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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 20. Berlin/DDR. 1962. »Dialektik der Natur«, S. 394-443.
1. Korrektur
Erstellt am 30.00.1999

Friedrich Engels - Dialektik der Natur

Elektrizität (1)


|394| Wie die Wärme, nur in andrer Art, besitzt auch die Elektrizität eine gewisse Allgegenwart. Fast keine Veränderung kann auf der Erde vorgehen, ohne daß elektrische Erscheinungen sich dabei nachweisen lassen. Verdunstet Wasser, brennt eine Flamme, berühren sich zwei verschiedne oder verschieden erwärmte Metalle oder Eisen und Kupfervitriollösung usw., so gehn dabei, neben den augenfälligeren physikalischen oder chemischen Erscheinungen, gleichzeitig elektrische Prozesse vor sich. Je genauer wir die verschiedensten Naturvorgänge untersuchen, desto mehr stoßen wir dabei auf Spuren von Elektrizität. Trotz dieser ihrer Allgegenwart, trotz der Tatsache, daß die Elektrizität seit einem halben Jahrhundert immer mehr in den industriellen Dienst des Menschen gepreßt wird, ist sie grade diejenige Bewegungsform, über deren Beschaffenheit noch das größte Dunkel schwebt. Die Entdeckung des galvanischen Stroms ist ungefähr 25 Jahre jünger als die des Sauerstoffs und bedeutet für die Lehre von der Elektrizität mindestens ebensoviel wie jene für die Chemie. Und doch, welcher Unterschied noch heute auf beiden Gebieten! In der Chemie, dank namentlich der Daltonschen Entdeckung der Atomgewichte, Ordnung, relative Sicherheit des einmal Errungenen, systematischer, fast planmäßiger Angriff auf das noch uneroberte Gebiet, der regelmäßigen Belagerung einer |395| Festung vergleichbar. In der Elektrizitätslehre ein wüster Ballast von alten, unsichern, weder endgültig bestätigten, noch endgültig umgestoßnen Experimenten; ein ungewisses Herumtappen im Dunkeln, ein zusammenhangloses Untersuchen und Experimentieren vieler einzelnen, die das unbekannte Gebiet zersplittert angreifen, wie ein nomadischer Reiterschwarm angreift. Aber freilich, eine Entdeckung wie die Daltonsche, die der gesamten Wissenschaft einen Mittelpunkt und der Untersuchung eine feste Basis verschafft, ist auf dem Gebiet der Elektrizität noch zu machen. Es ist wesentlich dieser die Feststellung einer umfassenden Theorie einstweilen unmöglich machende, zerfahrene Stand der Elektrizitätslehre, der es bedingt, daß auf diesem Gebiet die einseitige Empirie vorherrscht, jene Empirie, die sich das Denken möglichst selbst verbietet, und die eben deshalb nicht nur falsch denkt, sondern auch nicht imstande ist, den Tatsachen treu zu folgen oder nur sie treu zu berichten, die also in das Gegenteil von wirklicher Empirie umschlägt.

Wenn überhaupt denjenigen Herren Naturforschern, die den tollen aprioristischen Spekulationen der deutschen Naturphilosophie nicht Übles genug nachsagen können, die Lektüre zu empfehlen ist nicht nur gleichzeitiger, sondern selbst noch späterer theoretisch-physikalischer Schriften der empirischen Schule, so gilt dies ganz besonders von der Elektrizitätslehre. Nehmen wir eine Schrift aus dem Jahre 1840: »An Outline of the Sciences of Heat and Electricity« by Thomas Thomson. Der alte Thomson war ja seinerzeit eine Autorität; er hatte zudem schon einen sehr bedeutenden Teil der Arbeiten des bisher größten Elektrikers Faraday zur Verfügung. Und doch enthält sein Buch mindestens ebenso tolle Sachen wie der betreffende Abschnitt der viel älteren Hegelschen Naturphilosophie. Die Beschreibung des elektrischen Funkens z.B. könnte direkt aus der entsprechenden Stelle bei Hegel übersetzt sein. Beide zählen alle die Wunderlichkeiten auf, die man vor der Erkenntnis der wirklichen Beschaffenheit und vielfachen Verschiedenheit des Funkens in diesem entdecken wollte, und die jetzt meist als Spezialfälle oder Irrtümer nachgewiesen sind. Noch besser. Thomson erzählt S. 416 ganz ernsthaft die Räubergeschichten von Dessaignes, nach denen bei steigendem Barometer und fallendem Thermometer Glas, Harz, Seide etc. durch Eintauchen in Quecksilber negativ elektrisch werden, bei fallendem Barometer und steigender Temperatur dagegen positiv; daß Gold und mehrere andre Metalle im Sommer durch Erwärmen positiv, durch Abkühlen negativ werden, im Winter umgekehrt; daß sie bei hohem Barometer und nördlichem Wind stark elektrisch sind, positiv bei steigender, negativ bei fallender Temperatur usw. Soviel für die Behand- |396| lung des Tatsächlichen. Was aber die aprioristische Spekulation angeht, so gibt Thomson uns folgende Konstruktion des elektrischen Funkens zum besten, die von keinem Geringeren herrührt als von Faraday selbst:

