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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 335-346.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999


II.
Die geheime Allianz

|335| Die Allianz der sozialistischen Demokratie ist durchaus von Bourgeois-Herkunft. Sie ist nicht von der Internationalen ausgegangen; sie ist ein Sprößling der Friedens- und Freiheitsliga, einer totgeborenen Gesellschaft von Bourgeois-Republikanern. Die Internationale war schon fest begründet, als Michail Bakunin sich in den Kopf setzte, eine Rolle als Emanzipator des Proletariats zu spielen. Sie konnte ihm nur das allen Mitgliedern gemeinsame Feld der Tätigkeit bieten. Um in ihr etwas zu gelten, hätte er sich zuerst durch beständige und aufopfernde Arbeit die Sporen verdienen müssen; er glaubte bessere Aussichten und einen leichteren Weg auf seiten der Bourgeois der Liga zu finden.

Er ließ sich also im September 1867 zum Mitgliede des permanenten Komitees der Friedensliga wählen und nahm seine Rolle ernst; man kann sogar sagen, daß er und Barni, heute Deputierter in Versailles, die Seele dieses Komitees waren. Sich als Theoretiker der Liga aufspielend, sollte Bakunin unter ihren Auspizien ein Werk: "Der Föderalismus, der Sozialismus und der Antitheologismus" (1) veröffentlichen. Indessen überzeugte er sich bald, daß die Liga eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen, eine Vergnügungsreise mit großsprecherischen Reden zu verbinden, während im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs. Da dachte er daran, die Liga auf die Internationale zu propfen. Um diesen Plan auszuführen, ließ sich Bakunin auf Elpidins Vorschlag im Juli 1868 in die Genfer Zentralsektion |der Internationale| aufnehmen. Auf der anderen Seite bewirkte er, daß das Komitee der Liga einen Antrag annahm, dem internationalen Kongreß zu |336| Brüssel |3. Kongress der IAA 1868| ein Offensiv- und Defensivbündnis beider Gesellschaften vorzuschlagen; und um die Billigung des Kongresses für dies lebhafte Vorgehen zu erlangen, verfaßte er ein vertrauliches Zirkular und ließ es durch das Komitee an die "Herren" der Liga versenden. Er gesteht daselbst offen ein, daß die Liga, bisher eine ohnmächtige Posse, nur dadurch Bedeutung gewinnen könne, daß sie der Allianz der Unterdrücker

"die Allianz der Völker, die Allianz der Arbeiter entgegenstelle ... wir können nur dann etwas werden, wenn wir die aufrichtigen und ernsten Vertreter der Millionen der Arbeiter werden".

Es sollte die providentielle Sendung der heiligen Liga sein, die Arbeiterklasse mit einem selbsternannten Bourgeois-Parlament zu beglücken, dem diese die Sorge um ihre politische Leitung überlassen sollte.

"Um eine heilsame und wirkliche Macht zu werden", heißt es am Schlüsse des Zirkulars, "muß unsere Liga der reine politische Ausdruck der großen ökonomischen und sozialen Interessen und Prinzipien werden, welche heute durch die große Internationale Assoziation der Arbeiter von Europa und Amerika triumphierend entwickelt und verbreitet werden."

Der Kongreß zu Brüssel wagte es, den Vorschlag der Liga zu verwerfen. Groß war die Enttäuschung und der Zorn Bakunins. Auf der einen Seite entzog sich die Internationale seiner Protektion. Auf der anderen Seite kanzelte ihn der Präsident der Liga, Professor Gustav Vogt, derb ab.

"Entweder", schrieb er an Bakunin, "warst Du des Erfolgs unserer Einladung nicht sicher, dann hast Du unsere Liga kompromittiert; oder Du wußtest, welche Überraschung Deine Freunde von der Internationale für uns bereithielten, dann hast Du uns auf eine unwürdige Art getäuscht. Ich frage Dich, was wir unserem Kongreß sagen sollen?"

