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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 105-107.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Karl Marx

An die streikenden Bergarbeiter im Ruhrtal


["Der Volksstaat" Nr. 60 vom 27. Juli 1872]

|105| Die deutsche Kapitalistenpresse verlangt von euch, ihr sollt eure Forderungen achtstündiger Schicht und 25 Prozent Lohnerhöhung fallenlassen und die Arbeit wiederaufnehmen, damit nicht die deutsche Industrie gezwungen werde, ihre Kohlen aus England kommen zu lassen, und so das deutsche Geld ins Ausland gehe, statt deutsche Arbeit zu bezahlen.

Es ist dies das ewige Jammergeschrei der Bourgeois, sobald die Arbeiter sich auf ihre eigenen Füße stellen und irgendwelche Forderung zu ertrotzen versuchen. In England, wo diese alte Leier nun schon an die vierzig Jahre gespielt worden ist, achtet kein Mensch mehr darauf. In dem vorliegenden Falle aber ist es der Mühe wert nachzuweisen, daß die Kapitalistenpresse euch absichtlich täuschen will, wenn sie euch erzählt, die Hüttenbesitzer und Fabrikanten brauchten bloß nach England zu schreiben, um soviel Kohlen zu bekommen, wie sie nur wollen.

In England hat der Kohlenverbrauch seit 1869 in bisher unerhörter Weise zugenommen, durch den allgemeinen Aufschwung der englischen Industrie, der seitdem eingetreten, die Zunahme der Fabriken, den vermehrten Konsum der Eisenbahnen, die reißende Vermehrung der See-Dampfschiffahrt - hauptsächlich jedoch durch die kolossale Ausdehnung der Eisenindustrie, die in den letzten drei Jahren alle früheren Perioden der Prosperität weit übertreffen hat. Die "Daily News", ein liberales Kapitalistenblatt (Nummer vom 15. |Im "Volksstaat irrtümlich: 12.| Juli d.J.), sagt hierüber:

"Eine der Hauptursachen der gegenwärtigen Kohlenteuerung ist ohne Zweifel der plötzliche und beispiellose Aufschwung der Eisenindustrie. Der Norden von England liefert ungefähr den vierten Teil aller im Lande gewonnenen Kohlen. Ein großer Teil |106| derselben geht nach London und dem Süden und Osten von England; sehr viel wird auch für Dampfschiffe gebraucht; aber neuerdings hat die Entwicklung der Eisenhütten in Cleveland" (ganz in der Nähe der Zechen) "eine plötzliche Lokalnachfrage nach Kohlen geschaffen. Dies Wachstum eines Geschäftszweigs, der jetzt wohl nicht unter fünf bis sechs Millionen Tons (1) jährlich verbraucht, gab der Kohlengewinnung selbstredend eine gewaltige Hebung. Dazu kam der rasche Aufschwung im Hämatiteisenerz-Bezirk an der Westküste. Die Hochöfen von Cumberland und Lancashire beziehen ihren Brennstoff fast ausschließlich aus dem Kohlenbecken von Durham und brauchen, nach mäßiger Schätzung, anderthalb Millionen Tons im Jahr. Die im Bau begriffenen neuen Hochöfen, in Nordengland allein, werden jährlich drei Viertel Million Tons nötig haben. Dazu kommen neue Walzwerke und neue Hochöfen an der Westküste. Es ist daher nicht befremdlich, daß die Brennstoffrage im ganzen Norden von England bald eine Lebensfrage wurde, und es verstand sich, daß die Kohlenpreise rasch stiegen. In Süd-Staffordshire, Schottland, Süd-Wales, Derbyshire, West-Yorkshire und anderen Gegenden brachten dieselben Ursachen steigende Kohlenpreise zuwege."

Unter diesen Umständen machten es die englischen Bergarbeiter wie ihr: Sie verlangten höheren Lohn und kürzere Arbeitszeit. Die englischen Bergwerksbesitzer, wie immer ihren deutschen Konkurrenten an Einsicht und Welterfahrung weit überlegen, widersetzten sich nicht ernstlich, sondern bewilligten alle Forderungen. Hört, was die "Daily News" weiter erzählt:

