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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 18, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 476-493.

1. Korrektur.
Erstellt am 04.03.1999

Friedrich Engels

Die Bakunisten an der Arbeit

Denkschrift über den Aufstand in Spanien im Sommer 1873

Geschrieben im September und Oktober 1873.
Nach: "Internationales aus dem 'Volksstaat' (1871-75)",
Berlin 1894.

Vorbemerkung (1894)


I

|476| Der soeben veröffentlichte Haager Kommissionsbericht über die geheime Allianz Michail Bakunins (1) hat der Arbeiterwelt das geheime Treiben, die Schurkereien und das hohle Phrasengeklingel dargelegt, vermittelst dessen die proletarische Bewegung dem aufgeblähten Ehrgeiz und den selbstischen Zwecken einiger verkannten Genies dienstbar gemacht werden sollte. Inzwischen haben diese Gerngroßmänner uns in Spanien Gelegenheit gegeben, auch ihre praktische Revolutionstätigkeit kennenzulernen. Sehn wir, wie sie ihre ultrarevolutionären Phrasen von Anarchie und Selbstherrlichkeit, von Abschaffung aller Autorität, besonders der staatlichen, von sofortiger und vollständiger Emanzipation der Arbeiter verwirklichen. Wir sind dazu jetzt endlich imstande, da uns außer den Zeitungsberichten über die Ereignisse in Spanien jetzt auch der von der Neuen Madrider Föderation der Internationalen an den Genfer Kongreß eingesandte Bericht vorliegt.

Es ist bekannt, daß in Spanien bei der Spaltung der Internationalen die Mitglieder der geheimen Allianz die Oberhand behielten; weitaus die größere Mehrzahl der spanischen Arbeiter hing ihnen an. Als nun im Februar 1873 die Republik proklamiert wurde, kamen die spanischen Allianzisten in eine sehr schwierige Lage. Spanien ist ein in der Industrie so sehr zurückgebliebenes Land, daß dort von einer sofortigen vollständigen Emanzipation der |477| Arbeiterklasse noch gar nicht die Rede sein kann. Ehe es dahin kommt, muß Spanien noch verschiedne Vorstufen der Entwicklung durchmachen und eine ganze Reihe von Hindernissen aus dem Wege räumen. Den Verlauf dieser Vorstufen in die kürzestmögliche Zeitdauer zusammenzudrängen, diese Hindernisse rasch zu beseitigen - dazu bot die Republik die Gelegenheit. Diese Gelegenheit konnte aber nur benutzt werden durch tätiges politisches Eingreifen der spanischen Arbeiterklasse. Dies fühlte die Masse der Arbeiter; sie drang überall darauf, daß man sich an den Ereignissen beteilige, daß man die Gelegenheit zum Handeln benutze, statt, wie bisher, den besitzenden Klassen das Feld für ihre Aktion und ihre Intrigen frei zu lassen. Die Regierung schrieb die Wahlen aus zu den konstituierenden Cortes; welche Stellung sollte die Internationale nehmen? Die Häupter der Bakunisten waren in der größten Verlegenheit. Eine fortgesetzte politische Untätigkeit erschien von Tag zu Tag lächerlicher und unmöglicher; die Arbeiter wollten "Taten sehn". Andrerseits hatten die Allianzisten seit Jahren gepredigt, daß man an keiner Revolution sich beteiligen dürfe, die nicht die sofortige volle Emanzipation der Arbeiterklasse zum Ziel habe, daß die Vornahme irgendwelcher politischen Handlung die Anerkennung des Staats, dieses Prinzips des Bösen, in sich schließe und daß daher namentlich die Teilnahme an irgendwelcher Wahl ein todeswürdiges Verbrechen sei. Wie sie sich aus dieser Klemme zogen, lehrt der angeführte Madrider Bericht:

"Dieselben Leute, welche den Haager Beschluß über die politische Haltung der Arbeiterklasse verwarfen und die Statuten der Assoziation mit Füßen traten und damit den Zwiespalt, den Kampf und die Unordnung in die spanische Internationale einführten; dieselben Leute, die die Schamlosigkeit hatten, uns in den Augen der Arbeiter als ehrgeizige Stellenjäger darzustellen, welche unter dem Vorwand, die Arbeiterklasse zur Herrschaft zu bringen, sich selbst die Herrschaft erobern wollten; dieselben Leute, die sich autonome, anarchistische Revolutionäre usw. nennen, haben sich bei dieser Gelegenheit mit Eifer darauf geworfen, in Politik zu machen, aber in der allerschlimmsten, in der Bourgeoispolitik. Sie haben nicht dafür gearbeitet, der Arbeiterklasse die politische Macht zu verschaffen - diese Idee verabscheuen sie im Gegenteil -, sondern einem Bruchteil der Bourgeoisie ans Ruder zu verhelfen, der aus Abenteurern, Ehrgeizigen und Stellenjägern besteht, und sich intransigente (unversöhnliche) Republikaner nennt.

Schon am Vorabend der allgemeinen Wahlen für die Konstituante verlangten die Arbeiter von Barcelona, Alcoy und andren Orten zu wissen, welche Politik die Arbeiter zu befolgen hätten, sowohl im parlamentarischen Kampfe wie in jedem andren. Es wurden deswegen zwei große Versammlungen abgehalten, die eine in Barcelona, die andre in Alcoy; auf beiden stemmten sich die Allianzisten mit allen Kräften |478| dagegen, daß man die von der Internationale" (der ihrigen notabene |wohlgemerkt|) "zu beobachtende politische Haltung feststelle. Man beschloß also, daß die Internationale als Assoziation durchaus keine politische Tätigkeit auszuüben habe, daß aber die Internationalen, jeder für sich, handeln möchten, wie sie wollten, und sich jeder ihnen gutdünkenden Partei anschließen könnten, kraft ihrer famosen Selbstherrlichkeit! Und was war die Folge der Anwendung einer so abgeschmackten Lehre? Daß die große Masse der Internationalen, mit Einschluß der Anarchisten, sich an den Wahlen beteiligte, ohne Programm, ohne Fahne, ohne eigne Kandidaten, und so dazu beitrugen, daß fast ausschließlich Bourgeoisrepublikaner gewählt wurden. Nur zwei oder drei Arbeiter kamen in die Kammer, Leute, die absolut nichts repräsentieren, die nicht ein einziges Mal die Stimme erhoben haben zur Verteidigung der Interessen unsrer Klasse und die ganz gemütlich für alle von der Majorität vorgelegten reaktionären Vorschläge stimmen."

