MLWerke | 2. Abschnitt | Inhalt | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 20. Berlin/DDR. 1962. »Herrn Eugen Dührung's Umwälzung der Wissenschaft«, S. 239-303.
1. Korrektur
Erstellt am 05.09.1999

Friedrich Engels - Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft

Dritter Abschnitt
Sozialismus

  1. Geschichtliches
  2. Theoretisches
  3. Produktion
  4. Verteilung
  5. Staat, Familie, Erziehung

I. Geschichtliches

|239| Wir sahen in der Einleitung, wie die französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, die Vorbereiter der Revolution, an die Vernunft appellierten, als einzige Richterin über alles, was bestand. Ein vernünftiger Staat, eine vernünftige Gesellschaft sollten hergestellt, alles, was der ewigen Vernunft widersprach, sollte ohne Barmherzigkeit beseitigt werden. Wir sahen ebenfalls, daß diese ewige Vernunft in Wirklichkeit nichts andres war, als der idealisierte Verstand des eben damals zum Bourgeois sich fortentwickelnden Mittelbürgers. Als nun die französische Revolution diese Vernunftgesellschaft und diesen Vernunftstaat verwirklicht hatte, stellten sich daher die neuen Einrichtungen, so rationell sie auch waren gegenüber den frühern Zuständen, keineswegs als absolut vernünftige heraus. Der Vernunftstaat war vollständig in die Brüche gegangen. Der Rousseausche Gesellschaftsvertrag hatte seine Verwirklichung gefunden in der Schreckenszeit, aus der das an seiner eignen politischen Befähigung irre gewordne Bürgertum sich geflüchtet hatte zuerst in die Korruption des Direktoriums und schließlich unter den Schutz des napoleonischen Despotismus. Der verheißene ewige Friede war umgeschlagen in einen endlosen Eroberungskrieg. Die Vernunftgesellschaft war nicht besser gefahren. Der Gegensatz von reich und arm, statt sich aufzulösen im allgemeinen Wohlergehn, war verschärft worden durch die Beseitigung der ihn überbrückenden zünftigen und andern Privilegien und der ihn mildernden kirchlichen Wohltätigkeitsanstalten; der Aufschwung der Industrie auf kapitalistischer Grundlage erhob Armut und Elend der arbeitenden Massen zu einer Lebensbedingung der Gesellschaft. Die Zahl der Verbrechen nahm zu von |240| Jahr zu Jahr. Waren die früher am hellen Tage sich ungescheut ergehenden feudalen Laster zwar nicht vernichtet, so doch vorläufig in den Hintergrund gedrängt, so schossen dafür die, bisher nur in der Stille gehegten, bürgerlichen Laster um so üppiger in die Blüte. Der Handel entwickelte sich mehr und mehr zur Prellerei. Die »Brüderlichkeit« der revolutionären Devise verwirklichte sich in den Schikanen und dem Neid des Konkurrenzkampfs. An die Stelle der gewaltsamen Unterdrückung trat die Korruption, an die Stelle des Degens, als des ersten gesellschaftlichen Machthebels, das Geld. Das Recht der ersten Nacht ging über von den Feudalherren auf die bürgerlichen Fabrikanten. Die Prostitution breitete sich aus in bisher unerhörtem Maß. Die Ehe selbst blieb, nach wie vor, gesetzlich anerkannte Form, offizieller Deckmantel der Prostitution, und ergänzte sich zudem durch reichlichen Ehebruch. Kurzum, verglichen mit den prunkhaften Verheißungen der Aufklärer, erwiesen sich die durch den »Sieg der Vernunft« hergestellten gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen als bitter enttäuschende Zerrbilder. Es fehlten nur noch die Leute, die diese Enttäuschung konstatierten, und diese kamen mit der Wende des Jahrhunderts. 1802 erschienen Saint-Simons Genfer Briefe; 1808 erschien Fouriers erstes Werk, obwohl die Grundlage seiner Theorie schon von 1799 datierte; am ersten Januar 1800 übernahm Robert Owen die Leitung von New Lanark.

Um diese Zeit aber war die kapitalistische Produktionsweise und mit ihr der Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat noch sehr unentwickelt. Die große Industrie, in England eben erst entstanden, war in Frankreich noch unbekannt. Aber erst die große Industrie entwickelt einerseits die Konflikte, die eine Umwälzung der Produktionsweise zur zwingenden Notwendigkeit erheben - Konflikte nicht nur der von ihr erzeugten Klassen, sondern auch der von ihr geschaffnen Produktivkräfte und Austauschformen selbst -; und sie entwickelt andrerseits in eben diesen riesigen Produktivkräften auch die Mittel, diese Konflikte zu lösen. Waren also um 1800 die der neuen Gesellschaftsordnung entspringenden Konflikte erst im Werden begriffen, so gilt dies noch weit mehr von den Mitteln ihrer Lösung. Hatten die besitzlosen Massen von Paris während der Schreckenszeit einen Augenblick die Herrschaft erobern können, so hatten sie damit nur bewiesen, wie unmöglich diese Herrschaft unter den damaligen Verhältnissen war. Das sich aus diesen besitzlosen Massen eben erst als Stamm einer neuen Klasse absondernde Proletariat, noch ganz unfähig zu selbständiger politischer Aktion, stellte sich dar als unterdrückter, leidender Stand, dem in seiner Unfähigkeit, sich selbst zu helfen, höchstens von außen her, von oben herab Hilfe zu bringen war.

|241| Diese geschichtliche Lage beherrschte auch die Stifter des Sozialismus. Dem unreifen Stand der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage entsprachen unreife Theorien. Die Lösung der gesellschaftlichen Aufgaben, die in den unentwickelten ökonomischen Verhältnissen noch verborgen lag, sollte aus dem Kopfe erzeugt werden. Die Gesellschaft bot nur Mißstände; sie zu beseitigen war Aufgabe der denkenden Vernunft. Es handelte sich darum, ein neues vollkommneres System der gesellschaftlichen Ordnung zu erfinden und dies der Gesellschaft von außen her, durch Propaganda, womöglich durch das Beispiel von Musterexperimenten aufzuoktroyieren. Diese neuen sozialen Systeme waren von vornherein zur Utopie verdammt, je weiter sie in ihren Einzelheiten ausgearbeitet wurden, desto mehr mußten sie in reine Phantasterei verlaufen.

Dies einmal festgestellt, halten wir uns bei dieser, jetzt ganz der Vergangenheit angehörigen Seite keinen Augenblick länger auf. Wir können es literarischen Kleinkrämern à la Dühring überlassen, an diesen, heute nur noch erheiternden Phantastereien feierlich herumzuklauben und die Überlegenheit ihrer eignen nüchternen Denkungsart geltend zu machen gegenüber solchem »Wahnwitz«. Wir freuen uns lieber der genialen Gedankenkeime und Gedanken, die unter der phantastischen Hülle überall hervorbrechen, und für die jene Philister blind sind.

Saint-Simon stellt bereits in seinen Genfer Briefen den Satz auf, daß

»alle Menschen arbeiten sollen«.

In derselben Schrift weiß er schon, daß die Schreckensherrschaft die Herrschaft der besitzlosen Massen war.

»Seht an«, ruft er ihnen zu, »was sich in Frankreich ereignet hat zu der Zeit, als eure Kameraden dort geherrscht; sie haben die Hungersnot erzeugt.«

Die französische Revolution aber als einen Klassenkampf zwischen Adel, Bürgertum und Besitzlosen aufzufassen, war im Jahr 1802 eine höchst geniale Entdeckung. 1816 erklärt er die Politik für die Wissenschaft der Produktion und sagt voraus das gänzliche Aufgehn der Politik in der Ökonomie. Wenn hierin die Erkenntnis, daß die ökonomische Lage die Basis der politischen Einrichtungen ist, nur erst im Keime sich zeigt, so ist doch die Überführung der politischen Regierung über Menschen in eine Verwaltung von Dingen und eine Leitung von Produktionsprozessen, also die neuerdings mit so viel Lärm breitgetretne Abschaffung des Staats hier schon klar ausgesprochen. Mit gleicher Überlegenheit über seine Zeitgenossen proklamiert er 1814, unmittelbar nach dem Einzug der Verbündeten in Paris, und noch 1815, während des Kriegs der Hundert Tage, die Allianz |242| Frankreichs mit England und in zweiter Linie beider Länder mit Deutschland als einzige Gewähr für die gedeihliche Entwicklung und den Frieden Europas. Allianz den Franzosen von 1815 predigen mit den Siegern von Waterloo, dazu gehörte allerdings etwas mehr Mut, als den deutschen Professoren einen Klatschkrieg zu erklären.

Wenn wir bei Saint-Simon eine geniale Weite des Blicks entdecken, vermöge deren fast alle nicht streng ökonomischen Gedanken der spätern Sozialisten bei ihm im Keim enthalten sind, so finden wir bei Fourier eine echt französisch-geistreiche, aber darum nicht minder tief eindringende Kritik der bestehenden Gesellschaftszustände. Fourier nimmt die Bourgeoisie, ihre begeisterten Propheten von vor, und ihre interessierten Lobhudler von nach der Revolution beim Worte. Er deckt die materielle und moralische Misere der bürgerlichen Welt unbarmherzig auf, er hält daneben sowohl die gleißenden Versprechungen der Aufklärer von der Gesellschaft, in der nur die Vernunft herrschen werde, von der alles beglückenden Zivilisation, von der grenzenlosen menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit, wie auch die schönfärbenden Redensarten der gleichzeitigen Bourgeoisideologen; er weist nach, wie der hochtönendsten Phrase überall die erbärmlichste Wirklichkeit entspricht, und überschüttet dies rettungslose Fiasko der Phrase mit beißendem Spott. Fourier ist nicht nur Kritiker, seine ewig heitere Natur macht ihn zum Satiriker, und zwar zu einem der größten Satiriker aller Zeiten. Die mit dem Niedergang der Revolution emporblühende Schwindelspekulation ebenso wie die allgemeine Krämerhaftigkeit des damaligen französischen Handels schildert er ebenso meisterhaft wie ergötzlich. Noch meisterhafter ist seine Kritik der bürgerlichen Gestaltung der Geschlechtsverhältnisse und der Stellung des Weibes in der bürgerlichen Gesellschaft. Er spricht es zuerst aus, daß in einer gegebnen Gesellschaft der Grad der weiblichen Emanzipation das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation ist. Am großartigsten aber erscheint Fourier in seiner Auffassung der Geschichte der Gesellschaft. Er teilt ihren ganzen bisherigen Verlauf in vier Entwicklungsstufen: Wildheit, Patriarchat, Barbarei, Zivilisation, welch letztere mit der jetzt sogenannten bürgerlichen Gesellschaft zusammenfällt, und weist nach

»daß die zivilisierte Ordnung jedes Laster, welches die Barbarei auf eine einfache Weise ausübt, zu einer zusammengesetzten, doppelsinnigen, zweideutigen, heuchlerischen Daseinsweise erhebt«,

daß die Zivilisation sich in einem »fehlerhaften Kreislauf« bewegt, in Widersprüchen, die sie stets neu erzeugt, ohne sie überwinden zu können, |243| so daß sie stets das Gegenteil erreicht von dem, was sie erlangen will oder erlangen zu wollen vorgibt. So daß z.B.

»in der Zivilisation die Armut aus dem Überfluß selbst entspringt«.

Fourier, wie man sieht, handhabt die Dialektik mit derselben Meisterschaft wie sein Zeitgenosse Hegel. Mit gleicher Dialektik hebt er hervor, gegenüber dem Gerede von der unbegrenzten menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit, daß jede geschichtliche Phase ihren aufsteigenden, aber auch ihren absteigenden Ast hat, und wendet diese Anschauungsweise auch auf die Zukunft der gesamten Menschheit an. Wie Kant den künftigen Untergang der Erde in die Naturwissenschaft, führt Fourier den künftigen Untergang der Menschheit in die Geschichtsbetrachtung ein. -

Während in Frankreich der Orkan der Revolution das Land ausfegte, ging in England eine stillere, aber darum nicht minder gewaltige Umwälzung vor sich. Der Dampf und die neue Werkzeugmaschinerie verwandelten die Manufaktur in die moderne große Industrie und revolutionierten damit die ganze Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Der schläfrige Entwicklungsgang der Manufakturzeit verwandelte sich in eine wahre Sturm- und Drangperiode der Produktion. Mit stets wachsender Schnelligkeit vollzog sich die Scheidung der Gesellschaft in große Kapitalisten und besitzlose Proletarier, zwischen denen, statt des frühern stabilen Mittelstandes, jetzt eine unstete Masse von Handwerkern und Kleinhändlern eine schwankende Existenz führte, der fluktuierendste Teil der Bevölkerung. Noch war die neue Produktionsweise erst im Anfang ihres aufsteigenden Asts; noch war sie die normale, die unter den Umständen einzig mögliche Produktionsweise. Aber schon damals erzeugte sie schreiende soziale Mißstände: Zusammendrängung einer heimatlosen Bevölkerung in den schlechtesten Wohnstätten großer Städte - Lösung aller hergebrachten Bande des Herkommens, der patriarchalischen Unterordnung, der Familie - Überarbeit besonders der Weiber und Kinder in schreckenerregendem Maß - massenhafte Demoralisation der plötzlich in ganz neue Verhältnisse geworfnen arbeitenden Klasse. Da trat ein neunundzwanzigjähriger Fabrikant als Reformator auf, ein Mann von bis zur Erhabenheit kindlicher Einfachheit des Charakters und zugleich ein geborner Lenker von Menschen wie wenige. Robert Owen hatte sich die Lehre der materialistischen Aufklärer angeeignet, daß der Charakter des Menschen das Produkt sei einerseits der angebornen Organisation und andrerseits der den Menschen während seiner Lebenszeit, besonders aber während der Entwicklungsperiode umgebenden Umstände. In der industriellen Revolution sahen die meisten |244| seiner Standesgenossen nur Verwirrung und Chaos, gut, um im trüben zu fischen und sich rasch zu bereichern. Er sah in ihr die Gelegenheit, seinen Lieblingssatz zur Anwendung und damit Ordnung in das Chaos zu bringen. Er hatte es schon in Manchester als Dirigent über fünfhundert Arbeiter einer Fabrik erfolgreich versucht; von 1800 bis 1829 leitete er die große Baumwollspinnerei von New Lanark in Schottland als dirigierender Associé in demselben Sinn, nur mit größerer Freiheit des Handelns, und mit einem Erfolg, der ihm europäischen Ruf eintrug. Eine allmählich auf 2.500 Köpfe anwachsende, ursprünglich aus den gemischtesten und größtenteils stark demoralisierten Elementen sich zusammensetzende Bevölkerung wandelte er um in eine vollständige Musterkolonie, in der Trunkenheit, Polizei, Strafrichter, Prozesse, Armenpflege, Wohltätigkeitsbedürfnis unbekannte Dinge waren. Und zwar einfach dadurch, daß er die Leute in menschenwürdigere Umstände versetzte und namentlich die heranwachsende Generation sorgfältig erziehen ließ. Er war der Erfinder der Kleinkinderschulen und führte sie hier zuerst ein. Vom zweiten Lebensjahre an kamen die Kinder in die Schule, wo sie sich so gut unterhielten, daß sie kaum wieder heimzubringen waren. Während seine Konkurrenten dreizehn bis vierzehn Stunden täglich arbeiteten, wurde in New Lanark nur zehneinhalb Stunden gearbeitet. Als eine Baumwollenkrisis zu viermonatigem Stillstand zwang, wurde den feiernden Arbeitern der volle Lohn fortbezahlt. Und dabei hatte das Etablissement seinen Wert mehr als verdoppelt und bis zuletzt den Eigentümern reichlichen Gewinn abgeworfen.

Mit alledem war Owen nicht zufrieden. Die Existenz, die er seinen Arbeitern geschaffen, war in seinen Augen noch lange keine menschenwürdige;

»die Leute waren meine Sklaven«:

die relativ günstigen Umstände, in die er sie versetzt, waren noch weit entfernt davon, eine allseitige und rationelle Entwicklung des Charakters und des Verstandes, geschweige eine freie Lebenstätigkeit zu gestatten.

»Und doch produzierte der arbeitende Teil dieser 2.500 Menschen ebensoviel wirklichen Reichtum für die Gesellschaft, wie kaum ein halbes Jahrhundert vorher eine Bevölkerung von 600.000 erzeugen konnte. Ich frug mich: was wird aus der Differenz zwischen dem von 2.500 Personen verzehrten Reichtum und demjenigen, den die 600.000 hätten verzehren müssen?«

Die Antwort war klar. Er war verwandt worden, um den Besitzern des Etablissements fünf Prozent Zinsen vom Anlagekapital und außerdem noch mehr als 300.000 Pfd. Sterling (6.000.000 Mark) Gewinn abzuwerfen. Und was von New Lanark, galt in noch höherm Maß von allen Fabriken Englands.

|245| »Ohne diesen neuen, durch die Maschinen geschaffnen Reichtum hätten die Kriege zum Sturz Napoleons und zur Aufrechterhaltung der aristokratischen Gesellschaftsprinzipien nicht durchgeführt werden können. Und doch war diese neue Macht die Schöpfung der arbeitenden Klasse.«

Ihr gehörten daher auch die Früchte. Die neuen, gewaltigen Produktivkräfte, bisher nur der Bereicherung einzelner und der Knechtung der Massen dienend, boten für Owen die Grundlage zu einer gesellschaftlichen Neubildung, und waren dazu bestimmt, als gemeinsames Eigentum aller nur für die gemeinsame Wohlfahrt aller zu arbeiten.

Auf solche rein geschäftsmäßige Weise, als Frucht sozusagen der kaufmännischen Berechnung entstand der Owensche Kommunismus. Denselben auf das Praktische gerichteten Charakter behält er durchweg. So schlug Owen 1823 Hebung des irischen Elends durch kommunistische Kolonien vor und legte vollständige Berechnungen über Anlagekosten, jährliche Auslagen und voraussichtliche Erträge bei. So ist in seinem definitiven Zukunftsplan die technische Ausarbeitung der Einzelheiten mit solcher Sachkenntnis durchgeführt, daß, die Owensche Methode der Gesellschaftsreform einmal zugegeben, sich gegen die Detaileinrichtung selbst vom fachmännischen Standpunkt nur wenig sagen läßt.

Der Fortschritt zum Kommunismus war der Wendepunkt in Owens Leben. Solange er als bloßer Philanthrop aufgetreten, hatte er nichts geerntet als Reichtum, Beifall, Ehre und Ruhm. Er war der populärste Mann in Europa. Nicht nur seine Standesgenossen, auch Staatsmänner und Fürsten hörten ihm beifällig zu. Als er aber mit seinen kommunistischen Theorien hervortrat, wendete sich das Blatt. Drei große Hindernisse waren es, die ihm vor allem den Weg zur gesellschaftlichen Reform zu versperren schienen: das Privateigentum, die Religion und die gegenwärtige Form der Ehe. Er wußte, was ihm bevorstand, wenn er sie angriff: die allgemeine Ächtung durch die offizielle Gesellschaft, der Verlust seiner ganzen sozialen Stellung. Aber er ließ sich nicht abhalten, sie rücksichtslos anzugreifen, und es geschah, wie er vorhergesehn. Verbannt aus der offiziellen Gesellschaft, totgeschwiegen von der Presse, verarmt durch fehlgeschlagne kommunistische Versuche in Amerika, in denen er sein ganzes Vermögen geopfert, wandte er sich direkt an die Arbeiterklasse und blieb in ihrer Mitte noch dreißig Jahre tätig. Alle gesellschaftlichen Bewegungen, alle wirklichen Fortschritte, die in England im Interesse der Arbeiter zustande gekommen, knüpfen sich an den Namen Owen. So setzte er 1819 nach fünfjähriger Anstrengung das erste Gesetz zur Beschränkung der Weiber- und Kinderarbeit in den Fabriken durch. So präsidierte er dem ersten Kongreß, |246| auf dem die Trade-Unions von ganz England sich in eine einzige große Gewerksgenossenschaft vereinigten. So führte er als Übergangsmaßregeln zur vollständig kommunistischen Einrichtung der Gesellschaft einerseits die Kooperativgesellschaften ein (Konsum- und Produktivgenossenschaften), die seitdem wenigstens den praktischen Beweis geliefert haben, daß sowohl der Kaufmann wie der Fabrikant sehr entbehrliche Personen sind; andrerseits die Arbeitsbasars, Anstalten zum Austausch von Arbeitsprodukten vermittelst eines Arbeitspapiergeldes, dessen Einheit die Arbeitsstunde bildete; Anstalten, die notwendig scheitern mußten, die aber die weit spätere Proudhonsche Tauschbank vollständig antizipierten und sich nur dadurch von ihr unterschieden, daß sie nicht das Universalheilmittel aller gesellschaftlichen Übel, sondern nur einen ersten Schritt zu einer weit radikaleren Umgestaltung der Gesellschaft darstellten. Das sind die Männer, auf die der souveräne Herr Dühring von der Höhe seiner »endgültigen Wahrheit letzter Instanz« mit der Verachtung herabsieht, von der wir in der Einleitung einige Beispiele gegeben haben. Und diese Verachtung ist nach Einer Seite hin nicht ohne ihren zureichenden Grund: sie beruht nämlich wesentlich auf einer wahrhaft erschreckenden Unwissenheit in Beziehung auf die Schriften der drei Utopisten. So heißt es von Saint-Simon, daß

»sein Grundgedanke im wesentlichen zutreffend gewesen ist und, von einigen Einseitigkeiten abgesehn, noch heute den leitenden Antrieb zu wirklichen Gestaltungen liefert«.

Trotzdem aber Herr Dühring in der Tat einige der Saint-Simonschen Werke in der Hand gehabt zu haben scheint, sehn wir uns auf den betreffenden siebenundzwanzig Druckseiten ebenso vergeblich nach dem »Grundgedanken« Saint-Simons um, wie früher nach dem, was Quesnays ökonomisches Tableau »bei Quesnay selbst zu bedeuten hat«, und müssen uns schließlich abspeisen lassen mit der Phrase,

»daß die Imagination und der philanthropische Affekt ... mit der ihm zugehörigen Überspannung der Phantasie den gesamten Ideenkreis Saint-Simons beherrschte«!