Bakunin antwortete ihm in einem Briefe, der jedem, der ihn hören wollte, vorgelesen wurde:

"Ich konnte nicht voraussehen", sagte er, "daß der Kongreß der Internationalen uns mit einer ebenso plumpen als anmaßenden Beleidigung antworten würde; wir danken dieses den Intrigen einer gewissen Koterie von Deutschen, welche die Russen verabscheut" (er erklärte seinen Zuhörern ausdrücklich, daß dieses die Marxsche Koterie wäre). "Du fragst mich, was wir tun sollen? Ich nehme die Ehre in Anspruch, auf diesen groben Schimpf im Namen des Komitees auf der Tribüne unseres Kongresses die Antwort zu geben."

Statt Wort zu halten, wendete Bakunin seinen Rock. Er legte dem Kongreß der Ligisten zu Bern ein Programm eines Phantasie-Sozialismus vor, |337| worin er die Gleichmachung der Klassen und Individuen verlangte, um so die Damen der Liga zu übertrumpfen, welche nur die Gleichmachung der Geschlechter verlangen. Von neuem geschlagen, zog er sich mit einer winzigen Minorität vom Kongreß zurück und begab sich nach Genf.(2)

Die von Bakunin geträumte Allianz zwischen Bourgeois und Arbeitern sollte sich nicht auf eine öffentliche Allianz beschränken. Die geheimen Statuten der Allianz der sozialistischen Demokratie (siehe: Beweisstücke Nr. I) enthalten Anzeichen, daß Bakunin im Schoße der Liga selbst den Grund zu einer geheimen Gesellschaft gelegt, der die Herrschaft über jene zufallen sollte. Nicht nur sind die Namen der leitenden Gruppen identisch mit denen der Liga (permanentes Zentralkomitee, Zentralbüro, Nationalkomitees), sondern es wird auch in den geheimen Statuten erklärt, daß die "Gründungsmitglieder der Allianz zum größten Teil ehemalige Mitglieder des Kongresses zu Bern" seien. Um sich als Haupt der Internationalen zur Geltung zu bringen, mußte er als Haupt einer anderen Armee dastehen, deren absolute Ergebenheit gegen seine Person ihm durch eine geheime Organisation gesichert war. Hatte er seine Gesellschaft einmal offen in die Internationale eingepflanzt, dann rechnete er darauf, jene in alle Sektionen zu verzweigen und sich hierdurch deren absolute Leitung zu verschaffen. Zu diesem Zwecke gründete er in Genf die (öffentliche) Allianz der sozialistischen Demokratie. Äußerlich war es nur eine öffentliche Gesellschaft, die freilich, obwohl ganz in der Internationalen aufgegangen, eine besondere internationale Organisation, ein Zentralkomitee, Nationalbüros, und von unserer Assoziation unabhängige Sektionen haben sollte; neben unserem jährlichen Kongreß sollte die Allianz öffentlich den ihrigen abhalten. Aber diese öffentliche Allianz barg in sich eine andere, die ihrerseits durch die noch geheimere Allianz der internationalen Brüder, der Hundert-Garden des Diktators Bakunin, geleitet wurde.

Die geheimen Statuten der "Organisation der Allianz der internationalen Brüder" zeigen, daß es in dieser Allianz "drei Grade" gibt: "I. Die internationalen Brüder; II. Die nationalen Brüder; III. Die halbgeheime und halböffentliche Organisation der Internationalen Allianz der sozialistischen Demokratie."

|338| I. Die internationalen Brüder, deren Zahl sich auf "hundert" beschränkt, bilden das heilige Kollegium. Sie stehen unter einem Zentralkomitee und unter Nationalkomitees, welche als Vollziehungsbüros und als Überwachungskomitees organisiert sind. Diese Komitees selbst sind vor der "Konstituante" oder der Generalversammlung von mindestens zwei Dritteln der internationalen Brüder verantwortlich. Diese Allianz-Brüder

"haben kein anderes Vaterland als die allgemeine Revolution, kein anderes Ausland und keinen anderen Feind als die Reaktion. Sie verwerfen jede Versöhnungs- und Kompromißpolitik und halten jede politische Bewegung für reaktionär, die nicht den Triumph ihrer Prinzipien zum unmittelbaren und direkten Zweck hat."

Da aber dieser Artikel die politische Tätigkeit der "Hundert" auf den jüngsten Tag hinausschiebt, und da diese Unversöhnlichen nicht vorhaben, auf die Vorteile öffentlicher Ämter zu verzichten, so sagt der Artikel 8:

"Kein Bruder wird irgendeinen öffentlichen Dienst anders all mit Zustimmung des Komitees, zu dem er gehört, übernehmen."

