Inhaltsverzeichnis Dokumente der Internationalen Arbeiter-Assoziation 1869

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 367-369.

1. Korrektur.
Erstellt am .

Karl Marx

Bericht des Generalrats über das Erbrecht

Geschrieben am 2./3. August 1869.


["Der Vorbote" Nr. 10 vom Oktober 1869]

|367| 1. Das Recht der Erbschaft ist nur insofern von sozialer Wichtigkeit, als es dem Erben die Macht, welche der Verstorbene während seiner Lebenszeit ausübte, hinterläßt, nämlich die Macht, vermittelst seines Eigentums die Früchte fremder Arbeit auf sich zu übertragen, denn das Land gibt dem lebenden Eigentümer die Macht, unter dem Titel von Grundrente die Früchte der Arbeit anderer auf sich zu übertragen, ohne einen Gleichwert zu geben; das Kapital gibt ihm die Macht, dasselbe zu tun unter dem Titel von Zins und Profit; das Eigentum in Staatspapieren gibt ihm die Macht, ohne selbst zu arbeiten, von den Früchten der Arbeit anderer leben zu können usw.

Die Erbschaft erzeugt nicht diese Macht der Übertragung der Früchte der Arbeit des einen in die Tasche des andern, sie bezieht sich nur auf den Wechsel der Personen, welche jene Macht ausüben.

Wie jede andere bürgerliche Gesetzgebung sind die Erbschaftsgesetze nicht die Ursache, sondern die Wirkung, die juristische Folge der bestehenden ökonomischen Organisation der Gesellschaft, die auf das Privateigentum in den Mitteln der Produktion begründet ist, d.h. Land, Rohmaterial, Maschinen usw.

Auf dieselbe Weise war das Recht der Erbschaft auf Sklaven nicht die Ursache der Sklaverei, sondern im Gegenteil, die Sklaverei war die Ursache der Erbschaft von Sklaven.

2. Worum es sich hier dreht, ist die Ursache und nicht die Wirkung, die ökonomische Grundlage, nicht der juristische Überbau.

Angenommen, die Produktionsmittel wären umgestaltet vom Privat- ins Gesamteigentum, so würde das Recht der Erbschaft (sofern es von sozialer Wichtigkeit ist) von selbst verschwinden, weil ein Mann nur das hinterlassen kann, was er während seiner Lebenszeit besaß.

|368| Unser großes Ziel soll deshalb die Aufhebung jener Institutionen sein, die einigen Leuten während ihrer Lebenszeit die ökonomische Macht verleihen, die Früchte der Arbeit von vielen auf sich zu übertragen.

Wo der Zustand der Gesellschaft so weit fortgeschritten ist, daß die Arbeiterklassen hinreichend Macht besitzen, solche Institutionen zu beseitigen, müssen sie es auf direktem Wege tun; denn dadurch, daß sie die Staatsschulden beseitigen, werden sie natürlich auch die Erbschaft von Staatspapieren los. Andrerseits, wenn sie nicht die Macht besäßen, die Staatsschuld aufzuheben, so wäre es töricht zu versuchen, das Recht der Erbschaft auf Staatspapier aufzuheben. Das Verschwinden des Erbschaftsrechts wird das natürliche Resultat eines gesellschaftlichen Wechsels sein, der das Privateigentum im Produktionsmittel verdrängt, aber die Abschaffung des Erbrechts kann niemals {1} der Ausgangspunkt einer solchen Umgestaltung sein.

3. Es war einer der großen Irrtümer, die vor vierzig Jahren von Aposteln des Saint-Simon begangen wurden, daß sie das Erbschaftsrecht nicht als die legale Wirkung, sondern als die ökonomische Ursache der sozialen Revolution {2} behandelten. Dieses verhinderte sie ganz und gar nicht, in ihrem System der Gesellschaft das Privateigentum in Land und in den andern Produktionsmitteln zu verewigen. Allerdings dachten sie, die wählbaren und lebenslänglichen Eigentümer könnten bestehen, wie Wahlkönige bestanden haben. Die Aufhebung des Erbschaftsrechts als den Ausgangspunkt der sozialen Revolution zu proklamieren, würde nur die Arbeiterklasse von dem wahren Punkt der Aufmerksamkeit für {3} die heutige Gesellschaft ablenken. Es wäre ein ebenso abgeschmacktes Ding, die Gesetze der Kontrakte zwischen Käufer und Verkäufer aufzuheben, während der heutige Zustand des Austausches von Waren fortbestände; es würde falsch in der Theorie und reaktionär in der Praxis sein.

4. Indem wir über die Erbschaftsgesetze verhandeln, setzen wir notwendigerweise voraus, daß das Privateigentum in den Produktionsmitteln fortbesteht. Existiert es nicht mehr unter den Lebenden, so könnte es nicht von ihnen und durch sie nach ihrem Tode übertragen werden. Alle Maßregeln in betreff des Erbschaftsrechtes können sich daher nur auf einen Zustand des {4} Übergangs beziehen, wo auf der einen Seite die gegenwärtige ökonomische Grundlage der Gesellschaft noch nicht umgestaltet |369| ist, aber auf der andern Seite die arbeitenden Massen Kraft genug gesammelt haben, Übergangsmaßregeln durchzusetzen, die geeignet sind, schließlich einen radikalen Wechsel der Gesellschaft zuwege zu bringen. Der von diesem Standpunkte betrachtete Wechsel in den Erbschaftsgesetzen bildet nur einen Teil von vielen anderen Übergangsmaßregeln, die zu demselben Ziel führen. Diese Übergangsmaßregeln in betreff der Erbschaft können nur sein:

a) Erweiterung der Erbschaftssteuern, die bereits in vielen Staaten bestehen, und in der Anwendung der dadurch erhaltenen Fonds zu dem Zwecke der sozialen Emanzipation.

b) Beschränkung des testamentarischen Erbschaftsrechts, weil es im Unterschied vom untestamentarischen oder Familienerbrecht als willkürliche und abergläubische Übertreibung der Grundsätze des Privateigentums selbst erscheint.


Textvarianten

{1} Im "Vorboten" irrtümlich: nur <=

{2} Im englischen Text: heutigen sozialen Organisation (statt: sozialen Revolution) <=

{3} Im englischen Text: des Angriffs gegen (statt: der Aufmerksamkeit für) <=

{4} Im englischen Text eingefügt: gesellschaftlichen <=