Von Fourier kennt und beachtet er nur die in romanhaftes Detail ausgemalten Zukunftsphantasien, was allerdings zur Feststellung der unendlichen Überlegenheit des Herrn Dühring über Fourier »weit wichtiger ist« als zu untersuchen, wie dieser »die wirklichen Zustände gelegentlich zu kritisieren versucht«. Gelegentlich! Nämlich fast auf jeder Seite seiner Werke sprühen die Funken der Satire und der Kritik über die Miseren der vielgepriesenen Zivilisation. Es ist, als wollte man sagen, Herr Dühring erkläre |247| nur »gelegentlich« den Herrn Dühring für den größten Denker aller Zeiten. Was aber gar die zwölf, Robert Owen gewidmeten Seiten angeht, so hat Herr Dühring dafür absolut keine andre Quelle als die miserable Biographie des Philisters Sargant, der die wichtigsten Schriften Owens - über die Ehe und die kommunistische Einrichtung - ebenfalls nicht kannte. Herr Dühring kann sich daher kühnlich zu der Behauptung versteigen, man dürfe bei Owen »keinen entschiednen Kommunismus voraussetzen«. Allerdings, hätte Herr Dühring Owens »Book of the New Moral World« auch nur in der Hand gehabt, so hätte er darin nicht nur den allerentschiedensten Kommunismus, mit gleicher Arbeitspflicht und gleichem Anrecht am Produkt - gleich je nach dem Alter, wie Owen stets ergänzt - ausgesprochen gefunden, sondern auch die vollständige Ausarbeitung des Gebäudes für die kommunistische Gemeinde der Zukunft, mit Grundriß, Aufriß und Ansicht aus der Vogelperspektive. Wenn man aber das »unmittelbare Studium der eignen Schriften der Vertreter der sozialistischen Ideenkreise« auf die Kenntnis des Titels und höchstens noch - des Mottos einiger weniger dieser Schriften beschränkt, wie Herr Dühring hier, so bleibt allerdings nichts übrig als solche alberne und direkt erfundne Behauptung. Nicht nur gepredigt hat Owen den »entschiednen Kommunismus«, er hat ihn auch während fünf Jahren (Ende der dreißiger und anfangs der vierziger) praktiziert in der Kolonie von Harmony Hall in Hampshire, deren Kommunismus an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrigließ. Ich habe selbst mehrere ehemalige Mitglieder dieses kommunistischen Musterexperiments gekannt. Aber von alledem, wie überhaupt von Owens Tätigkeit zwischen 1836 und 1850 weiß Sargant absolut nichts, und daher verbleibt auch die »tiefere Geschichtschreibung« des Herrn Dühring in pechdunkler Ignoranz. Herr Dühring nennt Owen »in jeder Hinsicht ein wahres Monstrum philanthropischer Aufdringlichkeit«. Wenn aber derselbe Herr Dühring uns über den Inhalt von Büchern unterrichtet, von denen er kaum Titel und Motto kennt, so dürfen wir beileibe nicht sagen, er sei »in jeder Hinsicht ein wahres Monstrum von unwissender Aufdringlichkeit«, denn das wäre in unserm Munde ja »geschimpft«.

Die Utopisten, sahen wir, waren Utopisten, weil sie nichts andres sein konnten zu einer Zeit, wo die kapitalistische Produktion noch so wenig entwickelt war. Sie waren genötigt, sich die Elemente einer neuen Gesellschaft aus dem Kopfe zu konstruieren, weil diese Elemente in der alten Gesellschaft selbst noch nicht allgemein sichtbar hervortraten; sie waren beschränkt für die Grundzüge ihres Neubaus auf den Appell an die Vernunft, weil sie eben noch nicht an die gleichzeitige Geschichte appellieren konnten. |248| Wenn aber jetzt, fast achtzig Jahre nach ihrem Auftreten, Herr Dühring auf die Bühne tritt mit dem Anspruch, ein »maßgebendes« System einer neuen Gesellschaftsordnung nicht aus dem vorliegenden geschichtlich entwickelten Material als dessen notwendiges Ergebnis zu entwickeln, nein, aus seinem souveränen Kopf, aus seiner mit endgültigen Wahrheiten schwangern Vernunft zu konstruieren, so ist er, der überall Epigonen riecht, selbst nur der Epigone der Utopisten, der neueste Utopist. Er nennt die großen Utopisten »soziale Alchimisten«. Mag sein. Die Alchimie war ihrerzeit notwendig. Aber seit jener Zeit hat die große Industrie die Widersprüche, die in der kapitalistischen Produktionsweise schlummerten, zu so schreienden Gegensätzen entwickelt, daß der herannahende Zusammenbruch dieser Produktionsweise sozusagen mit Händen zu greifen ist; daß die neuen Produktivkräfte selbst nur erhalten und weiter ausgebildet werden können durch Einführung einer neuen, ihrem gegenwärtigen Entwicklungsgrad entsprechenden Produktionsweise; daß der Kampf der beiden, durch die bisherige Produktionsweise erzeugten und stets in verschärftem Gegensatz reproduzierten Klassen alle zivilisierten Länder ergriffen hat und täglich heftiger wird, und daß die Einsicht in diesen geschichtlichen Zusammenhang, in die Bedingungen der durch ihn notwendig gemachten sozialen Umgestaltung und in die ebenfalls durch ihn bedingten Grundzüge dieser Umgestaltung auch bereits gewonnen ist. Und wenn jetzt Herr Dühring, statt aus dem vorliegenden ökonomischen Material, aus seinem allerhöchsten Hirnschädel heraus eine neue utopische Gesellschaftsordnung fabriziert, so treibt er nicht nur einfache »soziale Alchimie«. Er benimmt sich vielmehr wie jemand, der nach der Entdeckung und Feststellung der Gesetze der modernen Chemie die alte Alchimie wiederherstellen und die Atomgewichte, die Molekularformeln, die Quantivalenz der Atome, die Kristallographie und die Spektralanalyse benutzen wollte einzig zur Entdeckung - des Steins der Weisen.

II. Theoretisches

Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daß in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird. Hiernach sind die |249| letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche. Die erwachende Einsicht, daß die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, daß Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, daß in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Veränderungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt. Damit ist zugleich gesagt, daß die Mittel zur Beseitigung der entdeckten Mißstände ebenfalls in den veränderten Produktionsverhältnissen selbst - mehr oder minder entwickelt - vorhanden sein müssen. Diese Mittel sind nicht etwa aus dem Kopf zu erfinden, sondern vermittelst des Kopfes in den vorliegenden materiellen Tatsachen der Produktion zu entdecken.

Wie steht es nun hiernach mit dem modernen Sozialismus?

Die bestehende Gesellschaftsordnung - das ist nun so ziemlich allgemein zugegeben - ist geschaffen worden von der jetzt herrschenden Klasse, der Bourgeoisie. Die der Bourgeoisie eigentümliche Produktionsweise, seit Marx mit dem Namen kapitalistische Produktionsweise bezeichnet, war unverträglich mit den lokalen und ständischen Privilegien wie mit den gegenseitigen persönlichen Banden der feudalen Ordnung; die Bourgeoisie zerschlug die feudale Ordnung und stellte auf ihren Trümmern die bürgerliche Gesellschaftsverfassung her, das Reich der freien Konkurrenz, der Freizügigkeit, der Gleichberechtigung der Warenbesitzer und wie die bürgerlichen Herrlichkeiten alle heißen. Die kapitalistische Produktionsweise konnte sich jetzt frei entfalten. Die unter der Leitung der Bourgeoisie herausgearbeiteten Produktivkräfte entwickelten sich, seit der Dampf und die neue Werkzeugmaschinerie die alte Manufaktur in die große Industrie umgewandelt, mit bisher unerhörter Schnelligkeit und in bisher unerhörtem Maßstab. Aber wie ihrerzeit die Manufaktur und das unter ihrer Einwirkung weiterentwickelte Handwerk mit den feudalen Fesseln der Zünfte in Konflikt kam, so kommt die große Industrie in ihrer volleren Ausbildung in Konflikt mit den Schranken, in denen die kapitalistische Produktionsweise sie eingeengt hält. Die neuen Produktivkräfte {1} sind der bürgerlichen Form ihrer |250| Ausnutzung bereits über den Kopf gewachsen; und dieser Konflikt zwischen Produktivkräften und Produktionsweise ist nicht ein in den Köpfen der Menschen entstandner Konflikt, wie etwa der der menschlichen Erbsünde mit der göttlichen Gerechtigkeit, sondern er besteht in den Tatsachen, objektiv, außer uns, unabhängig vom Wollen oder Laufen selbst derjenigen Menschen, die ihn herbeigeführt. Der moderne Sozialismus ist weiter nichts als der Gedankenreflex dieses tatsächlichen Konflikts, seine ideelle Rückspiegelung in den Köpfen zunächst der Klasse, die direkt unter ihm leidet, der Arbeiterklasse.

Worin besteht nun dieser Konflikt?

Vor der kapitalistischen Produktion, also im Mittelalter, bestand allgemeiner Kleinbetrieb auf Grundlage des Privateigentums der Arbeiter an ihren Produktionsmitteln: der Ackerbau der kleinen, freien oder hörigen Bauern, das Handwerk der Städte. Die Arbeitsmittel - Land, Ackergerät, Werkstatt, Handwerkszeug - waren Arbeitsmittel des einzelnen, nur für den Einzelgebrauch berechnet, also notwendig kleinlich, zwerghaft, beschränkt. Aber sie gehörten eben deshalb auch in der Regel dem Produzenten selbst. Diese zersplitterten, engen Produktionsmittel zu konzentrieren, auszuweiten, sie in die mächtig wirkenden Produktionshebel der Gegenwart umzuwandeln, war grade die historische Rolle der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Trägerin, der Bourgeoisie. Wie sie dies seit dem 15. Jahrhundert auf den drei Stufen der einfachen Kooperation, der Manufaktur und der großen Industrie geschichtlich durchgeführt, hat Marx im vierten Abschnitt des »Kapital« |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 331-530| ausführlich geschildert. Aber die Bourgeoisie, wie dort ebenfalls nachgewiesen ist, konnte jene beschränkten Produktionsmittel nicht in gewaltige Produktivkräfte verwandeln, ohne sie aus Produktionsmitteln des einzelnen in gesellschaftliche, nur von einer Gesamtheit von Menschen anwendbare Produktionsmittel zu verwandeln. An die Stelle des Spinnrads, des Handwebstuhls, des Schmiedehammers trat die Spinnmaschine, der mechanische Webstuhl, der Dampfhammer; an die Stelle der Einzelwerkstatt, die das Zusammenwirken von Hunderten und Tausenden gebietende Fabrik. Und wie die Produktionsmittel, so verwandelte sich die Produktion selbst aus einer Reihe von Einzelhandlungen in eine Reihe gesellschaftlicher Akte und die Produkte aus Produkten einzelner in gesellschaftliche Produkte. Das Garn, das Gewebe, die Metallwaren, die jetzt aus der Fabrik kamen, waren das gemeinsame Produkt vieler Arbeiter, durch deren Hände sie der Reihe nach gehn mußten, ehe sie fertig wurden. |251| Kein einzelner kann von ihnen sagen: Das habe ich gemacht, das ist mein Produkt.

Wo aber die naturwüchsige Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft Grundform der Produktion ist, da drückt sie den Produkten die Form von Waren auf, deren gegenseitiger Austausch, Kauf und Verkauf die einzelnen Produzenten in den Stand setzt, ihre mannigfachen Bedürfnisse zu befriedigen. Und dies war im Mittelalter der Fall. Der Bauer z.B. verkaufte Ackerprodukte an den Handwerker und kaufte dafür von diesem Handwerkserzeugnisse. In diese Gesellschaft von Einzelproduzenten, Warenproduzenten, schob sich nun die neue Produktionsweise ein. Mitten in die naturwüchsige planlose Teilung der Arbeit, wie sie in der ganzen Gesellschaft herrschte, stellte sie die planmäßige Teilung der Arbeit, wie sie in der einzelnen Fabrik organisiert war; neben die Einzelproduktion trat die gesellschaftliche Produktion. Die Produkte beider wurden auf demselben Markt verkauft, also zu wenigstens annähernd gleichen Preisen. Aber die planmäßige Organisation war mächtiger als die naturwüchsige Arbeitsteilung; die gesellschaftlich arbeitenden Fabriken stellten ihre Erzeugnisse wohlfeiler her als die vereinzelten Kleinproduzenten. Die Einzelproduktion erlag auf einem Gebiete nach dem andern, die gesellschaftliche Produktion revolutionierte die ganze alte Produktionsweise. Aber dieser ihr revolutionärer Charakter wurde so wenig erkannt, daß sie im Gegenteil eingeführt wurde als Mittel zur Hebung und Förderung der Warenproduktion. Sie entstand in direkter Anknüpfung an bestimmte, bereits vorgefundne Hebel der Warenproduktion und des Warenaustausches: Kaufmannskapital, Handwerk, Lohnarbeit. Indem sie selbst auftrat als eine neue Form der Warenproduktion, blieben die Aneignungsformen der Warenproduktion auch für sie in voller Geltung.

In der Warenproduktion, wie sie sich im Mittelalter entwickelt hatte, konnte die Frage gar nicht entstehn, wem das Erzeugnis der Arbeit gehören solle. Der einzelne Produzent hatte es, in der Regel aus ihm gehörenden, oft selbst erzeugtem Rohstoff, mit eignen Arbeitsmitteln und mit eigner Handarbeit oder der seiner Familie hergestellt. Es brauchte gar nicht erst von ihm angeeignet zu werden, es gehörte ihm ganz von selbst. Das Eigentum der Produkte beruhte also auf eigner Arbeit. Selbst wo fremde Hülfe gebraucht ward, blieb diese in der Regel Nebensache und erhielt häufig außer dem Lohn noch andre Vergütung: der zünftige Lehrling und Geselle arbeiteten weniger wegen der Kost und des Lohns, als wegen ihrer eignen Ausbildung zur Meisterschaft. Da kam die Konzentration der Produktionsmittel in großen Werkstätten und Manufakturen, ihre Verwandlung in tat- |252| sächlich gesellschaftliche Produktionsmittel. Aber die gesellschaftlichen Produktionsmittel und Produkte wurden behandelt, als wären sie nach wie vor die Produktionsmittel und Produkte einzelner. Hatte bisher der Besitzer der Arbeitsmittel sich das Produkt angeeignet, weil es in der Regel sein eignes Produkt und fremde Hülfsarbeit die Ausnahme war, so fuhr jetzt der Besitzer der Arbeitsmittel fort, sich das Produkt anzueignen, obwohl es nicht mehr sein Produkt war, sondern ausschließlich Produkt fremder Arbeit. So wurden also die nunmehr gesellschaftlich erzeugten Produkte angeeignet nicht von denen, die die Produktionsmittel wirklich in Bewegung gesetzt und die Produkte wirklich erzeugt hatten, sondern vom Kapitalisten. Produktionsmittel und Produktion sind wesentlich gesellschaftlich geworden. Aber sie werden unterworfen einer Aneignungsform, die die Privatproduktion einzelner zur Voraussetzung hat, wobei also jeder sein eignes Produkt besitzt und zu Markte bringt. Die Produktionsweise wird dieser Aneignungsform unterworfen, obwohl sie deren Voraussetzung aufhebt.(1) In diesem Widerspruch, der der neuen Produktionsweise ihren kapitalistischen Charakter verleiht, liegt die ganze Kollision der Gegenwart bereits im Keim. Je mehr die neue Produktionsweise auf allen entscheidenden Produktionsfeldern und in allen ökonomisch entscheidenden Ländern zur Herrschaft kam und damit die Einzelproduktion bis auf unbedeutende Reste verdrängte, desto greller mußte auch an den Tag treten die Unverträglichkeit von gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung.

Die ersten Kapitalisten fanden, wie gesagt, die Form der Lohnarbeit bereits vor. Aber Lohnarbeit als Ausnahme, als Nebenbeschäftigung, als Aushülfe, als Durchgangspunkt. Der Landarbeiter, der zeitweise taglöhnern ging, hatte seine paar Morgen eignes Land, von denen allein er zur Not leben konnte. Die Zunftordnungen sorgten dafür, daß der Geselle von heute in den Meister von morgen überging. Sobald aber die Produktionsmittel in gesellschaftliche verwandelt und in den Händen von Kapitalisten konzentriert wurden, änderte sich dies. Das Produktionsmittel wie das Produkt des |253| kleinen Einzelproduzenten wurden mehr und mehr wertlos; es blieb ihm nichts übrig, als zum Kapitalisten auf Lohn zu gehen. Die Lohnarbeit, früher Ausnahme und Aushülfe, wurde Regel und Grundform der ganzen Produktion; früher Nebenbeschäftigung, wurde sie jetzt ausschließliche Tätigkeit des Arbeiters. Der zeitweilige Lohnarbeiter verwandelte sich in den lebenslänglichen. Die Menge der lebenslänglichen Lohnarbeiter wurde zudem kolossal vermehrt durch den gleichzeitigen Zusammenbruch der feudalen Ordnung. Auflösung der Gefolgschaften der Feudalherren, Vertreibung von Bauern aus ihren Hof stellen etc. Die Scheidung war vollzogen zwischen den in den Händen der Kapitalisten konzentrierten Produktionsmitteln hier und den auf den Besitz von nichts als ihrer Arbeitskraft reduzierten Produzenten dort. Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung tritt an den Tag als Gegensatz von Proletariat und Bourgeoisie.

Wir sahen, daß die kapitalistische Produktionsweise sich einschob in eine Gesellschaft von Warenproduzenten, Einzelproduzenten, deren gesellschaftlicher Zusammenhang vermittelt wurde durch den Austausch ihrer Produkte. Aber jede auf Warenproduktion beruhende Gesellschaft hat das Eigentümliche, daß in ihr die Produzenten die Herrschaft über ihre eignen gesellschaftlichen Beziehungen verloren haben. Jeder produziert für sich mit seinen zufälligen Produktionsmitteln und für sein individuelles Austauschbedürfnis. Keiner weiß, wieviel von seinem Artikel auf den Markt kommt, wieviel davon überhaupt gebraucht wird, keiner weiß, ob sein Einzelprodukt einen wirklichen Bedarf vorfindet, ob er seine Kosten herausschlagen oder überhaupt wird verkaufen können. Es herrscht Anarchie der gesellschaftlichen Produktion. Aber die Warenproduktion, wie jede andre Produktionsform, hat ihre eigentümlichen, inhärenten, von ihr untrennbaren Gesetze, und diese Gesetze setzen sich durch, trotz der Anarchie, in ihr, durch sie. Sie kommen zum Vorschein in der einzigen fortbestehenden Form des gesellschaftlichen Zusammenhangs, im Austausch, und machen sich geltend gegenüber den einzelnen Produzenten als Zwangsgesetze der Konkurrenz. Sie sind diesen Produzenten also anfangs selbst unbekannt und müssen erst durch lange Erfahrung nach und nach von ihnen entdeckt werden. Sie setzen sich also durch ohne die Produzenten und gegen die Produzenten, als blindwirkende Naturgesetze ihrer Produktionsform. Das Produkt beherrscht die Produzenten.

In der mittelalterlichen Gesellschaft, namentlich in den ersten Jahrhunderten, war die Produktion wesentlich auf den Selbstgebrauch gerichtet. Sie befriedigte vorwiegend nur die Bedürfnisse des Produzenten und seiner |254| Familie. Wo, wie auf dem Lande, persönliche Abhängigkeitsverhältnisse bestanden, trug sie auch bei zur Befriedigung der Bedürfnisse des Feudalherrn. Hierbei fand also kein Austausch statt, die Produkte nahmen daher auch nicht den Charakter von Waren an. Die Familie des Bauern produzierte fast alles, was sie brauchte, Geräte und Kleider nicht minder als Lebensmittel. Erst als sie dahin kam, einen Überschuß über ihren eignen Bedarf und über die dem Feudalherrn geschuldeten Naturalabgaben zu produzieren, erst da produzierte sie auch Waren; dieser Überschuß, in den gesellschaftlichen Austausch geworfen, zum Verkauf ausgeboten, wurde Ware. Die städtischen Handwerker mußten allerdings schon gleich anfangs für den Austausch produzieren. Aber auch sie erarbeiteten den größten Teil ihres Eigenbedarfs selbst; sie hatten Gärten und kleine Felder; sie schickten ihr Vieh in den Gemeindewald, der ihnen zudem Nutzholz und Feuerung lieferte; die Frauen spannen Flachs, Wolle usw. Die Produktion zum Zweck des Austausches, die Warenproduktion, war erst im Entstehn. Daher beschränkter Austausch, beschränkter Markt, stabile Produktionsweise, lokaler Abschluß nach außen, lokale Vereinigung nach innen: die Mark auf dem Lande, die Zunft in der Stadt.

Mit der Erweiterung der Warenproduktion aber, und namentlich mit dem Auftreten der kapitalistischen Produktionsweise, traten auch die bisher schlummernden Gesetze der Warenproduktion offener und mächtiger in Wirksamkeit. Die alten Verbände wurden gelockert, die alten Abschließungsschranken durchbrochen, die Produzenten mehr und mehr in unabhängige, vereinzelte Warenproduzenten verwandelt. Die Anarchie der gesellschaftlichen Produktion trat an den Tag und wurde mehr und mehr auf die Spitze getrieben. Das Hauptwerkzeug aber, womit die kapitalistische Produktionsweise diese Anarchie in der gesellschaftlichen Produktion steigerte, war das grade Gegenteil der Anarchie: die steigende Organisation der Produktion als gesellschaftlicher in jedem einzelnen Produktionsetablissement. Mit diesem Hebel machte sie der alten friedlichen Stabilität ein Ende. Wo sie in einem Industriezweig eingeführt wurde, litt sie keine ältere Methode des Betriebs neben sich. Wo sie sich des Handwerks bemächtigte, vernichtete sie das alte Handwerk. Das Arbeitsfeld wurde ein Kampfplatz. Die großen geographischen Entdeckungen und die ihnen folgenden Kolonisierungen vervielfältigten das Absatzgebiet und beschleunigten die Verwandlung des Handwerks in die Manufaktur. Nicht nur brach der Kampf aus zwischen den einzelnen Lokalproduzenten; die lokalen Kämpfe wuchsen ihrerseits an zu nationalen, den Handelskriegen des 17. und 18. Jahrhunderts. Die große Industrie endlich und die Herstellung des Welt- |255| markts haben den Kampf universell gemacht und gleichzeitig ihm eine unerhörte Heftigkeit gegeben. Zwischen einzelnen Kapitalisten wie zwischen ganzen Industrien und ganzen Ländern entscheidet die Gunst der natürlichen oder geschaffenen Produktionsbedingungen über die Existenz. Der Unterliegende wird schonungslos beseitigt. Es ist der Darwinsche Kampf ums Einzeldasein, aus der Natur mit potenzierter Wut übertragen in die Gesellschaft. Der Naturstandpunkt des Tiers erscheint als Gipfelpunkt der menschlichen Entwicklung. Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung reproduziert sich als Gegensatz zwischen der Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft.