Wenn wir auf Spanien und Italien zu sprechen kommen, werden wir sehen, wie sehr die Häupter der Allianz sich beeifert haben, diesen Artikel praktisch auszuführen. Die internationalen Brüder

"sind Brüder ... jeder von ihnen muß allen anderen heilig sein, mehr als ein Bruder von Geburt; jeder Bruder hat auf die Hülfe und den Beistand aller anderen bis auf die Auslöschung der Möglichkeit zu rechnen."

Die Affäre Netschajew wird uns enthüllen, was diese geheimnisvolle Auslöschung der Möglichkeit bedeutet.

"Alle internationalen Brüder kennen einander. Kein politisches Geheimnis darf je unter ihnen existieren. Keiner kann irgendeiner geheimen Gesellschaft angehören ohne positive Zustimmung seines Komitees oder im Notfall, wenn dieses es verlangt, ohne die des Zentralkomitees, und er kann ihr nur unter der Bedingung angehören, daß er ihnen alle Geheimnisse aufdeckt, welche sie direkt oder indirekt interessieren könnten."

Die Piétris und Stieber verwenden nur untergeordnete und verlorene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen Brüder in die geheimen Gesellschaften schickt, um deren Geheimnisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben {1} Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der "allgemeinen Revolution" übernehmen sollen. - Im übrigen setzt dieser revolutionäre Pickelhäring dem Gemeinen noch die Krone des Possenhaften auf:

|339| "Internationaler Bruder kann nur werden, wer offen das ganze Programm in allen seinen theoretischen und praktischen Konsequenzen angenommen hat und mit der Intelligenz, Energie, Ehrenhaftigkeit (!) und Zuverlässigkeit die revolutionäre Leidenschaft verbindet - den Teufel im Leibe hat."

II. Die nationalen Brüder werden nach demselben Plan von den internationalen Brüdern in jedem Lande als nationale Assoziation organisiert, doch dürfen sie in keinem Falle auch nur die Existenz einer internationalen Organisation ahnen.

III. Die geheime Internationale Allianz der sozialistischen Demokratie, deren Mitglieder sich so ziemlich {2} überall rekrutieren, besitzt ein gesetzgebendes Organ in dem permanenten Zentralkomitee, welches, so oft es zusammentritt, sich in die "Geheime Generalversammlung der Allianz" umtauft. Diese Versammlung findet einmal jährlich auf dem Kongreß der Internationalen statt, oder außerordentlich auf Einberufung durch das Zentralbüro oder vielmehr durch die Genfer Zentralsektion.

Die Genfer Zentralsektion ist "die permanente Delegation des permanenten Zentralkomitees" und "der vollziehende Rat der Allianz". Sie zerfällt wiederum in zwei Unterabteilungen: Zentralbüro und Überwachungskomitee. Das Zentralbüro, aus 3 bis 7 Mitgliedern bestehend, ist die eigentliche Exekutivgewalt der Allianz:

"Es erhält von der Genfer Zentralsektion seine Winke und hat seinerseits seine geheimen Mitteilungen, um nicht zu sagen seine Befehle, an alle Nationalkomitees zu richten, von denen es wenigstens einmal monatlich geheime Berichte zu empfangen hat."

Dieses Zentralkomitee hat das Mittel entdeckt, zugleich Fisch und Fleisch, geheim und öffentlich zu sein, denn als Teil

"der geheimen Zentralsektion ist das Zentralbüro eine geheime Organisation; ... als öffentliches Direktorium der öffentlichen Allianz ist es eine öffentliche Organisation".

Man sieht also, daß Bakunin bereits die ganze geheime und öffentliche Direktion seiner "teuern Allianz "organisiert hatte, bevor diese selbst existierte, und daß die bei irgendeiner Wahl beteiligten Mitglieder nur die Marionetten eines von ihm gelenkten Puppenspiels waren. Übrigens geniert er sich auch nicht, es zu sagen, wie wir gleich sehen werden. Die Genfer Zentralsektion, deren Aufgabe es sein sollte, dem Zentralbüro seine Winke zu geben, ist selbst nur eine Komödie, denn ihre Majoritätsbeschlüsse {3} sind für das Büro nur obligatorisch, wenn dieses nicht

|340| "in der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt, dagegen an die Generalversammlung zu appellieren, die es dann innerhalb drei Wochen einzuberufen hat. Eine so einberufene Generalversammlung bedarf, um beschlußfähig zu sein, der Anwesenheit von zwei Dritteln aller ihrer Mitglieder."

