Inhaltsverzeichnis Rezensionen des Ersten Bandes "Das Kapital" 1868

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 288-309.

1. Korrektur.
Erstellt am .

Friedrich Engels

[Rezension
des Ersten Bandes "Das Kapital"
für die "Fortnightly Review"]

Geschrieben zwischen dem 22. Mai und 1. Juli 1868.
Nach der Handschrift.
Aus dem Englischen.


Karl Marx über das Kapital (1)

|288| Herr Thomas Tooke weist in seinen Untersuchungen über Umlaufsmittel auf die Tatsache hin, daß das Geld in seiner Funktion als Kapital zu seinem Ausgangspunkt zurückfließt, während dies bei Geld, das die Funktion bloßer Zirkulationsmittel ausübt, nicht der Fall ist. Diese Unterscheidung (die jedoch lange zuvor von Sir James Steuart getroffen wurde) dient Herrn Tooke bloß als ein Glied in seiner Argumentation gegen die "Currency-Leute" und ihre Behauptungen über den Einfluß der Ausgabe von Papiergeld auf die Warenpreise. Unser Verfasser dagegen macht diese Unterscheidung zum Ausgangspunkt für seine Untersuchung über die Natur des Kapitals selbst und besonders für die Frage: Wie wird Geld, diese selbständige Form des Wertes, in Kapital verwandelt?

Alle Sorten von Geschäftsleuten, sagt Turgot, haben das gemein, daß sie kaufen, um zu verkaufen; ihre Käufe sind ein Vorschuß, der ihnen später wieder zurückfließt.

Kaufen, um zu verkaufen - dies ist in der Tat die Transaktion, worin Geld als Kapital funktioniert und die seinen Rückfluß zu seinem Ausgangspunkt bedingt, im Gegensatz zum Verkaufen, um zu kaufen, worin Geld nur als Umlaufsmittel zu funktionieren braucht. So wird ersichtlich, daß die verschiedene Reihenfolge, worin die Akte von Verkauf und Kauf aufeinanderfolgen, dem Geld zwei verschiedene Zirkulationsbewegungen aufdrückt. Um diese beiden Prozesse zu veranschaulichen, gibt unser Verfasser folgende Formel:

Verkaufen, um zu kaufen: eine Ware W wird gegen Geld G getauscht, das wieder gegen eine andere Ware W getauscht wird; oder W - G - W.

|289| Kaufen, um zu verkaufen: Geld wird gegen eine Ware getauscht und diese wieder gegen Geld: G - W - G.

Die Formel W - G - W stellt die einfache Warenzirkulation dar, in welcher Geld als Zirkulationsmittel, als Geld funktioniert. Diese Formel wird im ersten Kapitel dieses Buches analysiert, das eine neue und sehr einfache Wert- und Geldtheorie enthält, die wissenschaftlich äußerst interessant ist, welche wir jedoch hier außer Betracht lassen, da sie im ganzen für das, was wir für das Wesentliche in den Ansichten des Herrn Marx über Kapital halten, nebensächlich ist.

Die Formel G - W - G andererseits stellt jene Form der Zirkulation dar, in welcher sich Geld in Kapital verwandelt.

Der Prozeß des Kaufs für den Verkauf G - W - G kann offensichtlich in G - G aufgelöst werden; er ist indirekter Austausch von Geld gegen Geld. Angenommen, ich kaufe für 1.000 Pfd. St. Baumwolle und verkaufe sie für 1100 Pfd.St., so habe ich schließlich 1.000 Pfd.St. gegen 1.100 Pfd.St. ausgetauscht, Geld gegen Geld.

Wenn dieser Prozeß nun immer den Rückfluß der gleichen Summe Geldes zur Folge hätte, die ich vorgeschossen habe, so wäre es absurd. Aber, ob der Kaufmann, der 1.000 Pfd.St. vorgeschossen hat, 1.100 Pfd.St., 1.000 Pfd.St. oder gar nur 900 Pfd.St. realisiert, sein Geld hat doch eine von der Formel W - G - W ganz verschiedene Bewegung beschrieben; einer Formel, die bedeutet, verkaufen, um zu kaufen, etwas verkaufen, was man nicht braucht, um das kaufen zu können, was man braucht. Vergleichen wir die beiden Formeln.

Jeder Prozeß besteht aus zwei Phasen oder Akten, und diese zwei Akte sind in beiden Formeln die gleichen; doch zwischen den beiden Prozessen selbst besteht ein großer Unterschied. In W - G - W bildet das Geld nur den Vermittler; die Ware, der Gebrauchswert, den Ausgangs- und Schlußpunkt. In G - W - G bildet die Ware das Zwischenglied, während Geld Anfang und Ende bildet. In W - G - W wird das Geld definitiv ausgegeben; in G - W - G wird es nur vorgeschossen, es soll wiedererlangt werden. Es fließt zu seinem Ausgangspunkt zurück, und hier haben wir den ersten sinnlich wahrnehmbaren Unterschied der Zirkulation von Geld als Geld und der von Geld als Kapital.

Im Prozeß des Verkaufs für den Kauf W - G - W kann das Geld nur durch die Wiederholung des Gesamtprozesses zu seinem Ausgangspunkt zurückfließen, durch den Verkauf frischer Waren. Der Rückfluß ist also vom Prozeß selbst unabhängig. In G - W - G dagegen ist dieser Rückfluß eine Notwendigkeit und von vornherein beabsichtigt; wenn er nicht statt |290| findet, ist irgendwo eine Stockung eingetreten, und der Prozeß bleibt unvollständig.

Der Verkauf für den Kauf hat den Erwerb von Gebrauchswert zum Ziel; der Kauf für den Verkauf den Erwerb von Tauschwert.

In der Formel W - G - W sind die beiden Extreme, ökonomisch ausgedrückt, identisch. Sie sind beide Waren; sie sind darüber hinaus von gleicher Wertgröße, denn die ganze Werttheorie setzt voraus, daß normalerweise nur Äquivalente ausgetauscht werden. Gleichzeitig sind diese zwei Extreme W - W qualitativ verschiedene Gebrauchswerte, und gerade deshalb werden sie getauscht. Im Prozeß G - W - G scheint die ganze Operation auf den ersten Blick sinnlos. 100 Pfd.St. gegen 100 Pfd.St. austauschen, und noch auf einem Umweg, scheint absurd. Eine Geldsumme kann sich von einer anderen Geldsumme nur durch ihre Größe unterscheiden. G - W - G kann daher nur durch die quantitative Verschiedenheit seiner Extreme einen Sinn erhalten. Der Zirkulation muß mehr Geld entzogen werden, als man in sie hineingeworfen hatte. Die für 1.000 Pfd.St. gekaufte Baumwolle wird verkauft zu 1.100 Pfd.St. = 1.000 Pfd.St. + 100 Pfd.St.; die diesen Prozeß darstellende Formel verwandelt sich also in G - W - G', wo G' = G + D G, G plus einem Inkrement, ist. Dieses D G, dies Inkrement, nennt Herr Marx Mehrwert (2). Der ursprünglich vorgeschossene Wert erhält sich nicht nur, sondern er setzt sich ein Inkrement zu, er verwertet sich, und dieser Prozeß verwandelt Geld in Kapital.