»Der Funke ist eine Entladung oder Abschwächung des polarisierten Induktionszustandes vieler dielektrischen Teilchen vermittelst einer eigentümlichen Aktion einiger wenigen dieser Teilchen, die einen sehr kleinen und begrenzten Raum einnehmen. Faraday nimmt an, daß die wenigen Teilchen, an denen die Entladung stattfindet, nicht nur auseinandergeschoben werden, sondern einen eigentümlichen, höchst aktiven« (highly exalted) »Zustand temporär annehmen; das heißt, daß alle sie umgebenden Kräfte nacheinander auf sie geworfen werden und sie dadurch in eine entsprechende Intensität des Zustandes versetzt werden, die vielleicht derjenigen sich chemisch verbindender Atome gleichkommt; daß sie dann jene Kräfte entladen, ähnlich wie jene Atome die ihrigen, auf eine uns bis jetzt unbekannte Weise, und so das Ende des Ganzen« (and so the end of the whole). »Die schließliche Wirkung ist genau, als ob ein metallisches Teilchen an die Stelle des entladenden Teilchens getreten wäre, und es scheint nicht unmöglich, daß die Aktionsprinzipien in beiden Fällen sich einst als identisch erweisen.« »Ich habe«, setzt Thomson hinzu, »diese Erklärung Faradays in seinen eigenen Worten gegeben, weil ich sie nicht klar verstehe.«

Dies wird nun auch wohl andern Leuten ebenso gegangen sein, geradesogut, wie wenn sie bei Hegel lesen, im elektrischen Funken gehe

»die besondre Materiatur des gespannten Körpers noch nicht in den Prozeß ein, sondern ist darin nur elementarisch und seelenhaft bestimmt«, und die Elektrizität sei »der eigene Zorn, das eigene Aufbrausen des Körpers«, sein »zorniges Selbst«, das »an jedem Körper hervortritt, wenn er gereizt wird« (»Naturphilosophie«, § 324, Zusatz).

Und doch ist der Grundgedanke bei Hegel und Faraday derselbe. Beide sträuben sich gegen die Vorstellung, als sei die Elektrizität nicht ein Zustand der Materie, sondern eine eigne, aparte Materie. Und da im Funken anscheinend die Elektrizität selbständig, frei, von allem fremden materiellen Substrat abgesondert und dennoch sinnlich wahrnehmbar auftritt, kommen sie beim damaligen Stand der Wissenschaft in die Notwendigkeit, den Funken als die verschwindende Erscheinungsform einer von aller Materie momentan befreiten »Kraft« auffassen zu müssen. Für uns ist das Rätsel freilich gelöst, seitdem wir wissen, daß zwischen Metallelektroden bei der Funkenentladung wirklich »metallische Teilchen« überspringen, und also »die besondre Materiatur des gespannten Körpers« in der Tat »in den Prozeß eingeht«.

Wie Wärme und Licht, so wurden bekanntlich auch Elektrizität und Magnetismus anfangs als besondre imponderable Materien aufgefaßt. Bei |397| der Elektrizität kam man bekanntlich bald dahin, sich zwei entgegengesetzte Materien, zwei »Fluida« vorzustellen, ein positives und ein negatives, die sich in normalem Zustand gegenseitig neutralisierten, bis sie durch eine sogenannte »elektrische Scheidungskraft« voneinander getrennt würden. Man könne dann zwei Körper, den einen mit positiver, den andern mit negativer Elektrizität laden; bei Verbindung beider durch einen dritten, leitenden Körper finde dann die Ausgleichung statt, je nach Umständen entweder plötzlich oder vermittelst eines dauernden Stromes. Die plötzliche Ausgleichung erschien sehr einfach und einleuchtend, aber der Strom bot Schwierigkeiten. Der einfachsten Hypothese, als bewege sich im Strom jedesmal entweder bloß positive oder bloß negative Elektrizität, stellten Fechner und in ausführlicherer Entwicklung Weber die Ansicht gegenüber, daß im Schließungskreis jedesmal zwei gleiche, in entgegengesetzter Richtung fließende Ströme von positiver und negativer Elektrizität nebeneinander in Kanälen strömen, die zwischen den ponderablen Molekülen der Körper liegen. Bei der weitläufigen mathematischen Ausarbeitung dieser Theorie kommt Weber endlich auch dahin, eine hier gleichgültige Funktion mit einer Größe 1/r zu multiplizieren, welches 1/r »das Verhältnis der Elektrizitätseinheit zum Milligramm |Hervorhebung von Engels|« bedeutet (Wiedemann »Lehre vorn Galvanismus etc.«, 2. Aufl., III, S. 569). Das Verhältnis zu einem Gewichtsmaß kann natürlich nur ein Gewichtsverhältnis sein. So sehr hatte die einseitige Empirie also schon über dem Rechnen das Denken verlernt, daß sie die imponderable Elektrizität hier bereits ponderabel werden läßt und ihr Gewicht in die mathematische Rechnung einführt.