Das kommt von der bakunistischen "Enthaltung von der Politik". In ruhigen Zeiten, wo das Proletariat von vornherein weiß, daß es doch höchstens einige wenige Vertreter ins Parlament bringt und daß ihm die Erlangung einer parlamentarischen Majorität gänzlich abgeschnitten ist, mag es hie und da gelingen, die Arbeiter glauben zu machen, es sei eine große revolutionäre Handlung, bei den Wahlen zu Hause zu bleiben und überhaupt statt des Staats, in dem man lebt und der uns bedrückt, den Staat als solchen anzugreifen, den Staat im allgemeinen, der nirgends existiert und der sich also auch nicht wehren kann. Es ist das namentlich eine prächtige Art, revolutionär zu tun, für Leute, denen das Herz leicht in die Hosen fällt; und wie sehr die Führer der spanischen Allianzisten zu dieser Sorte gehören, weist die anfangs angeführte Schrift über die Allianz im einzelnen nach.

Sobald aber die Ereignisse selbst das Proletariat in den Vordergrund drängen, wird die Enthaltung eine handgreifliche Abgeschmacktheit, das tätige Eingreifen der Arbeiterklasse eine unabweisbare Notwendigkeit. Und dies war in Spanien der Fall. Die Abdankung Amadeos hatte die radikalen Monarchisten von der Macht und von der Möglichkeit verdrängt, so bald wieder zur Macht zu kommen; die Alfonsisten waren vorderhand noch unmöglicher; die Karlisten zogen, wie fast immer, den Bürgerkrieg dem Wahlkampf vor. Alle diese Parteien enthielten sich nach spanischer Sitte; es nahmen an den Wahlen teil nur die in zwei Flügel gespaltenen bundesstaatlichen Republikaner und die Masse der Arbeiter. Bei dem gewaltigen Zauber, den der Name der Internationale damals noch auf die spanischen Arbeiter ausübte, bei der damals wenigstens praktisch noch bestehenden vortrefflichen Organisation ihres spanischen Zweigs war es sicher, |479| daß in den katalonischen Fabrikdistrikten, in Valencia, in den andalusischen Städten usw. jede von der Internationale aufgestellte und getragene Kandidatur glänzend durchging und daß sicher eine Minorität in die Cortes kam, stark genug, um zwischen den beiden Flügeln der Republikaner bei jeder Abstimmung den Ausschlag zu geben. Die Arbeiter fühlten dies, sie fühlten, daß jetzt die Zeit gekommen sei, ihre damals noch mächtige Organisation in Bewegung zu setzen. Aber die Herren Führer aus der bakunistischen Schule hatten so lange das Evangelium von der unbedingten Enthaltung gepredigt, daß sie nicht plötzlich umkehren konnten; und so erfanden sie jenen jammervollen Ausweg, die Internationale als Ganzes sich enthalten, aber ihre Mitglieder als einzelne nach Belieben stimmen zu lassen. Die Folge dieser politischen Bankerotterklärung war, daß die Arbeiter, wie immer im gleichen Fall, für die am radikalsten tuenden Leute stimmten - für die Intransigenten, und dadurch mehr oder minder für die spätem Schritte ihrer Gewählten sich mitverantwortlich hielten und in sie mitverwickelt wurden.

II

Die Allianzisten konnten unmöglich in der lächerlichen Lage verharren, in die sie sich durch ihre schlaue Wahlpolitik versetzt hatten; sonst war es zu Ende mit ihrer bisherigen Herrschaft über die spanische Internationale. Sie mußten wenigstens zum Schein handeln. Was sie retten sollte, war - der allgemeine Strike.

Der allgemeine Strike ist im bakunistischen Programm der Hebel, der zur Einleitung der sozialen Revolution angesetzt wird. Eines schönen Morgens legen alle Arbeiter aller Gewerke eines Landes oder gar der ganzen Welt die Arbeit nieder und zwingen dadurch in längstens vier Wochen die besitzenden Klassen, entweder zu Kreuz zu kriechen oder auf die Arbeiter loszuschlagen, so daß diese dann das Recht haben, sich zu verteidigen und bei dieser Gelegenheit die ganze alte Gesellschaft über den Haufen zu werfen. Der Vorschlag ist weit entfernt davon, neu zu sein; französische und nach ihnen belgische Sozialisten haben seit 1848 dies Paradepferd stark geritten, das aber ursprünglich englischer Race ist. Während der auf die Krise von 1837 folgenden raschen und heftigen Entwicklung des Chartismus unter den englischen Arbeitern war schon 1839 der "heilige Monat'' gepredigt worden, die Arbeitseinstellung auf nationalem Maßstab (siehe Engels, "Lage der arbeitenden Klasse", zweite Auflage, Seite 234), und hatte solchen Anklang gefunden, daß die Fabrikarbeiter von Nordengland |480| im Juli 1842 die Sache auszuführen versuchten. - Auch auf dem Genfer Allianzistenkongreß vom 1. September 1873 spielte der allgemeine Strike eine große Rolle, nur wurde allseitig zugegeben, daß dazu eine vollständige Organisation der Arbeiterklasse und eine gefüllte Kasse nötig sei. Und darin liegt eben der Haken. Einerseits werden die Regierungen, besonders wenn man sie durch politische Enthaltung ermutigt, weder die Organisation noch die Kasse der Arbeiter je so weit kommen lassen; und andrerseits werden die politischen Ereignisse und die Übergriffe der herrschenden Klassen die Befreiung der Arbeiter zuwege bringen, lange bevor das Proletariat dazu kommt, sich diese ideale Organisation und diesen kolossalen Reservefonds anzuschaffen. Hätte es sie aber, so brauchte es nicht den Umweg des allgemeinen Strikes, um zum Ziele zu gelangen.

Für jeden, der das geheime Getriebe der Allianz einigermaßen kennt, kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Vorschlag zur Anwendung dieses probaten Mittels vom Schweizer Zentrum ausging. Genug, die spanischen Führer fanden hier einen Ausweg, um etwas zu tun, ohne direkt "politisch" zu werden, und gingen mit Freuden darauf ein. Die Wunderwirkungen des allgemeinen Strikes wurden überall gepredigt, man bereitete sich darauf vor, in Barcelona und in Alcoy damit den Anfang zu machen.

