MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1881

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 293/294.
Korrektur:    1
Erstellt:    18.07.1999

Friedrich Engels

Rede am Grabe von Jenny Marx

Gehalten am 5. Dezember 1881.
Aus dem Französischen.


["L'Égalité" Nr. 1 vom 11. Dezember 1881]

|293| Freunde!

Die Frau mit dem edlen Herzen, die wir heute beisetzen, wurde 1814 in Salzwedel geboren. Ihr Vater, Baron von Westphalen, war in Trier eng mit der Familie Marx befreundet; die Kinder der beiden Familien wuchsen zusammen heran. Als Marx die Universität bezog, hatten er und seine künftige Frau sich bereits entschieden, ihre Geschicke für immer zu verbinden.

Im Jahre 1843 fand die Hochzeit statt, nachdem Marx als Chefredakteur der ersten "Rheinischen Zeitung" bekannt geworden und die Zeitung von der preußischen Regierung unterdrückt worden war. Von da an hat Jenny die Schicksale, die Arbeiten, die Kämpfe ihres Mannes nicht bloß geteilt, sie hat daran mit dem höchsten Verständnis und mit der glühendsten Leidenschaft größten Anteil genommen.

Das junge Paar ging nach Paris; das freiwillige Exil wurde bald zum erzwungenen. Die preußische Regierung verfolgte Marx sogar in Paris. Mit Bedauern muß ich erwähnen, daß ein Mann wie A. v. Humboldt sich bereit fand, gemeinsam mit der preußischen Regierung zu erwirken, daß die Regierung Louis-Philippe Marx aus Frankreich auswies. Er begab sich nach Brüssel. Die Februarrevolution brach aus. Inmitten der Unruhen, die dieses Ereignis in Brüssel verursachte, verhaftete die belgische Polizei nicht nur Marx, sondern warf auch seine Frau ohne allen Anlaß ins Gefängnis.

Der revolutionäre Aufschwung von 1848 brach schon im nächsten Jahre zusammen. Von neuem begann das Exil, zuerst in Paris, dann, infolge Einmischung der französischen Regierung, in London. Diesmal war es ein Exil mit all seinem Elend. Alle üblichen Leiden der Verbannten hätte Jenny noch verwinden können, obgleich diese die Ursache waren für den Verlust von drei Kindern, darunter zwei Knaben; daß aber alle Parteien, die der |294| Regierung wie die der Opposition (Feudale, Liberale, sogenannte Demokraten) sich gegen ihren Gatten verschworen, ihn mit den elendesten und niederträchtigsten Verleumdungen überschütteten, daß die gesamte Presse sich ihm ausnahmslos verschloß, daß er hilf- und wehrlos dastand vor Gegnern, die er und sie verachteten - das hat sie tief getroffen. Und das dauerte jahrelang.

Aber es nahm ein Ende. Nach und nach kam die europäische Arbeiter" klasse in politische Bedingungen, die ihr einige Aktionsmöglichkeiten gaben. Die Internationale Arbeiterassoziation wurde gestiftet. Sie zog eine zivilisierte Nation nach der anderen in den Kampf, und in diesem Kampf kämpfte ihr Mann als erster unter den ersten. Endlich kam die Zeit, die ihre vergangenen Leiden zu lindern begann. Sie erlebte es, daß die niederträchtigen Verleumdungen, die hageldicht auf ihren Mann herabgeregnet, wie Spreu zerstoben; sie erlebte es, die Lehren ihres Mannes, die die Reaktionäre aller Länder versucht hatten zu ersticken, frei und siegreich in allen zivilisierten Ländern, in allen zivilisierten Sprachen verkündet zu hören. Sie erlebte es, daß die revolutionäre Bewegung des Proletariats, ihres Sieges bewußt, ein Land nach dem anderen, von Rußland bis Amerika, erfaßte. Eine ihrer letzten Freuden war noch, als sie auf ihrem Sterbebett den schlagenden Beweis der unverwüstlichen Lebenskraft erhielt, den die deutsche Arbeiterklasse trotz aller Ausnahmegesetze bei den letzten Wahlen erbracht hat.

Was eine solche Frau, mit so scharfem und so kritischem Verstande, mit einem politisch so sicheren Takt, mit solch einer leidenschaftlichen Energie, solch großer Kraft der Hingabe, in der revolutionären Bewegung geleistet, das hat sich nicht an die Öffentlichkeit vorgedrängt, ist niemals in den Spalten der Presse erwähnt worden. Was sie getan hat, wissen nur die, die mit ihr gelebt haben. Aber ich weiß, daß wir oft ihre kühnen und klugen Ratschläge vermissen werden - kühn ohne Prahlerei, klug, ohne der Ehre je etwas zu vergeben.

Von ihren persönlichen Eigenschaften brauche ich nichts zu sagen. Ihre Freunde kennen diese Eigenschaften und werden sie niemals vergessen. Wenn es jemals eine Frau gab, die ihr größtes Glück darin gesehen hat, andere glücklich zu machen, so war es diese Frau.