Die von Weber abgeleiteten Formeln genügten nur innerhalb gewisser Grenzen, und namentlich hat Helmholtz noch vor wenigen Jahren Resultate herausgerechnet, die mit dem Satz von der Erhaltung der Energie in Konflikt kommen. Der Weberschen Hypothese vom entgegengerichteten Doppelstrom stellte C. Neumann 1871 die andre gegenüber, daß nur die eine der beiden Elektrizitäten, beispielsweise die positive, sich im Strom bewege, die andre, negative, aber mit der Masse des Körpers fest verbunden sei. Hieran schließt sich bei Wiedemann die Bemerkung:

»Diese Hypothese könnte man mit der Weberschen vereinen, wenn man zu dem von Weber supponierten Doppelstrom der entgegengesetzt fließenden elektrischen Massen ±1/2e noch einen nach außen unwirksamen Strom neutraler Elektrizität |Hervorhebung von Engels| hin- |398| zufügte, der in der Richtung des positiven Stromes die Elektrizitätsmengen ±1/2e mit sich führte.« (III, S. [576/]577.)

Dieser Satz ist wieder bezeichnend für die einseitige Empirie. Um die Elektrizität überhaupt zum Strömen zu bringen, wird sie in positive und negative zerlegt. Aber alle Versuche, mit diesen beiden Materien den Strom zu erklären, stoßen auf Schwierigkeiten; sowohl die Annahme, daß jedesmal nur die eine im Strom vorhanden sei, wie die, daß beide gleichzeitig gegeneinander strömen, und endlich auch die dritte, daß die eine ströme und die andre ruhe. Wenn wir bei dieser letzten Annahme stehnbleiben - wie erklären wir uns die unerklärliche Vorstellung, daß die negative Elektrizität, die in der Elektrisiermaschine und der Leidner Flasche doch beweglich genug ist, im Strom fest mit der Masse des Körpers verbunden sei? Ganz einfach. Wir lassen neben dem positiven Strom +e, der nach rechts, und dem negativen Strom -e, der nach links den Draht durchfließt, noch einen dritten Strom neutraler Elektrizität ±1/2e nach rechts fließen. Erst nehmen wir an, daß die beiden Elektrizitäten, um überhaupt fließen zu können, voneinander getrennt sein müssen; und um die beim Fluß der getrennten Elektrizitäten auftretenden Erscheinungen zu erklären, nehmen wir an, daß sie auch ungetrennt fließen können. Erst machen wir eine Voraussetzung, um eine gewisse Erscheinung zu erklären, und bei der ersten Schwierigkeit, auf die wir stoßen, machen wir eine zweite Voraussetzung, die die erste direkt aufhebt. Wie muß die Philosophie beschaffen sein, über die diese Herren ein Recht haben, sich zu beklagen?

Neben diese Ansicht von der Materialität der Elektrizität trat indes bald eine zweite, wonach sie als ein bloßer Zustand der Körper, eine »Kraft« oder, wie wir heute sagen würden, als eine besondre Form der Bewegung gefaßt wurde. Wir sahen oben, daß Hegel und später Faraday diese Auffassung teilten. Seitdem die Entdeckung des mechanischen Äquivalents der Wärme die Vorstellung eines besondern »Wärmestoffs« endgültig beseitigt und die Wärme als eine Molekularbewegung nachgewiesen hatte, war der nächste Schritt, die Elektrizität ebenfalls nach der neuen Methode zu behandeln und die Bestimmung ihres mechanischen Äquivalents zu versuchen. Dies gelang vollkommen. Namentlich durch die Versuche von Joule, Favre und Raoult wurde nicht nur das mechanische und thermische Äquivalent der sogenannten »elektromotorischen Kraft« des galvanischen Stroms festgestellt, sondern auch ihre vollständige Äquivalenz mit der durch chemische Prozesse in der Erregerzelle freigesetzten oder in der Zersetzungszelle ver- |399| brauchten Energie. Die Annahme, die Elektrizität sei ein besondres materielles Fluidum, wurde hierdurch immer unhaltbarer.