Inzwischen näherten sich die politischen Verhältnisse mehr und mehr einer Krisis. Die alten Großsprecher der bundesstaatlichen Republikaner, Castelar und Konsorten, erschraken vor der Bewegung, die ihnen über den Kopf wuchs; sie mußten die Gewalt an Pi y Margall abtreten, der einen Kompromiß mit den Intransigenten versuchte. Pi war unter den offiziellen Republikanern der einzige Sozialist, der einzige, der die Notwendigkeit einsah, die Republik auf die Arbeiter zu stützen. Er legte auch alsbald ein Programm sofort ausführbarer Maßregeln sozialer Natur vor, die nicht nur den Arbeitern unmittelbar vorteilhaft sein, sondern auch in ihren Folgen zu weitern Schritten treiben und so die soziale Revolution wenigstens in Gang bringen mußten. Aber die bakunistischen Internationalen, die selbst die revolutionärste Maßregel zurückzuweisen verpflichtet sind, sobald sie vom "Staat" ausgeht, unterstützten lieber die tollsten Schwindler unter den Intransigenten als einen Minister. Pis Verhandlungen mit den Intransigenten zogen sich in die Länge; die Intransigenten wurden ungeduldig; die hitzigsten unter ihnen fingen an, in Andalusien den kantonalen Aufstand ins Werk zu setzen. Jetzt mußten die Führer der Allianz ebenfalls losschlagen, wenn sie nicht im Schlepptau der intransigenten Bourgeois bleiben wollten. Der allgemeine Strike wurde also befohlen.

In Barcelona wurde jetzt unter anderm ein Maueranschlag erlassen:

|481| "Arbeiter! Wir machen einen allgemeinen Strike, um den tiefen Abscheu zu zeigen, den wir empfinden, wenn wir sehn, wie die Regierung das Heer zur Bekämpfung unserer arbeitenden Brüder verwendet, dabei aber den Krieg gegen die Karlisten vernachlässigt" usw.

Die Arbeiter von Barcelona, der größten Fabrikstadt Spaniens, deren Geschichte mehr Barrikadenschlachten aufzuweisen hat als irgendeine andere Stadt der Welt, wurden also aufgefordert, der bewaffneten Regierungsgewalt nicht ebenfalls mit den in ihren Händen befindlichen Waffen entgegenzutreten, sondern - mit einer allgemeinen Arbeitseinstellung, mit einer Maßregel, die nur die einzelnen Bourgeois direkt berührt, nicht aber ihren Gesamtvertreter, die Staatsmacht! Die Barceloneser Arbeiter hatten in der tatlosen Friedenszeit den gewaltsamen Phrasen zahmer Leute wie Alerini, Farga Pellicer und Viñas zuhören können; als es zum Handeln kam, als Alerini, Farga Pellicer und Viñas erst ihr famoses Wahlprogramm erließen, dann fortwährend abwiegelten und endlich, statt zu den Waffen zu rufen, den allgemeinen Strike erklärten, wurden sie den Arbeitern geradezu verächtlich. Der schwächste Intransigent zeigte immer noch mehr Energie als der stärkste Allianzist. Die Allianz und die von ihr genasführte Internationale verlor allen Einnuß, und als der allgemeine Strike von diesen Herren proklamiert wurde unter dem Vorwand, damit die Regierung lahmzulegen, lachten die Arbeiter sie einfach aus. Aber das wenigstens hatte die Tätigkeit der falschen Internationale noch fertiggebracht, Barcelona von der Teilnahme am kantonalen Aufstand abzuhalten; und Barcelona war die einzige Stadt, deren Beitritt zur Bewegung dem überall stark in ihr vertretenen Arbeiterelement einen festen Rückhalt und damit die Aussicht geben konnte, sich schließlich der ganzen Bewegung zu bemächtigen. Und ferner war mit dem Beitritt von Barcelona der Sieg so gut wie entschieden. Aber Barcelona rührte keinen Finger; die Barceloneser Arbeiter, über die Intransigenten im klaren, von den Allianzisten geprellt, blieben untätig und sicherten dadurch den endlichen Sieg der Madrider Regierung. Was alles die Allianzisten Alerini und Brousse (Näheres über sie enthält der Bericht über die Allianz) nicht abhielt, in ihrem Blatt, der "Solidarité révolutionnaire", zu erklären:

"Die revolutionäre Bewegung verbreitet sich wie ein Lauffeuer über die ganze Halbinsel ... in Barcelona ist noch nichts geschehn, aber auf dem öffentlichen Platze ist die Revolution in Permanenz!"

|482| Es war aber die Revolution der Allianzisten, die im Halten von Pauken besteht und ebendeshalb "permanent" nicht vom "Platze" kommt.

In Alcoy war gleichzeitig der allgemeine Strike auf die Tagesordnung gesetzt. Alcoy ist eine Fabrikstadt neueren Datums, von jetzt vielleicht 30.000 Einwohnern, in der die Internationale, in bakunistischer Form, erst seit einem Jahre Eingang und sehr rasche Verbreitung gefunden hat. Der Sozialismus war diesen bisher der Bewegung ganz fremden Arbeitern in jeder Form willkommen, ganz wie sich dies in Deutschland hie und da in zurückgebliebnen Orten wiederholt, wo der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein plötzlich einen großen augenblicklichen Anhang bekommt. Alcoy war daher zum Sitz der bakunistischen Föderalkommission für Spanien erkoren, und grade diese Föderalkommission werden wir hier an der Arbeit sehn.

