Über den Krieg - II | Inhalt | Über den Krieg - IV

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 19-21.

Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.

Friedrich Engels

Über den Krieg - III


["The Pall Mall Gazette" Nr. 1706 vom 2. August 1870]

|19| Endlich lichtet sich das Dunkel um den Feldzugsplan der Preußen. Der Leser wird sich erinnern, daß man, obgleich gewaltige Truppentransporte auf dem rechten Ufer des Rheins, vom Osten nach Westen und Südwesten, stattgefunden haben, sehr wenig von Truppenzusammenziehungen in unmittelbarer Nähe der bedrohten Grenze gehört hat. Die Festungen erhielten von den in der Nähe liegenden Truppen recht erhebliche Verstärkungen. Bei Saarbrücken lieferten 500 Mann des 40. Infanterieregiments und drei Schwadronen der 7. Ulanen (beide vom VIII. Armeekorps) dem Feinde ein Scharmützel. Bayrische Jäger und badische Dragoner verlängerten die Vorpostenlinie bis zum Rhein. Aber allem Anschein nach sind keine größeren Truppenmassen unmittelbar hinter diesem aus wenigen leichten Truppenteilen gebildeten Schieier aufgestellt worden. In keiner Meldung über die Gefechte ist die Artillerie auch nur mit einem Wort erwähnt worden. Trier war vollkommen frei von Truppen. Andererseits haben wir von großen Massen an der belgischen Grenze gehört, von 30.000 Mann Kavallerie um Köln (wo das ganze Land auf dem linken Rheinufer, bis in die Gegend von Aachen, Fourage im Überfluß hat) und von 70.000 Mann vor Mainz. Dies alles schien sonderbar; es sah aus wie eine fast sträfliche Zersplitterung der Truppen im Gegensatz zu der straffen Konzentration der Franzosen, wenige Marschstunden von der Grenze entfernt. Plötzlich tauchen einige Mitteilungen aus verschiedenen Gegenden auf, die das Geheimnis zu lüften scheinen.

Der Korrespondent des "Temps", der sich bis Trier gewagt hatte, war am 25. und 26. Juli Zeuge des Durchmarschs eines großen Heereskörpers aller Waffengattungen durch diese Stadt zur Saarlinie. Die schwache Garnison von Saarbrücken wurde zur selben Zelt beträchtlich verstärkt, |20| wahrscheinlich von Koblenz aus, dem Hauptquartier des VIII. Armeekorps. Die Truppen, die durch Trier marschierten, müssen zu anderen Korps gehört haben und von Norden her über die Eifel gekommen sein. Schließlich erfahren wir aus einer privaten Quelle, daß sich das VII. Armeekorps am 27. Juli auf dem Marsch von Aachen über Trier zur Grenze befand.

Wir haben hier also wenigstens drei Armeekorps oder ungefähr 100.000 Mann, die an die Saarlinie geworfen worden sind. Zwei von diesen sind das VII. und VIII., die beide einen Teil der Nordarmee unter General von Steinmetz bilden (VII., VIII., IX. und X. Korps). Wir können als ziemlich sicher annehmen, daß diese gesamte Armee augenblicklich zwischen Saarburg und Saarbrücken konzentriert ist. Wenn die 30.000 Mann Kavallerie (vielleicht mehr, vielleicht weniger) wirklich in der Nähe von Köln waren, müssen sie ebenfalls den Weg über die Eifel und Mosel zur Saar genommen haben. Alle diese Anordnungen deuten darauf hin, daß die Hauptattacke der Deutschen mit ihrem rechten Flügel erfolgen wird, und zwar durch den Raum zwischen Metz und Saarlouis zum oberen Niedtal hin. Wenn die Reservekavallerie wirklich diesen Weg genommen hat, wird unsere Vermutung zur Gewißheit.

