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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 79-81.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Friedrich Engels

[Über die Beziehungen zwischen den irischen Sektionen und dem Britischen Föderalrat]

[Eigene Aufzeichnung der Rede auf der Sitzung des Generalrats am 14. Mai 1872]

Geschrieben um den 14. Mai 1872.
Nach der Handschrift.
Aus dem Englischen.


|79| Bürger Engels sagte, der wahre Sinn des vorliegenden Antrages wäre, die irischen Sektionen der Jurisdiktion des Britischen Föderalrats zu unterstellen, eine Sache, in die die irischen Sektionen niemals einwilligen würden;

und der Generalrat habe weder das Recht noch die Macht, sie ihnen aufzuzwingen. Gemäß Statut und Geschäftsordnung habe dieser Rat auch nicht die Macht, irgendeine Sektion oder Zweigstelle zu zwingen, das Supremat irgendeines Föderalrats anzuerkennen. Er sei allerdings verpflichtet, vor Zulassung oder Abweisung irgendeines neuen Zweigs, der sich innerhalb der Jurisdiktion irgendeines Föderalrats befinde, diesen Rat zu konsultieren. Bürger Engels stellte mit Nachdruck fest, daß die irischen Sektionen in England der Jurisdiktion des Britischen Föderalrats so wenig unterständen wie die französischen, deutschen oder italienischen {1} Sektionen in diesem Lande. Die Iren bildeten in jeder Hinsicht eine klar erkennbare eigene Nationalität, und die Tatsache, daß sie sich der englischen Sprache bedienten, könnte sie nicht des für alle geltenden Rechts berauben, eine unabhängige nationale Organisation innerhalb der Internationale zu haben.

Bürger Hales habe von den Beziehungen zwischen England und Irland gesprochen, als ob sie höchst idyllischer Natur seien, etwa wie die zwischen England und Frankreich zur Zeit des Krimkrieges, als die herrschenden Klassen der beiden Länder niemals müde wurden, einander Lob zu spenden, und alles die vollkommenste Harmonie atmete. Aber der Fall liege ganz anders. Da sei die Tatsache einer sieben Jahrhunderte langen englischen Eroberung und Unterdrückung Irlands, und so lange diese Unterdrückung existiere, sei es eine Verhöhnung der irischen Arbeiter, von ihnen |80| zu fordern, sich einem Britischen Föderalrat zu unterwerfen. Die Stellung Irlands zu England sei nicht die eines Gleichberechtigten, es wäre die Polens zu Rußland. Was würde man dazu sagen, wenn der Generalrat polnische Sektionen aufforderte, das Supremat eines Russischen Föderalrats in Petersburg anzuerkennen, oder Sektionen im preußischen Polen, in Nordschleswig und im Elsaß aufriefe, sich einem Föderalrat in Berlin zu unterwerfen? Doch was von den irischen Sektionen gefordert würde, sei dem Wesen nach dasselbe. Wenn Mitglieder der Internationale, die einer erobernden Nation angehören, die Nation, die erobert worden ist und weiterhin unterdrückt wird, aufforderten, ihre spezifische Nationalität und Lage zu vergessen, "nationale Differenzen beizulegen" usf., so wäre das kein Internationalismus, sondern nichts weiter, als ihnen Unterwerfung unter das Joch zu predigen, und ein Versuch, die Herrschaft des Eroberers unter dem Deckmantel des Internationalismus zu rechtfertigen und zu verewigen. Das würde die unter den englischen Arbeitern nur zu sehr verbreitete Meinung sanktionieren, daß sie, verglichen mit den Iren, überlegene Wesen wären und ebensolche Aristokraten wie jene, für die sich die niederträchtigen Weißen in den Sklavenhalterstaaten den Negern gegenüber hielten.

In einem Falle wie dem der Iren muß wahrer Internationalismus notwendigerweise auf einer selbständigen nationalen Organisation begründet sein; die Iren sowohl als andere unterdrückte Nationalitäten können nur als gleichberechtigt mit den Vertretern der erobernden Nation und unter Protest gegen die Eroberung in die Assoziation eintreten. Die irischen Sektionen seien daher nicht nur berechtigt, sondern geradezu genötigt, in der Präambel zu ihrem Statut zu erklären, daß es ihre erste und dringendste Pflicht als Iren ist, ihre eigene nationale Unabhängigkeit zu erlangen. Der Antagonismus zwischen den irischen und englischen Arbeitern in England war immer eines der mächtigsten Mittel gewesen, die Klassenherrschaft in England aufrechtzuerhalten. Er erinnere sich der Zeit, als er miterlebte, wie Feargus O'Connor und die englischen Chartisten von den Iren aus dem Hall of Science in Manchester hinausgeworfen wurden. Nun gäbe es zum erstenmal eine günstige Gelegenheit, englische und irische Arbeiter gemeinschaftlich für ihre gemeinsame Emanzipation handeln zu lassen, ein Resultat, das durch keine bisherige Bewegung in ihrem Lande erreicht worden war. Und noch ehe man dies zuwege gebracht habe, da werde man aufgefordert, den Iren zu diktieren und ihnen zu sagen, sie sollten die Bewegung nicht auf ihre eigene Weise führen, sondern sich der Führung eines englischen Rats fügen! Nun, das hieße, die Unterjochung der Iren durch |81| die Engländer in die Internationale einführen. Wenn die Initiatoren dieses Antrages so bis zum Rande vom wahren internationalen Geist erfüllt sind, so mögen sie das dadurch beweisen, daß sie den Sitz des Britischen Föderalrats nach Dublin verlegen und einem Rat von Iren unterstellen.

Was die angeblichen Zusammenstöße zwischen irischen und englischen Zweigen betrifft, so seien sie dadurch provoziert worden, daß Mitglieder des Britischen Föderalrats versucht hätten, sich in die Angelegenheiten der irischen Sektionen einzumischen, um sie dahin zu bringen, daß sie ihren spezifisch nationalen Charakter aufgeben und sich unter die Führung des Britischen Rats begeben.

Dann könnten die irischen Sektionen in England nicht von den irischen Sektionen in Irland getrennt werden; es ginge nicht an, daß einige Iren von einem Londoner und andere von einem Dubliner Föderalrat abhängig wären. Die irischen Sektionen in England seien unsere Operationsbasis in bezug auf die irischen Arbeiter in Irland; sie seien fortgeschrittener, da sie in günstigeren Verhältnissen leben und die Bewegung in Irland könne nur durch ihre Vermittlung propagiert und organisiert werden. Und soll man bereitwillig die eigene Operationsbasis zerstören und auf die einzigen Mittel verzichten, durch die Irland wirksam für die Internationale gewonnen werden könne? Denn es dürfe nicht vergessen werden, daß die irischen Sektionen, und das mit Recht, niemals einwilligen würden, ihre selbständige nationale Organisation aufzugeben und dem Britischen Rat zu unterstellen. Die Frage läuft also darauf hinaus: soll man die Iren unter sich lassen, oder soll man sie aus der Assoziation ausstoßen? Würde der Antrag vom Rat angenommen, so möge der Rat den irischen Arbeitern erklären, etwa in folgenden Worten, daß sie nach der Herrschaft der englischen Aristokratie über Irland, nach der Herrschaft der englischen Bourgeoisie über Irland nun der Herrschaft der englischen Arbeiterklasse über Irland entgegensehen müßten.


Textvarianten

{1} Im Protokollbuch des Generalrats folgt: oder polnischen <=


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