Am 7. Juli beschließt eine Arbeiterversammlung den allgemeinen Strike und sendet am folgenden Tag eine Deputation zum Alkalden (Bürgermeister) mit der Aufforderung, die Fabrikanten binnen 24 Stunden zusammenzuberufen und ihnen die Forderungen der Arbeiter vorzulegen. Der Alkalde Albors, ein Bourgeoisrepublikaner, hält die Arbeiter hin, bestellt Truppen in Alicante und rät den Fabrikanten, nicht nachzugeben, sondern sich in ihren Häusern zu verbarrikadieren. Er selbst werde an seinem Posten sein. Nachdem er eine Zusammenkunft mit den Fabrikanten gehabt - wir folgen hier dem offiziellen Bericht der allianzistischen Föderalkommission, datiert 14. Juli 1873 - erläßt er, der anfangs den Arbeitern Neutralität versprochen, eine Proklamation, worin er "die Arbeiter beleidigt und verleumdet, Partei für die Fabrikanten nimmt und so das Recht und die Freiheit der Strikenden vernichtet und sie zum Kampf herausfordert". Wie die frommen Wünsche eines Bürgermeisters das Recht und die Freiheit der Strikenden vernichten können, bleibt jedenfalls unklar. Genug, die von der Allianz geleiteten Arbeiter ließen dem Stadtrat durch eine Kommission erklären, wenn er die versprochene Neutralität im Strike nicht aufrechtzuhalten gesonnen sei, so solle er, um einen Konflikt zu vermeiden, lieber abdanken. Die Kommission wurde abgewiesen, und als sie das Rathaus verließ, feuerten Polizisten auf das Volk, das friedlich und unbewaffnet auf dem Platze stand. Dies der Beginn des Kampfs nach dem allianzistischen Bericht. Das Volk bewaffnete sich, der Kampf begann, der "zwanzig Stunden" gedauert haben soll. Auf der einen Seite die Arbeiter, die die "Solidarité révolutionnaire" auf 5.000 angibt, auf der andern Seite 32 Gensdarmen im Rathaus und einige Bewaffnete in vier oder fünf Häusern am Markt, welche Häuser auf gut preußisch vom Volke niedergebrannt |483| wurden. Endlich ging den Gensdarmen die Munition aus, sie mußten kapitulieren.

"Man würde weniger Unfälle zu beklagen haben", sagt der allianzistische Kommissionsbericht, "wenn nicht der Alkalde Albors das Volk getäuscht hätte, indem er sich zu ergeben vorgab und dann feigerweise diejenigen ermorden ließ, die, gestützt auf sein Wort, ins Rathaus eindrangen; und dieser selbe Alkalde wäre nicht von der mit Recht entrüsteten Bevölkerung getötet worden, wenn er nicht auf die ihn Verhaftenden in nächster Nähe seinen Revolver abgefeuert hätte."

Und was waren die Opfer dieses Kampfes?

"Wenn wir die Anzahl der Toten und Verwundeten" (auf Seiten des Volks) "nicht genau berechnen können, so können wir doch sagen, daß ihrer nicht unter - zehn sind. Auf seiten der Herausforderer zählt man nicht weniger als fünfzehn Tote und Verwundete."

Dies war die erste Straßenschlacht der Allianz. Während zwanzig Stunden schlug man sich, 5.000 Mann stark {1}, gegen 32 Gensdarmen und einige bewaffnete Bourgeois, besiegte sie, nachdem sie ihre Munition verschossen, und verlor im ganzen zehn Mann. Wohl mag die Allianz ihren Eingeweihten den Spruch Falstaffs einpauken, daß "Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist".

Es versteht sich, daß alle die Schreckensnachrichten der Bourgeoisblätter von zwecklos niedergebrannten Fabriken, massenweise erschossenen Gensdarmen, von mit Petroleum übergossenen und angezündeten Menschen reine Erfindungen sind. Die siegreichen Arbeiter, selbst wenn die Allianzisten sie führen, deren Motto ist: "Es muß Allens verrungeniert werden", gehn immer viel zu großmütig mit ihren besiegten Gegnern um, und diese dichten ihnen daher alle die Schandtaten an, die sie im Falle des Sieges zu begehn nie unterlassen.

Also der Sieg war errungen.

"In Alcoy", jubelt die "Solidarité révolutionnaire", "sind unsere Freunde, 5.000 an der Zahl, Herren der Situation geworden."

Und was machten die "Herren" aus ihrer "Situation"? Hier läßt uns der allianzistische Bericht und das allianzistische Journal vollständig im Stich; wir sind auf die gewöhnlichen Zeitungsberichte angewiesen. Aus diesen erfahren wir, daß in Alcoy nunmehr ein "Wohlfahrtsausschuß" errichtet wurde, d.h. eine revolutionäre Regieruns. Nun hatten zwar die Allianzisten auf ihrem Kongreß zu Saint-Imier in der Schweiz, |484| am 15. Sept. 1872, beschlossen, "daß jede Organisation einer politischen, sogenannten provisorischen oder revolutionären Gewalt nur eine neue Prellerei sein kann und für das Proletariat ebenso gefährlich sein würde wie alle jetzt bestehenden Regierungen". Auch hatten die Mitglieder der zu Alcoy sitzenden spanischen Föderalkommission ihr Bestes getan, daß der Kongreß der spanischen Internationale diesen Beschluß zum seinigen machte. Trotz alledem finden wir, daß Severino Albarracin, Mitglied dieser Kommission, und nach einigen Berichten auch Francisco Tomás, ihr Sekretär, Mitglieder dieser provisorischen und revolutionären Regierungsgewalt, des Wohlfahrtsausschusses von Alcoy, waren!

Und was tat dieser Wohlfahrtsausschuß? Welches waren seine Maßregeln, um "die sofortige volle Emanzipation der Arbeiter" durchzusetzen? Er verbot allen Männern, die Stadt zu verlassen, während dies den Frauen erlaubt blieb, falls sie - Passe hätten! Die Gegner der Autorität führen die Pässe wieder ein! Im übrigen absolute Rat-, Tat- und Hülflosigkeit.

Inzwischen rückte General Velarde mit Truppen von Alicante an. Die Regierung hatte alle Ursache, die Lokalaufstände der Provinzen in aller Stille beizulegen. Und die "Herren der Situation" von Alcoy hatten alle Ursache, sich aus einer Situation zu ziehn, aus der sie nichts zu machen wußten. Der Deputierte Cervera, der den Vermittler machte, hatte also leichtes Spiel. Der Wohlfahrtsausschuß dankte ab, die Truppen rückten am 12. Juli ohne Widerstand ein, und die einzige Gegenversprechung, die dem Wohlfahrtsausschuß gemacht wurde, war - allgemeine Amnestie. Die allianzistischen "Herren der Situation" waren wieder einmal glücklich aus der Klemme. Und damit endete das Abenteuer von Alcoy.

In Sanlúcar de Barrameda bei Cádiz, erzählt uns der allianzistische Bericht,

"schließt der Alkalde das Lokal der Internationale und fordert durch seine Drohungen und durch seine unaufhörlichen Angriffe gegen die persönlichen Rechte der Bürger den Zorn der Arbeiter heraus. Eine Kommission reklamiert vom Minister die Anerkennung des Rechts und die Wiedereröffnung des willkürlich geschlossenen Lokals. Herr Pi bewilligt dies im Prinzip ... verweigert es aber in der Wirklichkeit; die Arbeiter finden, daß die Regierung ihre Assoziation planmäßig in die Acht erklären will; sie setzen die Lokalbehörden ab und ernennen andere an ihrer Stelle, die das Lokal der Assoziation wieder öffnen."