In diesen beiden Erscheinungsformen des ihr durch ihren Ursprung immanenten Widerspruchs bewegt sich die kapitalistische Produktionsweise, beschreibt sie auswegslos jenen »fehlerhaften Kreislauf«, den schon Fourier an ihr entdeckte. Was Fourier allerdings zu seiner Zeit noch nicht sehn konnte, ist, daß sich dieser Kreislauf allmählich verengert, daß die Bewegung vielmehr eine Spirale darstellt und ihr Ende erreichen muß, wie die der Planeten, durch Zusammenstoß mit dem Zentrum. Es ist die treibende Kraft der gesellschaftlichen Anarchie der Produktion, die die große Mehrzahl der Menschen mehr und mehr in Proletarier verwandelt, und es sind wieder die Proletariermassen , die schließlich der Produktionsanarchie ein Ende machen werden. Es ist die treibende Kraft der sozialen Produktionsanarchie, die die unendliche Vervollkommnungsfähigkeit der Maschinen der großen Industrie in ein Zwangsgebot verwandelt für jeden einzelnen industriellen Kapitalisten, seine Maschinerie mehr und mehr zu vervollkommnen, bei Strafe des Untergangs. Aber Vervollkommnung der Maschinerie, das heißt Überflüssigmachung von Menschenarbeit. Wenn die Einführung und Vermehrung der Maschinerie Verdrängung von Millionen von Handarbeitern durch wenige Maschinenarbeiter bedeutet, so bedeutet Verbesserung der Maschinerie Verdrängung von mehr und mehr Maschinenarbeitern selbst und in letzter Instanz Erzeugung einer das durchschnittliche Beschäftigungsbedürfnis des Kapitals überschreitenden Anzahl disponibler Lohnarbeiter, einer vollständigen industriellen Reservearmee, wie ich sie schon 1845 (2) nannte, disponibel für die Zeiten, wo die Industrie mit Hochdruck arbeitet, aufs Pflaster geworfen durch den notwendig folgenden Krach, zu allen |256| Zeiten ein Bleigewicht an den Füßen der Arbeiterklasse in ihrem Existenzkampf mit dem Kapital, ein Regulator zur Niederhaltung des Arbeitslohns auf dem dem kapitalistischen Bedürfnis angemessenen niedrigen Niveau. So geht es zu, daß die Maschinerie, um mit Marx zu reden, das machtvollste Kriegsmittel des Kapitals gegen die Arbeiterklasse wird, daß das Arbeitsmittel dem Arbeiter fortwährend das Lebensmittel aus der Hand schlägt, daß das eigne Produkt des Arbeiters sich verwandelt in ein Werkzeug zur Knechtung des Arbeiters |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 459 und 511|. So kommt es, daß die Ökonomisierung der Arbeitsmittel von vornherein zugleich rücksichtsloseste Verschwendung der Arbeitskraft und Raub an den normalen Voraussetzungen der Arbeitsfunktion wird |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 486|; daß die Maschinerie, das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit, umschlägt in das unfehlbarste Mittel, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln; so kommt es, daß die Überarbeitung der einen die Voraussetzung wird für die Beschäftigungslosigkeit der andern und daß die große Industrie, die den ganzen Erdkreis nach neuen Konsumenten abjagt, zu Hause die Konsumtion der Massen auf ein Hungerminimum beschränkt und sich damit den eignen innern Markt untergräbt. »Das Gesetz, welches die relative Surpluspopulation oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Kapitalakkumulation im Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital, als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Bestialisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, das heißt auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert |Hervorhebungen von Engels|« (Marx, Kapital, Seite 671 |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 675|). Und von der kapitalistischen Produktionsweise eine andre Verteilung der Produkte erwarten, hieße verlangen, die Elektroden einer Batterie sollten das Wasser unzersetzt lassen, solange sie mit der Batterie in Verbindung stehn, und nicht am positiven Pol Sauerstoff entwickeln und am negativen Wasserstoff.

Wir sahen, wie die aufs höchste gesteigerte Verbesserungsfähigkeit der modernen Maschinerie, vermittelst der Anarchie der Produktion in der Gesellschaft, sich verwandelt in ein Zwangsgebot für den einzelnen industriellen Kapitalisten, seine Maschinerie stets zu verbessern, ihre Produktionskraft stets zu erhöhen. In ein ebensolches Zwangsgebot verwandelt sich für ihn |257| die bloße faktische Möglichkeit, seinen Produktionsbereich zu erweitern. Die enorme Ausdehnungskraft der großen Industrie, gegen die diejenige der Gase ein wahres Kinderspiel ist, tritt uns jetzt vor die Augen als ein qualitatives und quantitatives Ausdehnungsbedürfnis, das jedes Gegendrucks spottet. Der Gegendruck wird gebildet durch die Konsumtion, den Absatz, die Märkte für die Produkte der großen Industrie. Aber die Ausdehnungsfähigkeit der Märkte, extensive wie intensive, wird beherrscht zunächst durch ganz andre, weit weniger energisch wirkende Gesetze. Die Ausdehnung der Märkte kann nicht Schritt halten mit der Ausdehnung der Produktion. Die Kollision wird unvermeidlich, und da sie keine Lösung erzeugen kann, solange sie nicht die kapitalistische Produktionsweise selbst sprengt, wird sie periodisch. Die kapitalistische Produktion erzeugt einen neuen »fehlerhaften Kreislauf«.

In der Tat, seit 1825, wo die erste allgemeine Krisis ausbrach, geht die ganze industrielle und kommerzielle Welt, die Produktion und der Austausch sämtlicher zivilisierter Völker und ihrer mehr oder weniger barbarischen Anhängsel so ziemlich alle zehn Jahre einmal aus den Fugen. Der Verkehr stockt, die Märkte sind überfüllt, die Produkte liegen da, ebenso massenhaft wie unabsetzbar, das bare Geld wird unsichtbar, der Kredit verschwindet, die Fabriken stehn still, die arbeitenden Massen ermangeln der Lebensmittel, weil sie zuviel Lebensmittel produziert haben, Bankrott folgt auf Bankrott, Zwangsverkauf auf Zwangsverkauf. Jahrelang dauert die Stockung, Produktivkräfte wie Produkte werden massenhaft vergeudet und zerstört, bis die aufgehäuften Warenmassen unter größerer oder geringerer Entwertung endlich abfließen, bis Produktion und Austausch allmählich wieder in Gang kommen. Nach und nach beschleunigt sich die Gangart, fällt in Trab, der industrielle Trab geht über in Galopp, und dieser steigert sich wieder bis zur zügellosen Karriere einer vollständigen industriellen, kommerziellen, kreditlichen und spekulativen Steeplechase, um endlich nach den halsbrechendsten Sprüngen wieder anzulangen - im Graben des Krachs. Und so immer von neuem. Das haben wir nun seit 1825 volle fünfmal erlebt und erleben es in diesem Augenblick (1877) zum sechstenmal. Und der Charakter dieser Krisen ist so scharf ausgeprägt, daß Fourier sie alle traf, als er die erste bezeichnete als: crise pléthorique, Krisis aus Überfluß.

In den Krisen kommt der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung zum gewaltsamen Ausbruch. Der |258| Warenumlauf ist momentan vernichtet; das Zirkulationsmittel, das Geld, wird Zirkulationshindernis, alle Gesetze der Warenproduktion und Warenzirkulation werden auf den Kopf gestellt. Die ökonomische Kollision hat ihren Höhepunkt erreicht: die Produktionsweise rebelliert gegen die Austauschweise, die Produktivkräfte rebellieren gegen die Produktionsweise, der sie entwachsen sind.

Die Tatsache, daß die gesellschaftliche Organisation der Produktion innerhalb der Fabrik sich zu dem Punkt entwickelt hat, wo sie unverträglich geworden ist mit der neben und über ihr bestehenden Anarchie der Produktion in der Gesellschaft - diese Tatsache wird den Kapitalisten selbst handgreiflich gemacht durch die gewaltsame Konzentration der Kapitale, die sich während der Krisen vollzieht vermittelst des Ruins vieler großen und noch mehr kleiner Kapitalisten. Der gesamte Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise versagt unter dem Druck der von ihr selbst erzeugten Produktivkräfte. Sie kann diese Masse von Produktionsmitteln nicht mehr alle in Kapital verwandeln; sie liegen brach, und ebendeshalb muß auch die industrielle Reservearmee brachliegen. Produktionsmittel, Lebensmittel, disponible Arbeiter, alle Elemente der Produktion und des allgemeinen Reichtums sind im Überfluß vorhanden. Aber »der Überfluß wird Quelle der Not und des Mangels« (Fourier), weil er es grade ist, der die Verwandlung der Produktions- und Lebensmittel in Kapital verhindert. Denn in der kapitalistischen Gesellschaft können die Produktionsmittel nicht in Tätigkeit treten, es sei denn, sie hätten sich zuvor in Kapital, in Mittel zur Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft verwandelt. Wie ein Gespenst steht die Notwendigkeit der Kapitaleigenschaft der Produktions- und Lebensmittel zwischen ihnen und den Arbeitern. Sie allein verhindert das Zusammentreten der sachlichen und der persönlichen Hebel der Produktion; sie allein verbietet den Produktionsmitteln zu fungieren, den Arbeitern, zu arbeiten und zu leben. Einesteils also wird die kapitalistische Produktionsweise ihrer eignen Unfähigkeit zur fernern Verwaltung dieser Produktivkräfte überführt. Andrerseits drängen diese Produktivkräfte selbst mit steigender Macht nach Aufhebung des Widerspruchs, nach ihrer Erlösung von ihrer Eigenschaft als Kapital, nach tatsächlicher Anerkennung ihres Charakters als gesellschaftlicher Produktivkräfte.

Es ist dieser Gegendruck der gewaltig anwachsenden Produktivkräfte gegen ihre Kapitaleigenschaft, dieser steigende Zwang zur Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Natur, der die Kapitalistenklasse selbst nötigt, mehr und mehr, soweit dies innerhalb des Kapitalverhältnisses überhaupt möglich, sie als gesellschaftliche Produktivkräfte zu behandeln. Sowohl die in- |259| dustrielle Hochdruckperiode mit ihrer schrankenlosen Kreditaufblähung, wie der Krach selbst durch den Zusammenbruch großer kapitalistischer Etablissements, treiben zu derjenigen Form der Vergesellschaftung größerer Massen von Produktionsmitteln, die uns in den verschiednen Arten von Aktiengesellschaften gegenübertritt. Manche dieser Produktions- und Verkehrsmittel sind von vornherein so kolossal, daß sie, wie die Eisenbahnen, jede andre Form kapitalistischer Ausbeutung ausschließen. Auf einer gewissen Entwicklungsstufe genügt auch diese Form nicht mehr: der offizielle Repräsentant der kapitalistischen Gesellschaft, der Staat, muß ihre Leitung übernehmen.(3) Diese Notwendigkeit der Verwandlung in Staatseigentum tritt zuerst hervor bei den großen Verkehrsanstalten: Post, Telegraphen, Eisenbahnen.

Wenn die Krisen die Unfähigkeit der Bourgeoisie zur fernern Verwaltung der modernen Produktivkräfte aufdeckten, so zeigt die Verwandlung der großen Produktions- und Verkehrsanstalten in Aktiengesellschaften und Staatseigentum die Entbehrlichkeit der Bourgeoisie für jenen Zweck. Alle gesellschaftlichen Funktionen des Kapitalisten werden jetzt von besoldeten Angestellten versehn. Der Kapitalist hat keine gesellschaftliche Tätigkeit mehr, außer Revenuen-Einstreichen, Kupon-Abschneiden und Spielen an der Börse, wo die verschiednen Kapitalisten untereinander sich ihr Kapital abnehmen. Hat die kapitalistische Produktionsweise zuerst Arbeiter ver- |260| drängt, so verdrängt sie jetzt die Kapitalisten und verweist sie, ganz wie die Arbeiter, in die überflüssige Bevölkerung, wenn auch zunächst noch nicht in die industrielle Reservearmee.

Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf. Bei den Aktiengesellschaften liegt dies auf der Hand. Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um. Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung.

Diese Lösung kann nur darin liegen, daß die gesellschaftliche Natur der modernen Produktivkräfte tatsächlich anerkannt, daß also die Produktions-, Aneignungs- und Austauschweise in Einklang gesetzt wird mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionsmittel. Und dies kann nur dadurch geschehn, daß die Gesellschaft offen und ohne Umwege Besitz ergreift von den jeder andern Leitung außer der ihrigen entwachsenen Produktivkräften. Damit wird der gesellschaftliche Charakter der Produktionsmittel und Produkte, der sich heute gegen die Produzenten selbst kehrt, der die Produktions- und Austauschweise periodisch durchbricht und sich nur als blindwirkendes Naturgesetz gewalttätig und zerstörend durchsetzt, von den Produzenten mit vollem Bewußtsein zur Geltung gebracht und verwandelt sich aus einer Ursache der Störung und des periodischen Zusammenbruchs in den mächtigsten Hebel der Produktion selbst.

Die gesellschaftlich wirksamen Kräfte wirken ganz wie die Naturkräfte: blindlings, gewaltsam, zerstörend, solange wir sie nicht erkennen und nicht mit ihnen rechnen. Haben wir sie aber einmal erkannt, ihre Tätigkeit, ihre Richtungen, ihre Wirkungen begriffen, so hängt es nur von uns ab, sie mehr und mehr unserm Willen zu unterwerfen und vermittelst ihrer unsre Zwecke zu erreichen. Und ganz besonders gilt dies von den heutigen gewaltigen Produktivkräften. Solange wir uns hartnäckig weigern, ihre Natur und ihren Charakter zu verstehn - und gegen dieses Verständnis sträubt sich die kapi- |261| talistische Produktionsweise und ihre Verteidiger -, solange wirken diese Kräfte sich aus trotz uns, gegen uns, solange beherrschen sie uns, wie wir das ausführlich dargestellt haben. Aber einmal in ihrer Natur begriffen, können sie in den Händen der assoziierten Produzenten aus dämonischen Herrschern in willige Diener verwandelt werden. Es ist der Unterschied zwischen der zerstörenden Gewalt der Elektrizität im Blitze des Gewitters und der gebändigten Elektrizität des Telegraphen und des Lichtbogens; der Unterschied der Feuersbrunst und des im Dienst des Menschen wirkenden Feuers. Mit dieser Behandlung der heutigen Produktivkräfte nach ihrer endlich erkannten Natur tritt an die Stelle der gesellschaftlichen Produktionsanarchie eine gesellschaftlich-planmäßige Regelung der Produktion nach den Bedürfnissen der Gesamtheit wie jedes einzelnen; damit wird die kapitalistische Aneignungsweise, in der das Produkt zuerst den Produzenten, dann aber auch den Aneigner knechtet, ersetzt durch die in der Natur der modernen Produktionsmittel selbst begründete Aneignungsweise der Produkte: einerseits direkt gesellschaftliche Aneignung als Mittel zur Erhaltung und Erweiterung der Produktion, andrerseits direkt individuelle Aneignung als Lebens- und Genußmittel.

Indem die kapitalistische Produktionsweise mehr und mehr die große Mehrzahl der Bevölkerung in Proletarier verwandelt, schafft sie die Macht, die diese Umwälzung, bei Strafe des Untergangs, zu vollziehn genötigt ist. Indem sie mehr und mehr auf Verwandlung der großen, vergesellschafteten Produktionsmittel in Staatseigentum drängt, zeigt sie selbst den Weg an zur Vollziehung dieser Umwälzung. Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst über- |262| flüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft - ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht »abgeschafft«, er stirbt ab. Hieran ist die Phrase vom »freien Volksstaat« zu messen, also sowohl nach ihrer zeitweiligen agitatorischen Berechtigung wie nach ihrer endgültigen wissenschaftlichen Unzulänglichkeit; hieran ebenfalls die Forderung der sogenannten Anarchisten, der Staat solle von heute auf morgen abgeschafft werden.

Die Besitzergreifung der sämtlichen Produktionsmittel durch die Gesellschaft hat, seit dem geschichtlichen Auftreten der kapitalistischen Produktionsweise, einzelnen wie ganzen Sekten öfters mehr oder weniger unklar als Zukunftsideal vorgeschwebt. Aber sie konnte erst möglich, erst geschichtliche Notwendigkeit werden, als die materiellen Bedingungen ihrer Durchführung vorhanden waren. Sie, wie jeder andre gesellschaftliche Fortschritt, wird ausführbar nicht durch die gewonnene Einsicht, daß das Dasein der Klassen der Gerechtigkeit, der Gleichheit etc. widerspricht, nicht durch den bloßen Willen, diese Klassen abzuschaffen, sondern durch gewisse neue ökonomische Bedingungen. Die Spaltung der Gesellschaft in eine ausbeutende und eine ausgebeutete, eine herrschende und eine unterdrückte Klasse war die notwendige Folge der frühern geringen Entwicklung der Produktion. Solange die gesellschaftliche Gesamtarbeit nur einen Ertrag liefert, der das zur notdürftigen Existenz aller Erforderliche nur um wenig übersteigt, solange also die Arbeit alle oder fast alle Zeit der großen Mehrzahl der Gesellschaftsglieder in Anspruch nimmt, solange teilt sich die Gesellschaft notwendig in Klassen. Neben dieser ausschließlich der Arbeit frönenden großen Mehrheit bildet sich eine von direkt-produktiver Arbeit befreite Klasse, die die gemeinsamen Angelegenheiten der Gesellschaft besorgt: Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Justiz, Wissenschaft, Künste usw. Das Gesetz der Arbeitsteilung ist es also, was der Klassenteilung zugrunde liegt. Aber das hindert nicht, daß diese Einteilung in Klassen nicht durch |263| Gewalt und Raub, List und Betrug durchgesetzt worden und daß die herrschende Klasse, einmal im Sattel, nie verfehlt hat, ihre Herrschaft auf Kosten der arbeitenden Klasse zu befestigen und die gesellschaftliche Leitung umzuwandeln in Ausbeutung der Massen.

Aber wenn hiernach die Einteilung in Klassen eine gewisse geschichtliche Berechtigung hat, so hat sie eine solche doch nur für einen gegebnen Zeitraum, für gegebne gesellschaftliche Bedingungen. Sie gründete sich auf die Unzulänglichkeit der Produktion; sie wird weggefegt werden durch die volle Entfaltung der modernen Produktivkräfte. Und in der Tat hat die Abschaffung der gesellschaftlichen Klassen zur Voraussetzung einen geschichtlichen Entwicklungsgrad, auf dem das Bestehn nicht bloß dieser oder jener bestimmten herrschenden Klasse, sondern einer herrschenden Klasse überhaupt, also des Klassenunterschieds selbst, ein Anachronismus geworden, veraltet ist. Sie hat also zur Voraussetzung einen Höhegrad der Entwicklung der Produktion, auf dem Aneignung der Produktionsmittel und Produkte, und damit der politischen Herrschaft, des Monopols der Bildung und der geistigen Leitung durch eine besondre Gesellschaftsklasse nicht nur überflüssig, sondern auch ökonomisch, politisch und intellektuell ein Hindernis der Entwicklung geworden ist. Dieser Punkt ist jetzt erreicht. Ist der politische und intellektuelle Bankrott der Bourgeoisie ihr selbst kaum noch ein Geheimnis, so wiederholt sich ihr ökonomischer Bankrott regelmäßig alle zehn Jahre. In jeder Krise erstickt die Gesellschaft unter der Wucht ihrer eignen, für sie unverwendbaren Produktivkräfte und Produkte und steht hülflos vor dem absurden Widerspruch, daß die Produzenten nichts zu konsumieren haben, weil es an Konsumenten fehlt. Die Expansionskraft der Produktionsmittel sprengt die Bande, die ihr die kapitalistische Produktionsweise angelegt. Ihre Befreiung aus diesen Banden ist die einzige Vorbedingung einer ununterbrochenen, stets rascher fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte und damit einer praktisch schrankenlosen Steigerung der Produktion selbst. Damit nicht genug. Die gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel beseitigt nicht nur die jetzt bestehende künstliche Hemmung der Produktion, sondern auch die positive Vergeudung und Verheerung von Produktivkräften und Produkten, die gegenwärtig die unvermeidliche Begleiterin der Produktion ist und ihren Höhepunkt in den Krisen erreicht. Sie setzt ferner eine Masse von Produktionsmitteln und Produkten für die Gesamtheit frei durch Beseitigung der blödsinnigen Luxusverschwendung der jetzt herrschenden Klassen und ihrer politischen Repräsentanten. Die Möglichkeit, vermittelst der gesellschaftlichen Produktion allen Gesellschaftsgliedern eine Existenz zu sichern, die nicht nur |264| materiell vollkommen ausreichend ist und von Tag zu Tag reicher wird, sondern die ihnen auch die vollständige freie Ausbildung und Betätigung ihrer körperlichen und geistigen Anlagen garantiert, diese Möglichkeit ist jetzt zum erstenmal da, aber sie ist da.(4)

Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die nun zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eignen Vergesellschaftung werden. Die Gesetze ihres eignen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von den Menschen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. Die eigne Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte oktroyiert gegenüberstand, wird jetzt ihre eigne freie Tat. Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.

|265| Diese weltbefreiende Tat durchzuführen, ist der geschichtliche Beruf des modernen Proletariats. Ihre geschichtlichen Bedingungen und damit ihre Natur selbst zu ergründen, und so der zur Aktion berufenen, heute unterdrückten Klasse die Bedingungen und die Natur ihrer eignen Aktion zum Bewußtsein zu bringen, ist die Aufgabe des theoretischen Ausdrucks der proletarischen Bewegung, des wissenschaftlichen Sozialismus.

III. Produktion

Nach allem Vorhergegangenen wird es den Leser nicht wundern, zu erfahren, daß die im letzten Kapitel gegebne Entwicklung der Grundzüge des Sozialismus keineswegs nach dem Sinn des Herrn Dühring ist. Im Gegenteil. Er muß sie schleudern in den Abgrund alles Verworfenen, zu den übrigen »Bastarden historischer und logischer Phantastik«, den wüsten Konzeptionen«, den »konfusen Nebelvorstellungen« usw. Für ihn ist der Sozialismus ja keineswegs ein notwendiges Erzeugnis der geschichtlichen Entwicklung, und noch viel weniger der grob-materiellen, auf bloße Futterzwecke gerichteten ökonomischen Bedingungen der Gegenwart. Er hat es viel besser. Sein Sozialismus ist eine endgültige Wahrheit letzter Instanz;

er ist »das natürliche System der Gesellschaft«, er findet seine Wurzel in einem »universellen Prinzip der Gerechtigkeit«,

und wenn er nicht umhin kann, von dem bestehenden, durch die bisherige sündhafte Geschichte geschaffnen Zustand Notiz zu nehmen, um ihn zu verbessern, so ist das eher als ein Unglück für das reine Prinzip der Gerechtigkeit zu betrachten. Herr Dühring schafft seinen Sozialismus, wie alles andre, vermittelst seiner famosen beiden Männer. Statt daß diese beiden Marionetten, wie bisher, Herr und Knecht spielen, führen sie zur Abwechslung einmal das Stück von der Gleichberechtigung auf - und der Dühringsche Sozialismus ist in seiner Grundlage fertig.

Demnach ist es selbstredend, daß bei Herrn Dühring die periodischen industriellen Krisen keineswegs die geschichtliche Bedeutung haben, die wir ihnen zuschreiben mußten.