In der Zirkulationsform W - G - W kann zwar auch Wertverschiedenheit der Extreme bestehen, doch solcher Umstand ist hier völlig unwesentlich, die Formel wird nicht absurd, wenn beide Extreme Äquivalente sind. Im Gegenteil, dies ist eine Bedingung ihres normalen Charakters.

Die Wiederholung von W - G - W wird durch Umstände eingeschränkt, die gänzlich außerhalb des Tauschprozesses liegen: durch die Bedürfnisse der Konsumtion. In G - W - G dagegen sind Anfang und Ende, qualitativ betrachtet, dasselbe, und eben dadurch ist oder kann die Bewegung endlos sein. Zweifellos ist G + D G verschiedene Quantität von G; aber doch auch bloß eine beschränkte Geldsumme. Würde sie verausgabt, so hörte sie auf Kapital zu sein; würde sie der Zirkulation entzogen, so bliebe sie als Schatz stationär. Ist das Bedürfnis der Verwertung des Werts einmal gegeben, so existiert dieses Bedürfnis so gut für G' wie für G; die Bewegung des Kapitals wird eine ständige und endlose, weil ihr Ziel am Ende jedes einzelnen |291| Prozesses ebenso unerreicht ist wie zuvor. Die Durchführung dieses endlosen Prozesses verwandelt den Geldbesitzer in einen Kapitalisten.

Die Formel G - W - G scheint nur auf das Kaufmannskapital anwendbar. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das gegen Waren getauscht und gegen mehr Geld wieder eingetauscht wird. Zweifellos tritt in diesem Falle eine Anzahl von Operationen zwischen Kauf und Verkauf, Operationen, die außerhalb der reinen Zirkulationssphäre liegen; doch sie ändern nichts am Wesen des Prozesses. Andererseits stellt sich der gleiche Prozeß im zinstragenden Kapital in seiner abgekürztesten Form dar. Hier schrumpft die Formel auf G - G' zusammen, Wert, der gleichsam größer ist als er selbst.

Doch woher stammt dies Inkrement von G, dieser Mehrwert? Unsere vorangegangenen Untersuchungen über die Natur der Waren, des Werts, des Geldes und der Zirkulation selbst lassen diese Frage nicht nur ungeklärt, sondern scheinen sogar jede Zirkulationsform auszuschließen, die im Ergebnis zu so etwas wie einem Mehrwert führt. Der ganze Unterschied zwischen der Warenzirkulation (W - G - W) und der Zirkulation von Geld als Kapital (G - W - G) scheint in einer einfachen Umkehrung des Prozesses zu bestehen. Wie sollte diese Umkehrung ein so seltsames Ergebnis bewirken können?

Noch mehr: Diese Umkehrung existiert nur für einen der drei an dem Prozeß Beteiligten. Als Kapitalist kaufe ich Ware von A und verkaufe sie wieder an B. A und B treten nur als einfache Verkäufer und Käufer von Waren auf. Ich selbst trete bei dem Kauf von A nur als Geldbesitzer auf und bei dem Verkauf an B nur als Warenbesitzer; doch in keiner dieser Transaktionen trete ich als Kapitalist auf, als Repräsentant von etwas, das mehr als Geld oder Ware ist. Für A begann die Transaktion mit einem Verkauf, für B mit einem Kauf. Wenn von meinem Standpunkt eine Umkehrung der Formel W - G - W eintritt, so ist dies von ihrem Standpunkt nicht der Fall. Überdies kann nichts A daran hindern, seine Ware ohne meine Vermittlung an B zu verkaufen, und dann bestünde keine Aussicht auf irgendeinen Mehrwert.

Angenommen, A und B kaufen das, was sie brauchen, direkt voneinander. Was Gebrauchswert angeht, können beide gewinnen. A kann sogar mehr von seiner speziellen Ware produzieren, als B in derselben Zeit produzieren könnte, und vice versa, wobei beide gewinnen würden. Doch mit dem Tauschwert ist das anders. In diesem Falle werden gleiche Wertgrößen ausgetauscht, ob nun Geld als Mittler dient oder nicht.

Abstrakt betrachtet, das heißt abgesehen von allen Umständen, die nicht aus den immanenten Gesetzen der einfachen Warenzirkulation abzuleiten |292| sind, geht in dieser einfachen Zirkulation außer dem Ersatz eines Gebrauchswerts durch einen anderen nur ein Formwechsel der Ware vor sich. Derselbe Tauschwert, dasselbe Quantum vergegenständlichter gesellschaftlicher Arbeit bleibt in der Hand des Warenbesitzers, sei es in Gestalt dieser Ware selbst oder des Geldes, wofür sie verkauft wird, oder in Gestalt der für das Geld gekauften zweiten Ware. Dieser Formwechsel schließt ebensowenig eine Änderung der Wertgröße ein, wie das Auswechseln einer Fünfpfundnote gegen fünf Sovereigns. Sofern es sich nur um einen Formwechsel des Tauschwerts handelt, müssen Äquivalente ausgetauscht werden, zumindest wenn der Prozeß in seiner reinen Gestalt und unter normalen Bedingungen vor sich geht. Waren können zu Preisen verkauft werden, die über oder unter ihren Werten liegen, aber nur, wenn das Gesetz des Warenaustausches verletzt wird. In seiner reinen und normalen Gestalt ist der Warenaustausch daher kein Mittel zur Bildung von Mehrwert. Daher entspringt der Irrtum aller Ökonomen, die versuchen, den Mehrwert aus dem Warenaustausch abzuleiten, wie z.B. Condillac.