Man sieht, das Zentralbüro hatte sich mit allen konstitutionellen Garantien zur Sicherung seiner Unabhängigkeit umgeben.

Man könnte die Naivetät haben zu glauben, daß dieses autonome Zentralbüro wenigstens frei gewählt wäre von der Genfer Zentralsektion. Durchaus nicht; das provisorische Zentralbüro ist

"der Genfer Gründungsgruppe präsentiert worden als provisorisch gewählt von allen Gründungsmitgliedern der Allianz, die, zum größten Teil ehemalige Mitglieder des Kongresses zu Bern, heimgereist sind" (mit Ausnahme Bakunins), "nachdem sie ihre Vollmacht an den Bürger Bakunin übertragen".

Die Gründungsmitglieder der Allianz sind also niemand anders als die paar sezessionistischen Bourgeois der Friedensliga.

Also: das permanente Zentralkomitee, welches sich die konstituierende und gesetzgebende Gewalt über die ganze Allianz angemaßt, hatte sich selbst ernannt. Die permanente Exekutiv-Delegation dieses permanenten Zentralkomitees, die Genfer Zentralsektion, hatte sich selbst ernannt, statt von diesem Komitee ernannt zu sein. Das vollziehende Zentralbüro dieser Genfer Zentralsektion, statt von dieser gewählt zu sein, war ihr durch eine Gruppe von Individuen aufgedrängt, welche sämtlich "ihre Vollmachten an den Bürger Bakunin übertragen" hatten.

Also der "Bürger B." ist der Angelpunkt der Allianz. Und um seine Funktion als solcher zu behaupten, sagen die geheimen Statuten der Allianz buchstäblich:

"Ihre sichtbare Regierungsform wird die einer Präsidentschaft in einer Föderativ-Republik sein" -

eine Präsidentschaft, für welche der Präsident schon im voraus existierte, der permanente "Bürger B.".

Da die Allianz eine internationale Gesellschaft ist, so besteht in jedem Lande ein Nationalkomitee, das

"von allen zu derselben Nation gehörigen Mitgliedern des permanenten Zentralkomitees"

gebildet wird.

Zur Konstituierung eines Nationalkomitees sind nur drei Mitglieder erforderlich. Um die Regelmäßigkeit des bürokratischen Instanzenzugs zu sichern, sollen

|341| "die Nationalkomitees als die einzigen Mittelsorgane zwischen dem Zentralbüro und allen Lokalgruppen ihres Landes"

dienen. Die Nationalkomitees haben

"für die Organisation der Allianz in ihrem Lande zu sorgen, doch in der Art, daß diese immer durch Mitglieder des permanenten Zentralkomitees beherrscht und auf den Kongressen vertreten werden".

Das nennt man in der Allianzsprache: von unten herauf organisieren. Diese Lokalgruppen haben nur das Recht, ihre Programme und Reglements an die Nationalkomitees zu bringen, damit sie

"der Bestätigung des Zentralbüros unterbreitet werden; ohne diese Bestätigung können die Lokalgruppen keinen Teil der Allianz bilden".

War diese despotische und hierarchische geheime Organisation einmal auf die Internationale gepfropft, dann brauchte man, um sie vollständig zu machen, nur noch diese letztere zu desorganisieren. Zu diesem Zwecke genügte es, deren Sektionen zu anarchisieren und zu autonomisieren, und ihre Zentralorgane in einfache Briefkästen, "Korrespondenz- und statistische Büros" umzuwandeln, wie dies wirklich später versucht wurde.