Die Krisen sind bei ihm nur gelegentliche Abweichungen von der »Normalität« und geben höchstens Anlaß zur »Entfaltung einer geregelteren Ordnung«. Die »gewöhnliche Weise«, die Krisen aus der Überproduktion zu erklären, genügt seiner »exakteren Auffassung« keineswegs. Allerdings sei eine solche für »Spezialkrisen in besondern Gebieten wohl zulässig«. So z.B. »eine Überfüllung des Büchermarktes mit |266| Ausgaben von Werken, die plötzlich für den Nachdruck freigegeben werden und sich für Massenabsatz eignen«.

Herr Dühring kann sich nun allerdings mit dem wohltuenden Bewußtsein zu Bette legen, daß seine unsterblichen Werke ein solches Weltunglück nie anrichten werden.

Für die großen Krisen sei es aber nicht die Überproduktion, sondern vielmehr »das Zurückbleiben der Volkskonsumtion ... die künstlich erzeugte Unterkonsumtion ... die Hinderung des Volksbedarfs (!) an seinem natürlichen Wachstum, was die Kluft zwischen Vorrat und Abnahme schließlich so kritisch weit macht«.

Und für diese seine Krisentheorie hat er denn auch glücklich einen Jünger gefunden.

Nun ist aber leider die Unterkonsumtion der Massen, die Beschränkung der Massenkonsumtion auf das zum Unterhalt und zur Fortpflanzung Notwendige nicht erst eine neue Erscheinung. Sie hat bestanden, solange es ausbeutende und ausgebeutete Klassen gegeben hat. Selbst in den Geschichtsabschnitten, wo die Lage der Massen besonders günstig war, also z.B. in England im 15. Jahrhundert, unterkonsumierten sie. Sie waren weit davon entfernt, ihr eignes jährliches Gesamtprodukt zur Verzehrung verfügbar zu haben. Wenn nun also die Unterkonsumtion eine stehende geschichtliche Erscheinung seit Jahrtausenden, die in den Krisen ausbrechende allgemeine Absatzstockung infolge von Produktionsüberschuß aber erst seit fünfzig Jahren sichtbar geworden ist, so gehört die ganze vulgärökonomische Flachheit des Herrn Dühring dazu, die neue Kollision zu erklären, nicht aus der neuen Erscheinung der Überproduktion, sondern aus der Jahrtausende alten der Unterkonsumtion. Es ist, als wollte man in der Mathematik die Veränderung des Verhältnisses zweier Größen, einer konstanten und einer veränderlichen, erklären, nicht daraus, daß die veränderliche sich verändert, sondern daraus, daß die konstante dieselbe geblieben ist. Die Unterkonsumtion der Massen ist eine notwendige Bedingung aller auf Ausbeutung beruhenden Gesellschaftsformen, also auch der kapitalistischen; aber erst die kapitalistische Form der Produktion bringt es zu Krisen. Die Unterkonsumtion der Massen ist also auch eine Vorbedingung der Krisen und spielt in ihnen eine längst anerkannte Rolle; aber sie sagt uns ebensowenig über die Ursachen des heutigen Daseins der Krisen, wie über die ihrer frühern Abwesenheit.

Herr Dühring hat überhaupt merkwürdige Vorstellungen vom Weltmarkt. Wir sahen, wie er sich wirkliche industrielle Spezialkrisen als echter deutscher Literatus an eingebildeten Krisen auf dem in Leipziger Büchermarkt |267| klarzumachen sucht, den Sturm auf der See am Sturm im Glase Wasser. Er bildet sich ferner ein, die heutige Unternehmerproduktion müsse

»sich mit ihrem Absatz vornehmlich im Kreise der besitzenden Klassen selbst drehn«,

was ihn nicht verhindert, nur sechzehn Seiten weiter als die entscheidenden modernen Industrien in bekannter Weise die Eisen- und Baumwollindustrie hinzustellen, also grade die beiden Produktionszweige, deren Erzeugnisse nur zu einem verschwindend kleinen Teil im Kreise der besitzenden Klassen konsumiert werden und vor allen andern auf den Massenverbrauch angewiesen sind. Wohin wir uns bei ihm wenden, nichts als leeres, widerspruchsvolles Hin- und Hergeschwätz. Aber nehmen wir ein Beispiel aus der Baumwollindustrie. Wenn in der einzigen, verhältnismäßig kleinen Stadt Oldham - einer aus dem Dutzend Städte von 50 bis 100.000 Einwohnern um Manchester, die die Baumwollindustrie betreiben -, wenn in dieser einzigen Stadt in den vier Jahren 1872 bis 1875 die Zahl der Spindeln, die nur die einzige Nummer 32 spinnen, sich von 21/2 auf 5 Millionen vermehrte, so daß in einer einzigen Mittelstadt Englands ebensoviel Spindeln eine einzige Nummer spinnen, wie die Baumwollindustrie von ganz Deutschland mitsamt dem Elsaß überhaupt besitzt, und wenn die Ausdehnung in den übrigen Zweigen und Lokalitäten der Baumwollindustrie Englands und Schottlands in annähernd demselben Verhältnis stattgefunden hat, so gehört eine starke Dosis wurzelhafter Unverfrorenheit dazu, die jetzige totale Absatzstockung der Baumwollgarne und Gewebe zu erklären aus der Unterkonsumtion der englischen Massen und nicht aus der Überproduktion der englischen Baumwollfabrikanten.(5)

Genug. Man streitet nicht mit Leuten, die in der Ökonomie unwissend genug sind, den Leipziger Büchermarkt überhaupt für einen Markt im Sinne der modernen Industrie anzusehn. Konstatieren wir daher bloß, daß uns Herr Dühring des fernern über die Krisen nur mitzuteilen weiß, daß es sich bei ihnen um nichts handelt,

»als um ein gewöhnliches Spiel zwischen Überspannung und Erschlaffung«, daß die Überspekulation »nicht allein von der planlosen Häufung der Privatunternehmungen herrührt«, sondern daß »auch die Voreiligkeit der einzelnen Unternehmer und der Mangel an Privatumsicht zu den Entstehungsursachen des Überangebots zu rechnen« sind.

|268| Und was ist wiederum die »Entstehungsursache« der Voreiligkeit und des Mangels an Privatumsicht? Eben dieselbe Planlosigkeit der kapitalistischen Produktion, die in der planlosen Häufung der Privatunternehmungen sich zeigt. Die Übersetzung einer ökonomischen Tatsache in einen moralischen Vorwurf für die Entdeckung einer neuen Ursache zu versehn, ist eben auch eine starke »Voreiligkeit«.

Verlassen wir hiermit die Krisen. Nachdem wir im vorigen Kapitel ihre notwendige Erzeugung aus der kapitalistischen Produktionsweise und ihre Bedeutung als Krisen dieser Produktionsweise selbst, als Zwangsmittel der gesellschaftlichen Umwälzung nachgewiesen, brauchen wir den Seichtigkeiten des Herrn Dühring über diesen Gegenstand kein Wort weiter entgegenzusetzen. Gehn wir über zu seinen positiven Schöpfungen, zum »natürlichen System der Gesellschaft«.

Dies auf einem »universellen Prinzip der Gerechtigkeit«, also frei von aller Rücksichtnahme auf lästige materielle Tatsachen aufgebaute System besteht aus einer Föderation von Wirtschaftskommunen, zwischen denen

»Freizügigkeit und Notwendigkeit der Aufnahme neuer Mitglieder nach bestimmten Gesetzen und Verwaltungsnormen« besteht.

Die Wirtschaftskommune selbst ist vor allem

»ein umfassender Schematismus von menschheitsgeschichtlicher Tragweite« und weit hinaus über die »abirrenden Halbheiten« z.B. eines gewissen Marx. Sie bedeutet »eine Gemeinschaft von Personen, die durch ihr öffentliches Recht der Verfügung über einen Bezirk von Grund und Boden und über eine Gruppe von Produktionsetablissements zu gemeinsamer Tätigkeit und gemeinsamer Teilnahme am Ertrage verbunden sind«. Das öffentliche Recht ist ein »Recht an der Sache... im Sinne eines rein publizistischen Verhältnisses zur Natur und zu den Produktionseinrichtungen«.

Was das heißen soll, darüber mögen sich die Zukunftsjuristen der Wirtschaftskommune die Köpfe zerbrechen, wir geben jeden Versuch auf. Nur soviel erfahren wir,

daß es keineswegs einerlei ist mit dem »körperschaftlichen Eigentum von Arbeitergesellschaften«, die gegenseitige Konkurrenz und selbst Lohnausbeutung nicht ausschließen würden.

Wobei dann fallengelassen wird,

die Vorstellung eines »Gesamteigentums«, wie sie sich auch bei Marx finde, sei »mindestens unklar und bedenklich, da diese Zukunftsvorstellung immer den Anschein gewinnt, als wenn sie nichts als ein körperschaftliches Eigentum der Arbeitergruppen zu bedeuten hätte«.

|269| Es ist dies wieder eins der vielen bei Herrn Dühring üblichen »schnöden Manierchen« der Unterschiebung, »für deren vulgäre Eigenschaft« (wie er selbst sagt) »nur das vulgäre Wort schnoddrig ganz passend sein würde«; es ist eine ebenso aus der Luft gegriffne Unwahrheit, wie die andre Erfindung des Herrn Dühring, das Gesamteigentum bei Marx sei ein »zugleich individuelles und gesellschaftliches Eigentum«.

Jedenfalls scheint soviel klar: das publizistische Recht einer Wirtschaftskommune an ihren Arbeitsmitteln ist ein ausschließliches Eigentumsrecht wenigstens gegenüber jeder andern Wirtschaftskommune und auch gegenüber der Gesellschaft und dem Staat.

Es soll aber nicht die Macht haben, »nach außen ... abschließend zu verfahren, denn zwischen den verschiednen Wirtschaftskommunen besteht Freizügigkeit und Notwendigkeit der Aufnahme neuer Mitglieder nach bestimmten Gesetzen und Verwaltungsnormen ... ähnlich ... wie heute die Angehörigkeit zu einem politischen Gebilde und wie die Teilnahme an den wirtschaftlichen Gemeindezuständigkeiten«.

Es wird also reiche und arme Wirtschaftskommunen geben, und die Ausgleichung findet statt durch den Andrang der Bevölkerung zu den reichen und den Wegzug von den armen Kommunen. Wenn also Herr Dühring die Konkurrenz in Produkten zwischen den einzelnen Kommunen durch nationale Organisation des Handels beseitigen will, so läßt er die Konkurrenz in Produzenten ruhig fortbestehen. Die Dinge werden der Konkurrenz entzogen, die Menschen bleiben ihr unterworfen.

Indes sind wir damit noch lange nicht im klaren über das »publizistische Recht«. Zwei Seiten weiter erklärt uns Herr Dühring:

Die Handelskommune »reiche zunächst so weit, als dasjenige politisch-gesellschaftliche Gebiet, dessen Angehörige zu einem einheitlichen Rechtssubjekt zusammengefaßt sind und in dieser Eigenschaft die Verfügung über den gesamten Boden, die Wohnstätten und die Produktionseinrichtungen haben«.

Es ist also doch nicht die einzelne Kommune, die die Verfügung hat, sondern die ganze Nation. Das »öffentliche Recht«, das »Recht an der Sache«, das »publizistische Verhältnis zur Natur« usw. ist also nicht bloß »mindestens unklar und bedenklich«, es ist in direktem Widerspruch mit sich selbst. Es ist in der Tat, wenigstens soweit jede einzelne Wirtschaftskommune ebenfalls ein Rechtssubjekt, ein »zugleich individuelles und gesellschaftliches Eigentum«, und diese letztere »nebelhafte Zwittergestalt« daher wieder nur bei Herrn Dühring selbst anzutreffen.

Jedenfalls verfügt die Wirtschaftskommune über ihre Arbeitsmittel zum Zweck der Produktion. Wie geht diese Produktion vor sich? Nach |270| allem, was wir bei Herrn Dühring erfahren, ganz im alten Stil, nur daß an die Stelle des Kapitalisten die Kommune tritt. Höchstens erfahren wir, daß die Berufswahl jetzt erst für jeden einzelnen frei wird und daß gleiche Verpflichtung zur Arbeit besteht.

Die Grundform aller bisherigen Produktion ist die Teilung der Arbeit, einerseits innerhalb der Gesellschaft, andrerseits innerhalb jeder einzelnen Produktionsanstalt. Wie verhält sich die Dühringsche »Sozialität« zu ihr?

Die erste große gesellschaftliche Arbeitsteilung ist die Scheidung von Stadt und Land.

Dieser Antagonismus ist nach Herrn Dühring »der Natur der Sache nach unvermeidlich«. Aber »es ist überhaupt bedenklich, sich die Kluft zwischen Landwirtschaft und Industrie ... als unausfüllbar zu denken. In der Tat besteht bereits ein gewisses Maß von Stetigkeit der Überleitung, welche für die Zukunft noch erheblich zuzunehmen verspricht.« Schon jetzt hätten sich zwei Industrien in den Ackerbau und ländlichen Betrieb eingeschoben: »in erster Linie die Brennerei und in zweiter die Bereitung von Rübenzucker ... die Spirituserzeugung ist von einer solchen Bedeutung, daß man sie eher unterschätzen als überschätzen wird«. Und »wäre es möglich, daß sich ein größerer Kreis von Industrien infolge irgendwelcher Entdeckungen derartig bildete, daß hierbei eine Neigung obwaltete, den Betrieb ländlich zu lokalisieren und unmittelbar an die Produktion der Rohstoffe anzulehnen«, so würde dadurch der Gegensatz von Stadt und Land geschwächt und »die allerausgedehnteste Grundlage der Zivilisationsentfaltung gewonnen werden«. Indes »könnte etwas Ähnliches doch auch noch auf einem andern Wege in Frage stehn. Außer den technischen Nötigungen kommen mehr und mehr die sozialen Bedürfnisse in Frage, und wenn diese letztern für die Gruppierungen der menschlichen Tätigkeiten maßgebend werden, wird es nicht mehr möglich sein, diejenigen Vorteile zu vernachlässigen, die sich aus einer systematisch nahen Verbindung der Beschäftigungen des platten Landes mit den Verrichtungen der technischen Umwandlungsarbeit ergeben.«

Nun kommen in der Wirtschaftskommune ja grade die sozialen Bedürfnisse in Frage, und so wird sie sich wohl beeilen, die obenerwähnten Vorteile der Vereinigung von Ackerbau und Industrie sich in vollstem Maße anzueignen? Herr Dühring wird nicht verfehlen, uns über die Stellung der Wirtschaftskommune zu dieser Frage seine »exakteren Auffassungen« in beliebter Breite mitzuteilen? Geprellt wäre der Leser, der das glaubte. Die obigen magern, verlegenen, wiederum in dem schnapsbrennenden und rübenzuckernden Geltungsbereich des preußischen Landrechts sich im Kreise herumdrehenden Gemeinplätze sind alles, was uns Herr Dühring über den Gegensatz von Stadt und Land in Gegenwart und Zukunft zu sagen hat.

|271| Gehn wir über zur Arbeitsteilung im einzelnen. Hier ist Herr Dühring schon etwas »exakter«. Er spricht von

»einer Person, die sich mit einer Gattung von Tätigkeit ausschließlich abgeben soll«. Handelt es sich um die Einführung eines neuen Produktionszweigs, so besteht die Frage einfach darin, ob man eine gewisse Zahl von Existenzen, die sich der Erzeugung eines Artikels widmen sollen, mit der für sie erforderlichen Konsumtion (!) gleichsam schaffen könne. Ein beliebiger Produktionszweig wird in der Sozialität nicht viel Bevölkerung in Anspruch nehmen«. Und auch in der Sozialität gibt es sich nach der Lebensweise sondernde ökonomische Spielarten« von Menschen.

Hiernach bleibt innerhalb der Sphäre der Produktion so ziemlich alles beim alten. Allerdings herrscht in der bisherigen Gesellschaft eine »falsche Arbeitsteilung«; worin aber diese besteht und wodurch sie in der Wirtschaftskommune ersetzt werden soll, darüber erfahren wir nur dies:

»Was die Rücksichten der Arbeitsteilung selbst anbetrifft, so haben wir schon oben gesagt, daß sie als erledigt gelten können, sobald den Tatsachen der verschiednen Naturgelegenheiten und den persönlichen Fähigkeiten Rechnung getragen ist.«

Neben den Fähigkeiten kommt noch die persönliche Neigung zur Geltung:

»Der Reiz des Aufsteigens zu Tätigkeiten, die mehr Fähigkeiten und Vorbildung ins Spiel setzen, würde ausschließlich auf der Neigung zu der betreffenden Beschäftigung, und auf der Freude an der Ausübung grade dieser und keiner andern Sache« (Ausübung einer Sache!) »beruhen.«

Hiermit aber wird in der Sozialität der Wetteifer angeregt und

»die Produktion selbst in Interesse erhalten, und der stumpfe Betrieb, der sie nur als Mittel zum Gemeinzweck würdigt, wird nicht mehr das beherrschende Gepräge der Zustände sein«.

In jeder Gesellschaft mit naturwüchsiger Produktionsentwicklung - und die heutige gehört dazu - beherrschen nicht die Produzenten die Produktionsmittel, sondern die Produktionsmittel beherrschen die Produzenten. In einer solchen Gesellschaft schlägt jeder neue Hebel der Produktion notwendig um in ein neues Mittel der Knechtung der Produzenten unter die Produktionsmittel. Das gilt vor allem von demjenigen Hebel der Produktion, der bis zur Einführung der großen Industrie weitaus der mächtigste war - von der Teilung der Arbeit. Gleich die erste große Arbeitsteilung, die Scheidung von Stadt und Land, verurteilte die Landbevölkerung zu jahrtausendelanger Verdummung und die Städter zur Knechtung eines jeden unter sein Einzelhandwerk. Sie vernichtete die Grundlage der geistigen Entwicklung der |272| einen und der körperlichen der andern. Wenn sich der Bauer den Boden, der Städter sein Handwerk aneignet, so eignet sich ebensosehr der Boden den Bauer, das Handwerk den Handwerker an. Indem die Arbeit geteilt wird, wird auch der Mensch geteilt. Der Ausbildung einer einzigen Tätigkeit werden alle übrigen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zum Opfer gebracht. Diese Verkümmerung des Menschen wächst im selben Maße wie die Arbeitsteilung, die ihre höchste Entwicklung in der Manufaktur erreicht. Die Manufaktur zerlegt das Handwerk in seine einzelnen Teiloperationen, weist jede derselben einem einzelnen Arbeiter als Lebensberuf zu und kettet ihn so lebenslänglich an eine bestimmte Teilfunktion und ein bestimmtes Werkzeug. »Sie verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen ... Das Individuum selbst wird geteilt, in das automatische Triebwerk einer Teilarbeit verwandelt« (Marx) |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 381| - ein Triebwerk, das in vielen Fällen seine Vollkommenheit erst durch buchstäbliche, leibliche und geistige Verkrüppelung des Arbeiters erlangt. Die Maschinerie der großen Industrie degradiert den Arbeiter aus einer Maschine zum bloßen Zubehör einer Maschine. »Aus der lebenslangen Spezialität, ein Teilwerkzeug zu führen, wird die lebenslange Spezialität, einer Teilmaschine zu dienen. Die Maschinerie wird mißbraucht, um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen an in den Teil einer Teilmaschine zu verwandeln« (Marx). |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 445| Und nicht nur die Arbeiter, auch die die Arbeiter direkt oder indirekt ausbeutenden Klassen werden vermittelst der Teilung der Arbeit geknechtet unter das Werkzeug ihrer Tätigkeit; der geistesöde Bourgeois unter sein eignes Kapital und seine eigne Profitwut, der Jurist unter seine verknöcherten Rechtsvorstellungen, die ihn als eine selbständige Macht beherrschen; die »gebildeten Stände« überhaupt unter die mannigfachen Lokalborniertheiten und Einseitigkeiten, unter ihre eigne körperliche und geistige Kurzsichtigkeit, unter ihre Verkrüppelung durch die auf eine Spezialität zugeschnittne Erziehung und durch die lebenslange Fesselung an diese Spezialität selbst - auch dann, wenn diese Spezialität das reine Nichtstun ist.

Die Utopisten waren bereits vollständig im reinen über die Wirkungen der Teilung der Arbeit, über die Verkümmerung einerseits des Arbeiters, andrerseits der Arbeitstätigkeit selbst, die auf lebenslängliche, einförmige, mechanische Wiederholung eines und desselben Aktes beschränkt wird. Die Aufhebung des Gegensatzes von Stadt und Land wird von Fourier wie von |273| Owen als erste Grundbedingung der Aufhebung der alten Arbeitsteilung überhaupt gefordert. Bei beiden soll die Bevölkerung sich in Gruppen von sechzehnhundert bis dreitausend über das Land verteilen; jede Gruppe bewohnt im Zentrum ihres Bodenbezirks einen Riesenpalast mit gemeinsamem Haushalt. Fourier spricht zwar hier und da von Städten, diese aber bestehn selbst wieder nur aus vier bis fünf solcher näher zusammenliegenden Paläste. Bei beiden beteiligt sich jedes Gesellschaftsglied sowohl am Ackerbau wie an der Industrie; bei Fourier spielen in dieser letztern Handwerk und Manufaktur, bei Owen dagegen schon die große Industrie die Hauptrolle und wird von ihm bereits die Einführung der Dampfkraft und Maschinerie in die Haushaltungsarbeit verlangt. Aber auch innerhalb des Ackerbaus wie der Industrie fordern beide die möglichst große Abwechslung der Beschäftigung für jeden einzelnen, und dementsprechend die Ausbildung der Jugend für möglichst allseitige technische Tätigkeit. Bei beiden soll der Mensch sich universell entwickeln durch universelle praktische Betätigung und soll die Arbeit den ihr durch die Teilung abhanden gekommnen Reiz der Anziehung wieder erhalten, zunächst durch diese Abwechslung und die ihr entsprechende kurze Dauer der jeder einzelnen Arbeit gewidmeten »Sitzung«, um Fouriers Ausdruck zu gebrauchen. Beide sind weit hinaus über die dem Herrn Dühring überkommne Denkweise der ausbeutenden Klassen, die den Gegensatz von Stadt und Land für der Natur der Sache nach unvermeidlich hält, die in der Borniertheit befangen ist, als müßte eine Anzahl von »Existenzen« unter allen Umständen zur Erzeugung eines Artikels verdammt sein, und die die sich nach der Lebensweise sondernden »ökonomischen Spielarten« von Menschen verewigen will, die Leute, die Freude an der Ausübung grade dieser und keiner andern Sache haben , die also so weit heruntergekommen sind, daß sie sich über ihre eigne Knechtung und Vereinseitigung freuen. Gegenüber den Grundgedanken selbst der tollkühnsten Phantasien des »Idioten« Fourier, gegenüber selbst den dürftigsten Ideen des »rohen, matten und dürftigen« Owen steht der selbst noch ganz unter die Teilung der Arbeit geknechtete Herr Dühring da wie ein vorlauter Zwerg.