Indes war die Analogie zwischen Wärme und Elektrizität doch nicht vollkommen. Der galvanische Strom unterschied sich immer noch in sehr wesentlichen Stücken von der Wärmeleitung. Es war noch immer nicht zu sagen, was sich denn in den elektrisch affizierten Körpern bewege. Die Annahme einer bloßen Molekularschwingung wie bei der Wärme erschien ungenügend. Es blieb schwer, bei der ungeheuren, diejenige des Lichts noch übertreffenden Bewegungsgeschwindigkeit der Elektrizität über die Vorstellung hinwegzukommen, daß zwischen den Körpermolekülen sich hier irgend etwas Stoffliches bewege. Hier treten nun die neuesten Theorien von Clerk Maxwell (1864), Hankel (1865), Reynard (1870) und Edlund (1872) einstimmig mit der schon 1846 zuerst von Faraday vermutungsweise ausgesprochnen Annahme auf, daß die Elektrizität eine Bewegung eines den ganzen Raum und somit auch alle Körper durchdringenden elastischen Mediums sei, dessen diskrete Teilchen sich nach dem Gesetz des umgekehrten Quadrats der Entfernung abstoßen, also mit andern Worten, eine Bewegung der Ätherteilchen, und daß die Körpermoleküle an dieser Bewegung teilnehmen. Über die Art dieser Bewegung weichen die verschiednen Theorien voneinander ab; diejenigen von Maxwell, Hankel und Reynard, sich an die neueren Untersuchungen über Wirbelbewegungen anlehnend, erklären sie in verschiedner Weise ebenfalls aus Wirbeln, so daß auch die Wirbel des alten Descartes auf stets neuen Gebieten wieder zu Ehren kommen. Wir enthalten uns, auf die Einzelheiten dieser Theorien näher einzugehn. Sie weichen stark untereinander ab und werden sicher noch viele Umwälzungen erfahren. Aber ein entschiedner Fortschritt scheint in ihrer gemeinsamen Grundanschauung zu liegen: daß die Elektrizität eine auf die Körpermoleküle rückwirkende Bewegung der Teilchen des alle ponderable Materie durchdringenden Lichtäthers ist. Diese Auffassung versöhnt die beiden früheren. Nach ihr bewegt sich allerdings bei den elektrischen Erscheinungen etwas Stoffliches, von der ponderablen Materie Verschiedenes. Aber dies Stoffliche ist nicht die Elektrizität selbst, die vielmehr in der Tat sich als eine Form der Bewegung erweist, wenn auch nicht als eine Form der unmittelbaren, direkten Bewegung der ponderablen Materie. Während die Äthertheorie einerseits einen Weg zeigt, über die primitiv plumpe Vorstellung von zwei entgegengesetzten elektrischen Fluiden hinauszukommen, gibt sie andrerseits Aussicht aufzuklären, was das eigentliche stoffliche Substrat der elektrischen Bewegung ist, was das für ein Ding ist, dessen Bewegung die elektrischen Erscheinungen hervorruft.

|400| Einen entschiednen Erfolg hat die Äthertheorie bereits gehabt. Bekanntlich besteht wenigstens ein Punkt, wo die Elektrizität direkt die Bewegung des Lichtes ändert: Sie dreht seine Polarisationsebene. Clerk Maxwell, gestützt auf seine obige Theorie, berechnet, daß das elektrische spezifische Verteilungsvermögen eines Körpers gleich ist dem Quadrat seines Lichtbrechungsindexes. Boltzmann hat nun verschiedne Nichtleiter auf ihren Dielektrizitätskoeffizienten untersucht und gefunden, daß bei Schwefel, Kolophonium und Paraffin die Quadratwurzel aus diesem Koeffizienten gleich war ihrem Lichtbrechungsindex. Die höchste Abweichung - bei Schwefel - betrug nur 4%. Somit ist speziell die Maxwellsche Äthertheorie also experimentell bestätigt worden.