Die revolutionäre Vergangenheit des permanenten "Bürgers B." war nicht ruhmreich genug, ihm die Hoffnung zu gestatten, in der geheimen Allianz, und noch weniger in der öffentlichen Allianz, die Permanenz der Diktatur zu verewigen, welche er zu seinen Gunsten mit Beschlag belegt hatte. Er mußte sie also unter demokratisierenden Spiegelfechtereien verbergen. Die geheimen Statuten schreiben demgemäß vor, daß das provisorische Zentralbüro (lies: der permanente Bürger) bis zur ersten öffentlichen Generalversammlung der Allianz zu funktionieren hat, welche dann die Mitglieder des neuen permanenten Zentralbüros ernennt. Aber,

"da es dringend notwendig ist, daß das Zentralbüro stets nur aus Mitgliedern des permanenten Zentralkomitees bestehe, so wird dieses letztere vermittelst seiner Nationalkomitees dafür sorgen müssen, alle lokalen Gruppen so zu organisieren und zu leiten, daß sie als Delegierte in diese Versammlung nur Mitglieder des permanenten Zentralkomitees senden, oder in deren Ermangelung nur Leute, die vollständig der Leitung ihrer respektiven Nationalkomitees ergeben sind, damit das permanente Zentralkomitee in der ganzen Organisation der Allianz stets die Oberhand habe".

Diese Instruktionen sind nicht von einem bonapartistischen Minister oder Präfekten am Tage vor den Wahlen gegeben, sondern von dem quintes-senziierten Anti-Autoritäts-Mann, von dem Erzanarchisten, von dem |342| Apostel der Organisation von unten herauf, von dem Bayard |Ritter ohne Furcht und Tadel| der Autonomie der Sektionen und der {4} Föderation der autonomen Gruppen, von Sankt-Michail Bakunin zum Schütze seiner Permanenz.

Wir haben eben die zur Verewigung der Diktatur des "Bürgers B." geschaffene Organisation {5} geprüft; wir kommen jetzt auf ihr Programm.

"Die Assoziation der internationalen Brüder will die allgemeine, zu gleicher Zeit soziale, philosophische, ökonomische und politische Revolution, damit von der gegenwärtigen Ordnung der Dinge, begründet wie sie ist auf dem Eigentums, der Ausbeutung, der Herrschaft und dem Autoritätsprinzip - dasselbe sei religiös oder metaphysisch und bourgeois-doktrinär, ja selbst jakobinisch-revolutionär -, zunächst in ganz Europa und dann auf der übrigen Welt kein Stein auf dem andern bleibe. Mit dem Rufe: Frieden den Arbeitern, Freiheit den Unterdrückten und Tod den Herrschern, Ausbeutern und Vormündern jeder Sorte! wollen wir alle Staaten und alle Kirchen nebst allen ihren religiösen, politischen, juristischen, finanziellen, polizeilichen, universitätlichen, ökonomischen und sozialen Einrichtungen und Gesetzen vernichten, damit alle diese Millionen armen Menschenwesen, welche man bisher betrog, knechtete, marterte, ausbeutete, nunmehr von allen ihren offiziellen und offiziösen Lenkern und Wohltätern befreit, Genossenschaften wie Individuen, endlich in vollkommener Freiheit aufatmen."

Das heißt schon revolutionärer Revolutionarismus! Um zu diesem Abrakadabra-Ziel zu gelangen, ist die erste Bedingung nicht etwa die, die bestehenden Staaten und Regierungen mit den bei den gewöhnlichen Revolutionären gebräuchlichen Mitteln zu bekämpfen, sondern im Gegenteil mittelst klingender Doktorphrasen

"die Einrichtung des Staats überhaupt und deren natürliche Konsequenz wie Grundlage, das individuelle Eigentum",

anzugreifen.

Es handelt sich also nicht darum, den bonapartistischen, preußischen oder russischen Staat umzustürzen, sondern den abstrakten Staat, den Staat als solchen, einen Staat, der nirgends existiert. Doch wenn auch die internationalen Brüder bei ihrem erbitterten Kampf gegen diesen in den Wolken gelegenen Staat es verstehen, den Totschlägern, dem Gefängnis und den Kugeln aus dem Wege zu gehen, welche die wirklichen Staaten für die gewöhnlichen Revolutionäre aufsparen, so haben wir zugleich auch gesehen, daß sie sich das nur eines päpstlichen Dispenses bedürfende Recht reserviert haben, von allen Vorteilen Nutzen zu ziehen, welche ihnen die wirklichen Bourgeois-Staaten bieten. Fanelli, italienischer Deputierter, |343| Soriano, Beamter der Regierung Amadeo von Savoyen, und vielleicht auch Albert Richard und Gaspard Blanc, bonapartistische Polizeiagenten, zeigen uns, wie kulant der Papst in dieser Hinsicht ist ... Auch kümmert sich die Polizei kaum um "die Allianz, oder, um offen das Wort zu gebrauchen, "die Verschwörung" des Bürgers B. gegen den abstrakten Staatsbegriff.