Indem sich die Gesellschaft zur Herrin der sämtlichen Produktionsmittel macht, um sie gesellschaftlich planmäßig zu verwenden, vernichtet sie die bisherige Knechtung der Menschen unter ihre eignen Produktionsmittel. Die Gesellschaft kann sich selbstredend nicht befreien, ohne daß jeder einzelne befreit wird. Die alte Produktionsweise muß also von Grund aus umgewälzt werden, und namentlich muß die alte Teilung der Arbeit verschwinden. An ihre Stelle muß eine Organisation der Produktion treten, |274| in der einerseits kein einzelner seinen Anteil an der produktiven Arbeit, dieser Naturbedingung der menschlichen Existenz, auf andre abwälzen kann; in der andrerseits die produktive Arbeit, statt Mittel der Knechtung, Mittel der Befreiung der Menschen wird, indem sie jedem einzelnen die Gelegenheit bietet, seine sämtlichen Fähigkeiten, körperliche wie geistige, nach allen Richtungen hin auszubilden und zu betätigen, und in der sie so aus einer Last eine Lust wird.

Dies ist heute keine Phantasie, kein frommer Wunsch mehr. Bei der gegenwärtigen Entwicklung der produktiven Kräfte genügt schon diejenige Steigerung der Produktion, die mit der Tatsache der Vergesellschaftung der Produktivkräfte selbst gegeben ist, die Beseitigung der aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringenden Hemmungen und Störungen, der Vergeudung von Produkten und Produktionsmitteln, um bei allgemeiner Teilnahme an der Arbeit die Arbeitszeit auf ein nach jetzigen Vorstellungen geringes Maß zu reduzieren.

Ebensowenig ist die Aufhebung der alten Teilung der Arbeit eine Forderung, die nur auf Kosten der Produktivität der Arbeit durchzuführen wäre. Im Gegenteil. Sie ist eine Bedingung der Produktion selbst geworden durch die große Industrie. »Der Maschinenbetrieb hebt die Notwendigkeit auf, die Verteilung der Arbeitergruppen an die verschiednen Maschinen manufakturmäßig zu befestigen durch fortwährende Aneignung derselben Arbeiter an dieselbe Funktion. Da die Gesamtbewegung der Fabrik nicht vom Arbeiter ausgeht, sondern von der Maschine, kann fortwährender Personenwechsel stattfinden, ohne Unterbrechung des Arbeitsprozesses ... Die Geschwindigkeit endlich, womit die Arbeit an der Maschine im jugendlichen Alter erlernt wird, beseitigt ebenso die Notwendigkeit, eine besondre Klasse Arbeiter ausschließlich zu Maschinenarbeitern zu erziehn.« |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 443/444| Während aber die kapitalistische Anwendungsweise der Maschinerie die alte Teilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitäten weiter fortführen muß, trotzdem diese technisch überflüssig geworden, rebelliert die Maschinerie selbst gegen diesen Anachronismus. Die technische Basis der großen Industrie ist revolutionär. »Durch Maschinerie, chemische Prozesse und andre Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. Sie revolutioniert damit ebenso beständig die Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und schleudert unaufhörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus einem Produktions- |275| zweig in den andern. Die Natur der großen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluß der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters ... Man hat gesehn, wie dieser absolute Widerspruch ... im ununterbrochenen Opferfest der Arbeiterklasse, maßlosester Vergeudung der Arbeitskräfte und den Verheerungen gesellschaftlicher Anarchie sich austobt. Dies ist die negative Seite. Wenn aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung des Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hindernisse stößt, macht die große Industrie durch ihre Katastrophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbeiten und daher möglichste Vielseitigkeit des Arbeiters als allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wechselnde Exploitationsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltnen disponiblen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Teilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind.« (Marx, Kapital.) |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 511/512|

Indem die große Industrie uns gelehrt hat, die mehr oder weniger überall herstellbare Molekularbewegung in Massenbewegung zu technischen Zwecken zu verwandeln, hat sie die industrielle Produktion in bedeutendem Maße von lokalen Schranken befreit. Die Wasserkraft war lokal, die Dampfkraft ist frei. Wenn die Wasserkraft notwendig ländlich ist, so ist die Dampfkraft keineswegs notwendig städtisch. Es ist ihre kapitalistische Anwendung, die sie vorwiegend in den Städten konzentriert und Fabrikdörfer in Fabrikstädte umschafft. Damit aber untergräbt sie gleichzeitig die Bedingungen ihres eignen Betriebs. Erstes Erfordernis der Dampfmaschine und Haupterfordernis fast aller Betriebszweige der großen Industrie ist verhältnismäßig reines Wasser. Die Fabrikstadt aber verwandelt alles Wasser in stinkende Jauche. Sosehr also die städtische Konzentrierung Grundbedingung der kapitalistischen Produktion ist, sosehr strebt jeder einzelne industrielle Kapitalist stets von den durch sie notwendig erzeugten großen Städten weg und dem ländlichen Betrieb zu. Dieser Prozeß kann in den Bezirken der Textilindustrie von Lancashire und Yorkshire im einzelnen studiert werden; die kapitalistische Großindustrie erzeugt dort stets neue Großstädte da- |276| durch, daß sie fortwährend von der Stadt aufs Land flieht. Ähnlich in den Bezirken der Metallindustrie, wo teilweise andre Ursachen dieselben Wirkungen erzeugen.

Diesen neuen fehlerhaften Kreislauf, diesen sich stets neu erzeugenden Widerspruch der modernen Industrie aufzuheben, vermag wiederum nur die Aufhebung ihres kapitalistischen Charakters. Nur eine Gesellschaft, die ihre Produktivkräfte nach einem einzigen großen Plan harmonisch ineinandergreifen läßt, kann der Industrie erlauben, sich in derjenigen Zerstreuung über das ganze Land anzusiedeln, die ihrer eignen Entwicklung und der Erhaltung resp. Entwicklung der übrigen Elemente der Produktion am angemessensten ist.

Die Aufhebung des Gegensatzes von Stadt und Land ist hiernach nicht nur möglich. Sie ist eine direkte Notwendigkeit der industriellen Produktion selbst geworden, wie sie ebenfalls eine Notwendigkeit der Agrikulturproduktion und obendrein der öffentlichen Gesundheitspflege geworden ist. Nur durch Verschmelzung von Stadt und Land kann die heutige Luft-, Wasser- und Bodenvergiftung beseitigt, nur durch sie die jetzt in den Städten hinsiechenden Massen dahin gebracht werden, daß ihr Dünger zur Erzeugung von Pflanzen verwandt wird, statt zur Erzeugung von Krankheiten.

Die kapitalistische Industrie hat sich bereits relativ unabhängig gemacht von den lokalen Schranken der Produktionsstätten ihrer Rohstoffe. Die Textilindustrie verarbeitet der großen Masse nach importierte Rohstoffe. Spanische Eisenerze werden in England und Deutschland, spanische und südamerikanische Kupfererze werden in England verarbeitet. Jedes Kohlenfeld versieht weit über seine Grenzen hinaus einen jährlich wachsenden industriellen Umkreis mit Brennstoff. An der ganzen europäischen Küste werden Dampfmaschinen mit englischer, stellenweise deutscher und belgischer Kohle getrieben. Die von den Schranken der kapitalistischen Produktion befreite Gesellschaft kann noch viel weiter gehn. Indem sie ein Geschlecht von allseitig ausgebildeten Produzenten erzeugt, die die wissenschaftlichen Grundlagen der gesamten industriellen Produktion verstehn und von denen jeder eine ganze Reihe von Produktionszweigen von Anfang bis zu Ende praktisch durchgemacht, schafft sie eine neue Produktivkraft, die die Transportarbeit der aus größerer Entfernung bezognen Roh- oder Brennstoffe überreichlich aufwiegt.

Die Aufhebung der Scheidung von Stadt und Land ist also keine Utopie, auch nach der Seite hin, nach der sie die möglichst gleichmäßige Verteilung |277| der großen Industrie über das ganze Land zur Bedingung hat. Die Zivilisation hat uns freilich in den großen Städten eine Erbschaft hinterlassen, die zu beseitigen viel Zeit und Mühe kosten wird. Aber sie müssen und werden beseitigt werden, mag es auch ein langwieriger Prozeß sein. Welche Geschicke auch dem Deutschen Reich preußischer Nation vorbehalten sein mögen, Bismarck kann mit dem stolzen Bewußtsein in die Grube fahren, daß sein Lieblingswunsch sicher erfüllt wird: der Untergang der großen Städte.

Und nun besehe man sich die kindliche Vorstellung des Herrn Dühring, als könne die Gesellschaft Besitz ergreifen von der Gesamtheit der Produktionsmittel, ohne die alte Art des Produzierens von Grund aus umzuwälzen und vor allem die alte Teilung der Arbeit abzuschaffen; als sei alles abgemacht, sobald nur

»den Naturgelegenheiten und den persönlichen Fähigkeiten Rechnung getragen« -

wobei dann nach wie vor ganze Massen von Existenzen unter die Erzeugung eines Artikels geknechtet, ganze »Bevölkerungen« von einem einzelnen Produktionszweig in Anspruch genommen werden, und die Menschheit sich nach wie vor in eine Anzahl verschieden verkrüppelter »ökonomischer Spielarten« teilt, als da sind »Karrenschieber« und Architekten«. Die Gesellschaft soll Herrin der Produktionsmittel im ganzen werden, damit jeder einzelne Sklave seines Produktionsmittels bleibt und nur die Wahl hat welches Produktionsmittels. Und ebenso besehe man sich die Art, wie Herr Dühring die Scheidung von Stadt und Land für »der Natur der Sache nach unvermeidlich« hält, und nur ein kleines Palliativmittelchen entdecken kann in den in ihrer Verbindung spezifisch preußischen Zweigen der Schnapsbrennerei und Rübenzuckerbereitung; der die Zerstreuung der Industrie über das Land abhängig macht von irgendwelchen künftigen Entdeckungen und von der Nötigung, den Betrieb unmittelbar an die Gewinnung der Rohstoffe anzulehnen - der Rohstoffe, die schon jetzt in immer wachsender Entfernung von ihrem Ursprungsort verbraucht werden! - und der sich schließlich den Rücken zu decken sucht mit der Versicherung, die sozialen Bedürfnisse würden schließlich die Verbindung von Ackerbau und Industrie doch wohl auch gegen die ökonomischen Rücksichten durchsetzen, als ob damit ein ökonomisches Opfer gebracht würde!

Freilich, um zu sehn, daß die revolutionären Elemente, die die alte Teilung der Arbeit mitsamt der Scheidung von Stadt und Land beseitigen und die ganze Produktion umwälzen werden, daß diese Elemente bereits in den Produktionsbedingungen der modernen großen Industrie im Keim enthal- |278| ten sind und durch die heutige kapitalistische Produktionsweise an ihrer Entfaltung gehindert werden, dazu muß man einen etwas weitern Horizont haben als den Geltungsbereich des preußischen Landrechts, das Land, wo Schnaps und Rübenzucker die entscheidenden Industrieprodukte sind und wo man die Handelskrisen auf dem Büchermarkt studieren kann. Dazu muß man die wirkliche große Industrie in ihrer Geschichte und in ihrer gegenwärtigen Wirklichkeit kennen, namentlich in dem einen Lande, wo sie ihre Heimat und wo allein sie ihre klassische Ausbildung erreicht hat; und dann wird man auch nicht daran denken, den modernen wissenschaftlichen Sozialismus verseichtigen und herunterbringen zu wollen auf den spezifisch preußischen Sozialismus des Herrn Dühring.

IV. Verteilung

Wir sahen bereits früher, daß die Dühringsche Ökonomie auf den Satz hinauslief: Die kapitalistische Produktionsweise ist ganz gut und kann bestehn bleiben, aber die kapitalistische Verteilungsweise ist vom Übel und muß verschwinden. Wir finden jetzt, daß die »Sozialität« des Herrn Dühring weiter nichts ist als die Durchführung dieses Satzes in der Phantasie. In der Tat zeigte sich, daß Herr Dühring an der Produktionsweise - als solcher - der kapitalistischen Gesellschaft fast gar nichts auszusetzen hat, daß er die alte Teilung der Arbeit in allen wesentlichen Beziehungen beibehalten will, und daher auch über die Produktion innerhalb seiner Wirtschaftskommune kaum ein Wort zu sagen weiß. Die Produktion ist allerdings ein Gebiet, auf dem es sich um handfeste Tatsachen handelt, auf dem daher die »rationelle Phantasie« dem Flügelschlag ihrer freien Seele nur wenig Raum geben darf, weil die Gefahr der Blamage zu nahe liegt. Dagegen die Verteilung, die nach der Ansicht des Herrn Dühring ja gar nicht mit der Produktion zusammenhängt, die nach ihm nicht durch die Produktion, sondern durch einen reinen Willensakt bestimmt wird - die Verteilung ist das prädestinierte Feld seiner »sozialen Alchimisterei«.

Der gleichen Produktionspflicht tritt gegenüber das gleiche Konsumtionsrecht, organisiert in der Wirtschaftskommune und der eine größere Anzahl der letztern umfassenden Handelskommune. Hier wird »Arbeit ... nach dem Grundsatz der gleichen Schätzung gegen andre Arbeit ausgetauscht ... Leistung und Gegenleistung stellen hier wirkliche Gleichheit der Arbeitsgrößen vor«. Und zwar gilt diese »Gleichsetzung |279| der Menschenkräfte, mögen die einzelnen nun mehr oder weniger oder zufällig auch nichts geleistet haben«; denn man kann alle Verrichtungen, insofern sie Zeit und Kräfte in Anspruch nehmen, als Arbeitsleistungen ansehn - also auch Kegelschieben und Spazierengehn. Dieser Austausch findet aber nicht statt zwischen den einzelnen, da die Gesamtheit Besitzerin aller Produktionsmittel, also auch aller Produkte ist, sondern einerseits zwischen jeder Wirtschaftskommune und ihren einzelnen Mitgliedern, andrerseits zwischen den verschiednen Wirtschafts- und Handelskommunen selbst. »Namentlich werden die einzelnen Wirtschaftskommunen innerhalb ihres eignen Rahmens den Kleinhandel durch völlig planmäßigen Vertrieb ersetzen.« Ebenso wird der Handel im großen organisiert: »Das System der freien Wirtschaftsgesellschaft ... bleibt daher eine große Tauscheinrichtung, deren Vornahmen sich vermittelst der durch die edlen Metalle gegebnen Grundlagen vollziehn. Durch die Einsicht in die unumgängliche Notwendigkeit dieser Grundeigenschaft unterscheidet sich unser Schema von allen jenen Nebelhaftigkeiten, die auch noch den rationellsten Formen der heute umlaufenden sozialistischen Vorstellungen anhaften.«

Die Wirtschaftskommune, als erste Aneignerin der gesellschaftlichen Produkte, hat behufs dieses Austausches »für jeden Zweig von Artikeln einen einheitlichen Preis« nach den durchschnittlichen Produktionskosten festzusetzen. »Was gegenwärtig die sogenannten Selbstkosten der Produktion ... für Wert und Preis bedeuten, das werden« (in der Sozialität) »... die Anschläge der zu verwendenden Arbeitsmenge leisten. Diese Anschläge, die sich nach dem Grundsatz des auch wirtschaftlich gleichen Rechts jeder Persönlichkeit schließlich auf die Berücksichtigung der beteiligten Personenzahl zurückführen lassen, werden das zugleich den Naturverhältnissen der Produktion und dem gesellschaftlichen Verwertungsrecht entsprechende Verhältnis der Preise ergeben. Die Produktion der edlen Metalle wird ähnlich wie heute für die Wertbestimmung des Geldes maßgebend bleiben ... Man sieht hieraus, daß man in der veränderten Gesellschaftsverfassung zunächst für die Werte und mithin für die Verhältnisse, in denen die Erzeugnisse sich gegeneinander umsetzen, nicht nur Bestimmungsgrund und Maß nicht verliert, sondern erst gehörig gewinnt.«

Der berühmte »absolute Wert« ist endlich realisiert.

Andrerseits aber wird die Kommune nun auch die einzelnen in den Stand setzen müssen, die produzierten Artikel von ihr zu kaufen, indem sie jedem eine gewisse tägliche, wöchentliche oder monatliche Geldsumme, die für jeden gleich zu sein hat, als Gegenleistung für seine Arbeit auszahlt. »Es ist daher vom Standpunkt der Sozialität gleichgültig, ob man sagt, daß der Arbeitslohn verschwinden oder daß er die ausschließliche Form der ökonomischen Einkünfte werden müsse.« Gleiche Löhne und gleiche Preise aber stellen die »quantitative, wenn auch nicht qualitative Gleichheit der Konsumtion« her, und damit ist das »universelle Prinzip der Gerechtigkeit« ökonomisch verwirklicht.

Über die Bestimmung der Höhe dieses Zukunftslohns sagt uns Herr Dühring nur,

|280| daß auch hier, wie in allen andern Fällen, »gleiche Arbeit gegen gleiche Arbeit« ausgetauscht wird. Für sechsstündige Arbeit wird daher eine Geldsumme zu zahlen sein, die ebenfalls sechs Arbeitsstunden in sich verkörpert.

Indes ist das »universelle Prinzip der Gerechtigkeit« keineswegs mit jener rohen Gleichmacherei zu verwechseln, die den Bürger so sehr aufbringt gegen jeden, namentlich den naturwüchsigen Arbeiterkommunismus. Es ist lange nicht so unerbittlich, als es gern aussehn möchte.

Die »prinzipielle Gleichheit der ökonomischen Rechtsansprüche schließt nicht aus, daß freiwillig zu dem, was die Gerechtigkeit erfordert, auch noch ein Ausdruck der besondern Anerkennung und Ehre gefügt werde ... Die Gesellschaft ehrt sich selbst, indem sie die höher gesteigerten Leistungsgattungen durch eine mäßige Mehrausstattung für die Konsumtion auszeichnet.«

Und auch Herr Dühring ehrt sich selbst, indem er, Taubenunschuld und Schlangenklugheit verschmelzend, so rührend für die mäßige Mehrkonsumtion der Zukunfts-Dührings besorgt ist.

Hiermit ist die kapitalistische Verteilungsweise endgültig beseitigt. Denn

»gesetzt, es hätte jemand unter Voraussetzung eines solchen Zustands wirklich einen Überschuß von privaten Mitteln zur Verfügung, so würde er für denselben keine kapitalmäßige Verwendung ausfindig machen können. Kein einzelner oder keine Gruppe würde ihm denselben für die Produktion anders als im Wege des Austausches oder Kaufs abnehmen, niemals aber in den Fall kommen, ihm Zinsen oder Gewinn zu zahlen.« Hiermit wird »eine dem Grundsatz der Gleichheit entsprechende Vererbung« zulässig. Sie ist unvermeidlich, denn »eine gewisse Vererbung wird immer die notwendige Begleitung des Familienprinzips sein«. Auch das Erbrecht wird »zu keiner Ansammlung umfangreicher Vermögen führen können, da hier die Eigentumsbildung ... namentlich nie mehr den Zweck haben kann, Produktionsmittel und reine Rentenexistenzen zu schaffen«.

Hiermit wäre die Wirtschaftskommune glücklich fertig. Sehn wir nun zu, wie sie wirtschaftet.

Wir nehmen an, alle Unterstellungen des Herrn Dühring seien vollständig realisiert; wir setzen also voraus, daß die Wirtschaftskommune jedem ihrer Mitglieder für täglich sechsstündige Arbeit eine Geldsumme zahlt, in der ebenfalls sechs Arbeitsstunden verkörpert sind, meinetwegen zwölf Mark. Wir nehmen ebenfalls an, daß die Preise genau den Werten entsprechen, also unter unsern Voraussetzungen nur die Kosten der Rohstoffe, den Verschleiß der Maschinerie, den Verbrauch von Arbeitsmitteln und den gezahlten Arbeitslohn umfassen. Eine Wirtschaftskommune von hundert arbeitenden Mitgliedern produziert dann täglich Waren im Wert von 1.200 Mark, im Jahr bei dreihundert Arbeitstagen für 360.000 Mark, |281| und zahlt dieselbe Summe an ihre Mitglieder aus, deren jedes mit seinem Anteil von täglich 12 oder jährlich 3.600 Mark macht, was es will. Am Ende des Jahres, und am Ende von hundert Jahren ist die Kommune nicht reicher als am Anfang. Sie wird während dieser Zeit nicht einmal imstande sein, die mäßige Mehrausstattung für die Konsumtion des Herrn Dühring zu leisten, falls sie nicht ihren Stamm von Produktionsmitteln angreifen will. Die Akkumulation ist total vergessen worden. Noch schlimmer: da die Akkumulation eine gesellschaftliche Notwendigkeit, und in der Beibehaltung des Geldes eine bequeme Form der Akkumulation gegeben, so fordert die Organisation der Wirtschaftskommune ihre Mitglieder direkt auf zur Privatakkumulation, und damit zu ihrer eignen Zerstörung.

Wie diesem Zwiespalt der Natur der Wirtschaftskommune entgehn? Sie könnte Zuflucht nehmen zu der beliebten »Bezollung«, dem Preisaufschlag, und ihre Jahresproduktion statt für 360.000 Mark für 480.000 Mark verkaufen. Da aber alle andern Wirtschaftskommunen in derselben Lage sind, also dasselbe tun müßten, so würde jede im Austausch mit der andern ebensoviel »Bezollung« zahlen müssen wie sie einsteckt, und der »Tribut« also nur auf ihre eignen Mitglieder fallen.

Oder aber, sie macht die Sache kurz und bündig ab, indem sie jedem Mitglied für sechsstündige Arbeit das Produkt von weniger als sechsstündiger Arbeit, meinetwegen von vier Arbeitsstunden zahlt, also statt zwölf Mark nur acht Mark täglich, die Warenpreise aber auf der alten Höhe bestehn läßt. Sie tut in diesem Falle direkt und offen, was sie im vorigen versteckt und auf einem Umweg versucht: sie bildet Marxschen Mehrwert im jährlichen Betrag von 120.000 Mark, indem sie ihre Mitglieder in durchaus kapitalistischer Weise unter dem Wert ihrer Leistung bezahlt und ihnen obendrein die Waren, die sie nur bei ihr kaufen können, zum vollen Wert anrechnet. Die Wirtschaftskommune kann also nur zu einem Reservefonds kommen, indem sie sich enthüllt als das »veredelte« Trucksystem (6) auf breitester kommunistischer Grundlage.

