Über den Krieg - XV | Inhalt | Über den Krieg - XVI

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 83-87.

Erstellt am 13.12.1998.
1. Korrektur.

Friedrich Engels

Die französischen Niederlagen


["The Pall Mall Gazette" Nr. 1734 vom 3. September 1870]

|83| Eine große Armee stirbt schwer, wenn sie in die Enge getrieben ist. Es waren zunächst drei Schlachten nötig, um Bazaines Truppen zu zeigen, daß sie tatsächlich in Metz eingeschlossen waren, und dann am Mittwoch und Donnerstag ein sechsunddreißigstündiger verzweifelter Kampf bei Tag und bei Nacht, um sie zu überzeugen - wenn sie überhaupt davon überzeugt wurden -, daß es keine Öffnung zum Entrinnen aus dem Netz gab, in dem die Preußen sie gefangen hatten. Ebensowenig genügte die Dienstagschlacht, Mac-Mahon zur Übergabe zu zwingen. Eine neue Schlacht - augenscheinlich die größte und blutigste der ganzen Schlachtenfolge - mußte am Donnerstag ausgefochten und er selbst verwundet werden, bevor er zur Einsicht in seine wirkliche Lage kam. Der erste Bericht über den Kampf bei Beaumont und Carignan scheint im wesentlichen richtig gewesen zu sein, mit der einen Ausnahme, daß die Rückzugslinie der französischen Korps, die bei Beaumont im Gefecht gestanden hatten, längs des linken Maasufers nach Sedan nicht vollständig abgeschnitten war. Ein Teil dieser Truppen scheint auf dem linken Ufer nach Sedan entkommen zu sein - wenigstens fochten sie am Donnerstag wieder auf diesem Ufer. Dann scheinen Zweifel über das Datum des Gefechts bei Nouart zu bestehen, von dem der Generalstab in Berlin annimmt, daß es am Montag stattfand. Dies würde sicherlich die deutschen Telegramme besser in Übereinstimmung bringen; und wenn es zutrifft, würde die Wendung, die dem französischen V. Korps zugeschrieben wurde, ebenfalls hinfällig sein.

Das Ergebnis des Kampfes am Dienstag war unheilvoll für die beteiligten französischen Korps. Über zwanzig Kanonen, elf Mitrailleusen und 7.000 Gefangene sind ein Ergebnis, das dem von Wörth fast gleichkommt, aber leichter und mit viel geringeren Opfern errungen worden ist. Die |84| Franzosen wurden auf beiden Ufern der Maas bis in die unmittelbare Nähe von Sedan zurückgetrieben. Auf dem linken Ufer scheint nach der Schlacht ihre Stellung im Westen durch den Fluß Bar und den Ardennenkanal begrenzt gewesen zu sein - beide fließen durch das gleiche Tal und münden bei Villers zwischen Sedan und Mézières in die Maas - und im Osten durch die Schlucht und den Bach, die von Raucourt nach Remilly zur Maas laufen. Nachdem so beide Flanken gesichert sind, wird der Haupttrupp das dazwischenliegende Plateau besetzt haben und auf einen Angriff von jeder Seite her vorbereitet gewesen sein. Auf dem rechten Ufer müssen die Franzosen nach der Dienstagschlacht den Fluß Chiers überschritten haben, der vier Meilen oberhalb von Sedan gegenüber von Remilly in die Maas mündet. Es gibt dort drei parallele Schluchten, die von der belgischen Grenze her von Norden nach Süden laufen, und zwar die erste und zweite zur Chiers, die dritte und breiteste direkt vor Sedan zur Maas. In der Nähe der höchsten Stelle der zweiten Schlucht liegt das Dorf Cernay; an der dritten liegt oben das Dorf Givonne, und zwar da, wo die Straße nach Bouillon in Belgien die Schlucht kreuzt; weiter unten, wo die Straße nach Stenay und Montmédy die Schlucht kreuzt, liegt Bazeilles. Diese drei Schluchten müssen in der Donnerstagschlacht für die Franzosen ebenso viele aufeinanderfolgende Verteidigungsstellungen gebildet haben, von denen natürlich die letzte und stärkste mit der größten Hartnäckigkeit verteidigt wurde. Dieser Teil des Schlachtfeldes gleicht ziemlich dem von Gravelotte; aber während dort die Schluchten, wie es ja tatsächlich geschah, von dem Plateau aus umgangen werden konnten, von dem sie ihren Anfang nehmen, machte hier die Nähe der belgischen Grenze einen Umgehungsversuch sehr gefährlich und erzwang fast einen Frontalangriff.