Nehmen wir aber an, daß der Prozeß nicht unter normalen Bedingungen vor sich geht und daß Nichtäquivalente ausgetauscht werden. Nehmen wir an, daß z.B. jeder Verkäufer seine Ware zehn Prozent über ihrem Wert verkauft. Ceteris paribus |Unter sonst gleichen Umständen| verliert jeder als Käufer wieder, was er als Verkäufer gewonnen hat. Es wäre genau das gleiche, als wenn der Geldwert um 10 Prozent gesunken wäre. Das Gegenteil, doch mit dem gleichen Ergebnis, träte ein, wenn alle Käufer ihre Waren 10 Prozent unter deren Wert kauften. Wir kommen der Lösung um keinen Deut näher, wenn wir annehmen, daß jeder Warenbesitzer als Produzent die Waren über ihrem Wert verkauft und sie als Konsument über ihrem Wert kauft.

Die konsequenten Vertreter der Illusion, daß der Mehrwert aus einem nominellen Preiszuschlag auf die Waren entspringt, unterstellen immer die Existenz einer Klasse, die kauft, ohne je zu verkaufen, die konsumiert, ohne zu produzieren. In diesem Stadium unserer Untersuchung ist die Existenz einer solchen Klasse noch unerklärlich. Doch nehmen wir an, es gibt sie. Woher erhält diese Klasse das Geld, um beständig zu kaufen? Offensichtlich von den Warenproduzenten auf Grund beliebiger Rechts- oder Gewaltstitel, ohne Austausch. Einer solchen Klasse Waren über ihrem Wert verkaufen, heißt nichts anderes, als umsonst weggegebenes Geld zum Teil wieder zurückbekommen. Auf diese Weise haben die Städte Kleinasiens, als sie an die Römer Tribut zahlten, einen Teil des Geldes zurück- |293| bekommen, indem sie die Römer beim Handel prellten; aber dennoch waren diese Städte die Geprellten. Dies ist also keine Methode der Bildung von Mehrwert.

Nehmen wir den Fall der Prellerei an. A verkauft an B Wein zum Wert von 40 Pfd.St. gegen Getreide zum Wert von 50 Pfd.St. A hat 10 Pfd.St. verdient und B hat 10 Pfd.St. verloren, doch haben beide zusammen nur 90 Pfd.St. wie vorher. Wert wurde übertragen, aber nicht geschaffen. Die ganze Kapitalistenklasse eines Landes kann ihren gesamten Reichtum nicht vergrößern, indem sie sich gegenseitig prellt.

Folglich: Werden Äquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden Nichtäquivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Warenzirkulation schafft keinen neuen Wert. Das ist der Grund, weshalb die beiden ältesten und populärsten Formen des Kapitals, Handelskapital und zinstragendes Kapital, hier gänzlich unberücksichtigt bleiben. Um den durch diese beiden Kapitalformen angeeigneten Mehrwert nicht als das Ergebnis bloßer Prellerei zu erklären, bedarf es einer Anzahl Zwischenglieder, die in diesem Stadium der Untersuchung noch fehlen. Später werden wir sehen, daß beide nur abgeleitete Formen sind, und werden auch feststellen, warum beide historisch lange vor dem modernen Kapital erscheinen.

Der Mehrwert kann also nicht aus der Warenzirkulation entspringen. Aber kann er außerhalb derselben entspringen? Außerhalb der Warenzirkulation ist der Warenbesitzer einfacher Produzent dieser Ware, deren Wert von der nach einem bestimmten gesellschaftlichen Gesetz gemessenen Größe seiner darin enthaltenen eigenen Arbeit bestimmt wird. Dieser Wert wird in Rechengeld ausgedrückt, sagen wir, in einem Preis von 10 Pfd.St. Doch dieser Preis von 10 Pfd.St. ist nicht zugleich ein Preis von 11 Pfd.St.; diese in der Ware enthaltene Arbeit schafft Wert, doch keinen sich verwertenden Wert; sie kann vorhandenem Wert neuen Wert zusetzen, doch nur durch Zusatz von neuer Arbeit. Wie sollte nun der Warenbesitzer außerhalb der Zirkulationssphäre, ohne mit anderen Warenbesitzern in Berührung zu kommen, wie sollte er imstande sein, Mehrwert zu produzieren oder, mit anderen Worten, Ware oder Geld in Kapital zu verwandeln?

"Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen ... Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Warenaustausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so daß der Austausch von äquivalenten als Ausgangspunkt gilt. Unser |294| nur noch als Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muß die Waren zu ihrem Wert kaufen, zu ihrem Wert verkaufen und dennoch am Ende des Prozesses mehr Wert herausziehn als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muß in der Zirkulationssphäre und muß nicht in der Zirkulationssphäre vorgehn. Dies sind die Bedingungen des Problems. Hic Rhodus, hic salta!"

Und nun zur Lösung:

"Die Wertveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll, kann nicht an diesem Geld selbst vorgehn, denn als Kaufmittel und als Zahlungsmittel realisiert es nur den Preis der Ware, die es kauft oder zahlt, während es, in seiner eignen Form verharrend, zum Petrefakt von gleichbleibender Wertgröße erstarrt. Ebensowenig kann die Veränderung aus dem zweiten Zirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Ware, entspringen, denn dieser Akt verwandelt die Ware bloß aus der Naturalform zurück in die Geldform. Die Veränderung muß sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G - W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden äquivalente ausgetauscht, die Ware wird zu ihrem Werte bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d.h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markte, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markte eine solche spezifische Ware vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.

Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert.

Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. Der Warenaustausch schließt an und für sich keine andren Abhängigkeitsverhältnisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als Ware nur auf dem Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren Arbeitskraft sie ist, als Ware feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Ware verkaufe, muß er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein. Er und der Geldbesitzer begegnen |295| sich auf dem Markt und treten in Verhältnis zueinander als ebenbürtige Warenbesitzer, nur dadurch unterschieden, daß der eine Käufer, der andre Verkäufer ist. Die Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, daß der Eigentümer der Arbeitskraft sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn verkauft er sie in Bausch und Bogen, ein für allemal, so verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Warenbesitzer in eine Ware ... Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vorfinde, ist die, daß ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muß.

Damit jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waren verkaufe, muß er natürlich Produktionsmittel besitzen, z.B. Rohstoffe, Arbeitsinstrumente usw. Er kann keine Stiefel machen ohne Leder. Er bedarf außerdem Lebensmittel. Niemand kann von Produkten der Zukunft zehren, also auch nicht von Gebrauchswerten, deren Produktion noch unfertig, und wie am ersten Tage seiner Erscheinung auf der Erdbühne, muß der Mensch noch jeden Tag konsumieren, bevor und während er produziert. Werden die Produkte als Waren produziert, so müssen sie verkauft werden, nachdem sie produziert sind, und können die Bedürfnisse des Produzenten erst nach dem Verkauf befriedigen. Zur Produktionszeit kommt die für den Verkauf nötige Zeit hinzu.

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.

Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Zirkulationssphäre gegenübertritt, interessiert den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abteilung des Warenmarkts vorfindet. Und einstweilen interessiert sie uns ebensowenig. Wir halten theoretisch an der Tatsache fest, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist kein naturgeschichtliches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.

|296| Auch die ökonomischen Kategorien, die wir früher betrachtet, tragen ihre geschichtliche Spur. Im Dasein des Produkts als Ware sind bestimmte historische Bedingungen eingehüllt. Um Ware zu werden, darf das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel für den Produzenten selbst produziert werden. Hätten wir weiter geforscht: unter welchen Umständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die Form der Ware an, so hätte sich gefunden, daß dies nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der kapitalistischen Produktionsweise, geschieht. Eine solche Untersuchung lag jedoch der Analyse der Ware fern. Warenproduktion und Warenzirkulation können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Ware verwandelt, der gesellschaftliche Produktionsprozeß also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwert beherrscht ist ... Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Höhe des Warenaustausches voraus. Die besondren Geldformen, bloßes Warenäquivalent, oder Zirkulationsmittel, oder Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld, deuten je nach dem verschiednen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer oder der andren Funktion auf sehr verschiedne Stufen des gesellschaftlichen Produktionsprozesses. Dennoch genügt erfahrungsmäßig eine relativ schwach entwickelte Warenzirkulation zur Bildung aller dieser Formen. Anders mit dem Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind durchaus nicht da mit der Waren- und Geldzirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte. Das Kapital kündigt daher von vornherein eine neue Epoche des gesellschaftlichen Produktionsprozesses an." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 180-184|

Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun zu untersuchen. Gleich allen anderen Waren besitzt sie einen Tauschwert; dieser Wert wird bestimmt wie der aller anderen Waren: durch die zu ihrer Produktion, also auch Reproduktion, notwendige Arbeitszeit. Der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers in normaler Arbeitsfähigkeit nötigen Lebensmittel. Diese Lebensmittel richten sich nach dem Klima und anderen Naturbedingungen sowie nach einem historisch in jedem Land gegebenen Stand der Lebenshaltung. Sie wechseln, sind aber für ein bestimmtes Land und für eine bestimmte Epoche gegeben. Ferner schließen sie die Lebensmittel für die Ersatzmänner der verbrauchten Arbeiter |297| ein, d.h. für ihre Kinder, so daß diese eigentümliche Art von Warenbesitzern sich verewigen kann. Sie schließen außerdem bei qualifizierter Arbeit die Bildungskosten ein.

Die Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft ist der Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt ihr Preis auf dies Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, da letzterer eine normale Güte der Arbeitskraft, nicht eine verkümmerte, voraussetzt.

Aus der Natur der Arbeit ergibt sich, daß die Arbeitskraft erst nach Abschluß des Verkaufs verbraucht wird; und in allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeit bezahlt, nachdem sie geleistet ist. Überall also kreditiert der Arbeiter dem Kapitalisten. Zu den praktischen Folgen dieses durch den Arbeiter gewährten Kredits führt Herr Marx einige interessante Beispiele aus Parlamentsdokumenten an; bezüglich dieser Beispiele verweisen wir auf das Buch selbst.

Mit der Konsumtion von Arbeitskraft produziert ihr Käufer zugleich Waren und Mehrwert; um dies zu untersuchen, müssen wir die Sphäre der Zirkulation verlassen und uns in die Sphäre der Produktion begeben.

Hier stellen wir sofort fest, daß der Arbeitsprozeß Doppelcharakter besitzt. Einerseits ist er der einfache Prozeß zur Herstellung von Gebrauchswert; als solcher kann und muß er allen historischen Formen der Existenz der Gesellschaft gemeinsam sein; andererseits geht dieser Prozeß, wie bereits erwähnt, unter den spezifischen Bedingungen der kapitalistischen Produktion vor sich. Sie müssen wir jetzt untersuchen.

Der Arbeitsprozeß auf kapitalistischer Grundlage hat zwei Eigentümlichkeiten. Erstens arbeitet der Arbeiter unter der Kontrolle des Kapitalisten, der aufpaßt, daß nichts vergeudet wird und nicht mehr als das gesellschaftlich notwendige Quantum Arbeit für jedes einzelne Produkt aufgewandt wird. Zweitens ist das Produkt Eigentum des Kapitalisten, da der Prozeß selbst zwischen zwei ihm gehörigen Dingen vor sich geht: der Arbeitskraft und den Arbeitsmitteln.

Den Kapitalisten interessiert der Gebrauchswert nur, insofern er die Verkörperung von Tauschwert und vor allem von Mehrwert ist. Sein Ziel besteht darin, eine Ware zu produzieren, deren Wert höher ist als die in ihre Produktion investierte Wertsumme. Wie kann das geschehen?

Nehmen wir eine beliebige Ware, z.B. Baumwollgarn, und analysieren wir das darin vergegenständlichte Quantum Arbeit. Nehmen wir an, daß zur Herstellung von 10 Pfund Garn 10 Pfund Baumwolle im Wert von 10 sh. nötig sind (wobei wir den Abfall außer Betracht lassen). Ferner sind bestimmte Arbeitsmittel erforderlich: eine Dampfmaschine, Kamm- |298| maschinen und andere Maschinerie, Kohle, Schmiermittel etc. Der Einfachheit halber bezeichnen wir das alles als "Spindeln" und nehmen an, daß der Verschleiß, Kohle etc., die nötig sind zur Verspinnung von 10 Pfund Garn, 2 sh. repräsentieren. So haben wir 10 sh. für Baumwolle und 2 sh. für Spindel = 12 sh. Wenn 12 sh. das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen repräsentieren, dann vergegenständlichen Baumwolle und Spindel im Garn zwei Arbeitstage. Wieviel wird nun durch das Spinnen zugesetzt?

Nehmen wir an, daß der Wert der Arbeitskraft per diem |pro Tag| 3 sh. beträgt und daß diese 3 sh. die Arbeit von sechs Stunden repräsentieren. Ferner, daß ein Arbeiter sechs Stunden benötigt, um 10 Pfund Garn zu spinnen. In diesem Falle sind dem Produkt durch Arbeit 3 sh. zugesetzt worden; der Wert der 10 Pfund Garn beträgt 15 sh. oder 1 sh. 6 d. per Pfund.

Dieser Prozeß ist sehr einfach, doch ihm entspringt kein Mehrwert. Das kann auch nicht sein, da in der kapitalistischen Produktion die Dinge nicht so einfach vor sich gehen.