Also eins von zweien: Entweder tauscht die Wirtschaftskommune »gleiche Arbeit aus gegen gleiche Arbeit«, und dann kann nicht sie, sondern nur die Privaten einen Fonds zur Erhaltung und Ausdehnung der Produktion akkumulieren. Oder aber, sie bildet einen solchen Fonds, und dann tauscht sie nicht »gleiche Arbeit aus gegen gleiche Arbeit«.

|282| So steht's mit dem Inhalt des Austausches in der Wirtschaftskommune. Wie mit der Form? Der Austausch wird durch Metallgeld vermittelt, und Herr Dühring tut sich nicht wenig zugut auf die »menschheitsgeschichtliche Tragweite« dieser Verbesserung. Aber im Verkehr zwischen der Kommune und ihren Mitgliedern ist das Geld gar kein Geld, fungiert es gar nicht als Geld. Es dient als reines Arbeitszertifikat, es konstatiert, um mit Marx zu reden, »nur den individuellen Anteil des Produzenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Teil des Gemeinprodukts«, und ist in dieser Funktion »ebensowenig 'Geld' wie etwa eine Theatermarke« |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 109/110|. Es kann hiermit durch jedes beliebige Zeichen ersetzt werden, wie Weitling es durch ein »Kommerzbuch« ersetzt, worin auf der einen Seite die Arbeitsstunden und auf der andern die dafür bezognen Genüsse abgestempelt werden. Kurz, es fungiert im Verkehr der Wirtschaftskommune mit ihren Mitgliedern einfach als das Owensche »Arbeitsstundengeld«, dies »Wahngebilde«, auf das Herr Dühring so vornehm herabsieht und das er dennoch selbst in seine Zukunftswirtschaft einführen muß. Ob die Marke, die das Maß der erfüllten »Produktionspflicht« und des damit erworbnen »Konsumtionsrechts« bezeichnet, ein Wisch Papier, ein Rechenpfennig oder ein Goldstück ist, bleibt sich für diesen Zweck vollständig gleich. Für andre Zwecke aber durchaus nicht, wie sich zeigen wird.

Wenn das Metallgeld also schon im Verkehr der Wirtschaftskommune mit ihren Mitgliedern nicht als Geld fungiert, sondern als verkleidete Arbeitsmarke, so kommt es noch weniger zu seiner Geldfunktion im Austausch zwischen den verschiednen Wirtschaftskommunen. Hier ist, unter den Voraussetzungen des Herrn Dühring, das Metallgeld total überflüssig. In der Tat würde eine bloße Buchführung hinreichen, die den Austausch von Produkten gleicher Arbeit gegen Produkte gleicher Arbeit viel einfacher vollzieht, wenn sie mit dem natürlichen Maßstab der Arbeit - der Zeit, der Arbeitsstunde als Einheit - rechnet, als wenn sie die Arbeitsstunden erst in Geld übersetzt. Der Austausch ist in Wirklichkeit reiner Naturalaustausch; alle Mehrforderungen sind leicht und einfach ausgleichbar durch Anweisungen auf andre Kommunen. Wenn aber eine Kommune wirklich gegenüber andern Kommunen ein Defizit haben sollte, so kann alles »im Universum vorhandne Gold«, und wenn es noch so sehr »von Natur Geld« sein sollte, dieser Kommune das Schicksal nicht ersparen, dies Defizit durch vermehrte eigne Arbeit zu ersetzen, falls sie nicht in Schuldabhängigkeit |283| von andern Kommunen geraten will. Übrigens möge der Leser fortwährend im Gedächtnis halten, daß wir hier keineswegs Zukunftskonstruktion machen. Wir nehmen einfach die Voraussetzungen des Herrn Dühring an und ziehen nur die unvermeidlichen Folgerungen daraus.

Also weder im Austausch zwischen der Wirtschaftskommune und ihren Mitgliedern noch in dem zwischen den verschiednen Kommunen kann das Gold, das »von Natur Geld ist«, dahin kommen, diese seine Natur zu verwirklichen. Trotzdem schreibt ihm Herr Dühring vor, auch in der »Sozialität« Geldfunktion zu vollziehn. Wir müssen uns also nach einem andern Spielraum für diese Geldfunktion umsehn. Und dieser Spielraum existiert. Herr Dühring befähigt zwar jeden zur »quantitativ gleichen Konsumtion«, aber er kann niemanden dazu zwingen. Im Gegenteil, er ist stolz darauf, daß in seiner Welt jeder mit seinem Gelde machen kann, was er will. Er kann also nicht verhindern, daß die einen sich einen kleinen Geldschatz zurücklegen, während die andern mit dem ihnen gezahlten Lohn nicht auskommen. Er macht dies sogar unvermeidlich, indem er das Gemeineigentum der Familie im Erbrecht ausdrücklich anerkennt, woraus sich dann weiter die Verpflichtung der Eltern zur Erhaltung der Kinder ergibt. Damit aber bekommt die quantitativ gleiche Konsumtion einen gewaltigen Riß. Der Junggesell lebt herrlich und in Freuden von seinen acht oder zwölf Mark täglich, während der Witwer mit acht unmündigen Kindern damit kümmerlich auskommt. Andrerseits aber läßt die Kommune, indem sie Geld ohne weiteres in Zahlung nimmt, die Möglichkeit offen, daß dies Geld anders als durch eigne Arbeit erworben sei. Non olet. |Geld stinkt nicht| Sie weiß nicht, woher es kommt. Hiermit sind aber alle Bedingungen gegeben, um das Metallgeld, das bisher nur die Rolle einer Arbeitsmarke spielte, in wirkliche Geldfunktion treten zu lassen. Es liegen vor die Gelegenheit und das Motiv, einerseits zur Schatzbildung, andrerseits zur Verschuldung. Der Bedürftige borgt beim Schatzbildner. Das geborgte Geld, von der Kommune in Zahlung genommen für Lebensmittel, wird damit wieder, was es in der heutigen Gesellschaft ist, gesellschaftliche Inkarnation der menschlichen Arbeit, wirkliches Maß der Arbeit, allgemeines Zirkulationsmittel. Alle »Gesetze und Verwaltungsnormen« der Welt sind ebenso ohnmächtig dagegen, wie gegen das Einmaleins oder gegen die chemische Zusammensetzung des Wassers. Und da der Schatzbildner in der Lage ist, vom Bedürftigen Zinsen zu erzwingen, so ist mit dem als Geld fungierenden Metallgeld auch der Zinswucher wiederhergestellt.

|284| Soweit haben wir nur die Wirkungen der Beibehaltung des Metallgeldes betrachtet innerhalb des Geltungsbereichs der Dühringschen Wirtschaftskommune. Aber jenseits dieses Bereichs geht die übrige verworfne Welt einstweilen ihren alten Gang ruhig weiter. Gold und Silber bleiben, auf dem Weltmarkt, Weltgeld, allgemeines Kauf- und Zahlungsmittel, absolut gesellschaftliche Verkörperung des Reichtums. Und mit dieser Eigenschaft des edlen Metalls tritt vor die einzelnen Wirtschaftskommunisten ein neues Motiv zur Schatzbildung, zur Bereicherung, zum Wucher, das Motiv, sich gegenüber der Kommune und jenseits ihrer Grenzen frei und unabhängig zu bewegen und den aufgehäuften Einzelreichtum auf dem Weltmarkt zu verwerten. Die Wucherer verwandeln sich in Händler mit dem Zirkulationsmittel, in Bankiers, in Beherrscher des Zirkulationsmittels und des Weltgelds, damit in Beherrscher der Produktion und damit in Beherrscher der Produktionsmittel, mögen diese auch noch jahrelang dem Namen nach als Eigentum der Wirtschafts- und Handelskommune figurieren. Damit sind aber die in Bankiers übergegangnen Schatzbildner und Wucherer auch die Herren der Wirtschafts- und Handelskommune selbst. Die »Sozialität« des Herrn Dühring unterscheidet sich in der Tat sehr wesentlich von den »Nebelhaftigkeiten« der übrigen Sozialisten. Sie hat weiter keinen Zweck als die Wiedererzeugung der hohen Finanz, unter deren Kontrolle und für deren Säckel sie sich tapfer abarbeiten wird - wenn sie überhaupt zusammenkommt und zusammenhält. Die einzige Rettung für sie läge darin, daß die Schatzbildner vorzögen, vermittelst ihres Weltgeldes eiligst aus der Kommune - davonzulaufen.

Bei der in Deutschland herrschenden ausgedehnten Unbekanntschaft mit dem älteren Sozialismus könnte nun ein unschuldiger Jüngling die Frage aufwerfen, ob nicht auch z.B. die Owenschen Arbeitsmarken zu einem ähnlichen Mißbrauch Anlaß geben könnten. Obwohl wir hier nicht die Bedeutung dieser Arbeitsmarken zu entwickeln haben, so mag doch zur Vergleichung des Dühringschen »umfassenden Schematismus« mit den »rohen, matten und dürftigen Ideen« Owens folgendes Platz finden: Erstens wäre zu einem solchen Mißbrauch der Owenschen Arbeitsmarken ihre Verwandlung in wirkliches Geld nötig, während Herr Dühring wirkliches Geld voraussetzt, ihm aber verbieten will, anders als bloße Arbeitsmarke zu fungieren. Während dort wirklicher Mißbrauch stattfände, setzt sich hier die immanente, vom menschlichen Willen unabhängige Natur des Geldes durch, setzt das Geld seinen ihm eigentümlichen, richtigen Gebrauch durch gegenüber dem Mißbrauch, den Herr Dühring ihm aufzwingen will kraft seiner eignen Unwissenheit über die Natur des Geldes. Zweitens sind bei Owen |285| die Arbeitsmarken nur eine Übergangsform zur vollständigen Gemeinschaft und freien Benutzung der gesellschaftlichen Ressourcen, nebenbei höchstens noch ein Mittel, dem britischen Publikum den Kommunismus plausibel zu machen. Wenn also etwelcher Mißbrauch die Owensche Gesellschaft zur Abschaffung der Arbeitsmarken zwingen sollte, so tut diese Gesellschaft einen Schritt weiter voran zu ihrem Ziel und tritt in eine vollkommnere Entwicklungsstufe ein. Schafft dagegen die Dühringsche Wirtschaftskommune das Geld ab, so vernichtet sie mit einem Schlage ihre »menschheitsgeschichtliche Tragweite«, so beseitigt sie ihre eigentümlichste Schönheit, hört auf, Dühringsche Wirtschaftskommune zu sein und sinkt herab zu den Nebelhaftigkeiten, aus denen sie herauszuheben Herr Dühring soviel saure Arbeit der rationellen Phantasie aufgewandt hat.(7)

Woraus entstehn nun alle die sonderbaren Irrungen und Wirrungen, in denen die Dühringsche Wirtschaftskommune herumfährt? Einfach aus der Nebelhaftigkeit, die im Kopf des Herrn Dühring die Begriffe von Wert und Geld umhüllt, und die ihn schließlich dahin treibt, den Wert der Arbeit entdecken zu wollen. Da aber Herr Dühring keineswegs das Monopol solcher Nebelhaftigkeit für Deutschland besitzt, im Gegenteil zahlreiche Konkurrenz findet, so wollen wir »uns einen Augenblick überwinden, das Knäuel aufzulösen«, das er hier angerichtet hat.

Der einzige Wert, den die Ökonomie kennt, ist der Wert von Waren. Was sind Waren? Produkte, erzeugt in einer Gesellschaft mehr oder weniger vereinzelter Privatproduzenten, also zunächst Privatprodukte. Aber diese Privatprodukte werden erst Waren, sobald sie nicht für den Selbstverbrauch, sondern für den Verbrauch durch andre, also für den gesellschaftlichen Verbrauch produziert werden; sie treten ein in den gesellschaftlichen Verbrauch durch den Austausch. Die Privatproduzenten stehn also in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, bilden eine Gesellschaft. Ihre Produkte, obwohl Privatprodukte jedes einzelnen, sind daher gleichzeitig, aber unabsichtlich und gleichsam widerwillig, auch gesellschaftliche Produkte. Worin besteht nun der gesellschaftliche Charakter dieser Privatprodukte? Offenbar in zwei Eigenschaften: erstens darin, daß sie alle irgendein menschliches Bedürfnis befriedigen, einen Gebrauchswert haben nicht nur für den |286| Produzenten, sondern auch für andre; und zweitens darin, daß sie, obwohl Produkte der verschiedensten Privatarbeiten, gleichzeitig Produkte menschlicher Arbeit schlechthin, allgemein menschlicher Arbeit sind. Insofern sie auch für andre einen Gebrauchswert haben, können sie überhaupt in de Austausch treten; insofern in ihnen allen allgemein menschliche Arbeit, einfache Aufwendung menschlicher Arbeitskraft steckt, können sie nach der in einer jeden steckenden Menge dieser Arbeit miteinander im Austausch verglichen, gleich oder ungleich gesetzt werden. In zwei gleichen Privatprodukten kann, unter gleichbleibenden gesellschaftlichen Verhältnissen, ungleich viel Privatarbeit stecken, aber immer nur gleich viel allgemein menschliche Arbeit. Ein ungeschickter Schmied kann in derselben Zeit fünf Hufeisen machen, in der ein geschickter zehn macht. Aber die Gesellschaft verwertet nicht das zufällige Ungeschick des einen, sie erkennt als allgemein menschliche Arbeit nur Arbeit von jedesmal normalem Durchschnittsgeschick an. Eins der fünf Hufeisen des ersten hat im Austausch also nicht mehr Wert als eins der in gleicher Arbeitszeit geschmiedeten zehn des andern. Nur insofern sie gesellschaftlich notwendig, enthält die Privatarbeit allgemein menschliche Arbeit.

Indem ich also sage, eine Ware hat diesen bestimmten Wert, sage ich 1. daß sie ein gesellschaftlich nützliches Produkt ist; 2. daß sie von einer Privatperson für Privatrechnung produziert ist; 3. daß sie, obwohl Produkt von Privatarbeit, dennoch gleichzeitig und gleichsam ohne es zu wissen oder zu wollen, auch Produkt von gesellschaftlicher Arbeit ist, und zwar von einer bestimmten, auf einem gesellschaftlichen Wege, durch den Austausch festgestellten Menge derselben; 4. drücke ich diese Menge nicht aus in Arbeit selbst, in soundso viel Arbeitsstunden, sondern in einer andern Ware. Wenn ich also sage, diese Uhr ist soviel wert wie dies Stück Tuch und jedes von beiden ist fünfzig Mark wert, so sage ich: in der Uhr, dem Tuch und dem Geld steckt gleich viel gesellschaftliche Arbeit. Ich konstatiere also, daß die in ihnen repräsentierte gesellschaftliche Arbeitszeit gesellschaftlich gemessen und gleichgefunden worden ist. Aber nicht direkt, absolut, wie man sonst Arbeitszeit mißt, in Arbeitsstunden oder Tagen usw., sondern auf einem Umweg, vermittelst des Austausches, relativ. Ich kann daher auch dieses festgestellte Quantum Arbeitszeit nicht in Arbeitsstunden ausdrücken, deren Zahl mir unbekannt bleibt, sondern ebenfalls nur auf einem Umweg, relativ, in einer andern Ware, die das gleiche Quantum gesellschaftlicher Arbeitszeit vorstellt. Die Uhr ist soviel wert wie das Stück Tuch.

Indem aber Warenproduktion und Warenaustausch die auf ihnen beruhende Gesellschaft zu diesem Umweg zwingen, zwingen sie ebenso zu |287| seiner möglichsten Verkürzung. Sie sondern aus dem gemeinen Warenpöbel eine fürstliche Ware aus, in der der Wert aller andern Waren ein für allemal ausdrückbar ist, eine Ware, die als unmittelbare Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit gilt und daher gegen alle Waren unmittelbar und unbedingt austauschbar wird - das Geld. Das Geld ist im Wertbegriff bereits im Keim enthalten, es ist nur der entwickelte Wert. Aber indem der Warenwert sich, gegenüber den Waren selbst, verselbständigt im Geld, tritt ein neuer Faktor ein in die Waren produzierende und austauschende Gesellschaft, ein Faktor mit neuen gesellschaftlichen Funktionen und Wirkungen. Wir haben dies vorderhand nur festzustellen, ohne näher darauf einzugehn.

Die Ökonomie der Warenproduktion ist keineswegs die einzige Wissenschaft, die nur mit relativ bekannten Faktoren zu rechnen hat. Auch in der Physik wissen wir nicht, wieviel einzelne Gasmoleküle in einem gegebnen Gasvolumen, Druck und Temperatur ebenfalls gegeben, vorhanden sind. Aber wir wissen, daß, soweit das Boylesche Gesetz richtig, ein solches gegebnes Volumen irgendwelches Gases ebensoviel Moleküle enthält, wie ein gleiches Volumen eines beliebigen andern Gases bei gleichem Druck und gleicher Temperatur. Wir können daher die verschiedensten Volumen der verschiedensten Gase, unter den verschiedensten Druck- und Temperaturbedingungen, auf ihren Molekulargehalt vergleichen; und wenn wir 1 Liter Gas bei 0° C und 760 mm Druck als Einheit annehmen, an dieser Einheit jenen Molekulargehalt messen. - In der Chemie sind uns die absoluten Atomgewichte der einzelnen Elemente ebenfalls unbekannt. Aber wir kennen sie relativ, indem wir ihre gegenseitigen Verhältnisse kennen. Wie also die Warenproduktion und ihre Ökonomie für die in den einzelnen Waren steckenden, ihr unbekannten Arbeitsquanta einen relativen Ausdruck erhält, indem sie diese Waren auf ihren relativen Arbeitsgehalt vergleicht, so verschafft sich die Chemie einen relativen Ausdruck für die Größe der ihr unbekannten Atomgewichte, indem sie die einzelnen Elemente auf ihr Atomgewicht vergleicht, das Atomgewicht des einen in Vielfachen oder Bruchteilen des andern (Schwefel, Sauerstoff, Wasserstoff) ausdrückt. Und wie die Warenproduktion das Gold zur absoluten Ware, zum allgemeinen Äquivalent der übrigen Waren, zum Maß aller Werte erhebt, so erhebt die Chemie den Wasserstoff zur chemischen Geldware, indem sie sein Atomgewicht = 1 setzt und die Atomgewichte aller übrigen Elemente auf Wasserstoff reduziert, in Vielfachen seines Atomgewichts ausdrückt.

Die Warenproduktion ist indes keineswegs die ausschließliche Form der gesellschaftlichen Produktion. In dem altindischen Gemeinwesen, in der südslawischen Familiengemeinde verwandeln sich die Produkte nicht in |288| Waren. Die Mitglieder der Gemeinde sind unmittelbar zur Produktion vergesellschaftet, die Arbeit wird nach Herkommen und Bedürfnis verteilt, die Produkte, soweit sie zur Konsumtion kommen, ebenfalls. Die unmittelbar gesellschaftliche Produktion wie die direkte Verteilung schließen allen Warenaustausch aus, also auch die Verwandlung der Produkte in Waren (wenigstens innerhalb der Gemeinde), und damit auch ihre Verwandlung in Werte.

Sobald die Gesellschaft sich in den Besitz der Produktionsmittel setzt und sie in unmittelbarer Vergesellschaftung zur Produktion verwendet, wird die Arbeit eines jeden, wie verschieden auch ihr spezifisch nützlicher Charakter sei, von vornherein und direkt gesellschaftliche Arbeit. Die in einem Produkt steckende Menge gesellschaftlicher Arbeit braucht dann nicht erst auf einem Umweg festgestellt zu werden; die tägliche Erfahrung zeigt direkt an, wieviel davon im Durchschnitt nötig ist. Die Gesellschaft kann einfach berechnen, wieviel Arbeitsstunden in einer Dampfmaschine, einem Hektoliter Weizen der letzten Ernte, in hundert Quadratmeter Tuch von bestimmter Qualität stecken. Es kann ihr also nicht einfallen, die in den Produkten niedergelegten Arbeitsquanta, die sie alsdann direkt und absolut kennt, noch fernerhin in einem nur relativen, schwankenden, unzulänglichen, früher als Notbehelf unvermeidlichen Maß, in einem dritten Produkt auszudrücken und nicht in ihrem natürlichen, adäquaten, absoluten Maß, der Zeit. Ebensowenig wie es der Chemie einfallen würde, die Atomgewichte auch dann auf dem Umwege des Wasserstoffatoms relativ auszudrücken, sobald sie imstande wäre, sie absolut, in ihrem adäquaten Maß auszudrücken, nämlich in wirklichem Gewicht, in Billiontel oder Quadrilliontel Gramm. Die Gesellschaft schreibt also unter obigen Voraussetzungen den Produkten auch keine Werte zu. Sie wird die einfache Tatsache, daß die hundert Quadratmeter Tuch meinetwegen tausend Arbeitsstunden zu ihrer Produktion erfordert haben, nicht in der schielenden und sinnlosen Weise ausdrücken, sie seien tausend Arbeitsstunden wert. Allerdings wird auch dann die Gesellschaft wissen müssen, wieviel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf. Sie wird den Produktionsplan einzurichten haben nach den Produktionsmitteln, wozu besonders auch die Arbeitskräfte gehören. Die Nutzeffekte der verschiednen Gebrauchsgegenstände, abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitsmengen, werden den Plan schließlich bestimmen. Die Leute machen alles sehr einfach ab ohne Dazwischenkunft des vielberühmten »Werts«.(8)

|289| Der Wertbegriff ist der allgemeinste und daher umfassendste Ausdruck der ökonomischen Bedingungen der Warenproduktion. Im Wertbegriff ist daher der Keim enthalten, nicht nur des Geldes, sondern auch aller weiter entwickelten Formen der Warenproduktion und des Warenaustausches. Darin, daß der Wert der Ausdruck der in den Privatprodukten enthaltnen gesellschaftlichen Arbeit ist, liegt schon die Möglichkeit der Differenz zwischen dieser und der im selben Produkt enthaltnen Privatarbeit. Produziert also ein Privatproduzent nach alter Weise weiter, während die gesellschaftliche Produktionsweise fortschreitet, so wird ihm diese Differenz empfindlich fühlbar. Dasselbe geschieht, sobald die Gesamtheit der Privatanfertiger einer bestimmten Warengattung ein den gesellschaftlichen Bedarf überschießendes Quantum davon produziert. Darin, daß der Wert einer Ware nur in einer andern Ware ausgedrückt und nur im Austausch gegen sie realisiert werden kann, liegt die Möglichkeit, daß der Austausch überhaupt nicht zustande kommt oder doch nicht den richtigen Wert realisiert. Endlich, tritt die spezifische Ware Arbeitskraft auf den Markt, so bestimmt sich ihr Wert, wie der jeder andern Ware, nach der zu ihrer Produktion gesellschaftlich nötigen Arbeitszeit- In der Wertform der Produkte steckt daher bereits im Keim die ganze kapitalistische Produktionsform, der Gegensatz von Kapitalisten und Lohnarbeitern, die industrielle Reservearmee, die Krisen. Die kapitalistische Produktionsform abschaffen wollen durch Herstellung des »wahren Werts« heißt daher den Katholizismus abschaffen wollen durch die Herstellung des »wahren« Papstes« oder eine Gesellschaft, in der die Produzenten endlich einmal ihr Produkt beherrschen, herstellen durch konsequente Durchführung einer ökonomischen Kategorie, die der umfassendste Ausdruck der Knechtung der Produzenten durch ihr eignes Produkt ist.