Dieser Plan setzt die Konzentration des ganzen deutschen Heeres zwischen den Vogesen und der Mosel voraus. Die Mittelarmee (Prinz Friedrich Karl, mit dem II., III., IV. und XII. Armeekorps) würde eine Stellung einzunehmen haben entweder anschließend an die linke Flanke von Steinmetz oder hinter ihm als Reserve. Die Südarmee (der Kronprinz, mit dem V. Korps, der Garde und den Süddeutschen) würde den linken Flügel, irgendwo bei Zweibrücken, bilden. Wo all diese Truppen sind und wie sie in ihre Stellungen befördert werden sollen - davon wissen wir nichts. Wir wissen nur, daß das III. Armeekorps begonnen hat, mit der Eisenbahn am linken Rheinufer Köln auf dem Wege nach Süden zu passieren. Aber wir dürfen annehmen, daß dieselbe Hand, welche die Pläne vorzeichnete, nach denen 100.000 bis 150.000 Mann von entfernten und offensichtlich divergierenden Punkten her rasch an der Saar zusammengezogen wurden, ebenfalls ähnliche, in einem Punkte zusammenlaufende Marschlinien für den Rest der Armee vorgezeichnet hat.

Dies ist in der Tat ein kühner Plan und wahrscheinlich geeignet, sich als denkbar wirksam zu erweisen. Er ist für eine Schlacht bestimmt, in der die deutsche Linke, von Zweibrücken bis nahe an Saarlouis, ein rein defensives Gefecht unterhält, während die Rechte, unterstützt durch die vollen Reserven, von Saarlouis aus und westlich davon vorstößt, mit aller Macht |21| über den Feind herfällt und seine Verbindungen mit Metz durch eine Flankenbewegung der gesamten Reservekavallerie abschneidet. Falls dieser Plan Erfolg hat und die erste große Schlacht von den Deutschen gewonnen wird, riskiert die französische Armee nicht nur, von ihrer nächsten Basis - von Metz und der Mosel - abgeschnitten, sondern auch in eine Stellung gedrängt zu werden, in der die Deutschen zwischen ihr und Paris wären.

Die Deutschen, die Ihrer Verbindung mit Koblenz und Köln vollkommen sicher sind, können es sich leisten, eine Niederlage in dieser Stellung zu riskieren; für sie würde eine solche Niederlage mit allen ihren Konsequenzen bei weitem nicht so unheilvoll sein. Dennoch ist es ein verwegener Plan. Es wäre äußerst schwierig, eine geschlagene Armee, besonders den rechten Flügel, glücklich durch die Schluchten der Mosel und ihrer Nebenflüsse zu bringen. Viele Gefangene und ein großer Teil der Artillerie würden zweifellos verlorengehen, und die Reorganisation der Armee unter dem Schutz der Rheinfestungen würde lange Zelt in Anspruch nehmen. Es würde Torheit sein, einen solchen Plan aufzunehmen, wenn nicht General Moltke vollkommen sicher wäre, eine so überwältigende Macht unter seinem Kommando zu haben, daß der Sieg fast gewiß ist, und wenn er ferner nicht wüßte, daß die Franzosen nicht in der Lage sind, über seine Truppen herzufallen, solange sie noch von allen Seiten zu der für die erste Schlacht ausgewählten Stellung zusammenströmen. Ob dies wirklich der Fall ist, werden wir bald erfahren, vielleicht schon morgen.

Vorläufig aber wäre es gut, daran zu denken, daß man sich bei solchen strategischen Plänen niemals darauf verlassen darf, daß sie die erwarteten Ergebnisse haben werden. Es kommen dauernd hier und dort Störungen vor: Korps kommen nicht genau in dem Moment an, wenn sie gebraucht werden; der Feind führt unerwartete Bewegungen durch oder hat unvorhergesehene Vorsichtsmaßregeln getroffen; oft bewahren schließlich zähe, hartnäckige Gefechte oder der gesunde Menschenverstand eines Generals die geschlagene Armee vor den schlimmsten Konsequenzen, die eine Niederlage haben kann - vor dem Verlust der Verbindungen mit ihrer Basis.

Z.