Fourier noch Proudhon, noch auch Lassalle zu geben vermochte. Diese Arbeit ist in der Presse schon lange und oft angekündigt worden. 1859 erschien bei Duncker in Berlin ein "erstes Heft", welches sich aber nur über Materien verbreitete, die kein unmittelbar praktisches Interesse hatten, und welches daher auch wenig Aufsehen erregte. Die folgenden Hefte erschienen nicht, und die neue sozialistische Wissenschaft schien ihre Geburtswehen nicht überleben zu sollen. Wie viele Witze sind nicht über diese neue Offenbarung gemacht worden, die so oft angekündigt wurde und doch nie und nimmer in die Welt treten zu wollen schien! Nun gut, hier endlich ist der "erste Band" - fünfzig Druckbogen wie gesagt -, und niemand kann ihm nachsagen, daß er nicht des Neuen, Kühnen, Verwegenen genug und übergenug enthält und daß dasselbe nicht in durchaus wissenschaftlicher Form vorgetragen wird. Marx appelliert mit seinen ungewohnten Sätzen dieses Mal nicht an die Massen, sondern an die Männer der Wissenschaft. An diesen ist es, die hier in ihren Grundlagen angefochtenen Gesetze ihrer ökonomischen Theorie zu verteidigen, den Beweis zu liefern, daß das Kapital zwar aufgesammelte Arbeit, aber nicht aufgesammelte unbezahlte Arbeit ist. Lassalle war ein praktischer Agitator, und es mochte genügen, ihm in der praktischen Agitation, in der Tagespresse, in Versammlungen gegenüberzutreten. Hier aber handelt es sich um eine systematische, wissenschaftliche Theorie, und hier kann die Tagespresse nicht mitentscheiden, hier kann nur die Wissenschaft das letzte Wort sprechen. Es ist zu hoffen, daß Leute wie Roscher, Rau, Max Wirth usw. diese Gelegenheit ergreifen, um das Recht der bisher allgemein anerkannten politischen Ökonomie gegen diesen neuen und sicher nicht verächtlichen Angriff zu verteidigen. Die sozialdemokratische Saat ist unter der jüngeren Generation und der Arbeiterbevölkerung an gar manchen Orten aufgegangen - sie wird durch dies Buch ohnehin neue Nahrung genug finden.