Über den Krieg - XIV | Inhalt | Die französischen Niederlagen

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 79-82.

Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.

Friedrich Engels

Über den Krieg - XV


["The Pall Mall Gazette" Nr. 1733 vom 2. September 1870]

|79| Als am 26. August alle unsere Zeitungskollegen mit kaum einer Ausnahme über die ungeheure Bedeutung des "entschlossenen" Marsches des Kronprinzen auf Paris viel zu eifrig und weitschweifig redeten, als daß sie Zeit für Mac-Mahon übriggehabt hätten, wagten wir es, darauf aufmerksam zu machen, daß die wirklich wichtige Bewegung des Tages diejenige war, die dieser General - wie gemeldet wurde - zur Entsetzung von Metz machte. Für den Fall einer Niederlage sagten wir: "Mac-Mahons Truppen werden sich in jenem schmalen französischen Landstreifen ergeben müssen, der zwischen Mézières und Charlemont - Givet nach Belgien hinein vorspringt."

Was wir damals annahmen, ist nun fast eingetroffen. Mac-Mahon hat unter sich das I. (sein eigenes), das V. (früher de Faillys, jetzt Wimpffens), das VII. (Douays) und das XII. (Lebruns) Korps und alle diejenigen Truppen, die bis zum 29. von Paris abkömmlich waren, einschließlich jener rebellischen Mobilgardisten von Saint-Maur, und außerdem die Kavallerie von Canroberts Korps, die in Châlons zurückgelassen worden war. Seine ganze Streitmacht wird vielleicht 150.000 Mann stark sein; kaum die Hälfte davon sind Truppen der alten Armee, der Rest sind vierte Bataillone und Mobilgarden in ungefähr gleichem Verhältnis. Es heißt, daß sie mit Artillerie gut versehen sei, aber ein großer Teil davon muß aus neuformierten Batterien bestehen; und offenkundig ist sie sehr schwach an Kavallerie. Selbst wenn diese Armee an Zahl stärker sein sollte, als wir sie schätzen, so muß dieser Überschuß aus Neuausgehobenen bestehen und wird nicht zu ihrer Stärke beitragen, die wir im Vergleich zu einer Streitmacht von 100.000 guten Soldaten kaum als gleichwertig ansehen können.

|80| Mac-Mahon verließ Reims in Richtung Rethel und der Maas am 22. abends, aber das XIII. Korps wurde erst am 28. und 29. von Paris abgeschickt. Um diese Zeit war die direkte Eisenbahnlinie über Reims nach Rethel bereits vom Feinde bedroht, so daß diese Truppen auf der französischen Nordbahn über St. Quentin, Avesnes und Hirson befördert werden mußten. Sie konnten ihre Reise nicht vor dem 30. oder 31. beenden; zu dieser Zeit hatte der Kampf schon ernstlich begonnen, so daß die Truppen, auf die Mac-Mahon gewartet hatte, schließlich nicht da waren, als sie gebraucht wurden. Denn während er zwischen Rethel, Mézières und Stenay dauernd Zeit verlor, marschierten die Deutschen von allen Seiten heran. Am 27. wurde eine Brigade seiner vorgeschobenen Kavallerie bei Buzancy geschlagen. Am 28. befand sich Vouziers, eine wichtige Wegekreuzung in den Argonnen, in den Händen der Deutschen, und zwei ihrer Schwadronen griffen Vrizy an und nahmen das Dorf, das von Infanterie besetzt war, die sich ergeben mußte - ein Husarenstückchen, das, nebenbei gesagt, nur ein einziges Beispiel in der Vergangenheit hat: die Einnahme des von russischer Infanterie und Kavallerie besetzten Dembe Wielkie durch polnische Kavallerie im Jahre 1831. Vom 29. hat keine glaubwürdige Quelle Gefechte gemeldet. Aber am 30. (Dienstag) hatten die Deutschen genügend Streitkräfte zusammengezogen. Sie griffen Mac-Mahon an und schlugen ihn. Die deutschen Berichte sprechen von einer Schlacht in der Nähe von Beaumont und von einem Gefecht bei Nouart (an der Straße von Stenay nach Buzancy); aber belgische Berichte melden, daß auf dem rechten Ufer der Maas, zwischen Mouzon und Carignan, gekämpft wird. Die beiden Berichte können leicht in Übereinstimmung gebracht werden. Wenn wir annehmen, daß die belgischen Telegramme im wesentlichen richtig sind, so scheint die deutsche Vierte Armee (IV., XII. und Gardekorps) das IV. und XII. Korps auf dem linken Maasufer aufgestellt zu haben, wo sie sich mit dem I. bayrischen Korps vereinigten, dem ersten Einsatz der von Süden her anrückenden Dritten Armee. Sie trafen bei Beaumont auf Mac-Mahons Hauptstreitkräfte, die augenscheinlich in der Richtung von Mézières nach Stenay marschierten. Sie griffen sie an; ein Teil, wahrscheinlich die Bayern, überfiel und umfaßte ihre rechte Flanke und trieb sie von ihrer direkten Rückzugslinie ab auf die Maas bei Mouzon zu, wo die Schwierigkeit und Verzögerung beim Übergang über die Brücke wohl ihre großen Verluste an Gefangenen, Artillerie und Vorräten erklären. Währenddessen traf die Vorhut des XII. deutschen Armeekorps, das in einer anderen Richtung abgeschickt worden zu sein scheint, auf das V. französische Korps (Wimpffen), das allem Anschein nach über Chesne-le-Populeux, das Tal der Bar und |81| Buzancy auf die Flanke der Deutschen marschierte. Das Gefecht fand in Nouart statt, ungefähr sieben Meilen südlich von Beaumont, und war für die Deutschen erfolgreich, das heißt, es gelang ihnen, Wimpffens Flankenmarsch aufzuhalten, während der Kampf in Beaumont weiterging. Ein dritter Teil von Mac-Mahons Truppen muß nach den belgischen Berichten auf dem rechten Ufer der Maas vorgerückt sein, wo er in der vorhergehenden Nacht in Vaux, zwischen Carignan und Mouzon, gelagert haben soll. Aber dieses Korps wurde ebenfalls von den Deutschen (wahrscheinlich von der Garde) angegriffen und vollständig geschlagen. Es verlor dabei, wie behauptet wird, vier Mitrailleusen.