"In Sanlúcar ... beherrscht das Volk die Situation!" triumphiert die "Solidarité révolutionnaire". Die Allianzisten, die auch hier, ganz gegen ihre anarchischen Grundsätze, eine revolutionäre Regierung gebildet, wußten |485| mit ihrer Herrschaft nichts anzufangen. Sie verloren die Zeit mit leeren Debatten und papiernen Beschlüssen, und als General Pavía Sevilla und Cádiz genommen hatte, schickte er einige Kompanien der Brigade Soria, am 5. August, nach Sanlúcar und fand - keinen Widerstand.

Dies sind die Heldentaten der Allianz, da, wo sie ohne jede Konkurrenz auftrat.

III

Unmittelbar nach dem Straßenkampf von Alcoy erhoben sich die Intransigenten in Andalusien. Noch war Pi y Margall am Ruder und in steter Verhandlung mit den Chefs dieser Partei, um aus ihnen ein Ministerium zu bilden; warum also losschlagen, ehe die Verhandlungen gescheitert? Der Grund dieser Übereilung ist nie ganz klargeworden; soviel aber ist sicher, daß den Herren Intransigenten es vor allen Dingen um schnellstmögliche praktische Durchführung der bundesstaatlichen Republik zu tun war, damit sie in den Besitz der Macht und der vielen neu zu schaffenden Regierungsposten in den einzelnen Kantonen kämen. Die Cortes in Madrid zögerten zu lange mit der Zerschlagung Spaniens; man mußte also selbst Hand anlegen und überall souveräne Kantone ausrufen. Die bisherige Haltung der (bakunistischen) Internationale, die in die intransigentistischen Händel seit den Wahlen tief verwickelt war, ließ auf deren Mitwirkung rechnen; hatten sie doch eben von Alcoy gewaltsamen Besitz genommen und waren also im offenen Kampf mit der Regierung! Dazu kam, daß die Bakunisten seit Jahren gepredigt hatten, jede revolutionäre Aktion von oben nach unten sei verderblich, alles müsse von unten nach oben organisiert und durchgesetzt werden. Und jetzt bot sich die Gelegenheit, das berühmte Prinzip der Selbstherrlichkeit, wenigstens für die einzelnen Städte, von unten nach oben durchzusetzen! Es war nicht anders möglich: Die bakunistischen Arbeiter gingen auf den Leim und holten den Intransigenten die Kastanien aus dem Feuer, um nachher von diesen ihren Bundesgenossen, wie immer, mit Fußtritten und Flintenkugeln abgelohnt zu werden.

Was war nun die Stellung der bakunistischen Internationalen in dieser ganzen Bewegung? Sie hatten ihr den Charakter der föderalistischen Zersplitterung geben helfen, sie hatten ihr Ideal der Anarchie, soweit es möglich war, verwirklicht. Dieselben Bakunisten, die in Córdoba wenige Monate vorher die Errichtung revolutionärer Regierungen für Verrat und Prellerei der Arbeiter er klärt hatten, sie saßen jetzt in allen revolutionären städtischen Regierungen Andalusiens - aber überall in der Minderzahl, so daß die |486| Intransigenten tun konnten, was sie wollten. Während diese letztern die politische und militärische Leitung behielten, wurden die Arbeiter mit pomphaften Redensarten abgefertigt oder mit angeblichen sozialen Reformbeschlüssen von der rohesten und sinnlosesten Art, die zudem nur eine papierne Existenz hatten. Sobald die bakunistischen Führer wirkliche Zugeständnisse verlangten, wurden sie schnöde abgewiesen. Den englischen Zeitungskorrespondenten gegenüber hatten die intransigenten Leiter der Bewegung nichts Wichtigeres zu tun, als jeden Zusammenhang mit diesen sogenannten Internationalen und jede Verantwortlichkeit für sie abzulehnen und zu erklären, daß sie deren Chefs sowie alle anwesenden Pariser Kommuneflüchtlinge unter schärfster Polizeiaufsicht hielten. Endlich, wie wir sehn werden, in Sevilla, schossen die Intransigenten, während des Kampfes gegen die Regierungstruppen, auch auf ihre bakunistischen Bundesgenossen.{2}

So kam es, daß in wenigen Tagen ganz Andalusien in den Händen der bewaffneten Intransigenten war. Sevilla, Málaga, Granada, Cádiz usw. fielen ihnen fast ohne Widerstand in die Hände. Jede Stadt erklärte sich für einen souveränen Kanton und setzte einen revolutionären Regierungsausschuß (Junta) ein. Murcia, Cartagena, Valencia folgten. In Salamanca wurde ein ähnlicher Versuch, doch mehr friedlicher Natur, gemacht. Es waren also die meisten großen Städte Spaniens im Besitz der Insurgenten, mit Ausnahme der Hauptstadt Madrid, einer reinen Luxusstadt, die fast nie entscheidend eingreift, und Barcelonas. Hätte Barcelona losgeschlagen, so war der Enderfolg fast gewiß und daneben dem Arbeiterelement in der Bewegung ein mächtiger Rückhalt gesichert. Aber wir haben gesehn, daß die Intransigenten in Barcelona ziemlich ohnmächtig waren, während die zu jener Zeit dort noch sehr mächtigen bakunistischen Internationalen den allgemeinen Strike zum Vorwand nahmen, um abzuwiegeln. Barcelona war also diesmal nicht auf seinem Posten.

Trotzdem hatte der, wenn auch hirnlos eingeleitete, Aufstand immer noch große Aussicht auf Erfolg, wäre er nur mit einigem Verstand geleitet worden, selbst nur nach der Weise der spanischen Militärrevolten, wo die Garnison einer Stadt sich erhebt, zur nächsten zieht, die schon vorher bearbeitete Garnison dieser Stadt mit sich fortreißt und lawinenartig anschwellend gegen die Hauptstadt vordringt, bis ein glückliches Gefecht oder der Übertritt der gegen sie gesandten Truppen den Sieg entscheidet. Diese Methode war diesmal ganz besonders anwendbar. Die Insurgenten waren |487| überall seit längerer Zeit in Freiwilligenbataillone organisiert, deren Disziplin zwar erbärmlich war, aber sicher nicht erbärmlicher als die der Reste der alten, größtenteils auseinandergegangnen spanischen Armee. Die einzig zuverlässigen Truppen der Regierung waren die Gensdarmen (guardias civiles), und diese waren über das ganze Land zerstreut. Es kam vor allem darauf an, die Zusammenziehung der Gensdarmen zu verhindern, und dies konnte nur geschehn, indem man angriffsweise verfuhr und sich aufs offne Feld wagte; viel Gefahr war nicht dabei, da die Regierung den Freiwilligen nur ebenso undisziplinierte Truppen entgegenstellen konnte, wie sie selbst waren. Und wollte man siegen, so gab's kein andres Mittel.

