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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 188-190.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Friedrich Engels

Briefe aus London

III
[Das Meeting im Hyde Park]

Aus dem Italienischen.


["La Plebe" Nr. 117 vom 17. November 1872]

|188| London, 14. November [1872]

Die liberale englische Regierung hält gegenwärtig in ihren Gefängnissen nicht weniger als 42 irische politische Gefangene, die sie nicht nur wie Diebe und Mörder, sondern weit schlechter, mit einer ganz außergewöhnlichen Grausamkeit behandelt. In den schönen Zeiten von König Bomba |Ferdinand II.| unternahm Herr Gladstone, Haupt des gegenwärtigen liberalen Ministeriums, eine Rundreise durch Italien und besuchte in Neapel die politischen Gefangenen; nach England zurückgekehrt, veröffentlichte er eine Broschüre, in der er die neapolitanische Regierung vor Europa wegen der unwürdigen Behandlung der politischen Gefangenen anprangerte.

Das hindert den gleichen Herrn Gladstone nicht, in der gleichen Weise die irischen politischen Verurteilten zu behandeln, die er noch hinter Schloß und Riegel hält. - Die irischen Internationalen von London beschlossen, im Hyde Park (dem ausgedehntesten öffentlichen Park Londons, wo in bewegten Zeiten alle großen öffentlichen Versammlungen abgehalten werden) eine Monsterkundgebung für eine allgemeine Amnestie zu organisieren. Sie traten in Verbindung mit allen demokratischen Gesellschaften Londons und bildeten ein Komitee, dem unter anderen Mac Donnel (Ire), Murray (Engländer) und Leßner (Deutscher), allesamt Mitglieder des vorigen Generalrats der Internationale, angehörten.

Es trat eine Schwierigkeit auf. In der letzten Sitzung des Parlaments hatte die Regierung ein Gesetz annehmen lassen, das ihr das Recht verlieh, durch Verordnungen die öffentlichen Versammlungen in den Londoner |189| Parks zu reglementieren. Sie machte sich dies zunutze und ließ eine Verordnung anschlagen, die denjenigen, welche die Absicht hatten, eine solche öffentliche Versammlung abzuhalten, vorschrieb, der Polizei zwei Tage im voraus schriftliche Mitteilung davon zu machen und dabei die Namen der Redner anzugeben. Diese vor der Londoner Presse sorgsam verborgen gehaltene Verordnung hob mit einem Federstrich eines der dem Londoner Arbeitervolk teuersten Rechte auf, nämlich das Recht, öffentliche Versammlungen in den Parks abzuhalten, wann immer und wie es ihm gefiel. Sich dieser Verordnung unterwerfen, hätte bedeutet, das Recht des Volkes preiszugeben.

Die Iren, die das revolutionärste Element der Bevölkerung bilden, gehörten nicht zu den Männern, die eine solche Schwäche gezeigt hätten. Das Komitee beschloß einstimmig, so zu tun, als ob es das Bestehen der Verordnung nicht kenne, und seine Versammlung der Regierung zum Trotz abzuhalten.

Am vergangenen Sonntag, gegen drei Uhr, zogen zwei unendlich lange Züge mit Musikkapellen und Fahnen zum Hyde Park. Die Musikkapellen spielten irische Nationallieder und die Marseillaise; fast alle Fahnen waren irische (grün mit einer goldenen Harfe in der Mitte) und rote. Es befanden sich am Eingang des Parks nur wenige Polizisten, so daß die Züge einziehen konnten, ohne auf irgendeinen Widerstand zu stoßen, sie versammelten sich am festgelegten Platz, und die Reden begannen.

Es waren dort wenigstens dreißigtausend Zuschauer zugegen, von denen gering gerechnet die Hälfte ein grünes Band oder ein grünes Blatt im Knopfloch des Rockes trugen, um ihre irische Nationalität zu bekunden; die übrigen waren Engländer, Deutsche, Franzosen, Die Menge war zu zahlreich, als daß sie die Reden hätte hören können, und daher organisierte man neben dem ersten ein zweites Meeting, in dem andere Redner zur selben Sache sprachen. Es wurden energische Entschließungen angenommen, die eine allgemeine Amnestie forderten sowie die Abschaffung der Ausnahmegesetze, die Irland einen ständigen Belagerungszustand auferlegten. Gegen fünf Uhr formierten sich erneut die Züge, und die Menge verließ den Park, nachdem sie die Verordnung des Ministeriums Gladstone mit Füßen getreten hatte.

Es ist das erste Mal, daß eine irische Kundgebung im Hyde Park stattfand; sie hatte großen Erfolg: Selbst die bürgerliche Londoner Presse konnte es nicht leugnen. Es ist das erste Mal, daß sich englische und irische Elemente unserer Bevölkerung herzlich zusammenschlossen. Diese zwei Elemente der Arbeiterklasse, deren gegenseitige Feindschaft vorzüglich den |190| Interessen der Regierung und der reichen Klassen diente, reichen sich nun die Hand; diese erfreuliche Tatsache verdanken wir vor allem dem Einfluß des vorigen Generalrats der Internationale, der stets alle seine Anstrengungen darauf gerichtet hatte, das Bündnis zwischen den Arbeitern der beiden Nationen auf der Grundlage einer vollständigen Gleichheit vorzubereiten. Die Versammlung vom 3. November wird eine neue Ära in der Londoner Arbeiterbewegung einleiten.

Aber, werdet ihr sagen, was macht die Regierung? Wird sie sich etwa leicht damit abfinden, in dieser Weise behandelt zu werden? Wird sie ihre Verordnung straflos mit Füßen treten lassen?

Nun, was sie getan hat, ist das: Neben der Tribüne im Hyde Park hatte sie zwei Polizeikommissare mit zwei Beamten postiert, die die Namen der Redner aufgeschrieben haben. Am Tage darauf haben diese beiden Kommissare vor dem Friedensrichter Anzeige gegen die Redner erstattet. Der Richter hat sie vorgeladen und sie werden am kommenden Sonnabend vor ihm erscheinen müssen. Diese Art des Verfahrens beweist zur Genüge, daß man ihnen keinen großen Prozeß machen will. Es scheint, daß die Regierung die Niederlage, die ihr die Iren, oder wie man hier sagt, die Fenier zugefügt haben, einstecken und sich mit einer kleinen Geldstrafe begnügen wird. Jedenfalls wird die Verhandlung interessant sein, und ich werde euch in einem meiner nächsten Briefe darüber berichten. Völlig sicher ist aber bereits jetzt, daß die Iren dank ihrer Energie das Recht des Londoner Volkes gerettet haben, sich in den Parks zu versammeln, wann und wie es ihm gefällt.

F. Engels


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