Es wird indes noch eine geraume Zeit dauern und viel Arbeit kosten, bis neue Versuchsreihen aus diesen, ohnehin einander widersprechenden, Hypothesen einen festen Kern herausgeschält haben. Bis dahin oder bis auch die Äthertheorie etwa durch eine ganz neue verdrängt wird, befindet sich die Lehre von der Elektrizität in der unangenehmen Lage, sich einer Ausdrucksweise bedienen zu müssen, von der sie selbst zugibt, daß sie falsch ist. Ihre ganze Terminologie beruht noch auf der Vorstellung der beiden elektrischen Fluida. Sie spricht noch ganz ungeniert von »in den Körpern fließenden elektrischen Massen«, von »einer Scheidung der Elektrizitäten in jedem Molekül« usw. Es ist dies ein Übelstand, der großenteils, wie gesagt, unvermeidlich aus dem gegenwärtigen Übergangszustand der Wissenschaft folgt, der aber auch, bei der grade in diesem Zweige der Forschung vorherrschenden einseitigen Empirie, nicht wenig zur Erhaltung der bisherigen Gedankenverwirrung beiträgt.

Der Gegensatz von sog. statischer oder Reibungselektrizität und dynamischer Elektrizität oder Galvanismus darf nun wohl als vermittelt angesehn werden, seitdem man gelernt hat, mit der Elektrisiermaschine dauernde Ströme zu erzeugen und, umgekehrt, durch den galvanischen Strom sog. statische Elektrizität zu produzieren, Leidner Flaschen zu laden usw. Wir lassen hier die Unterform der statischen Elektrizität unberührt und ebenso den jetzt ebenfalls als eine Unterform der Elektrizität erkannten Magnetismus. Die theoretische Erklärung der hierhergehörigen Erscheinungen wird unter allen Umständen in der Theorie des galvanischen Stroms zu suchen sein, und deshalb halten wir uns vorwiegend an diese.

Ein dauernder Strom kann auf mehrfachem Wege erzeugt werden. Mechanische Massenbewegung erzeugt direkt, durch Reibung, zunächst nur statische Elektrizität, einen dauernden Strom nur unter großer Energievergeudung; um wenigstens größtenteils in elektrische Bewegung umgesetzt |401| zu werden, bedarf sie der Vermittlung des Magnetismus, wie in den bekannten magneto-elektrischen Maschinen von Gramme, Siemens u.a. Wärme kann sich direkt in strömende Elektrizität umsetzen, wie namentlich an der Lötstelle zweier verschiednen Metalle. Durch chemische Aktion freigesetzte Energie, die unter gewöhnlichen Umständen in der Form von Wärme zutage tritt, verwandelt sich unter bestimmten Bedingungen in elektrische Bewegung. Umgekehrt geht diese letztere, sobald die Bedingungen dafür gegeben, in jede andre Form der Bewegung über: in Massenbewegung, in geringem Maß direkt in den elektrodynamischen Anziehungen und Abstoßungen, im großen wiederum durch Vermittlung des Magnetismus in den elektromagnetischen Bewegungsmaschinen; in Wärme - überall im Schließungskreis des Stroms, falls nicht andre Verwandlungen eingeleitet sind; in chemische Energie - in den in den Schließungskreis eingeschalteten Zersetzungszellen und Voltametern, wo der Strom Verbindungen trennt, die auf anderm Wege vergeblich angegriffen werden.

In allen diesen Umsätzen gilt das Grundgesetz von der quantitativen Äquivalenz der Bewegung in allen ihren Wandlungen. Oder, wie Wiedemann sich ausdrückt;

»nach dem Gesetz der Erhaltung der Kraft muß die auf irgendeine Art zur Erzeugung des Stromes verwendete [mechanische] Arbeit äquivalent sein der zur Erzeugung aller Stromeswirkungen verwendeten Arbeit« [II, Teil 2, S. 472].

Bei der Umsetzung von Massenbewegung oder von Wärme in Elektrizität (2) bieten sich hier keine Schwierigkeiten; es ist erwiesenermaßen die sog. »elektromotorische Kraft« im ersten Fall gleich der zu jener Bewegung verwendeten Arbeit, im zweiten Fall »an jeder Lötstelle der Thermokette direkt proportional ihrer absoluten Temperatur« (Wiedemann, III, p. 482), d.h. wieder der an jeder Lötstelle vorhandenen absolut gemessenen Wärmemenge. Auch für die aus chemischer Energie entwickelte Elektrizität ist dasselbe Gesetz tatsächlich als gültig erwiesen. Aber hier stellt sich für die jetzt gangbare Theorie wenigstens die Sache nicht so einfach. Gehn wir also etwas näher darauf ein.