Während sich die Franzosen in dieser Stellung einrichteten und Truppen hinzuzogen, die an der Dienstagschlacht nicht teilgenommen hatten (unter anderen wahrscheinlich das XII. Korps, einschließlich der Mobilgarde von Paris), hatten die Deutschen einen Tag lang Zeit, ihre Armee zu konzentrieren. Als sie am Donnerstag angriffen, verfügten sie über die ganze Vierte Armee (Garde, IV. und XII. Korps) und drei Korps der Dritten Armee (V., XI. und ein bayrisches), eine Streitmacht, die moralisch, wenn nicht sogar zahlenmäßig, der Mac-Mahons überlegen war. Der Kampf begann um 7.30 Uhr morgens, und als um 4.15 Uhr nachmittags der König von Preußen telegraphierte, dauerte er noch an, und die Deutschen gewannen nach allen Seiten an Boden. Nach den belgischen Berichten standen die Dörfer Bazeilles, Remilly, Villers-Cernay in Flammen, und die Kapelle von Givonne war in den Händen der Deutschen. Das würde bedeuten, daß |87| die beiden Dörfer auf dem linken Ufer der Maas, die im Falle eines Rückzugs die Stützpunkte der französischen Flügel sein sollten, entweder genommen oder unhaltbar geworden waren, während auf dem rechten Ufer die erste und zweite Verteidigungslinie genommen und die Franzosen im Begriff waren, die dritte, zwischen Bazeilles und Givonne, aufzugeben. Unter diesen Umständen kann kein Zweifel bestehen, daß bei Einbruch der Nacht die Deutschen siegreich gewesen und die Franzosen nach Sedan zurückgeschlagen worden sind. Dies wird tatsächlich durch Telegramme aus Belgien bestätigt, die melden, daß Mac-Mahon vollständig eingeschlossen war und daß Tausende von französischen Soldaten die Grenze überschreiten und entwaffnet werden.

Unter diesen Umständen blieben Mac-Mahon nur zwei Möglichkeiten: Kapitulation oder ein kühner Stoß durch belgisches Gebiet. Die geschlagene Armee ist in und um Sedan auf einem Gebiet eingeschlossen, das im besten Fall nicht größer ist, als sie für ihr Lager braucht, und kann sich unmöglich selbst verpflegen. Selbst wenn sie imstande gewesen wäre, ihre Verbindung mit Mézières aufrechtzuerhalten, das ungefähr zehn Meilen westwärts liegt, so wäre sie doch in einem sehr engbegrenzten Landstreifen eingeschlossen und nicht imstande, sich zu halten. Daher war Mac-Mahon außerstande, sich einen Weg durch seine Feinde zu bahnen, und mußte entweder auf belgisches Gebiet übertreten oder sich ergeben. Aber es kam so, daß Mac-Mahon infolge seiner Verwundung die Qual der Entscheidung erspart blieb. Dem General de Wimpffen fiel es zu, die Übergabe der französischen Armee zu verkünden. Dieser Entschluß ist sicher durch die Nachricht beschleunigt worden, daß die Anstrengungen Bazaines, von Metz wegzukommen, endgültig gescheitert sind - vorausgesetzt, daß diese Nachrichten Mac-Mahon erreichten. Die Deutschen hatten Bazaines Absicht vorausgesehen und waren darauf vorbereitet, ihm überall entgegenzutreten. Nicht nur Steinmetz, sondern auch Prinz Friedrich Karl (wie aus der Erwähnung des I. und IX. Korps hervorgeht) waren auf der Hut, und sorgfältig vorbereitete Befestigungen verstärkten noch den Ring, der Metz umgab.