Hat die Waren produzierende Gesellschaft die den Waren, als solchen, inhärente Wertform weiterentwickelt zur Geldform, so brechen bereits verschiedne der im Wert noch verborgnen Keime an den Tag. Die nächste und wesentlichste Wirkung ist die Verallgemeinerung der Warenform. Auch den bisher für direkten Selbstverbrauch produzierten Gegenständen zwingt das Geld Warenform auf, reißt sie in den Austausch. Damit dringt die Warenform und das Geld ein in den innern Haushalt der zur Produktion unmittelbar vergesellschafteten Gemeinwesen, bricht ein Band der |290| Gemeinschaft nach dem andern und löst das Gemeinwesen auf in einen Haufen von Privatproduzenten. Das Geld setzt zuerst, wie in Indien zu sehn, an die Stelle der gemeinsamen Bodenbebauung die Einzelkultur; später löst es das noch in zeitweilig wiederholter Umteilung zutage tretende gemeinsame Eigentum am Ackerland auf durch endgültige Aufteilung (z.B. in den Gehöferschaften an der Mosel), beginnend auch in der russischen Gemeinde); endlich drängt es zur Verteilung des noch übrigen gemeinsamen Wald- und Weidebesitzes. Welche andern, in der Entwicklung der Produktion begründeten Ursachen auch hier mitarbeiten, das Geld bleibt immer das mächtigste Mittel ihrer Einwirkung auf die Gemeinwesen. Und mit derselben Naturnotwendigkeit müßte das Geld, allen »Gesetzen und Verwaltungsnormen« zum Trotz, die Dühringsche Wirtschaftskommune auflösen, käme sie je zustande.

Wir haben bereits oben (Ökonomie, VI) gesehn, daß es ein Widerspruch in sich selbst ist, von einem Wert der Arbeit zu sprechen. Da Arbeit unter gewissen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht nur Produkte erzeugt, sondern auch Wert, und dieser Wert durch die Arbeit gemessen wird, so kann sie ebensowenig einen besondern Wert haben wie die Schwere als solche ein besondres Gewicht oder die Wärme eine besondre Temperatur. Es ist aber die charakteristische Eigenschaft aller über den »wahren Wert« grübelnden Sozialkonfusion, sich einzubilden, der Arbeiter erhalte in der heutigen Gesellschaft nicht den vollen »Wert« seiner Arbeit und der Sozialismus sei berufen, dem abzuhelfen. Dazu gehört dann zunächst, auszufinden, was der Wert der Arbeit ist; und diesen findet man, indem man versucht, die Arbeit nicht an ihrem adäquaten Maß, der Zeit, zu messen, sondern an ihrem Produkt. Der Arbeiter soll den »vollen Arbeitsertrag« erhalten. Nicht nur Arbeitsprodukt, sondern Arbeit selbst soll unmittelbar austauschbar sein gegen Produkt, eine Arbeitsstunde gegen das Produkt einer andren Arbeitsstunde. Dies hat aber sofort einen sehr »bedenklichen« Haken. Das ganze Produkt wird verteilt. Die wichtigste progressive Funktion der Gesellschaft, die Akkumulation, wird der Gesellschaft entzogen und in die Hände und die Willkür der einzelnen gelegt. Die einzelnen mögen mit ihren »Erträgen« machen, was sie wollen, die Gesellschaft bleibt im besten Fall so reich oder so arm, wie sie war. Man hat also die in der Vergangenheit akkumulierten Produktionsmittel nur deshalb in den Händen der Gesellschaft zentralisiert, damit alle in Zukunft akkumulierten Produktionsmittel wieder in den Händen der einzelnen zersplittert werden. Man schlägt seinen eignen Voraussetzungen ins Gesicht, man ist angekommen bei einer puren Absurdität.

|291| Flüssige Arbeit, tätige Arbeitskraft soll ausgetauscht werden gegen Arbeitsprodukt. Dann ist sie Ware, ebenso wie das Produkt, wogegen sie ausgetauscht werden soll. Dann wird der Wert dieser Arbeitskraft bestimmt keineswegs nach ihrem Produkt, sondern nach der in ihr verkörperten gesellschaftlichen Arbeit, also nach dem heutigen Gesetz des Arbeitslohns.

Aber das soll ja grade nicht sein. Die flüssige Arbeit, die Arbeitskraft soll austauschbar sein gegen ihr volles Produkt. Das heißt, sie soll austauschbar sein nicht gegen ihren Wert, sondern gegen ihren Gebrauchswert; das Wertgesetz soll für alle andern Waren gelten, aber es soll aufgehoben sein für die Arbeitskraft. Und diese sich selbst aufhebende Konfusion ist es, die sich hinter dem »Wert der Arbeit« verbirgt.

Der »Austausch von Arbeit gegen Arbeit nach dem Grundsatz der gleichen Schätzung«, soweit er einen Sinn hat, also die Austauschbarkeit von Produkten gleicher gesellschaftlichen Arbeit gegeneinander, also das Wertgesetz, ist das Grundgesetz grade der Warenproduktion, also auch der höchsten Form derselben, der kapitalistischen Produktion. Es setzt sich in der heutigen Gesellschaft durch in derselben Weise, in der allein ökonomische Gesetze in einer Gesellschaft von Privatproduzenten sich durchsetzen können: als in den Dingen und Verhältnissen liegendes, vom Wollen oder Laufen der Produzenten unabhängiges, blind wirkendes Naturgesetz. Indem Herr Dühring dies Gesetz zum Grundgesetz seiner Wirtschaftskommune erhebt und verlangt, daß diese es mit vollem Bewußtsein durchführen soll, macht er das Grundgesetz der bestehenden Gesellschaft zum Grundgesetz seiner Phantasiegesellschaft. Er will die bestehende Gesellschaft, aber ohne ihre Mißstände. Er bewegt sich dabei ganz auf demselben Boden wie Proudhon. Wie dieser will er die Mißstände, die aus der Entwicklung der Warenproduktion zur kapitalistischen Produktion entstanden sind, beseitigen, indem er ihnen gegenüber das Grundgesetz der Warenproduktion geltend macht, dessen Betätigung grade diese Mißstände erzeugt hat. Wie Proudhon will er die wirklichen Konsequenzen des Wertgesetzes aufheben durch phantastische.

Wie stolz er aber auch hinausreite, unser moderner Don Quijote, auf seiner edlen Rosinante, dem »universellen Prinzip der Gerechtigkeit«, und gefolgt von seinem wackern Sancho Pansa Abraham Enß, auf der irrenden Ritterfahrt zur Eroberung des Helms des Mambrin, des »Werts der Arbeit« - wir fürchten, wir fürchten, er bringt nichts heim, als das alte bekannte Barbierbecken.

V. Staat, Familie, Erziehung

|292| Mit den beiden vorigen Abschnitten hätten wir nun den ökonomischen Inhalt der »neuen sozialitären Gebilde« des Herrn Dühring so ziemlich erschöpft. Höchstens wäre noch zu bemerken, daß »die universelle Weite des geschichtlichen Umblicks« ihn keineswegs verhindert, seine Spezialinteressen wahrzunehmen, auch abgesehn von der bekannten mäßigen Mehrkonsumtion. Da die alte Teilung der Arbeit in der Sozialität fortbesteht, wird die Wirtschaftskommune außer mit Architekten und Karrenschiebern auch mit Literaten von Profession zu rechnen haben, wobei dann die Frage entsteht, wie es alsdann mit dem Autorrecht gehalten werden soll. Diese Frage beschäftigt Herrn Dühring mehr als jede andre. Überall, z.B. bei Gelegenheit von Louis Blanc und Proudhon, gerät das Autorrecht dem Leser zwischen die Beine, um endlich auf neun Seiten des »Cursus« des breitern breitgetreten und in der Form einer mysteriösen »Arbeitsbelohnung« - ob mit oder ohne mäßige Mehrkonsumtion wird nicht gesagt - glücklich in den Hafen der Sozialität hinübergerettet zu werden. Ein Kapitel über die Stellung der Flöhe im natürlichen System der Gesellschaft wäre ebenso angebracht gewesen und jedenfalls weniger langweilig.

Über die Staatsordnung der Zukunft gibt die »Philosophie« ausführliche Vorschriften. Hier hat Rousseau, obwohl »der einzige bedeutende Vorgänger» des Herrn Dühring, dennoch den Grund nicht tief genug gelegt; sein tieferer Nachfolger hilft dem gründlich ab, indem er den Rousseau aufs alleräußerste verwässert und mit ebenfalls zu breiter Bettelsuppe verkochten Abfällen der Hegelschen Rechtsphilosophie versetzt. »Die Souveränetät des Individuums« bildet die Grundlage des Dühringschen Zukunftsstaats; sie soll in der Herrschaft der Majorität nicht unterdrückt werden, sondern erst recht kulminieren. Wie geht das zu? Sehr einfach.

»Wenn man in allen Richtungen Übereinkünfte eines jeden mit jedem andern voraussetzt, und wenn diese Verträge die gegenseitige Hülfeleistung gegen ungerechte Verletzungen zum Gegenstand haben - alsdann wird nur die Macht zur Aufrechterhaltung des Rechts verstärkt und aus keiner bloßen Übergewalt der Menge über den einzelnen oder der Mehrheit über die Minderheit ein Recht abgeleitet.«

Mit solcher Leichtigkeit setzt die lebendige Kraft des wirklichkeitsphilosophischen Hokuspokus über die unpassierbarsten Hindernisse hinweg und wenn der Leser meint, er sei hiernach nicht klüger als zuvor, so antwortet ihm Herr Dühring, er möge die Sache nur ja nicht so leicht nehmen, denn

|293| »der geringste Fehlgriff in der Auffassung der Rolle des Gesamtwillens würde die Souveränetät des Individuums vernichten, und diese Souveränetät ist es allein, was (!) zur Ableitung wirklicher Rechte führt«.

Herr Dühring behandelt sein Publikum ganz wie es verdient, wenn er es zum besten hält. Er konnte sogar noch bedeutend dicker auftragen; die Studiosen der Wirklichkeitsphilosophie hätten es doch nicht gemerkt.

Die Souveränität des Individuums besteht nun wesentlich darin, daß

»der einzelne dem Staat gegenüber in absoluter Weise gezwungen wird«, dieser Zwang aber sich nur insoweit rechtfertigen kann, als er »wirklich der natürlichen Gerechtigkeit dient«. Zu diesem Zweck wird es »Gesetzgebung und Richtertum« geben, aber sie »müssen bei der Gesamtheit bleiben«; ferner einen Wehrbund, der sich im »Zusammenstehn im Heere oder in einer zum innern Sicherheitsdienste gehörigen Exekutivabteilung« äußert,

also auch Armee, Polizei, Gensdarmen. Herr Dühring hat sich zwar schon so oft als braver Preuße bewährt; hier beweist er seine Ebenbürtigkeit mit jenem Musterpreußen, der nach dem weiland Minister von Rochow »seinen Gensdarmen in der Brust trägt«. Diese Zukunftsgensdarmrie wird aber nicht so gefährlich sein, wie die heutigen »Zarucker«. Was sie auch an dem souveränen Individuum verüben möge, dieses hat immer einen Trost:

»das Recht oder Unrecht, welches ihm alsdann, je nach den Umständen, von seiten der freien Gesellschaft widerfährt, kann nie etwas Schlimmeres sein, als was auch der Naturzustand mit sich bringen würde«!

Und dann, nachdem Herr Dühring uns noch einmal über sein unvermeidliches Autorrecht hat stolpern lassen, versichert er uns, es werde in seiner Zukunftswelt eine

»selbstverständlich völlig freie und allgemeine Advokatur«

geben. »Die heute erdachte freie Gesellschaft« wird immer gemischter. Architekten, Karrenschieber, Literaten, Gensdarmen, und nun auch noch Advokaten! Dies »solide und kritische Gedankenreich« gleicht aufs Haar den verschiednen Himmelreichen der verschiednen Religionen, in denen der Gläubige immer das verklärt wiederfindet, was ihm sein irdisches Leben versüßt hat. Und Herr Dühring gehört ja dem Staate an, wo »jeder nach seiner Fasson selig werden kann«. Was wollen wir mehr?

Was wir wollen mögen, ist indes hier gleichgültig. Es kommt darauf an, was Herr Dühring will. Und dieser unterscheidet sich von Friedrich II. dadurch, daß im Dühringschen Zukunftsstaat keineswegs jeder nach seiner Fasson selig werden kann. In der Verfassung dieses Zukunftsstaats heißt es:

|294| »In der freien Gesellschaft kann es keinen Kultus geben; denn von jedem ihrer Glieder ist die kindische Ureinbildung überwunden, daß es hinter oder über der Natur Wesen gebe, auf die sich durch Opfer oder Gebete wirken lasse.« Ein »richtig verstandnes Sozialitätssystem hat daher ... alle Zurüstungen zur geistlichen Zauberei und mithin alle wesentlichen Bestandteile der Kulte abzutun«.

Die Religion wird verboten.

Nun ist alle Religion nichts andres als die phantastische Widerspiegelung, in den Köpfen der Menschen, derjenigen äußern Mächte, die ihr alltägliches Dasein beherrschen, eine Widerspiegelung, in der die irdischen Mächte die Form von überirdischen annehmen. In den Anfängen der Geschichte sind es zuerst die Mächte der Natur, die diese Rückspiegelung erfahren und in der weitern Entwicklung bei den verschiednen Völkern die mannigfachsten und buntesten Personifikationen durchmachen. Dieser erste Prozeß ist wenigstens für die indoeuropäischen Völker durch die vergleichende Mythologie bis auf seinen Ursprung in den indischen Vedas zurückverfolgt und in seinem Fortgang bei Indern, Persern, Griechen, Römern, Germanen und, soweit das Material reicht, auch bei Kelten, Litauern und Slawen im einzelnen nachgewiesen worden. Aber bald treten neben den Naturmächten auch gesellschaftliche Mächte in Wirksamkeit, Mächte, die den Menschen ebenso fremd und im Anfang ebenso unerklärlich gegenüber stehn, sie mit derselben scheinbaren Naturnotwendigkeit beherrschen wie die Naturmächte selbst. Die Phantasiegestalten, in denen sich anfangs nur die geheimnisvollen Kräfte der Natur widerspiegelten, erhalten damit gesellschaftliche Attribute, werden Repräsentanten geschichtlicher Mächte.(9) Auf einer noch weitern Entwicklungsstufe werden sämtliche natürlichen und gesellschaftlichen Attribute der vielen Götter auf Einen allmächtigen Gott übertragen, der selbst wieder nur der Reflex des abstrakten Menschen ist. So entstand der Monotheismus, der geschichtlich das letzte Produkt der spätern griechischen Vulgärphilosophie war und im jüdischen ausschließlichen Nationalgott Jahve seine Verkörperung vorfand. In dieser bequemen, handlichen und allem anpaßbaren Gestalt kann die Religion fortbestehn als unmittelbare, das heißt gefühlsmäßige Form des Verhaltens der Menschen |295| zu den sie beherrschenden fremden, natürlichen und gesellschaftlichen Mächten, solange die Menschen unter der Herrschaft solcher Mächte stehn Wir haben aber mehrfach gesehn, daß in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft die Menschen von den von ihnen selbst geschaffnen ökonomischen Verhältnissen, von den von ihnen selbst produzierten Produktionsmitteln wie von einer fremden Macht beherrscht werden. Die tatsächliche Grundlage der religiösen Reflexaktion dauert also fort und mit ihr der religiöse Reflex selbst. Und wenn auch die bürgerliche Ökonomie eine gewisse Einsicht in den ursächlichen Zusammenhang dieser Fremdherrschaft eröffnet, so ändert dies der Sache nach nichts. Die bürgerliche Ökonomie kann weder die Krisen im ganzen verhindern noch den einzelnen Kapitalisten vor Verlusten, schlechten Schulden und Bankrott oder den einzelnen Arbeiter vor Arbeitslosigkeit und Elend schützen. Es heißt noch immer: der Mensch denkt und Gott (das heißt die Fremdherrschaft der kapitalistischen Produktionsweise) lenkt. Die bloße Erkenntnis, und ginge sie weiter und tiefer als die der bürgerlichen Ökonomie, genügt nicht, um gesellschaftliche Mächte der Herrschaft der Gesellschaft zu unterwerfen. Dazu gehört vor allem eine gesellschaftliche Tat. Und wenn diese Tat vollzogen, wenn die Gesellschaft durch Besitzergreifung und planvolle Handhabung der gesamten Produktionsmittel sich selbst und alle ihre Mitglieder aus der Knechtung befreit hat, in der sie gegenwärtig gehalten werden durch diese von ihnen selbst produzierten, aber ihnen als übergewaltige fremde Macht gegenüberstehenden Produktionsmittel, wenn der Mensch also nicht mehr bloß denkt, sondern auch lenkt, dann erst verschwindet die letzte fremde Macht, die sich jetzt noch in der Religion widerspiegelt, und damit verschwindet auch die religiöse Widerspiegelung selbst, aus dem einfachen Grunde, weil es dann nichts mehr widerzuspiegeln gibt.

Herr Dühring dagegen kann es nicht abwarten, bis die Religion dieses ihres natürlichen Todes verstirbt. Er verfährt wurzelhafter. Er überbismarckt den Bismarck; er dekretiert verschärfte Maigesetze, nicht bloß gegen den Katholizismus, sondern gegen alle Religion überhaupt; er hetzt seine Zukunftsgensdarmen auf die Religion und verhilft ihr damit zum Märtyrertum und zu einer verlängerten Lebensfrist. Wohin wir blicken, spezifisch preußischer Sozialismus.

Nachdem Herr Dühring so die Religion glücklich vernichtet,

»kann nun der allein auf sich und die Natur gestellte und zur Erkenntnis seiner Kollektivkräfte gereifte Mensch kühn alle Wege einschlagen, die ihm der Lauf der Dinge und sein eignes Wesen eröffnen«.

|296| Betrachten wir nun zur Abwechslung, welchen »Lauf der Dinge« der auf sich selbst gestellte Mensch an der Hand des Herrn Dühring kühn einschlagen kann.

Der erste Lauf der Dinge, wodurch der Mensch auf sich selbst gestellt wird, ist der, geboren zu werden. Dann bleibt er

für die Zeit der natürlichen Unmündigkeit der »natürlichen Erzieherin der Kinder«, der Mutter anvertraut. »Diese Periode mag, wie im alten römischen Recht, bis zur Pubertät, also etwa bis zum vierzehnten Jahr reichen.« Nur wo ungezogene ältere Knaben das Ansehn der Mutter nicht gehörig respektieren, wird der väterliche Beistand, namentlich aber die öffentlichen Erziehungsvorkehrungen diesen Mangel unschädlich machen. Mit der Pubertät tritt das Kind unter »die natürliche Vormundschaft des Vaters«, wenn nämlich ein solcher mit »unbestrittner wirklicher Vaterschaft« vorhanden ist; andernfalls stellt die Gemeinde einen Vormund.

Wie Herr Dühring sich früher vorstellte, man könne die kapitalistische Produktionsweise durch die gesellschaftliche ersetzen, ohne die Produktion selbst umzugestalten, so bildet er sich hier ein, man könne die modern-bürgerliche Familie von ihrer ganzen ökonomischen Grundlage losreißen, ohne dadurch ihre ganze Form zu verändern. Diese Form ist für ihn so unwandelbar, daß er sogar das »alte römische Recht«, wenn auch in etwas »veredelter« Gestalt, für die Familie in alle Ewigkeit maßgebend macht und sich eine Familie nur als »vererbende«, das heißt als besitzende Einheit vorstellen kann. Die Utopisten stehn hier weit über Herrn Dühring. Ihnen war mit der freien Vergesellschaftung der Menschen und der Verwandlung der häuslichen Privatarbeit in eine öffentliche Industrie auch die Vergesellschaftung der Jugenderziehung und damit ein wirklich freies gegenseitiges Verhältnis der Familienglieder unmittelbar gegeben. Und ferner hat bereits Marx (Kapital, Seite 515 u.f. |Siehe Karl Marx: »Das Kapital« Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 514|) nachgewiesen, wie »die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage schafft für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter«.

»Jeder sozialreformatorische Phantast«, sagt Herr Dühring, »hat natürlich die seinem neuen sozialen Leben entsprechende Pädagogik in Bereitschaft.«

An diesem Satze gemessen, erscheint Herr Dühring als »ein wahres Monstrum« unter den sozialreformatorischen Phantasten. Die Zukunftsschule |297| beschäftigt ihn mindestens ebensoviel wie das Autorrecht, und das will wahrhaftig viel sagen. Nicht nur für die ganze »absehbare Zukunft« hat er Schulplan und Universitätsplan fix und fertig, sondern auch für die Übergangsperiode. Beschränken wir uns indes darauf, was der Jugend beiderlei Geschlechts in der endgültigen Sozialität letzter Instanz beigebracht werden soll.

Die allgemeine Volksschule bietet

»alles, was an sich selbst und prinzipiell für den Menschen einen Reiz haben kann«, also namentlich die »Grundlagen und Hauptergebnisse aller die Welt- und Lebensansichten berührenden Wissenschaften«. Sie lehrt also vor allem Mathematik und zwar so, daß der Kreis aller prinzipiellen Begriffe und Mittel vom einfachen Zählen und Addieren bis zur Integralrechnung »vollständig durchmessen« wird.

Das heißt aber nicht, daß in dieser Schule wirklich differenziert und integriert werden soll, im Gegenteil. Es sollen vielmehr dort ganz neue Elemente der Gesamtmathematik gelehrt werden, die sowohl die gewöhnliche elementare, wie auch die höhere Mathematik im Keime in sich enthalten. Obwohl nun Herr Dühring von sich behauptet, auch schon

»den Inhalt der Lehrbücher« dieser Zukunftsschule »in seinen Hauptzügen schematisch vor Augen«

zu haben, so hat es ihm doch leider bis jetzt nicht gelingen wollen, diese

»Elemente der gesamten Mathematik«

zu entdecken; und was er nicht leisten kann, das

»ist auch wirklich erst von den freien und gesteigerten Kräften des neuen Gesellschaftszustandes zu erwarten«.

Wenn aber die Trauben der Zukunftsmathematik einstweilen noch sehr sauer sind, so wird die Astronomie, Mechanik und Physik der Zukunft desto weniger Schwierigkeiten machen und

»den Kern aller Schulung abgeben«, während »Pflanzen- und Tierkunde, mit ihrer, trotz aller Theorien, noch immer vornehmlich beschreibenden Art und Weise ... mehr zur leichtern Unterhaltung« dienen werden.

So steht's gedruckt, Philosophie«, Seite 417. Herr Dühring kennt bis auf den heutigen Tag keine andre als eine vornehmlich beschreibende Pflanzen- und Tierkunde. Die ganze organische Morphologie, die die vergleichende Anatomie, Embryologie und Paläontologie der organischen Welt umfaßt, ist ihm selbst dem Namen nach unbekannt. Während hinter seinem Rücken im Bereich der Biologie ganz neue Wissenschaften fast zu Dutzenden |298| entstehn, holt sein kindliches Gemüt sich noch immer die »eminent modernen Bildungselemente der naturwissenschaftlichen Denkweise« aus Raffs »Naturgeschichte für Kinder«, und oktroyiert diese Verfassung der organischen Welt ebenfalls der ganzen »absehbaren Zukunft«. Die Chemie ist, wie gewöhnlich bei ihm, auch hier total vergessen worden.

