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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 197-201.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Friedrich Engels

Die Manchester Foreign Section an alle Sektionen und Mitglieder der Britischen Föderation

Nach dem Flugblatt.
Aus dem Englischen.


|197| Arbeiter!

Wir sehen uns gezwungen, uns an Euch zu wenden in Erwiderung auf ein Zirkular, das von denen in Umlauf gesetzt worden ist, die sich als die Majorität des Britischen Föderalrats bezeichnen, und in dem Ihr aufgefordert werdet, Euch ihrem offenen Aufruhr gegen die Grundgesetze unserer Assoziation anzuschließen.

In diesem Zirkular behauptet die Majorität des Föderalrats, daß die Minorität alle Arbeit unmöglich gemacht und die Geschäfte zum Stillstand gebracht habe, indem die letzte Sitzung durch den Vorsitzenden |Samuel Vickery| mitten im Verlauf aufgelöst worden sei, um eine Diskussion zu verhindern.

Auf den ersten Blick erscheint es seltsam, daß eine Majorität durch eine Minorität mundtot gemacht worden sei, da eine einfache Abstimmung genügt hätte, diese Minorität zum Schweigen zu bringen. Bisher haben Minoritäten oft genug sezediert. Dies ist das erste Beispiel einer Sezession der Majorität; und diese Tatsache allein genügt, um das ganze Verfahren mehr als zu verdächtigen. Was die als Vorwand benutzte Handlung des Vorsitzenden auf einer einzelnen Sitzung angeht, so sind wir glaubwürdig davon unterrichtet, daß bei diesem Vorfall der Vorsitzende die Sitzung eine halbe Stunde nach der festgesetzten Zeit, um halb zwölf, auflöste, weil Mitglieder der Majorität darauf bestanden, die Tagesordnung zu unterbrechen.

Laut Zirkular hat sich der Föderalrat bei der Frage gespalten, ob die Resolutionen des allgemeinen Kongresses unserer Assoziation, der im letzten September in Den Haag abgehalten wurde, als gültig angesehen werden sollen oder nicht. Nun, für Mitglieder der Internationale ist das gar keine Frage. Gemäß Artikel 3 der Allgemeinen Statuten ist es die Pflicht des allgemeinen Kongresses, "die für das erfolgreiche Wirken der Internationalen |198| Assoziation notwendigen Maßregeln" zu ergreifen. Der Kongreß ist ihr gesetzgebendes Organ. Seine Resolutionen sind bindend für alle. Wem die Resolutionen nicht gefallen, der mag entweder die Assoziation verlassen oder versuchen, sie auf dem nächsten Kongreß umzustoßen. Aber kein einzelnes Mitglied, keine Sektion, kein Föderalrat, kein lokaler oder nationaler Kongreß hat das Recht, sie für null und nichtig zu erklären und dabei zu beanspruchen, in der Internationale zu bleiben.

Die Unterzeichner des Zirkulars geben vor, daß der Haager Kongreß nicht ordentlich konstituiert worden sei und keineswegs die Majorität der Mitglieder der Assoziation vertreten habe. Dieser Kongreß wurde nach Artikel 4 der Allgemeinen Statuten ordnungsgemäß durch den Generalrat einberufen. Er wurde von 64 Delegierten besucht, die 15 verschiedene Nationalitäten vertraten und persönlich 12 verschiedenen Nationalitäten angehörten. Kein früherer Kongreß konnte sich einer so wahrhaft internationalen Zusammensetzung rühmen. Daß die gefaßten Resolutionen von dem echten Geist des Internationalismus durchdrungen waren, beweist die Tatsache, daß sie fast alle mit einer Majorität von drei zu eins angenommen worden sind und daß die Delegierten der beiden erst kürzlich in einem Bruderkrieg verwickelten Nationen - die Franzosen und die Deutschen -fast immer wie ein Mann für sie gestimmt haben. Wenn England durch eigene Schuld nicht sehr zahlreich vertreten war, ist das ein Grund, den Kongreß anzufechten?