"Sehn wir näher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist. Daß ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine Conditio sine qua non, weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert, als sie selbst hat. Dies ist der spezifische Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Warenaustausches gemäß. In der Tat, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder andren Ware, realisiert ihren Tauschwert und veräußert ihren Gebrauchswert. Er kann den einen nicht erhalten, ohne den andren wegzugeben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebensowenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Öls dem Ölhändler. Der Geldbesitzer hat den Wert per diem der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag |299| wirken, arbeiten kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer."

Der Arbeiter arbeitet also 12 Stunden, spinnt 20 Pfund Garn, das 20 sh. Baumwolle und 4 sh. Spindeln etc. repräsentiert, und seine Arbeit kostet 3 sh., insgesamt 27 sh. Saugten 10 Pfund Baumwolle 6 Arbeitsstunden ein, so haben 20 Pfund Baumwolle 12 Arbeitsstunden eingesaugt, gleich 6 sh. "In den 20 Pfund Garn sind jetzt 5 Arbeitstage vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Baumwoll- und Spindelmasse, 1 von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses. Der Goldausdruck von 5 Arbeitstagen ist aber 30 sh. Dies also der Preis der 20 Pfund Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor 1 sh. 6 d. Aber die Wertsumme der in den Prozeß geworfenen Waren betrug 27 sh. Der Wert des Produkts ist um 1/9 gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschoßnen Wert. So haben sich 27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen Mehrwert von 3 sh. gesetzt. Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.

Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Warenaustausches in keiner Weise verletzt. äquivalent wurde gegen äquivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andre Käufer von Waren tut. Er konsumierte ihren Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsprozeß der Ware, ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den Verwertungsprozeß ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist 'tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles'." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 207-209|

Von der Darlegung der Art und Weise der Produktion des Mehrwerts geht Herr Marx über zu dessen Analyse. Aus dem Vorangegangenen geht hervor, daß nur ein Teil des in einem produktiven Unternehmen angelegten |300| Kapitals direkt zur Produktion von Mehrwert beiträgt, und das ist das für den Ankauf von Arbeitskraft vorgeschossene Kapital. Nur dieser Teil produziert neuen Wert; das in Maschinerie, Rohmaterial, Kohle etc. angelegte Kapital erscheint zwar im Wert des Produkts pro tanto |im Ganzen| wieder, es wird erhalten und reproduziert, doch es kann sich kein Mehrwert aus ihm bilden. Dies veranlaßt Herrn Marx, eine neue Unterteilung des Kapitals vorzuschlagen: in konstantes Kapital, das nur reproduziert wird - der in Maschinerie, Rohmaterial und allen anderen zum Arbeitsprozeß notwendigen Mitteln angelegte Teil; und in variables Kapital, das nicht bloß reproduziert wird, sondern zugleich direkte Quelle von Mehrwert ist - der im Ankauf von Arbeitskraft und in Löhnen angelegte Teil. Daraus wird klar, daß das konstante Kapital nicht direkt zur Produktion von Mehrwert beiträgt, wie notwendig es auch dafür sein mag; und außerdem hat die in einem Produktionszweig angelegte Masse konstanten Kapitals nicht den geringsten Einfluß auf die in diesem Zweig produzierte Mehrwertmasse.(3) Daher kann das konstante Kapital bei der Bestimmung der Rate des Mehrwerts nicht berücksichtigt werden. Diese kann nur bestimmt werden durch den Vergleich der Größe des Mehrwerts mit der Größe des Kapitals, das direkt zur Bildung des Mehrwerts beiträgt, d.h. mit der Größe des variablen Kapitals. Herr Marx bestimmt deshalb die Rate des Mehrwerts als Verhältnis des Mehrwerts lediglich zum variablen Kapital: beträgt der tägliche Preis der Arbeit 3 sh. und der täglich geschaffene Mehrwert ebenfalls 3 sh., so beträgt die Rate des Mehrwerts 100 Prozent. Zu welchen Kuriosa es führen kann, wenn man, wie das gewöhnlich getan wird, konstantes Kapital als aktiven Faktor bei der Produktion von Mehrwert betrachtet, kann man am Beispiel des Herrn N. W. Senior sehen, "als der wegen seiner ökonomischen Wissenschaft und seines schönen Stils berufene Professor von Oxford im Jahre 1836 nach Manchester zitiert wurde, um hier politische Ökonomie zu lernen (von den Baumwollspinnern), statt sie in Oxford zu lehren". |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 237-238|

Die Arbeitszeit, während der der Arbeiter den Wert seiner Arbeitskraft reproduziert, nennt Herr Marx "notwendige Arbeit"; die darüber hinaus gearbeitete Zeit, während der Mehrwert produziert wird, nennt er "Mehrarbeit". Notwendige Arbeit und Mehrarbeit bilden zusammen den "Arbeitstag".

|301| In einem Arbeitstag ist die notwendige Arbeitszeit gegeben; doch die für die Mehrarbeit verwandte Zeit wird durch kein ökonomisches Gesetz festgesetzt, sie kann innerhalb gewisser Schranken länger oder kürzer sein. Sie kann nie gleich null sein, da dann für den Kapitalisten der Anreiz wegfiele, Arbeit zu gebrauchen. Gleichzeitig kann die Gesamtlänge des Arbeitstages aus physiologischen Gründen nie 24 Stunden erreichen. Zwischen einem Arbeitstag von sage 6 und einem von 24 Stunden gibt es jedoch viele Zwischenstufen. Die Gesetze des Warenaustausches verlangen, daß der Arbeitstag nicht länger sei, als mit dem normalen Verschleiß des Arbeiters vereinbar ist. Doch was ist normaler Verschleiß? Wieviel Stunden täglicher Arbeit sind damit vereinbar? In diesem Punkt gehen die Meinungen des Kapitalisten und des Arbeiters weit auseinander, und da es keine höhere Autorität gibt, wird die Frage durch Gewalt entschieden. Die Geschichte der Normierung des Arbeitstages ist die Geschichte eines Kampfes um dessen Schranken - eines Kampfes zwischen dem Gesamtkapitalisten und dem Gesamtarbeiter, zwischen der Klasse der Kapitalisten und der Arbeiterklasse.