Aber nein. Die Bundesstaatlichkeit der Intransigenten und ihres bakunistischen Schwanzes bestand grade darin, daß jede Stadt auf eigne Faust handelte, nicht das Zusammenwirken mit den andern Städten, sondern die Trennung von ihnen für die Hauptsache erklärte und damit jede Möglichkeit eines allgemeinen Angriffs abschnitt. Was im deutschen Bauernkrieg und in den deutschen Aufstanden vom Mai 1849 ein unvermeidliches Übel war - die Zersplitterung und Vereinzelung der revolutionären Kräfte, die denselben Regierungstruppen erlaubte, einen Aufstand nach dem andern niederzuschlagen, - das wurde hier als Prinzip der höchsten revolutionären Weisheit proklamiert. Diese Genugtuung hat Bakunin erlebt. Er hatte schon im September 1870 ("Lettres à un Français") erklärt, das einzige Mittel, durch einen Revolutionskampf die Preußen aus Frankreich zu werfen, bestehe darin, alle zentralisierte Leitung abzuschaffen und es jeder Stadt, jedem Dorf, jeder Gemeinde zu überlassen, den Krieg auf eigne Faust zu führen. Wenn man so dem einheitlich geführten preußischen Heere die Entfesselung der revolutionären Leidenschaften entgegensetze, so sei der Sieg gewiß. Dem endlich wieder einmal sich selbst überlassenen Gesamtverstande des französischen Volkes gegenüber müsse der Einzelverstand Moltkes natürlich verschwinden. Die Franzosen wollten dies damals nicht einsehn; aber in Spanien hat Bakunin einen glänzenden Triumph gefeiert, wie wir gesehn haben und noch weiter sehn werden.

Inzwischen hatte diese ohne jeden Vorwand aus der Pistole geschossene Erhebung es Pi y Margall unmöglich gemacht, weiter mit den Intransigenten zu verhandeln. Er mußte abtreten; an seiner Stelle kamen die reinen Republikaner von der Sorte Castelars ans Ruder, Bourgeois ohne Verhüllung, deren erstes Ziel war, der früher von ihnen benutzten, aber jetzt für sie hinderlichen Arbeiterbewegung den Garaus zu machen. Eine Division wurde unter General Pavía gegen Andalusien, eine zweite unter Campos |488| gegen Valencia und Cartagena zusammengezogen. Den Kern bildeten die aus ganz Spanien versammelten Gensdarmen, lauter alte Soldaten, deren Disziplin noch unerschüttert war. Wie bei den Angriffen der Versailler Armee gegen Paris sollten die Gensdarmen auch hier den demoralisierten Linientruppen festen Halt geben und überall die Spitzen der Angriffskolonnen bilden, eine Aufgabe, die sie in beiden Fällen nach Kräften erfüllten. Außer ihnen erhielten die Divisionen noch einige zusammengeschmolzene Linienregimenter, so daß jede von ihnen ungefähr 3.000 Mann zählte. Dies war alles, was die Regierung gegen die Insurgenten aufzustellen vermochte.

General Pavía setzte sich gegen den 20. Juli in Bewegung. Am 24. wurde Córdoba von einer Abteilung Gensdarmen und Linie unter Ripoll besetzt. Am 29. griff Pavía das verbarrikadierte Sevilla an, das am 30. oder 31. - die Telegramme lassen diese Daten oft ungewiß - in seine Hände fiel. Er ließ eine fliegende Kolonne zur Unterwerfung der Umgegend zurück und zog gegen Cádiz, dessen Verteidiger nur den Zugang zur Stadt, und auch diesen nur schwach, verteidigten, dann aber sich ohne Widerstand am 4. August entwaffnen ließen. In den folgenden Tagen entwaffnete er, ebenfalls ohne Widerstand, Sanlúcar de Barrameda, San Roque, Tarifa, Algeciras und eine Menge andrer kleiner Städte, deren jede sich als souveräner Kanton konstituiert hatte. Gleichzeitig sandte er Kolonnen gegen Málaga, das am 3., und Granada, das am 8. August ohne Widerstand kapitulierte, so daß am 10 .August, nach noch nicht 14 Tagen, und fast ohne Kampf, ganz Andalusien unterworfen war.

Am 26. Juli eröffnete Martinez Campos den Angriff gegen Valencia. Hier war der Aufstand von den Arbeitern ausgegangen. Bei der Spaltung der spanischen Internationale hatten in Valencia die wirklichen Internationalen die Mehrzahl für sich; und der neue Spanische Föderalrat wurde nach dieser Stadt verlegt. Bald nach Proklamierung der Republik, als revolutionäre Kämpfe in Aussicht standen, boten die bakunistischen Valencianer Arbeiter, der unter ultrarevolutionären Phrasen sich verhüllenden Abwiegelei der Barceloneser Führer mißtrauend, den wirklichen Internationalen an, in allen lokalen Bewegungen mit ihnen zusammenzugehen. Als die kantonale Bewegung ausbrach, schlugen beide, die Intransigenten benutzend, sofort los und vertrieben die Truppen. Wie die Junta von Valencia zusammengesetzt war, ist nicht bekannt geworden; aus den Berichten der englischen Zeitungskorrespondenten geht jedoch hervor, daß in ihr wie in den Valencianer Freiwilligen die Arbeiter entschieden vorherrschten. Dieselben Korrespondenten sprachen von den Valencianer Insurgenten mit einem Respekt, den |489| sie weit entfernt sind, den andern vorherrschend intransigenten Aufständischen zu widmen; sie rühmten ihre Mannszucht, die in der Stadt herrschende Ordnung und prophezeiten einen langen Widerstand und harten Kampf. Sie täuschten sich nicht. Valencia, eine offene Stadt, hielt aus gegen die Angriffe der Division Campos vom 26. Juli bis zum 8. August, also länger als ganz Andalusien zusammengenommen.