Eine der schönsten Versuchsreihen über die durch eine galvanische Säule zu bewirkenden Formverwandlungen der Bewegung ist die von Favre |402| (1857/1858). In ein Kalorimeter setzte er eine Smeesche Säule von 5 Elementen; in ein zweites eine kleine elektromagnetische Bewegungsmaschine, deren Hauptachse und Riemenscheibe zu beliebiger Verbindung frei herausstand. Bei jedesmaliger Entwicklung von 1 g Wasserstoff resp. Lösung von 32,6 g Zink (dem alten chemischen Äquivalent des Zinks, gleich dem halben jetzt angenommenen Atomgewicht 65,2 und in Gramm ausgedrückt) in der Säule ergaben sich folgende Resultate:

A. Säule im Kalorimeter in sich geschlossen, mit Ausschluß der Bewegungsmaschine: Wärmeentwicklung 18.682 resp. 18.674 Wärmeeinheiten.

B. Säule und Maschine im Schließungskreis verbunden, die Maschine aber an der Bewegung gehindert: Wärme in der Säule 16.448, in der Maschine 2.219, zusammen 18.667 Wärmeeinheiten.

C. Wie B, aber die Maschine bewegt sich, ohne jedoch ein Gewicht zu heben: Wärme in der Säule 13.888, in der Maschine 4.769, zusammen 18.657 Wärmeeinheiten.

D. Wie C, aber die Maschine hebt ein Gewicht und tut dabei eine mechanische Arbeit = 131,24 Kilogrammeter: Wärme in der Säule 15.427, in der Maschine 2.947, zusammen 18.374 Wärmeeinheiten; Verlust gegen obige 18.682 = 308 Wärmeeinheiten. Aber die getane mechanische Arbeit von 131,24 Meterkilogramm, multipliziert durch 1.000 (um die Gramme des chemischen Resultats auf Kilogramme zu bringen) und dividiert durch das mechanische Äquivalent der Wärme = 423,5 Kilogrammeter, ergibt 309 Wärmeeinheiten, also genau obigen Verlust, als Wärmeäquivalent der getanen mechanischen Arbeit.

Die Äquivalenz der Bewegung in allen ihren Wandlungen ist also auch für die elektrische Bewegung innerhalb der Grenze der unvermeidlichen Fehlerquellen schlagend erwiesen. Und ebenso erwiesen ist, daß die »elektromotorische Kraft« der galvanischen Kette nichts andres ist als in Elektrizität umgesetzte chemische Energie und die Kette selbst nichts andres als eine Vorrichtung, ein Apparat, der freiwerdende chemische Energie in Elektrizität verwandelt wie eine Dampfmaschine ihr zugeführte Wärme in mechanische Bewegung, ohne daß in beiden Fällen der verwandelnde Apparat aus sich selbst noch weitere Energie zuführt.

Hier entsteht aber gegenüber der hergebrachten Vorstellungsweise eine Schwierigkeit. Diese Vorstellungsweise schreibt der Kette vermöge der in ihr statthabenden Kontaktverhältnisse zwischen den Flüssigkeiten und den Metallen eine »elektrische Scheidungskraft« zu, die der elektromotorischen Kraft proportional ist, also für eine gegebne Kette eine bestimmte Menge |403| Energie repräsentiert. Wie verhält sich nun diese, nach der hergebrachten Vorstellungsweise der Kette als solcher auch ohne chemische Aktion inhärente Energiequelle, die elektrische Scheidungskraft, zu der durch die chemische Aktion freigesetzten Energie? Und, wenn sie eine von der letzteren unabhängige Energiequelle ist, woher stammt die von ihr gelieferte Energie?

Diese Frage in mehr oder weniger unklarer Form bildet den Streitpunkt zwischen der von Volta begründeten Kontakttheorie und der gleich darauf entstandenen chemischen Theorie des galvanischen Stroms.

Die Kontakttheorie erklärte den Strom aus den der Kette beim Kontakt der Metalle mit einer oder mehreren Flüssigkeiten oder auch nur der Flüssigkeiten unter sich entstehenden elektrischen Spannungen und aus ihrer Ausgleichung, resp. derjenigen der so geschiedenen entgegengesetzten Elektrizitäten im Schließungskreis. Die dabei etwa auftretenden chemischen Veränderungen galten der reinen Kontakttheorie für durchaus sekundär. Dagegen behauptete Ritter schon 1805, ein Strom könne sich nur dann bilden, wenn die Erreger auch schon vor der Schließung chemisch aufeinander wirkten. Im allgemeinen wird diese ältere chemische Theorie von Wiedemann (I, S. 784) dahin zusammengefaßt, daß nach ihr die sog. Kontaktelektrizität

»nur dann auftreten soll, wenn zugleich eine wirkliche chemische Einwirkung der einander berührenden Körper, oder doch eine, wenn auch nicht direkt mit chemischen Prozessen verbundne Störung des chemischen Gleichgewichtes, eine ›Tendenz zur chemischen Wirkung‹ zwischen denselben in Tätigkeit kommt«.