Für die ästhetische Seite des Unterrichts wird Herr Dühring alles neu zu beschaffen haben. Die bisherige Poesie taugt dazu nicht. Wo alle Religion verboten ist, kann die bei den frühern Poeten übliche »Zurichtung mythologischer oder sonst religiöser Art« selbstredend nicht in der Schule geduldet werden. Auch der »poetische Mystizismus, wie ihn z.B. Goethe stark gepflegt hat«, ist verwerflich. Herr Dühring wird sich also selbst entschließen müssen, uns jene dichterischen Meisterwerke zu liefern, die »den höhern Ansprüchen einer mit dem Verstande ausgeglichenen Phantasie entsprechen« und das echte Ideal darstellen, welches »die Vollendung der Welt bedeutet«. Möge er nicht damit zaudern. Welterobernd kann die Wirtschaftskommune erst wirken, sobald sie in dem mit dem Verstand ausgeglichnen Sturmschritt des Alexandriners einherwandelt.

Mit der Philologie wird der heranwachsende Zukunftsbürger nicht viel geplagt werden.

»Die toten Sprachen kommen ganz in Wegfall ... die fremden lebenden Sprachen aber werden ... etwas Nebensächliches bleiben.« Nur wo der Verkehr unter den Völkern sich auf die Bewegung der Volksmassen selbst erstreckt, sollen sie jedem in leichter Weise, je nach Bedürfnis, zugänglich gemacht werden. »Die wirklich bildende Sprachschulung« wird gefunden in einer Art allgemeiner Grammatik und namentlich in »Stoff und Form der eignen Sprache«.

Die nationale Borniertheit der heutigen Menschen ist noch viel zu kosmopolitisch für Herrn Dühring. Er will auch noch die beiden Hebel abschaffen, die in der heutigen Welt wenigstens die Gelegenheit zur Erhebung über den beschränkten nationalen Standpunkt bieten: die Kenntnis der alten Sprachen, die wenigstens den klassisch gebildeten Leuten aller Völker einen gemeinsamen erweiterten Horizont eröffnet, und die Kenntnis der neuern Sprachen, vermittelst deren die Leute der verschiednen Nationen allein untereinander sich verständigen und sich mit dem bekannt machen können, was außerhalb ihrer eignen Grenzen vorgeht. Dagegen soll die Grammatik der Landessprache gründlich eingepaukt werden. »Stoff und Form der eignen Sprache« sind aber nur dann verständlich, wenn man ihre Entstehung und allmähliche Entwicklung verfolgt, und dies ist nicht möglich ohne Berücksichtigung erstens ihrer eignen abgestorbnen Formen und zweitens der verwandten lebenden und toten Sprachen. Damit sind wir aber wieder auf |299| dem ausdrücklich verbotnen Gebiet. Wenn aber hiermit Herr Dühring die ganze moderne historische Grammatik aus seinem Schulplan ausstreicht, so bleibt ihm nichts für den Sprachunterricht als die altfränkische, ganz im Stil der alten klassischen Philologie zugestutzte, technische Grammatik mit allen ihren, auf dem Mangel an geschichtlicher Grundlage beruhenden Kasuistereien und Willkürlichkeiten. Der Haß gegen die alte Philologie bringt ihn dazu, das allerschlechteste Produkt der alten Philologie zum »Mittelpunkt der wirklich bildenden Sprachschulung« zu erheben. Man sieht klar, daß wir es mit einem Sprachgelehrten zu tun haben, der von der ganzen, seit sechzig Jahren so gewaltig und so erfolgreich entwickelten historischen Sprachforschung nie reden gehört hat, und der daher »die eminent modernen Bildungselemente« der Sprachschulung nicht sucht bei Bopp, Grimm und Diez, sondern bei Heyse und Becker seligen Andenkens.

Mit allem diesem wäre aber der angehende Zukunftsbürger noch lange nicht »auf sich selbst gestellt«. Hierzu gehört wieder eine tiefere Grundlegung, vermittelst der

»Aneignung der letzten philosophischen Grundlagen«. »Eine solche Vertiefung wird aber ... nichts weniger als eine Riesenaufgabe bleiben«, seitdem Herr Dühring hier reine Bahn gemacht hat. In der Tat, »säubert man das wenige strenge Wissen, dessen sich die allgemeine Schematik des Seins rühmen kann, von den falschen, scholastischen Verschnörkelungen, und entschließt man sich, überall nur die« von Herrn Dühring »beglaubigte Wirklichkeit gelten zu lassen«, so ist die Elementarphilosophie auch der Zukunftsjugend vollständig zugänglich gemacht. »Man erinnere sich der höchst einfachen Wendungen, mit denen wir den Unendlichkeitsbegriffen und deren Kritik zu einer bisher ungekannten Tragweite verholfen haben« - so ist »gar nicht abzusehn, warum die durch die gegenwärtige Vertiefung und Verschärfung so einfach gestalteten Elemente der universellen Raum- und Zeitauffassung nicht schließlich in die Reihe der Vorkenntnisse übergehn sollten ... die wurzelhaftesten Gedanken« des Herrn Dühring »dürfen in der universellen Bildungssystematik der neuen Gesellschaft keine Nebenrolle spielen«. Der sich selbst gleiche Zustand der Materie und die abgezählte Unzahl sind im Gegenteil dazu berufen, den Menschen »nicht nur auf eignen Füßen stehn, sondern auch aus sich selbst wissen zu lassen, daß er das sogenannte Absolute unter den Füßen hat«.

Die Volksschule der Zukunft, wie man sieht, ist nichts als eine etwas »veredelte« preußische Pennalia, auf der Griechisch und Lateinisch durch etwas mehr reine und angewandte Mathematik und namentlich durch die Elemente der Wirklichkeitsphilosophie ersetzt und der deutsche Unterricht wieder auf Becker selig, also etwa bis auf Tertia heruntergebracht wird. Es ist in der Tat »gar nicht abzusehn«, warum die nunmehr von uns auf allen vor ihm berührten Gebieten als höchst schülerhaft nachgewiesenen »Kennt- |300| nisse« des Herrn Dühring oder vielmehr, was nach vorgängiger gründlicher »Säuberung« überhaupt von ihnen übrigbleibt, nicht samt und sonders »schließlich in die Reihe der Vorkenntnisse übergehn sollten«, sintemal sie diese Reihe in Wirklichkeit nie verlassen haben. Freilich hat Herr Dühring auch etwas davon läuten gehört, daß in der sozialistischen Gesellschaft Arbeit und Erziehung verbunden und dadurch eine vielseitige technische Ausbildung, sowie eine praktische Grundlage für die wissenschaftliche Erziehung gesichert werden solle; auch dieser Punkt wird daher für die Sozialität in üblicher Weise dienstbar gemacht. Da aber, wie wir sahen, die alte Arbeitsteilung in der Dühringschen Zukunftsproduktion im wesentlichen ruhig fortbesteht, so ist dieser technischen Schulbildung jede spätere praktische Anwendung, jede Bedeutung für die Produktion selbst, abgeschnitten, sie hat eben nur einen Schulzweck: sie soll die Gymnastik ersetzen, von der unser wurzelhafter Urnwälzer nichts wissen will. Er kann uns daher auch nur ein paar Phrasen bieten, wie z. B.:

»die Jugend und das Alter arbeiten im ernsten Sinne des Worts«.

Wahrhaft jammervoll aber erscheint diese haltungslose und inhaltslose Kannegießerei, wenn man sie vergleicht mit der Stelle im »Kapital«, Seite 508 bis 519 |Siehe Karl Marx: »Das Kapital«, Bd. I, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 507-514|, wo Marx den Satz entwickelt, daß »aus dem Fabriksystem, wie man im Detail bei Robert Owen verfolgen kann, der Keim der Erziehung der Zukunft entsproß, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen«.

Übergehn wir die Universität der Zukunft, in der die Wirklichkeitsphilosophie den Kern alles Wissens bilden wird und in der neben der medizinischen auch die juristische Fakultät in voller Blüte fortbesteht; übergehn wir auch die »speziellen Fachanstalten«. von denen wir bloß erfahren, daß sie nur »für ein paar Gegenstände« gelten sollen. Nehmen wir an, der junge Zukunftsbürger sei nach Absolvierung aller Schulkurse endlich soweit »auf sich gestellt«, daß er sich nach einer Frau umsehn kann. Welchen Lauf der Dinge eröffnet ihm hier Herr Dühring?

»Angesichts der Bedeutsamkeit der Fortpflanzung für Festhaltung, Ausmerzung und Mischung sowie sogar für neue gestaltende Entwicklung von Eigenschaften, muß man die letzten Wurzeln des Menschlichen oder Unmenschlichen zu einem großen |301| Teil in der geschlechtlichen Gesellung und Auswahl und überdies noch in der Sorge für oder gegen einen bestimmten Ausfall der Geburten suchen. Das Gericht über die Wüstheit und Stumpfheit, welche in diesem Gebiet herrschen, muß praktisch einer spätern Epoche überlassen bleiben. Jedoch ist wenigstens soviel von vornherein auch unter dem Druck der Vorurteile begreiflich zu machen, daß weit mehr als die Zahl, sicherlich die der Natur oder menschlichen Umsicht gelungne oder mißlungne Beschaffenheit der Geburten in Anschlag kommen muß. Ungeheuer sind allerdings zu allen Zeiten und unter allen Rechtszuständen der Vernichtung anheimgegeben worden; aber die Stufenleiter vom Regelrechten bis zur Verzerrung in das nicht mehr Menschenähnliche hat viele Sprossen ... Wird dem Entstehn eines Menschen vorgebeugt, der doch nur ein schlechtes Erzeugnis werden würde, so ist diese Tatsache offenbar ein Vorteil.«

Ebenso heißt es an einer andern Stelle:

»Der philosophischen Betrachtung kann es nicht schwerfallen, das Recht der ungebornen Welt auf eine möglichst gute Komposition ... zu begreifen ... Die Konzeption und allenfalls auch noch die Geburt bieten die Gelegenheit dar, um in dieser Beziehung eine vorbeugende oder ausnahmsweise auch sichtende Fürsorge eintreten zu lassen.«

Und ferner:

»Die griechische Kunst, den Menschen in Marmor zu idealisieren, wird nicht das gleiche geschichtliche Gewicht behalten können, sobald die weniger künstlerisch spielende und daher für das Lebensschicksal der Millionen weit ernstere Aufgabe in die Hand genommen wird, die Menschenbildung in Fleisch und Blut zu vervollkommnen. Diese Art Kunst ist keine bloß steinerne, und ihre Ästhetik betrifft nicht die Anschauung toter Formen« usw.

Unser angehender Zukunftsbürger fällt aus den Wolken. Daß es sich beim Heiraten um keine bloß steinerne Kunst handelt, auch nicht um die Anschauung toter Formen, das wußte er allerdings auch ohne Herrn Dühring; aber dieser hatte ihm ja versprochen, er könne alle Wege einschlagen, die ihm der Lauf der Dinge und sein eignes Wesen eröffnen, um ein mitempfindendes weibliches Herz samt dazugehörigem Körper zu finden. Keineswegs, donnert ihm jetzt die »tiefere und strengere Moralität« entgegen. Es handelt sich zuerst darum, die Wüstheit und Stumpfheit abzulegen, die auf dem Gebiet der geschlechtlichen Gesellung und Auswahl herrschen, und dem Recht der neugebornen Welt auf eine möglichst gute Komposition Rechnung zu tragen. Es handelt sich für ihn in diesem feierlichen Moment darum, die Menschenbildung in Fleisch und Blut zu vervollkommnen, sozusagen ein Phidias in Fleisch und Blut zu werden. Wie das anfangen? Die obigen mysteriösen Äußerungen des Herrn Dühring |302| geben ihm nicht die geringste Anleitung dazu, obwohl dieser selbst sagt, es sei eine »Kunst«. Sollte Herr Dühring vielleicht auch schon ein Handbuch zu dieser Kunst »schematisch vor Augen« haben, ähnlich etwa wie deren so mancherlei heutzutage verklebt im deutschen Buchhandel umlaufen? In der Tat befinden wir uns hier schon nicht mehr in der Sozialität, sondern vielmehr in der »Zauberflöte«, nur daß der behäbige Freimaurerpfaff Sarastro kaum als ein »Priester zweiter Klasse« gelten kann, gegenüber unserm tiefern und strengern Moralisten. Die Proben, die jener mit seinem Liebespärchen von Adepten vornahm, sind ein wahres Kinderspiel gegen die Schauerprüfung, die Herr Dühring seinen beiden souveränen Individuen aufnötigt, ehe er ihnen gestattet, in den Stand der »sittlichen und freien Ehe« zu treten. So kann es ja vorkommen, daß unser »auf sich selbst gestellter« Zukunfts-Tamino zwar das sogenannte Absolute unter den Füßen hat, einer dieser Füße aber um ein paar Leitersprossen vom Regelrechten abweicht, so daß böse Zungen ihn einen Klumpfuß nennen. Auch liegt es im Bereich der Möglichkeit, daß seine herzallerliebste Zukunfts-Pamina auf besagtem Absoluten nicht ganz grade steht, infolge einer leichten Verschiebung zugunsten der rechten Schulter, die der Neid sogar für ein gelindes Buckelchen ausgibt. Was dann? Wird unser tieferer und strengerer Sarastro ihnen verbieten, die Kunst der Menschenvervollkommnung in Fleisch und Blut zu praktizieren, wird er seine »vorbeugende Fürsorge« bei der »Konzeption« oder seine »sichtende« bei der Geburt« geltend machen? Zehn gegen eins, die Dinge verlaufen anders; das Liebespärchen läßt Sarastro-Dühring stehn und geht zum Standesbeamten.

Halt! ruft Herr Dühring. So war es nicht gemeint. Laßt doch mit euch reden.

Bei den »höhern, echt menschlichen Beweggründen der heilsamen Geschlechtsverbindungen ... ist die menschlich veredelte Gestalt der Geschlechtserregung, deren Steigerung sich als leidenschaftliche Liebe kundgibt, in ihrer Doppelseitigkeit die beste Bürgschaft für die auch in ihrem Ergebnis zuträgliche Verbindung ... es ist nur eine Wirkung zweiter Ordnung, daß aus einer an sich harmonischen Beziehung auch ein Erzeugnis von zusammenstimmendem Gepräge hervorgehe. Heraus folgt wiederum, daß jeder Zwang schädlich wirken muß« usw.

Und hiermit erledigt sich alles aufs schönste in der schönsten der Sozialitäten. Klumpfuß und Buckelchen lieben einander leidenschaftlich und bieten daher auch in ihrer Doppelseitigkeit die beste Bürgschaft für eine harmonische »Wirkung zweiter Ordnung«, es geht wie im Roman, sie lieben sich, sie kriegen sich, und all die tiefere und strengere Moralität verläuft wie gewöhnlich in harmonischem Larifari.

|303| Welche noblen Vorstellungen Herr Dühring überhaupt vom weiblichen Geschlecht hat, ergibt sich aus folgender Anklage gegen die heutige Gesellschaft:

»Die Prostitution gilt in der auf Verkauf des Menschen an den Menschen gegründeten Unterdrückungsgesellschaft als selbstverständliche Ergänzung der Zwangsehe zugunsten der Männer, und es ist eine der begreiflichsten, aber auch bedeutungsvollsten Tatsachen, daß es etwas Ähnliches für die Frauen nicht geben kann

Den Dank, der Herrn Dühring für dies Kompliment von seiten der Frauen zuteil werden dürfte, möchte ich nicht um alles in der Welt einheimsen. Sollte indes Herrn Dühring die nicht mehr ganz ungewöhnliche Einkünfteart der Schürzenstipendien gänzlich unbekannt sein? Und Herr Dühring ist doch selbst Referendar gewesen und wohnt in Berlin, wo doch schon zu meiner Zeit, vor sechsunddreißig Jahren, um von den Lieutenants nicht zu reden, Referendarius sich oft genug reimte auf Schürzenstipendarius!

*

Man gestatte uns, von unserm Gegenstand, der sicher oft trocken und trist genug war, in versöhnend-heiterer Weise Abschied zu nehmen. Solange wir die einzelnen Fragepunkte abzuhandeln hatten, war das Urteil gebunden durch die objektiven, unbestreitbaren Tatsachen; es mußte nach diesen Tatsachen oft genug scharf und selbst hart ausfallen. Jetzt, wo Philosophie, Ökonomie und Sozialität hinter uns liegen, wo das Gesamtbild des Schriftstellers vor uns steht, den wir im einzelnen zu beurteilen hatten, jetzt können menschliche Rücksichten in den Vordergrund treten; jetzt wird es uns gestattet, manche sonst unbegreifliche wissenschaftliche Abirrungen und Überhebungen zurückzuführen auf persönliche Ursachen, und unser Gesamturteil über Herrn Dühring zusammenzufassen in den Worten: Unzurechnungsfähigkeit aus Größenwahn.


Anmerkungen von Friedrich Engels

(1) Es braucht hier nicht auseinandergesetzt zu werden, daß, wenn auch die Aneignungsform dieselbe bleibt, der Charakter der Aneignung durch den oben geschilderten Vorgang nicht minder revolutioniert wird, als die Produktion. Ob ich mir mein eignes Produkt aneigne oder das Produkt andrer, das sind natürlich zwei sehr verschiedne Arten von Aneignung. Nebenbei: die Lohnarbeit, in der die ganze kapitalistische Produktionsweise bereits im Keime steckt, ist sehr alt; vereinzelt und zerstreut ging sie jahrhundertelang her neben der Sklaverei. Aber zur kapitalistischen Produktionsweise entfalten konnte sich der Keim erst, als die geschichtlichen Vorbedingungen hergestellt waren. <=

(2) »Lage der arbeitenden Klasse in England«, S. 109 |Siehe Friedrich Engels: »Die Lage der arbeitenden Klasse in England« in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 2, S. 314/315| <=

(3) Ich sage, muß. Denn nur in dem Falle, daß die Produktions- oder Verkehrsmittel der Leitung durch Aktiengesellschaften wirklich entwachsen sind, daß also die Verstaatlichung ökonomisch unabweisbar geworden, nur in diesem Falle bedeutet sie, auch wenn der heutige Staat sie vollzieht, einen ökonomischen Fortschritt, die Erreichung einer neuen Vorstufe zur Besitzergreifung aller Produktivkräfte durch die Gesellschaft selbst. Es ist aber neuerdings, seit Bismarck sich aufs Verstaatlichen geworfen, ein gewisser falscher Sozialismus aufgetreten und hier und da sogar in einige Wohldienerei ausgeartet, der jede Verstaatlichung, selbst die Bismarcksche, ohne weiteres für sozialistisch erklärt. Allerdings, wäre die Verstaatlichung des Tabaks sozialistisch, so zählten Napoleon und Metternich mit unter den Gründern des Sozialismus. Wenn der belgische Staat aus ganz alltäglichen politischen und finanziellen Gründen seine Haupteisenbahn selbst baute, wenn Bismarck ohne jede ökonomische Notwendigkeit die Hauptbahnlinien Preußens verstaatlichte, einfach um sie für den Kriegsfall besser einrichten und ausnützen zu können, um die Eisenbahnbeamten zum Regierungsstimmvieh zu erziehen und hauptsächlich, um sich eine neue, von Parlamentsbeschlüssen unabhängige Einkommenquelle zu verschaffen - so waren das keineswegs sozialistische Schritte, direkt oder indirekt, bewußt oder unbewußt. Sonst wären auch die königliche Seehandlung, die königliche Porzellanmanufaktur und sogar der Kompanieschneider beim Militär sozialistische Einrichtungen. <=

(4) Ein paar Zahlen mögen eine annähernde Vorstellung geben von der enormen Expansionskraft der modernen Produktionsmittel, selbst unter dem kapitalistischen Druck. Nach der neuesten Berechnung von Giffen betrug der Gesamtreichtum von Großbritannien und Irland in runder Zahl:

1814 - 2.200 Millionen Pfd. St. =   44 Milliarden Mark
1865 - 6.100 Millionen Pfd. St. = 122 Milliarden Mark
1875 - 8.500 Millionen Pfd. St. = 170 Milliarden Mark

Was die Verheerung von Produktionsmitteln und Produkten in den Krisen betrifft, so wurde auf dem zweiten Kongreß deutscher Industrieller, Berlin, 21. Februar 1878, der Gesamtverlust allein der deutschen Eisenindustrie im letzten Krach auf 455 Millionen Mark berechnet. <=

(5) Die Erklärung der Krisen aus Unterkonsumtion rührt her von Sismondi und hat bei ihm noch einen gewissen Sinn. Von Sismondi hat Rodbertus sie entlehnt, und von Rodbertus hat wieder Herr Dühring sie in seiner gewohnten verflachenden Weise abgeschrieben. <=

(6) Trucksystem nennt man in England das auch in Deutschland wohlbekannte System, wobei die Fabrikanten selbst Läden halten und ihre Arbeiter nötigen, sich bei ihnen mit Waren zu versehn. <=

(7) Beiläufig ist die Rolle, die die Arbeitsmarken in der Owenschen kommunistischen Gesellschaft spielen, dem Herrn Dühring gänzlich unbekannt. Er kennt diese Marken - aus Sargant - nur, soweit sie in den, natürlich fehlgeschlagnen, Labour Exchange Bazaars figurieren, Versuchen, vermittelst direkten Arbeitsaustausches aus der bestehenden in die kommunistische Gesellschaft überzuführen. <=

(8) Daß obige Abwägung von Nutzeffekt und Arbeitsaufwand bei der Entscheidung über die Produktion alles ist, was in einer kommunistischen Gesellschaft vom Wertbegriff der politischen Ökonomie übrigbleibt, habe ich schon 1844 ausgesprochen. (»Deutsch-Französische Jahrbücher«, Seite 95. |Friedrich Engels: »Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie«, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 1, S. 499|) Die wissenschaftliche Begründung dieses Satzes ist aber, wie man sieht, erst durch Marx' »Kapital« möglich geworden. <=

(9) Dieser spätere Doppelcharakter der Göttergestalten ist ein von der vergleichenden Mythologie, die sich einseitig an deren Charakter als Reflexe von Naturmächten hält, übersehener Grund der später einreißenden Verwirrung der Mythologien. So heißt bei einigen germanischen Stimmen der Kriegsgott altnordisch Tyr, althochdeutsch Zio, entspricht also dem griechischen Zeus, lateinisch Jupiter für Diespiter; bei andern Er, Eor, entspricht also dem griechischen Ares, lateinisch Mars. <=


Textvarianten

{1} Umgeändert aus »Produktionskräfte«, da Engels in der Ausgabe von 1894 an allen übrigen Stellen diese Korrektur gegenüber den beiden vorhergehenden Ausgaben selbst vornahm. <=


Pfad: »../me/me20«


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