"Von Zeit zu Zeit wurde der Lohn erhöht ... Die Bergarbeiter verlangten ferner eine systematische Verkürzung der Arbeitszeit. Es wird nun von Fachleuten behauptet, daß ein Arbeiter jetzt nur 3/5 von dem Kohlenquantum gewinnt, das er früher bei flauem Geschäft und niedrigerem Lohn gewann. Dafür könnte man mehr Arbeiter anstellen; aber diese sind eben nicht im Augenblick zu haben. Allerdings hat man manche aus den Ackerbaubezirken kommen lassen; aber Häuer haben eine lange Lehrzeit nötig, und die Abhülfe kann hier also nur langsam und allmählich eintreten. Augenblicklich haben die Arbeiter in einigen Gegenden die Beschränkung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich durchgesetzt, während überall Lohnerhöhungen so rasch aufeinanderfolgen, daß kein Ausweg übrig scheint als höhere Kohlenpreise."

Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Die obersten Kohlenflöze sind in fast ganz England erschöpft, und es muß immer tiefer gebaut werden. Hört wieder den Artikel der "Daily News":

"Die besten Lagen dieser wertvollen Kohlenflöze in Süd-Staffordshire sind ihres Inhalts beraubt. In vielen Gegenden dieses einst kohlenreichen Strichs sind die Zechen erschöpft, und die Halden werden immer mehr wieder in Acker- und Weideland verwandelt, obwohl noch Tausende von Morgen" (Halden) "öde liegen. Indes sind die |107| Hilfsquellen des Bezirks noch nicht erschöpft. Tiefere Schächte rings um das alte Kohlengebiet werden angelegt ... Aber wie die Dinge liegen, wird es, selbst mit den neuesten Hülfsmitteln, immer kostspieliger, die Kohlen zu heben, wozu noch kommt, daß die Zechen weiter von den Hüttenwerken abliegen ... Was wir von Süd-Staffordshire gesagt haben, gilt von vielen anderen Gegenden. Die Kohlen müssen aus größerer Tiefe geholt und auf weiten Entfernungen bis zu ihrem Bestimmungsort transportiert werden."

Die Folge davon ist, daß die Kohlenpreise sich, für Abnahme an der Zeche, wie "Daily News" sagt, "verdoppelt haben", und daß eine wahre Kohlennot eingetreten ist, die die Aufmerksamkeit des ganzen Landes in Anspruch nimmt. Ein anderes Blatt, das ökonomische Hauptblatt der englischen Kapitalisten, der "Economist" vom 13. |Im "Volksstaat irrtümlich: 20.| Juli, sagt:

"Seit Anfang dieses Jahres sind die Kohlen unaufhörlich im Preis gestiegen, bis sie jetzt zwischen 60 und 100 Prozent teurer sind als vor einem Jahr ... Ehe noch ein oder zwei Wochen vergehen, kann der Aufschlag weit mehr als 100 Prozent betragen, ohne daß irgendein ernstliches Zeichen da wäre, daß er nicht noch weitergehen werde. Die Kohlenausfuhr im Juni d.J. war 1.108.000 Tons oder 4 Prozent mehr als im Juni v.J., aber ihr Wert war 758.000 Pfd. Sterling oder 53 Prozent mehr. Dies Jahr war der Wert der im Juni ausgeführten Kohlen durchschnittlich 13 Schilling 9 Pence" (oder 4 Taler 17 1/2 Gr.) "pro Ton; voriges Jahr 9 Schilling 4 Pence" (oder 3 Tlr. 3 1/2 Gr.).

Der "Spectator", ein drittes Kapitalistenblatt (20. Juli), führt ebenfalls an, daß in London gute Hauskohlen von 23 Schilling oder 7 Tlr. 20 Gr. auf 35 Schilling oder 11 Tlr. 20 Gr. gestiegen sind.

Aus diesen Tatsachen könnt ihr ersehen, was es auf sich hat mit den Drohungen der Hüttenbesitzer und Fabrikanten, ihre Kohlen aus England zu beziehen. Herr Alfred Krupp mag soviel Ukase erlassen, wie er will, die englischen Kohlen wird er teurer bezahlen müssen als Ruhrkohlen, und es ist sehr die Frage, ob er sie überhaupt bekommt.

In meiner Stellung als Sekretär des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation für Deutschland habe ich es für meine Schuldigkeit gehalten, diese Tatsachen zu eurer Kenntnis zu bringen.

Karl Marx

London, 21 .Juli 1872 |Im "Volksstaat irrtümlich: 1871|


Fußnoten von Karl Marx

Das englische Ton ist fast genau gleich 2.000 Zollpfund oder 1.000 Kilogramm. <=


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