"Das Kapital, wie bereits bemerkt, hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Überall, wo ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigner der Produktionsmittel zu produzieren, sei dieser Eigentümer nun atheniensischer kaloz kagadoz |Aristokrat|, etruskischer Theokrat, civis romanus |römischer Bürger, normännischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar, moderner Landlord oder Kapitalist." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 249-259|

Indes ist klar, daß in jeder Gesellschaftsformation, in der der Gebrauchswert des Produkts wichtiger als sein Tauschwert ist, die Mehrarbeit durch einen engeren oder weiteren Kreis von gesellschaftlichen Bedürfnissen beschränkt ist; und daß unter diesen Umständen nicht unbedingt der Wunsch nach Mehrarbeit um ihrer selbst willen besteht. So stellen wir fest, daß im klassischen Altertum Mehrarbeit in ihrer krassesten Form, das Zu-Tode-Arbeiten des Arbeiters, fast ausschließlich in Gold- und Silberbergwerken existierte, wo der Tauschwert in seiner selbständigen Form, als Geld produziert wurde.

"Sobald aber Völker, deren Produktion sich noch in den niedrigren Formen der Sklavenarbeit, Fronarbeit usw. bewegt, hineingezogen werden in einen durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Welt- |302| markt, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, Leibeigenschaft usw. der zivilisierte Greuel der Überarbeit aufgepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen gemäßigt patriarchalischen Charakter, solange die Produktion hauptsächlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem Grade aber wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten, ward die Überarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems ... ähnlich mit der Fronarbeit, z.B. in den Donaufürstentümern." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 250|

Hier wird der Vergleich mit der kapitalistischen Produktion besonders interessant, weil die Mehrarbeit in der Fronarbeit eine selbständige, sinnlich wahrnehmbare Form besitzt.

"Gesetzt der Arbeitstag zähle 6 Stunden notwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit. So liefert der freie Arbeiter dem Kapitalisten wöchentlich 36 Stunden Mehrarbeit. Es ist dasselbe, als arbeite er 3 Tage in der Woche für sich und 3 Tage in der Woche umsonst für den Kapitalisten. Aber dies ist nicht sichtbar. Mehrarbeit und notwendige Arbeit verschwimmen ineinander. Ich kann daher dasselbe Verhältnis z.B. auch so ausdrücken, daß der Arbeiter in jeder Minute 30 Sekunden für sich und 30 Sekunden für den Kapitalisten arbeitet usw. Anders mit der Fronarbeit. Die notwendige Arbeit, die z.B. der walachische Bauer zu seiner Selbsterhaltung verrichtet, ist räumlich getrennt von seiner Mehrarbeit für den Bojaren. Die eine verrichtet er auf seinem eignen Felde, die andre auf dem herrschaftlichen Gut. Beide Teile der Arbeitszeit existieren daher selbständig nebeneinander. In der Form der Fronarbeit ist die Mehrarbeit genau abgeschieden von der notwendigen Arbeit." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 251|

Wir müssen davon absehen, weitere interessante Beispiele der modernen Sozialgeschichte der Donaufürstentümer zu zitieren, durch die Herr Marx beweist, daß die Bojaren, unterstützt durch die russische Intervention, es ebensogut verstehen, Mehrarbeit auszusaugen, wie jeder kapitalistische Unternehmer. Doch was das Règlement organique, durch das der russische General Kisselew den Bojaren fast unbeschränkte Macht über die Arbeit der Bauern gab, positiv ausdrückt, drücken die englischen Fabrikgesetze negativ aus.

"Diese Gesetze zügeln den Drang des Kapitals nach maßloser Aus- |303| saugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staats wegen, und zwar von seiten eines Staats, den Kapitalist und Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Arbeiterbewegung abgesehn, war die Beschränkung der Fabrikarbeit diktiert durch dieselbe Notwendigkeit, welche den Guano auf die englischen Felder ausgoß. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft, hatte in dem andren die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen. Periodische Epidemien sprachen hier ebenso deutlich als das abnehmende Soldatenmaß in Deutschland und Frankreich." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 253|

Um die Tendenz des Kapitals nach Verlängerung des Arbeitstages über jedes vernünftige Maß hinaus zu beweisen, zitiert Herr Marx ausführlich aus den Berichten der Fabrikinspektoren, der Kommission zur Untersuchung der Kinderarbeit, aus den Berichten über öffentliche Gesundheit und anderen Parlamentsdokumenten und resümiert in folgenden Schlußfolgerungen:

"'Was ist ein Arbeitstag?' Wie groß ist die Zeit, während deren das Kapital die Arbeitskraft, deren Wert per diem es zahlt, konsumieren darf? Wie weit kann der Arbeitstag verlängert werden über die zur Reproduktion der Arbeitskraft selbst notwendige Arbeitszeit? Auf diese Fragen, man hat es gesehn, antwortet das Kapital: Der Arbeitstag zählt täglich volle 24 Stunden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne welche die Arbeitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt. Es versteht sich zunächst von selbst, daß der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts ist außer Arbeitskraft, daß daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwertung des Kapitals angehört ... Aber in seinem maßlos blinden Trieb nach Mehrarbeit überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die rein physischen Maximalschranken des Arbeitstags ... Das Kapital fragt nicht nach der Lebensdauer der Arbeitskraft ... Die kapitalistische Produktion produziert die vorzeitige Erschöpfung und Abtötung der Arbeitskraft selbst. Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während eines gegebenen Termins durch Verkürzung seiner Lebenszeit." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 279-281|

Aber ist dies nicht selbst gegen das Interesse des Kapitals? Muß das Kapital nicht im Laufe der Zeit die Kosten dieses unmäßigen Verschleißes ersetzen? Das mag theoretisch der Fall sein. In der Praxis hat der organisierte Sklavenhandel im Innern der Südstaaten den Verschleiß der Arbeitskraft des Sklaven in sieben Jahren zu einem anerkannten ökonomischen |304| Prinzip erhoben; in der Praxis verläßt sich der englische Kapitalist auf die Zufuhr von Arbeitern aus den Landdistrikten.

"Was die Erfahrung dem Kapitalisten im allgemeinen zeigt, ist eine beständige Übervölkerung, d.h. Übervölkerung im Verhältnis zum augenblicklichen Verwertungsbedürfnis des Kapitals, obgleich sie aus verkümmerten, schnell hinlebenden, sich rasch verdrängenden, sozusagen unreif gepflückten Menschengenerationen ihren Strom bildet. Allerdings zeigt die Erfahrung dem verständigen Beobachter auf der andren Seite, wie rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschichtlich gesprochen, kaum von gestern datiert, die Volkskraft an der Lebenswurzel ergriffen hat, wie die Degeneration der industriellen Bevölkerung nur durch beständige Absorption naturwüchsiger Lebenselemente vom Lande verlangsamt wird, und wie selbst die ländlichen Arbeiter, trotz freier Luft und des unter ihnen so allmächtig waltenden Prinzips der natürlichen Auslese, das nur die kräftigsten Individuen aufkommen läßt, schon abzuleben beginnen. Das Kapital, das so 'gute Gründe' hat, die Leiden der es umgebenden Arbeitergeneration zu leugnen, wird in seiner praktischen Bewegung durch die Aussicht auf zukünftige Verfaulung der Menschheit und schließlich doch unaufhaltsame Entvölkerung so wenig und so viel bestimmt als durch den möglichen Fall der Erde in die Sonne. In jeder Aktienschwindelei weiß jeder, daß das Unwetter einmal einschlagen muß, aber jeder hofft, daß es das Haupt seines Nächsten trifft, nachdem er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. Apres moi le dèluge! |Nach mir die Sündflut!| ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird. Im großen und ganzen hängt dies aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 284-286|