Der erste Akt der Revolution muß also die Dekretierung der Abschaffung des Staats sein, wie es Bakunin am 28. September in Lyon getan hat, obwohl diese Abschaffung des Staats notwendig ein Autoritätsakt ist. Unter Staat versteht er jede politische, revolutionäre oder reaktionäre Gewalt,

"denn es ist uns wenig daran gelegen, ob dieselbe sich Kirche, Monarchie, konstitutioneller Staat, Bourgeoisie-Republik oder selbst revolutionäre Diktatur nennt. Wir verabscheuen und verwerfen sie alle aus gleichem Grunde, als unfehlbare Quellen der Ausbeutung und des Despotismus."

Ja, er erklärt, daß alle Revolutionäre, welche am Tage nach der Revolution "den Aufbau des revolutionären Staates" wollen, noch viel gefährlicher sind als alle bestehenden Regierungen, und daß

"wir, die internationalen Brüder, die natürlichen Feinde dieser Revolutionäre sind",

denn es ist die erste Pflicht der internationalen Brüder, die Revolution zu desorganisieren.

Die Antwort auf diese Aufschneidereien über die sofortige Abschaffung des Staates und über die Gründung der Anarchie findet man bereits in dem vertraulichen Zirkular des letzten Generalrats: "Les prétendues scissions dans l'Internationale" (Die angeblichen Spaltungen in der Internationale) vom März 1872, Seite 37: "Die Anarchie, das ist das große Paradepferd ihres Meisters Bakunin, der von allen sozialistischen Systemen nur die Aufschriften aufgenommen hat. Alle Sozialisten verstehen unter Anarchie dieses: ist einmal das Ziel der proletarischen Bewegung, die Abschaffung der Klassen, erreicht, so verschwindet die Gewalt des Staates, welche dazu dient, die große produzierende Mehrheit unter dem Joche einer wenig zahlreichen ausbeutenden Minderheit zu erhalten, und die Regierungsfunktionen verwandeln sich in einfache Verwaltungsfunktionen. Die Allianz greift die Sache am umgekehrten Ende an. Sie proklamiert die Anarchie in den Reihen der Proletarier als das unfehlbarste Mittel, die gewaltigen, in den Händen der Ausbeuter konzentrierten gesellschaftlichen und politischen Machtmittel zu brechen. Unter diesem Verwände verlangt sie von der Internationalen in demselben Augenblick, wo die alte |344| Welt sie zu zermalmen strebt, daß sie ihre Organisation durch die Anarchie ersetze."

Doch verfolgen wir das anarchistische Evangelium bis in seine Konsequenzen; nehmen wir an, der Staat sei durch ein Dekret abgeschafft. Nach Artikel 6 werden die Konsequenzen dieses Akts sein: der Staatsbankerott, das Aufhören der Bezahlung von Privatschulden vermöge der Einmischung des Staates, das Aufhören jeder Steuerzahlung und Abgabenleistung, die Auflösung des Heeres, der Magistratur, der Bürokratie, der Polizei und der Priester {6}, die Abschaffung der amtlichen Rechtspflege, begleitet von einem Autodafé aller Eigentumstitel, der gesamten juridischen und zivilen Akten-Makulatur, die Konfiskation aller produktiven Kapitalien und Arbeitswerkzeuge zugunsten der Arbeitergenossenschaften, und die Allianz dieser Genossenschaften, welche "die Kommune konstituieren wird". Diese Kommune wird den so Beraubten genau das Notwendige geben, indem sie ihnen freistellt, durch ihre eigene Arbeit mehr zu erwerben.