In der Provinz Murcia war die gleichnamige Hauptstadt ohne Widerstand besetzt worden; nach dem Fall Valencias zog Campos gegen Cartagena, eine der stärksten Festungen Spaniens, nach der Landseite von einem zusammenhängenden Wall und vorgeschobenen Forts auf den beherrschenden Höhen geschützt. Die 3.000 Mann Regierungstruppen, ohne alles Belagerungsgeschütz, waren mit ihren leichten Feldkanonen gegen die schwere Artillerie der Forts natürlich ohnmächtig und mußten sich auf eine Einschließung der Landseite beschränken; diese aber bedeutete wenig, solange die Cartagineser mit ihrer im Hafen erbeuteten Kriegsflotte die See beherrschten. Die Insurgenten, nur mit sich selbst beschäftigt, während in Valencia und Andalusien gekämpft wurde, dachten erst an die Außenwelt nach Unterdrückung der übrigen Aufstände, als ihnen selbst Geld und Lebensmittel ausgingen. Dann erst wurde ein Versuch gemacht, gegen Madrid vorzurücken, das mindestens 60 deutsche Meilen entfernt liegt, mehr als doppelt so weit als z.B. Valencia und Granada! Die Expedition nahm unfern Cartagena ein klägliches Ende; die Einschließung schob allen weitern Ausfällen zu Lande einen Riegel vor; man warf sich also auf Ausfälle mit der Flotte. Und welche Ausfälle! Von einer neuen Insurgierung der eben erst unterworfnen Seestädte durch die Cartagineser Kriegsschiffe konnte keine Rede sein. Die Flotte des souveränen Kantons Cartagena beschränkte sich also darauf, die übrigen - nach der cartaginesischen Theorie ebenfalls souveränen - Seestädte von Valencia bis Málaga mit dem Bombardement zu bedrohen und nötigenfalls wirklich zu bombardieren, falls sie nicht die verlangten Lebensmittel und eine Kriegskontribution in harten Talern an Bord brachten. Solange diese Städte als souveräne Kantone gegen die Regierung in Waffen standen, galt in Cartagena das Prinzip: Jeder für sich. Sobald sie besiegt waren, sollte das Prinzip gelten: Alle für Cartagena! So verstanden die Intransigenten von Cartagena und ihre bakunistischen Helfershelfer die Bundesstaatlichkeit der souveränen Kantone.

Um die Reihen der Freiheitskämpfer zu verstärken, ließ die Regierung von Cartagena die ungefähr 1.800 Baugefangenen los, die im Bagno der Stadt eingekerkert waren - die schlimmsten Räuber und Mörder Spaniens. Daß diese revolutionäre Maßregel ihr von den Bakunisten eingeflüstert war, |490| ist nach den Enthüllungen des Berichts über die Allianz keinem Zweifel mehr unterworfen. Es ist dort nachgewiesen, wie Bakunin für die "Entfesselung aller schlechten Leidenschaften" schwärmt und den russischen Räuber für das Vorbild aller wahren Revolutionäre erklärt. Was dem Russen recht, ist dem Spanier billig. Wenn also die Cartagineser Regierung die "schlechten Leidenschaften" der eingespundeten 1.800 Gurgelschneider entfesselte und damit die Demoralisation unter ihren Truppen auf die Spitze trieb, so handelte sie ganz im Geist Bakunins. Und wenn die spanische Regierung, statt ihre eignen Festungswerke in Grund zu schießen, die Unterwerfung Cartagenas von der inneren Zerrüttung der Verteidiger erwartete, so folgte sie einer ganz richtigen Politik.

IV

Hören wir nun über diese ganze Bewegung den Bericht der Neuen Madrider Föderation:

"In Valencia sollte am zweiten Sonntag des August ein Kongreß stattfinden, um unter anderm auch die Stellung zu bestimmen, welche die spanische internationale Föderation einzunehmen habe gegenüber den wichtigen politischen Ereignissen, welche in Spanien seit dem 11. Februar, dem Tag der Proklamation der Republik. eingetreten waren. Aber der unsinnige" (descabellada, wörtlich: zerzauste) "Kantonalaufstand, der so jämmerlich gescheitert ist und an dem die Internationalen fast aller insurgierten Provinzen sich eifrig beteiligten, hat nicht nur die Tätigkeit des Föderalrats lahmgelegt, indem er die Mehrzahl seiner Mitglieder zerstreute, sondern auch die lokalen Föderationen fast gänzlich desorganisiert und ihren Mitgliedern, was das schlimmste ist, allen den Haß und alle die Verfolgungen zugezogen, die jede schmählich eingeleitete und gescheiterte Volkserhebung im Gefolge hat ...

Als der kantonale Aufstand losbrach, als die Juntas, d.h. Regierungen der Kantone, sich konstituierten, da beeilten sich jene Leute" (die Bakunisten), "die so heftig gegen die politische Gewalt geschrien, die uns des Autoritarismus angeklagt, sie beeilten sich, in jene Regierungen einzutreten. In bedeutenden Städten wie Sevilla, Cádiz, Sanlúcar de Barrameda, Granada und Valencia saßen viele von den Internationalen, die sich Anti-Autoritarier nennen, auf den kantonalen Juntas, ohne andres Programm als das der Selbstherrlichkeit der Provinz oder des Kantons. Dies ist amtlich festgestellt durch die von jenen Juntas veröffentlichten Proklamationen und andere Dokumente, unter denen die Namen wohlbekannter Internationalen von dieser Sorte figurieren.