Das Zirkular beklagt sich über die Resolution des Kongresses bezüglich der politischen Aktion der Arbeiterklasse. Es sagt, der Beschluß sei gefaßt worden, nachdem die Majorität der Delegierten abgereist war. Der offizielle Bericht, der in Nr. 37 des "International Herald" (vom 14. Dezember) veröffentlicht worden ist, zeigt, daß von 64 Delegierten 48 über die Frage abgestimmt haben, von denen 35 für die Resolution stimmten. Unter diesen 35 finden wir den Namen von Herrn Mottershead, der jetzt ein Zirkular unterzeichnet, das diese Resolution verwirft.

Was für eine Resolution ist das nun? Sie ist dem Wesen und zum größten Teil auch den Worten nach dieselbe, die von der im September 1871 in London abgehaltenen allgemeinen Konferenz angenommen und samt den übrigen Resolutionen offiziell vom Generalrat am 17. Oktober desselben Jahres veröffentlicht worden ist und unter anderen die Unterschriften von John Hales, Th. Mottershead, H. Jung, F. Bradnick, H. Mayo und John Roach trägt! Da der Generalrat verpflichtet war, die Resolutionen der |199| Konferenz in Kraft zu setzen, wie kommt es dann, daß keiner dieser Bürger es damals für passend hielt, auf seinen Sitz im Generalrat zu verzichten und gegen diese Resolution zu protestieren, die jetzt auf einmal für so gefährlich gehalten wird?

Das Zirkular verfälscht vollständig den Sinn dieser Resolution, was leicht erkennbar ist, wenn man ihren in Nr. 37 des "International Herald" veröffentlichten Wortlaut heranzieht. Die Resolution macht nicht, wie behauptet wird, die politische Wirksamkeit für die Trade-Unions und andere politisch neutrale Körperschaften obligatorisch. Sie verlangt nur, daß in jedem Lande eine Partei der Arbeiterklasse gebildet wird, die deutlich allen bürgerlichen Parteien gegenübersteht. Das bedeutet, sie ruft die Arbeiterklasse hier in England auf, abzulehnen, der "großen liberalen Partei" weiterhin als Anhängsel zu dienen und eine eigne, unabhängige Partei zu bilden, wie in den ruhmreichen Zeiten der großen Chartistenbewegung.

So erweist sich der angebliche Vertrauensbruch gegenüber den Trade-Unions als eine reine Erfindung. Es möge uns jedoch gestattet sein zu fragen, wo die Trade-Unions jetzt stehen, die sich einst selbst der Internationale angeschlossen hatten? Die Kassenausweise vom vergangenen Jahr zeigen, daß sie fast sämtlich unter dem Sekretariat des Bürgers Haies verschwunden sind.

Die nächste Beschwerde ist, daß der Generalrat nach New York verlegt worden ist und weder Engländer noch Amerikaner in ihm sitzen. Der neue Generalrat ist aus Männern von fünf verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt, und wenn sich die Engländer in New York von der Internationale fernhalten, so trifft sie selbst die Schuld, wenn sie im Rat nicht vertreten sind. Als dieser Rat in London seinen Sitz hatte, waren die Engländer darin stets weitaus stärker vertreten als jede andere Nation und bildeten sehr oft die absolute Mehrheit, während die Franzosen z.B. zu einer gewissen Zeit überhaupt nicht vertreten waren. Aber die Engländer können das nicht als ein verbrieftes Recht ansehen. Als der Haager Kongreß kraft der ihm durch Art. 3 der Allgemeinen Statuten auferlegten Pflichten und Rechte den neuen Generalrat wählte, erkor er den seiner Meinung nach besten Ort und in diesem Ort die besten Leute. Die Unterzeichner des Zirkulars mögen anderer Meinung sein, aber das berührt nicht das Recht des Kongresses.

Das Zirkular gibt vor, daß durch diese Handlung die Sektionen und Föderationen ihres früheren Rechts beraubt seien, über die in ihren jewei- |200| ligen Ländern zu verfolgende Politik zu bestimmen. Das ist wiederum unwahr. Ob der Generalrat seinen Sitz in London, in New York oder sonstwo hat, die Rechte der Sektionen und Föderationen bleiben dieselben. Aber, sagt das Zirkular, um Ungehorsam in diesem Punkte zu verhindern,

"rüstete der Kongreß diesen Generalrat mit der Vollmacht aus, jede Sektion, jede Föderation oder jeden Föderalrat nach Belieben, ohne Angabe von Gründen, zu suspendieren".