Die Tatsache hat es in Lyon bewiesen, daß die einfache Dekretierung der Abschaffung des Staates lange nicht hinreicht, um alle diese schönen Versprechungen zu erfüllen. Zwei Kompanien Bourgeois-Nationalgarden genügten im Gegenteil, um diesen glänzenden Traum zu vernichten und Bakunin in aller Eile auf den Marsch nach Genf zu bringen, das wundertätige Dekret in der Tasche. Auch konnte er bei seinen Anhängern nicht hinreichende Dummheit voraussetzen, um nicht die Notwendigkeit einzusehen, ihnen irgendeinen Organisationsplan zu geben, der die Ausführung seines Dekrets sicherstellen sollte. Dieser Plan ist folgender:

"Zur Organisation der Kommune: eine Föderation der Barrikaden in Permanenz und die Einsetzung eines Rats der revolutionären Kommune durch Delegation von einem oder zwei Abgeordneten für jede Barrikade, einem für die Straße oder für den Bezirk; die Deputierten sind mit imperativen Mandaten versehen und stets verantwortlich sowie jederzeit widerrufbar" (es sind drollige Dinger, diese Allianzbarrikaden, auf denen man Mandate redigiert, statt sich zu schlagen). "Der so organisierte Kommmalrat kann aus seiner Mitte für jeden Zweig der revolutionären Verwaltung der Kommune besondere Vollziehungsausschüsse wählen."

Die so als Kommune konstituierte insurgierte Hauptstadt erklärt dann den anderen Kommunen des Landes, daß sie jedem Anspruch, sie zu regieren, entsage; sie fordert sie auf, sich revolutionär zu reorganisieren und sodann ihre verantwortlichen, widerrufbaren und mit imperativen Mandaten |345| versehenen Delegierten an einen verabredeten Versammlungsort zu senden, um die Föderation der insurgierten Assoziationen, Kommunen und Provinzen zu konstituieren und eine Revolutionsgewalt zu organisieren, stark genug, um über die Reaktion zu triumphieren. Diese Organisation wird sich nicht auf die Kommunen des insurgierten Landes beschränken, auch andere Provinzen oder Länder können an ihr teilnehmen, während

"die Provinzen, Kommunen, Genossenschaften, Individuen, welche die Partei der Reaktion ergreifen, ausgeschlossen bleiben".

Die Abschaffung der Grenzen hält hier also gleichen Schritt mit der nachsichtigsten Duldsamkeit gegenüber den reaktionären Provinzen, die nicht unterlassen werden, den Bürgerkrieg wieder anzufachen.

Wir haben also in dieser anarchischen Organisation der Tribunen-Barrikaden zunächst den Kommunalrat, sodann Vollziehungsausschüsse, die, um irgend etwas vollziehen zu können, doch mit irgendeiner Macht versehen und von der öffentlichen Gewalt unterstützt sein müssen; wir haben ferner ein ganzes Föderalparlament, dessen Hauptaufgabe es sein wird, diese öffentliche Gewalt zu organisieren. Dieses Parlament, ebenso wie der Kommunalrat, kann {7} die Exekutivgewalt auf ein oder mehrere Komitees übertragen, die durch diese Tatsache selbst mit einem Autoritätscharakter versehen sind, den die Bedürfnisse des Kampfes schärfer und schärfer werden hervortreten lassen. Wir haben also alle Elemente des "Autoritätsstaates" aufs schönste wieder hergestellt, und es macht nichts aus, wenn wir diese Maschine "von unten herauf organisierte revolutionäre Kommune" nennen. Der Name ändert nichts an der Sache; die Organisation von unten herauf existiert in jeder Bourgeois-Republik und die imperativen Mandate datieren sogar aus dem Mittelalter, übrigens erkennt Bakunin dies selbst an, wenn er (Art. 8) seiner Organisation den Namen des "neuen revolutionären Staates" beilegt.

Was den praktischen Wert dieses neuen {8} Revolutionsplanes anlangt, wo man diskutiert, statt sich zu schlagen, so verlieren wir darüber kein Wort.

Jetzt kommen wir aber an das Geheimnis all dieser Zauberbüchsen der Allianz mit doppeltem und dreifachem Boden. Damit das orthodoxe Programm auch befolgt werde und die Anarchie sich stets einer guten Aufführung befleißige,

|346| "ist es notwendig, daß inmitten der Volksanarchie, welche eben das Leben und die ganze Kraft der Revolution bilden wird, die Einheit des Gedankens und des revolutionären Handelns ein Organ finde. Dieses Organ soll die geheime und universelle Assoziation der internationalen Brüder sein."