Diese drei Gefechte ensemble |zusammengenommen| (immer in der Annahme, daß die belgischen Berichte im wesentlichen richtig sind) würden die komplette Niederlage Mac-Mahons bedeuten, die wir wiederholt vorausgesagt haben. Die ihm gegenüberstehenden vier Korps dürften ungefähr 100.000 Mann stark gewesen sein, aber es ist fraglich, oh sie alle im Gefecht eingesetzt worden sind. Mac-Mahons Truppen würden, wie schon erwähnt, etwa dieser Zahl guter Soldaten gleichkommen. Daß ihre Widerstandskraft keineswegs der der alten Rheinarmee gleich war, geht aus der Bemerkung eines offiziellen deutschen Telegramms hervor, daß "unsere Verluste gering sind"; dasselbe können wir aus der Zahl der Gefangenen schließen. Es ist verfrüht, schon zu versuchen, Mac-Mahons taktische Anordnungen vor und während dieser Schlacht zu kritisieren, da wir kaum etwas über sie wissen. Aber seine Strategie kann nicht scharf genug verurteilt werden. Er hat jede gute Gelegenheit zum Entrinnen versäumt. Seine Stellung zwischen Rethel und Mézières hätte es ihm ermöglicht, so zu kämpfen, daß er sich einen Rückweg nach Laon und Soissons offenhält und dadurch wiederum die Möglichkeit, Paris oder Westfrankreich zu erreichen. Statt dessen focht er, als ob seine einzige Rückzugslinie die nach Mézières sei und als ob Belgien ihm gehöre. Er soll in Sedan sein. Die siegreichen Deutschen werden inzwischen das linke Ufer der Maas nicht nur vor dieser Festung, sondern auch vor Mézières besetzt haben. Von hier aus wird ihr linker Flügel sich in den nächsten Tagen bis zur belgischen Grenze in der Nähe von Rocroi erstrecken. Und dann ist Mac-Mahon in jenem schmalen Landstreifen eingeschlossen, auf den wir schon vor sechs Tagen aufmerksam gemacht haben.

Ist er einmal dort, so bleiben ihm nur wenige Auswege übrig. Er hat vier Festungen um sich herum - Sedan, Mézières, Rocroi und Charlemont; aber |82| auf zwölf Quadratmeilen Land, mit einer übermächtigen Armee vor sich und einem neutralen Lande hinter sich, kann er das Festungsviereck nicht ausnützen. Er wird durch Hunger oder durch Kampf herausgetrieben werden und sich entweder den Preußen oder den Belgiern ergeben müssen. Aber es ist noch ein anderer Weg für ihn offen. Wir sagten soeben, daß er gehandelt habe, als ob Belgien ihm gehöre. Wie, wenn er nun wirklich so dachte? Wenn das ganze Geheimnis, auf dem seine unerklärliche Strategie fußt, der feste Entschluß war, belgisches Territorium zu benutzen, als ob es zu Frankreich gehöre? Von Charlemont führt eine gerade Straße über Philippeville durch belgisches Gebiet nach Maubeuge auf französisches Gebiet. Dieser Weg ist bloß halb so lang wie der von Mézières nach Maubeuge durch französisches Gebiet. Wie nun, wenn Mac-Mahon diese Straße zur Flucht benutzen wollte für den Fall, daß er zum Äußersten gezwungen würde? Er mag denken, daß die Belgier nicht in der Lage sein werden, einer so starken Armee wie der seinen zu widerstehen. Und wenn die Deutschen, was sehr wahrscheinlich ist, Mac-Mahon auf belgisches Gebiet folgen, falls die Belgier ihn nicht aufhalten können, nun, dann werden sich neue politische Verwicklungen ergeben, die die augenblickliche Lage Frankreichs vielleicht verbessern, jedenfalls nicht sehr verschlechtern können. Überdies, falls es Mac-Mahon gelingen sollte, nur eine einzige deutsche Patrouille auf belgischen Boden zu treiben, wäre ein Bruch der Neutralität herbeigeführt und damit eine Entschuldigung für seine eigene darauf folgende Verletzung belgischen Territoriums gewonnen. Solche Gedanken mögen dem alten Algerier durch den Kopf gegangen sein; sie stimmen mit afrikanischer Kriegführung überein; und wirklich, nur durch sie allein kann eine solche Strategie, wie er sie angewandt hat, gerechtfertigt werden. Aber selbst dieser Ausweg kann ihm genommen werden; wenn der Kronprinz mit gewohnter Raschheit handelt, kann er möglicherweise Monthermé und den Zusammenfluß von Semoy und Maas vor Mac-Mahon erreichen; dann wäre Mac-Mahon zwischen Semoy und Sedan auf einem Raum eingepfercht, der gerade für ein Lager seiner Leute ausreichen würde, ohne jede Hoffnung auf einen kurzen Durchmarsch quer durch neutrales Gebiet.