Wiederum unwahr. Das Recht, eine Sektion zu suspendieren, war dem Generalrat schon durch den Baseler Kongreß (1869) verliehen worden. Der offizielle Wortlaut der Resolutionen des Haager Kongresses - Resolution II, Artikel 1 ("International Herald" Nr. 37) - zeigt, daß, wenn die Vollmachten des Generalrats erweitert oder vielmehr besser präzisiert worden sind, sie auch von Sicherungen umgeben worden sind, die vorher nicht existierten. So muß der Generalrat, wenn er einen Föderalrat auflöst, innerhalb von 30 Tagen für die Wahl eines neuen sorgen; und so bleibt die Föderation am Ende selbst der oberste Richter. Wenn der Generalrat eine ganze Föderation suspendiert, muß er, wenn die übrigen Föderationen es verlangen, seine Entscheidung innerhalb eines Monats dem endgültigen Urteil einer Delegiertenkonferenz aller Föderationen unterbreiten. Und das nennt das Zirkular: Vollmacht zur Suspension ohne Angabe von Gründen!

Arbeiter! Ob Ihr persönlich die in Den Haag gefaßten Resolutionen billigt oder mißbilligt, sie sind augenblicklich das Gesetz der Internationale. Wenn es solche unter Euch gibt, die sie mißbilligen, so haben sie ihr Rechtsmittel auf dem nächsten Kongreß. Aber weder eine Sektion noch der Britische Föderalrat, noch ein durch ihn einberufener nationaler Kongreß hat das Recht, Resolutionen eines rechtmäßig einberufenen allgemeinen Kongresses zu verwerfen. Wer immer das versucht, stellt sich tatsächlich selbst außerhalb der Reihen der Internationale, und das haben die Unterzeichner des Zirkulars tatsächlich getan. Zuzulassen, daß solche Tätigkeit die Internationale beherrscht, würde ihrer Auflösung gleichkommen.

Sogar in den Ländern, deren Delegierte in Den Haag die Minorität bildeten, hat eine starke Reaktion gegen die von jenen Delegierten genährten sezessionistischen Gelüste eingesetzt. Während in Amerika, Frankreich, Deutschland, Polen, Österreich, Ungarn, Portugal und in der ganzen Schweiz, ausgenommen eine kleine Gruppe von kaum 200 Mann, die Haager Resolutionen freudig akzeptiert werden, haben die holländischen Internationalen auf einem Kongreß beschlossen, zum New-Yorker Generalrat zu |201| halten und alle etwaigen Beschwerden, die sie haben mögen, dem nächsten rechtmäßigen allgemeinen Kongreß im September 1873 vorzulegen und niemandem sonst. In Spanien, wo der Föderalrat eine sezessionistische Bewegung versuchte, die der in dem fraglichen Zirkular eingeleiteten ähnlich ist, wird der Widerstand dagegen täglich stärker, und eine Sektion nach der anderen bekennt sich zu den Haager Resolutionen.

Arbeiter! Aus all diesen Gründen protestieren wir gegen die Einberufung irgendeines britischen Kongresses, der zu Gericht sitzen soll über das Gesetz der Assoziation, wie es von den Delegierten aller in ihr vertretenen Nationen festgelegt worden ist.

Wir protestieren gegen jeden so kurzfristig einberufenen Kongreß wie den für den 5. Januar anberaumten.

Wir ersuchen alle Sektionen dringend, das Vorhergesagte der Erwägung ihrer Mitglieder zu unterbreiten und zu bedenken, daß die Zukunft unserer Assoziation in England von ihrer Haltung in der augenblicklichen Krisis abhängt.

Es ist notwendig, daß wir als rechtmäßige Delegierte des Föderalrats nur diejenigen anerkennen, die die Autorität des Haager Kongresses verteidigen und bestrebt sind, die dort gefaßten Resolutionen durchzuführen.

Angenommen auf der Generalversammlung der Manchester Foreign Section am Sonnabend, dem 21. Dezember 1872.

Brüderliche Grüße allen Mitgliedern unserer Assoziation.

P. Zürcher, Vorsitzender der Versammlung
F. Kupper, Generalsekretär und deutscher Sekretär
O. Wyss, französischer Sekretär


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