Die Festsetzung des normalen Arbeitstages ist das Resultat eines vielhundertjährigen Kampfes zwischen Unternehmer und Arbeiter. Und es ist interessant, die zwei entgegengesetzten Strömungen in diesem Kampf zu beobachten. Anfangs haben die Gesetze zum Ziel, die Arbeiter zu zwingen, länger zu arbeiten; vom ersten Arbeitergesetz, im 23. Jahr der Regierung Edward III. (1349) erlassen, bis zum 18. Jahrhundert gelang es den herrschenden Klassen niemals, aus den Arbeitern das volle Quantum mög- |305| licher Arbeit herauszupressen. Doch mit der Einführung von Dampf- und moderner Maschinerie wendete sich das Blatt. Die Einführung der Frauen- und Kinderarbeit warf so schnell alle traditionellen Schranken der Arbeitszeit um, daß das 19. Jahrhundert mit einem System der Überarbeitung begann, das in der Weltgeschichte ohne Beispiel dasteht und das bereits 1802 die Gesetzgebung zwang, Beschränkungen der Arbeitszeit festzulegen. Herr Marx gibt einen umfassenden Bericht über die Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung bis zum Fabrikgesetz von 1867 und gelangt zu diesen Schlußfolgerungen:

1. Maschinerie und Dampf führen zu einer Überarbeitung zuerst in den Industriezweigen, in denen sie angewandt werden, und gesetzliche Beschränkungen werden deshalb zuerst in diesen Zweigen eingeführt. In der Folgezeit stellen wir jedoch fest, daß dieses System der Überarbeitung sich auf fast alle Zweige ausgedehnt hat, selbst auf jene, in denen keine Maschinerie angewandt wird oder in denen die primitivsten Produktionsweisen fortbestehen (siehe die Berichte der Kommission zur Untersuchung der Kinderarbeit).

2. Mit der Einführung der Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken verliert der vereinzelte "freie" Arbeiter seine Widerstandskraft gegenüber den übergriffen des Kapitals und muß sich bedingungslos ergeben. Das zwingt ihn zum gemeinsamen Widerstand; der Kampf Klasse gegen Klasse, Gesamtarbeiter gegen Gesamtkapitalisten beginnt.

Wenn wir jetzt zu dem Moment zurückkehren, wo wir annahmen, daß unser "freier" und "gleicher" Arbeiter einen Kontrakt mit dem Kapitalisten eingeht, stellen wir fest, daß sich im Produktionsprozeß vieles wesentlich geändert hat. Dieser Kontrakt ist seitens des Arbeiters kein freier Kontrakt. Die tägliche Zeit, wofür es ihm freisteht, seine Arbeitskraft zu verkaufen, ist die Zeit, wofür er gezwungen ist, sie zu verkaufen; und nur die Massenopposition der Arbeiter erzwingt die Einführung eines Staatsgesetzes, um sie selbst zu verhindern, sich und ihre Kinder durch "freiwilligen" Kontrakt in Tod und Sklaverei zu verkaufen. "An die Stelle des prunkvollen Katalogs der 'unveräußerlichen Menschenrechte' tritt die bescheidne Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 249-259|

Als nächstes haben wir die Rate des Mehrwerts und ihr Verhältnis zur Masse des produzierten Mehrwerts zu analysieren. Wie bisher, unterstellen wir in dieser Untersuchung, daß der Wert der Arbeitskraft eine gegebene, konstante Größe ist.

|306| Unter dieser Voraussetzung bestimmt die Rate zugleich die Masse des Mehrwerts, die der einzelne Arbeiter in einer bestimmten Zeit dem Kapitalisten liefert. Beträgt der Tageswert unserer Arbeitskraft 3 sh., die 6 Arbeitsstunden verkörpern, und die Rate des Mehrwerts 100 Prozent, so produziert das variable Kapital von 3 sh. täglich einen Mehrwert von 3 sh., oder der Arbeiter liefert täglich 6 Stunden Mehrarbeit.

Da das variable Kapital der Geldausdruck des Werts aller gleichzeitig von einem Kapitalisten verwandten Arbeitskräfte ist, so erhält man die Masse des durch die Arbeitskräfte produzierten Mehrwerts, indem man das variable Kapital mit der Rate des Mehrwerts multipliziert; mit anderen Worten, sie wird bestimmt durch das Verhältnis zwischen der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad. Beide Faktoren können sich verändern, so daß die Abnahme des einen durch Zunahme des anderen ersetzt werden kann. Ein variables Kapital, das zur Verwendung von 100 Arbeitern bei einer Rate des Mehrwerts von 50 Prozent (sage 3 Stunden täglicher Mehrarbeit) erforderlich ist, wird keinen höheren Mehrwert produzieren als die Hälfte dieses variablen Kapitals, das 50 Arbeiter bei einer Rate des Mehrwerts von 100 Prozent (sage 6 Stunden täglicher Mehrarbeit) verwendet. So kann unter gewissen Umständen und innerhalb gewisser Grenzen die dem Kapital zur Verfügung stehende Zufuhr der Arbeit unabhängig von der jeweiligen Arbeiterzufuhr werden.

Diese Steigerung des Mehrwerts durch Steigerung seiner Rate hat jedoch ihre absoluten Schranken. Welches immer der Wert der Arbeitskraft sein mag, ob er nun zwei oder zehn Stunden notwendiger Arbeitszeit verkörpern werde, der Gesamtwert, den ein Arbeiter Tag für Tag produziert, kann nie den Wert erreichen, worin sich 24 Arbeitsstunden vergegenständlichen. Um eine gleiche Masse von Mehrwert zu erhalten, kann das variable Kapital nur innerhalb dieser Grenzen durch Verlängerung des Arbeitstages ersetzt werden. Dies wird später wichtig sein, um verschiedene Erscheinungen zu erklären, die aus den zwei widersprechenden Tendenzen des Kapitals entstehen: 1. die beschäftigte Arbeiteranzahl zu reduzieren, i.e. die Größe des variablen Kapitals, und 2. doch die größtmögliche Masse Mehrarbeit zu produzieren.