Man sieht, die Frage nach der Energiequelle des Stroms wird von beiden Teilen nur ganz indirekt gestellt, wie das damals auch kaum anders sein konnte. Volta und seine Nachfolger fanden es ganz in der Ordnung, daß bloße Berührung heterogener Körper einen dauernden Strom erzeugen, also eine bestimmte Arbeit ohne Gegenleistung ausführen könne. Ritter und seine Anhänger sind ebensowenig im klaren darüber, wie denn die chemische Aktion die Kette in den Stand setzt, den Strom und seine Arbeitsleistungen zu erzeugen. Wenn aber für die chemische Theorie durch Joule, Favre, Raoult und andre dieser Punkt längst aufgeklärt ist, so findet das Gegenteil statt für die Kontakttheorie. Sie steht, soweit sie sich erhalten hat, noch immer wesentlich auf dem Punkt, von dem sie ausging. Vorstellungen, die einer längst überwundnen Zeit angehören, einer Zeit, wo man zufrieden sein mußte, für eine beliebige Wirkung die nächstbeste, auf der Oberfläche hervortretende, scheinbare Ursache anzugeben, gleichviel, ob |404| man dabei Bewegung aus nichts entstehen ließ - Vorstellungen, die dem Satz von der Erhaltung der Energie direkt widersprechen, leben so in der heutigen Elektrizitätslehre immer noch fort. Und wenn dann diese Vorstellungen, ihrer anstößigsten Seiten beraubt, abgeschwächt, verwässert, kastriert, beschönigt werden, so bessert das nichts an der Sache: Die Verwirrung muß nur um so schlimmer werden.

Wie wir sahen, erklärt selbst die ältere chemische Stromtheorie die Kontaktverhältnisse der Kette für durchaus notwendig zur Strombildung; sie behauptet nur, daß diese Kontakte nie einen dauernden Strom fertigbringen ohne gleichzeitige chemische Aktion. Und es ist auch heute noch selbstredend, daß die Kontakteinrichtungen der Kette grade den Apparat herstellen, vermittelst dessen freigesetzte chemische Energie in Elektrizität übergeführt wird, und daß es von diesen Kontakteinrichtungen wesentlich abhängt, ob und wieviel chemische Energie wirklich in elektrische Bewegung übergeht.

Wiedemann, als einseitiger Empiriker, sucht von der alten Kontakttheorie zu retten, was zu retten ist. Folgen wir ihm hierbei.

»Wenn auch die Wirkung des Kontaktes chemisch indifferenter Körper«, sagt Wiedemann (I, S. 799), »z.B. der Metalle, wie man wohl früher glaubte, weder zur Theorie der Säule erforderlich |Hervorhebung von Engels|, noch auch dadurch bewiesen ist, daß Ohm sein Gesetz daraus ableitete, welches auch ohne diese Annahme abzuleiten ist, und Fechner, welcher dieses Gesetz experimentell bestätigte, gleichfalls die Kontakttheorie verteidigte, so dürfte doch die Elektrizitätserregung durch Metallkontakt |Hervorhebung von Engels|, wenigstens nach den jetzt vorliegenden Versuchen, nicht zu leugnen sein, selbst wenn die in quantitativer Beziehung zu erzielenden Resultate in dieser Beziehung wegen der Unmöglichkeit, die Oberflächen der einander berührenden Körper absolut rein zu erhalten, immer mit einer unvermeidlichen Unsicherheit behaftet sein möchten.«

Man sieht, die Kontakttheorie ist sehr bescheiden geworden. Sie gibt zu, daß sie zur Erklärung des Stroms durchaus nicht erforderlich, auch weder von Ohm theoretisch, noch von Fechner experimentell bewiesen ist. Sie gibt sogar zu, daß die sog. Fundamentalversuche, auf die sie sich dann allein noch stützen kann, in quantitativer Beziehung immer nur unsichre Resultate liefern können, und verlangt schließlich von uns nur noch die Anerkennung, daß überhaupt durch Kontakt - wenn auch nur von Metallen! - eine Elektrizitätsbewegung stattfinde.

Bliebe die Kontakttheorie hierbei stehn, so wäre kein Wort dagegen einzuwenden. Daß bei dem Kontakt zweier Metalle elektrische Erschei- |405| gen auftreten, vermöge deren man einen präparierten Froschschenkel zucken machen, ein Elektroskop laden und andre Bewegungen hervorrufen kann, das wird wohl unbedingt zugegeben werden. Es fragt sich zunächst nur: Woher stammt die dazu erforderliche Energie?