"Diese Assoziation geht von der Überzeugung aus, daß Revolutionen niemals gemacht werden, weder von Individuen, noch von geheimen Gesellschaften: Sie machen sich wie von selbst, durch die Macht der Dinge, durch die Bewegung der Ereignisse und der Tatsachen. Lange bereiten sie sich vor in der Tiefe des instinktiven Bewußtseins der Volksmassen, dann kommen sie zum Ausbruch ... Alles, was eine gut organisierte geheime Gesellschaft tun kann, besteht zunächst darin, daß sie die Geburt einer Revolution befördert, indem sie in den Massen die den Masseninstinkten entsprechenden Ideen verbreitet, und daß sie, nicht die Revolutionsarmee - die Armee muß immer das Volk sein" (das Kanonenfutter) "- wohl aber einen revolutionären Generalstab organisiert, der aus ergebenen, energischen, intelligenten Individuen und vor allem auf aufrichtigen und nicht ehrgeizigen oder eitlen Freunden des Volkes besteht, die die Fähigkeit besitzen, als Vermittler zwischen der" (von ihnen monopolisierten) "revolutionären Idee und den Volksinstinkten zu dienen."

"Die Zahl dieser Individuen darf also nicht sehr groß sein. Für die internationale Organisation in ganz Europa genügen hundert fest und ernst Verbündete Revolutionäre. Zwei-, dreihundert Revolutionäre werden für die Organisation des größten Landes genügen."

So zeigt sich uns auf einmal ein anderes Bild. Die Anarchie, das "entfesselte Volksleben", die "bösen Leidenschaften" usw. reichen nicht mehr aus. Um den Erfolg der Revolution zu sichern, bedarf es der Einheit des Gedankens und des Handelns. Die Internationalen suchen diese Einheit zu schaffen durch die Propaganda, die Diskussion und die öffentliche Organisation des Proletariats; Bakunin braucht dazu bloß eine geheime Organisation von hundert Mann, den privilegierten Vertretern der revolutionären Idee; einen disponiblen, selbsternannten und vom permanenten "Bürger B." kommandierten Revolutionsgeneralstab. Einheit des Gedankens und des Handelns heißt weiter nichts als Orthodoxie und blinder Gehorsam. Perinde ac cadaver. |Wie eine Leiche.| Wir befinden uns mitten in der Gesellschaft Jesu.

Der Ausspruch, daß die hundert internationalen Brüder "als Vermittler zwischen der revolutionären Idee und den Volksinstinkten dienen" müssen, schafft eine unübersteigbare Kluft zwischen der revolutionären Idee der Allianz und den Proletariermassen. Er proklamiert die Unmöglichkeit, diese Hundert-Garden anderwärts anzuwerben als aus den privilegierten Klassen.


Fußnoten von Marx und Engels

(1) Diese Bibel der Ismen wurde beim dritten Blatt aus Mangel an Manuskript abgebrochen. <=

(2) Unter den Sezessionisten finden wir die Namen Albert Richard aus Lyon, gegenwärtig bonapartistischer Polizeiagent, Gambuzzi, Advokat zu Neapel (siehe das Kapitel über Italien), Shukowski, später Sekretär der öffentlichen Allianz, und einen gewissen Büttner, Klempner zu Genf, der gegenwärtig zur ultra-reaktionären Partei gehört. <=


Textvarianten

{1} In der französischen Ausgabe: gerade den <=

{2} In der französischen Ausgabe fehlt: so ziemlich <=

{3} In der französischen Ausgabe: Beschlüsse, wenn sie auch mit einer Majorität angenommen sein mochten (statt: Majoritätsbeschlüsse) <=

{4} In der französischen Ausgabe eingefügt: freien <=

{5} In der französischen Ausgabe: bestimmte geheime Organisation (statt: geschaffene Organisation) <=

{6} In der französischen Ausgabe eingefügt: (!) <=

{7} In der französischen Ausgabe: müßte <=

{8} In der französischen Ausgabe fehlt: neuen <=


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