Ferner: "Die von verschiednen Kapitalen produzierten Massen von Wert und Mehrwert verhalten sich bei gegebnem Wert und gleich großem Exploitationsgrad der Arbeitskraft direkt wie die Größen der variablen Bestandteile dieser Kapitale. Dies Gesetz widerspricht offenbar aller auf den Augenschein gegründeten Erfahrung. Jedermann weiß, daß ein Baumwollspinner, der relativ viel konstantes und wenig variables Kapital anwendet, |307| deswegen keinen kleinren Gewinn oder Mehrwert erbeutet als ein Bäcker, der relativ viel variables und wenig konstantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder, wie es vom Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf, um zu verstehn, daß 0/0 eine wirkliche Größe darstellen kann." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 325|

Für ein gegebenes Land und eine gegebene Länge des Arbeitstages kann der Mehrwert nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbeiteranzahl, i.e. der Bevölkerung; diese Vermehrung bildet die mathematische Grenze für die Produktion des Mehrwerts durch das Gesamtkapital dieses Landes. Wenn andererseits die Arbeiteranzahl gegeben ist, wird diese Grenze gebildet durch die mögliche Verlängerung des Arbeitstages. Später wird man sehen, daß dieses Gesetz nur für die bisher analysierte Form des Mehrwerts gilt.

In diesem Stadium unserer Untersuchung stellen wir fest, daß nicht jede Geldsumme in Kapital verwandelt werden kann; daß dafür ein bestimmtes Minimum existiert: die Kosten einer einzigen Arbeitskraft und der Arbeitsmittel, die notwendig sind, um sie in Bewegung zu setzen. Angenommen, die Rate des Mehrwerts betrage 50 Prozent, dann müßte unser werdender Kapitalist zwei Arbeiter beschäftigen, um selbst wie ein Arbeiter leben zu können. Dabei könnte er jedoch nichts sparen, aber Zweck der kapitalistischen Produktion ist nicht nur Erhaltung, sondern auch und in erster Linie Vermehrung des Reichtums.

"Damit er nur doppelt so gut lebe wie ein gewöhnlicher Arbeiter und die Hälfte des produzierten Mehrwerts in Kapital zurückverwandle, müßte er zugleich mit der Arbeiterzahl das Minimum des vorgeschoßnen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings kann er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im Produktionsprozesse anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein 'kleiner Meister'. Ein gewisser Höhegrad der kapitalistischen Produktion bedingt, daß der Kapitalist die ganze Zeit, während deren er als Kapitalist, d.h. als personifiziertes Kapital funktioniert, zur Aneignung und daher Kontrolle fremder Arbeit und zum Verkauf der Produkte dieser Arbeit verwenden könne. Die Verwandlung des Handwerksmeisters in den Kapitalisten suchte das Zunftwesen des Mittelalters dadurch gewaltsam zu verhindern, daß es die Arbeiteranzahl, die ein einzelner Meister beschäftigen durfte, auf ein sehr geringes Maximum beschränkte. Der Geld- oder |308| Warenbesitzer verwandelt sich erst wirklich in einen Kapitalisten, wo die für die Produktion vorgeschoßne Minimalsumme weit über dem mittelaltrigen Maximum steht. Hier, wie in der Naturwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner 'Logik' entdeckten Gesetzes, daß bloß quantitative Verändrungen auf einem gewissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 326/327|

Das Minimum der Wertsumme, das erforderlich ist, um einen Geld- oder Warenbesitzer in einen Kapitalisten zu verwandeln, wechselt auf verschiedenen Entwicklungsstufen der kapitalistischen Produktion und bei einer gegebenen Entwicklungsstufe für verschiedene Geschäftszweige.

Während des oben ausführlich behandelten Produktionsprozesses hat sich das Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter wesentlich verändert. In erster Linie hat sich das Kapital zum Kommando über die Arbeit, i.e. über den Arbeiter selbst entwickelt. Das personifizierte Kapital, der Kapitalist, paßt auf, daß der Arbeiter seine Arbeit regelmäßig, sorgfältig und mit dem gehörigen Grad von Intensität verrichte.

"Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangsverhältnis, welches die Arbeiterklasse nötigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Produzent fremder Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploiteur von Arbeitskraft übergipfelt es an Energie, Maßlosigkeit und Wirksamkeit alle frühern auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme.

Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den technischen Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verändert daher nicht unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von Mehrwert in der bisher betrachteten Form, durch einfache Verlängrung des Arbeitstags, erschien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst unabhängig. Sie war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam als in der modernen Baumwollspinnerei.

Betrachten wir den Produktionsprozeß unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsprozesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln nicht als Kapital, sondern als bloßem Mittel und Material seiner zweckmäßigen produktiven Tätigkeit. In einer Gerberei z.B. behandelt er die Felle als seinen bloßen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das Fell gerbt. Anders, sobald wir den Produktionsprozeß unter dem Gesichtspunkt des Verwertungsprozesses betrachteten. Die Produktionsmittel verwandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. |309| Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprozesses, und der Lebensprozeß des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als sich selbst verwertender Wert. Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts ruhn und keine lebendige Arbeit einsaugen, sind 'reiner Verlust' für den Kapitalisten. Darum konstituieren Schmelzöfen und Arbeitsgebäude einen 'Anspruch auf die Nachtarbeit' der Arbeitskräfte." (Siehe "Berichte der Kommission zur Untersuchung der Kinderarbeit." 4. Bericht, 1865, Seite 79 bis 85.) "Die bloße Verwandlung des Geldes in Produktionsmittel verwandelt letztre in Rechtstitel und Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit." |Karl Marx, Das Kapital, I. Band, MEW Bd. 23, S. 328/329|

Es gibt jedoch noch eine andere Form des Mehrwerts. Wenn die äußerste Grenze des Arbeitstages erreicht ist, bleibt dem Kapitalisten noch ein anderes Mittel zur Erhöhung der Mehrarbeit: durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, durch daraus folgende Senkung des Werts der Arbeitskraft und Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit. Diese Form des Mehrwerts wird in einem zweiten Artikel untersucht werden.


Fußnoten von Friedrich Engels

(1) Das Kapital. Von Karl Marx. Erster Band. Hamburg, Meißner, 1867. <=

(2) Wo "Wert" hier ohne nähere Bestimmung gebraucht wird, bedeutet er immer Tauschwert. <=

(3) Wir müssen hier bemerken, daß Mehrwert keinesfalls mit Profit identisch ist. <=