|491| Ein so schreiender Widerspruch zwischen der Theorie und der Praxis, zwischen der Propaganda und der Tat würde wenig zu bedeuten haben, wenn daraus irgendein Vorteil für unsre Assoziation hätte erwachsen können oder irgendein Fortschritt der Organisation unsrer Kräfte, irgendeine Annäherung an die Erreichung unsres Hauptzwecks, die Emanzipation der Arbeiterklasse. Grade das Gegenteil ist geschehn, wie dem nicht anders sein konnte. Es fehlte die Grundbedingung, das tätige Zusammenwirken des spanischen Proletariats, das so leicht zu erzielen war, sobald man im Namen der Internationale handelte. Es fehlte die Übereinstimmung unter den lokalen Föderationen; die Bewegung blieb der individuellen oder lokalen Initiative überlassen, ohne irgendwelche Leitung (außer derjenigen, die ihr die geheimnisvolle Allianz etwa aufdrängen konnte, und diese Allianz beherrscht zu unsrer Schande noch immer die spanische Internationale), ohne irgendwelches Programm außer dem unsrer natürlichen Feinde, der bürgerlichen Republikaner. Und so unterlag die kantonale Bewegung in der schimpflichsten Weise, fast ohne Widerstand; aber in ihrem Untergang riß sie mit sich das Prestige und die Organisation der Internationale in Spanien. Es geschieht kein Exzeß, kein Verbrechen, keine Gewalttätigkeit, die die Republikaner nicht heute den Internationalen in die Schuhe schieben; es ist sogar, wie uns versichert wird, in Sevilla vorgekommen, daß während des Kampfes die Intransigenten auf ihre Verbündeten, die" (bakunistischen) "Internationalen geschossen haben. Die Reaktion, unsre Torheiten geschickt benutzend, hetzt die Republikaner zur Verfolgung gegen uns und verleumdet uns bei der großen gleichgültigen Masse; was sie zur Zeit Sagastas nicht fertigbringen konnte, das scheint sie erreichen zu sollen: den Namen Internationale bei der großen Masse der spanischen Arbeiter in Verruf zu bringen.

In Barcelona haben sich eine Menge Arbeitersektionen von den Internationalen getrennt, laut protestierend gegen die Leute von der Zeitschrift 'La Federacion'" (Hauptorgan der Bakunisten) "und ihre unerklärliche Haltung. In Jérez, Puerto de Santa Maria und andern Orten haben die Föderationen beschlossen, sich aufzulösen. In Loja (Provinz Granada) sind die wenigen dort wohnenden Internationalen von der Bevölkerung vertrieben worden. In Madrid, wo man noch der größten Freiheit genießt, gibt die alte" (bakunistische) "Föderation nicht das mindeste Lebenszeichen, während die unsrige gezwungen ist, sich untätig und schweigend zu verhalten, wenn sie sich nicht mit fremder Schuld beladen sehn will. In den Städten des Nordens verhindert der täglich erbitterter geführte Karlistenkrieg jede Tätigkeit unsrerseits. Endlich in Valencia, wo die Regierung nach fünfzehntägigem Kampfe Sieger blieb, müssen die Internationalen, die nicht flüchtig geworden, sich verbergen, und der Föderalrat ist vollständig aufgelöst."

Soweit der Madrider Bericht. Man sieht, daß er mit obiger Geschichtserzählung vollständig übereinstimmt.

Was ist nun das Resultat unsrer ganzen Untersuchung?

1. Die Bakunisten waren gezwungen, sobald sie einer ernsthaften revolutionären Lage gegenüberstanden, ihr ganzes bisheriges Programm über |492| Bord zu werfen. Zuerst opferten sie die Lehre von der Pflicht der politischen und besonders der Wahlenthaltung. Dann folgte die Anarchie, die Abschaffung des Staats; statt den Staat abzuschaffen, versuchten sie vielmehr eine Anzahl neuer, kleiner Staaten herzustellen. Dann ließen sie den Grundsatz fallen, daß die Arbeiter sich an keiner Revolution beteiligen dürften, die nicht die sofortige vollständige Emanzipation des Proletariats zum Zweck habe, und beteiligten sich an einer eingestandenermaßen rein bürgerlichen Bewegung. Endlich schlugen sie ihrem kaum erst proklamierten Glaubenssatz ins Gesicht: daß die Errichtung einer revolutionären Regierung nur eine neue Prellerei und ein neuer Verrat an der Arbeiterklasse sei - indem sie ganz gemütlich in den Regierungsausschüssen der einzelnen Städte figurierten, und zwar fast überall als ohnmächtige, von den Bourgeois überstimmte und politisch exploitierte Minderzahl.

2. Diese Verleugnung der bisher gepredigten Grundsätze geschah aber in der feigsten, verlogensten Weise und unter dem Druck des bösen Gewissens, so daß weder die Bakunisten selbst noch die von ihnen geleiteten Massen mit irgendeinem Programm in die Bewegung eintraten oder überhaupt wußten, was sie wollten. Was war die natürliche Folge? Daß die Bakunisten entweder jede Bewegung verhinderten, wie in Barcelona; oder daß sie in vereinzelte, planlose und blödsinnige Aufstände hineingetrieben wurden, wie in Alcoy und Sanlúcar de Barrameda; oder aber, daß die Leitung des Aufstands den intransigenten Bourgeois zufiel, wie in den allermeisten Aufständen. Das ultrarevolutionäre Geschrei der Bakunisten verwirklichte sich also, sobald es zur Tat kam, entweder in Abwiegelei oder in von vornherein aussichtslosen Aufständen oder in dem Anschluß an eine bürgerliche Partei, die die Arbeiter schmählichst politisch ausbeutete und sie obendrein mit Fußtritten behandelte.

3. Von den sogenannten {3} Prinzipien der Anarchie, der freien Föderation unabhängiger Gruppen usw. bleibt nichts übrig als eine maß- und sinnlose Zersplitterung der revolutionären Kampfmittel, die der Regierung erlaubte, mit einer Handvoll Truppen eine Stadt nach der ändern fast ohne Widerstand zu unterwerfen.

4. Das Ende vom Lied war nicht nur, daß die gut organisierte und zahlreiche spanische Internationale - die falsche wie die wahre - in den Sturz der Intransigenten mitverwickelt wurde und heute faktisch aufgelöst ist, sondern auch, daß ihr die Unzahl erdichteter Exzesse aufgebürdet wird, ohne die der Philister aller Länder sich nun einmal einen Arbeiteraufstand |493| nicht denken kann, und daß dadurch die internationale Reorganisation des spanischen Proletariats vielleicht auf Jahre hinaus unmöglich gemacht ist.

5. In einem Wort, die Bakunisten in Spanien haben uns ein unübertreffliches Muster davon geliefert, wie man eine Revolution nicht machen muß.


Fußnoten von Engels

(1) "L'Alliance de la Démocratie Socialiste", London 1873. Deutsch: "Ein Komplott gegen die Internationale" (Buchhandlung des "Vorwärts"). <=


Textvarianten

{1} Im "Volksstaat" fehlt: 5.000 Mann stark <=

{2} Im "Volksstaat" stehen die folgenden drei Absätze am Schluß von Abschnitt III <=

{3} Im "Volksstaat": großen <=


<= MLWerke <= Marx/Engels <= Artikel und Korr. 1873