Um diese Frage zu beantworten, werden wir, nach Wiedemann (I, S. 14),

»etwa folgende Betrachtungen anstellen: Werden die heterogenen Metallplatten A und B bis auf eine geringe Entfernung einander genähert, so ziehen sie sich infolge der Ädhisionskräfte an. Bei ihrer gegenseitigen Berührung verlieren sie die ihnen durch diese Anziehung erteilte lebendige Kraft der Bewegung. (Nehmen wir an, daß die Moleküle der Metalle in permanenten Schwingungen sich befinden, so könnte auch, wenn bei dem Kontakt der heterogenen Metalle die ungleichzeitig schwingenden Moleküle einander berühren, hierbei eine Abänderung ihrer Schwingungen unter Verlust von lebendiger Kraft eintreten.) Die verlorne lebendige Kraft setzt sich zum großen Teil in Wärme um. Ein kleiner Teil derselben wird aber dazu verwendet, die vorher nicht getrennten Elektrizitäten anders zu verteilen. Wie wir schon oben erwähnt, laden sich, etwa infolge einer ungleichen Anziehung für die beiden Elektrizitäten, die aneinander gebrachten Körper mit gleichen Mengen positiver und negativer Elektrizität.« |Alle Hervorhebung von Engels|

Die Bescheidenheit der Kontakttheorie wird immer größer. Zuerst wird anerkannt, daß die gewaltige elektrische Scheidungskraft, die später solche Riesenarbeit zu leisten hat, in sich selbst keine eigne Energie besitzt, sondern daß sie nicht fungieren kann, solange ihr nicht Energie von außen zugeführt wird. Und dann wird ihr eine mehr als zwerghafte Energiequelle angewiesen, die lebendige Kraft der Adhäsion, die erst auf kaum meßbaren Entfernungen in Wirksamkeit tritt und die Körper einen kaum meßbaren Weg zurücklegen läßt. Doch einerlei: Sie besteht unleugbar und verschwindet beim Kontakt ebenso unleugbar. Aber auch diese Minimalquelle liefert noch zu viel Energie für unsern Zweck: Ein großer Teil setzt sich in Wärme um, und nur ein kleiner Teil dient dazu, die elektrische Scheidungskraft ins Leben zu rufen. Obwohl nun bekanntlich Fälle genug in der Natur vorkommen, wo äußerst geringe Anstöße äußerst gewaltige Wirkungen herbeiführen, so scheint doch Wiedemann selbst zu fühlen, daß hier seine kaum noch tropfende Energiequelle schwerlich ausreicht, und er sucht eine mögliche zweite Quelle in der Annahme einer Interferenz der Molekularschwingungen der beiden Metalle an den Berührungsflächen. Abgesehn von andern Schwierigkeiten, die uns hier entgegentreten, haben Grove und Gassiot nachgewiesen, daß zur Elektrizitätserregung wirklicher Kontakt gar nicht einmal erforderlich ist, wie uns Wiedemann eine Seite vorher |406| selbst erzählt. Kurz, die Energiequelle für die elektrische Scheidungskraft versiegt mehr und mehr, je länger wir sie betrachten.

Und dennoch kennen wir bis jetzt für die Elektrizitätserregung beim Metallkontakt kaum eine andre. Nach Naumann (»Allg. u. phys. Chemie«, Heidelberg 1877, S. 675) »verwandeln die kontakt-elektromotorischen Kräfte Wärme in Elektrizität«; er findet »die Annahme natürlich, daß das Vermögen dieser Kräfte, elektrische Bewegung hervorzubringen, auf der vorhandnen Wärmemenge beruht oder, mit andern Worten, eine Funktion der Temperatur ist«, was auch durch Le Roux experimentell bewiesen sei. Auch hier bewegen wir uns ganz im unbestimmten. Auf die chemischen Vorgänge zurückzugreifen, die an den stets mit einer dünnen, für uns so gut wie untrennbaren Schicht von Luft und unreinem Wasser beschlagnen Kontaktflächen in geringem Maß unaufhörlich vorgehn, also die Elektrizitätserregung aus der Anwesenheit eines unsichtbaren aktiven Elektrolyten zwischen den Kontaktflächen zu erklären, verbietet uns das Gesetz der Spannungsreihe der Metalle. Ein Elektrolyt müßte im Schließungskreis einen dauernden Strom erzeugen; die Elektrizität des bloßen Metallkontakts verschwindet im Gegenteil, sobald der Kreis geschlossen wird. Und hier kommen wir auf den eigentlichen Punkt: ob und in welcher Weise diese von Wiedemann selbst zuerst auf die Metalle beschränkte, ohne fremde Energiezufuhr für arbeitsunfähig erklärte und dann auf eine wahrhaft mikroskopische Energiequelle ausschließlich angewiesene »elektrische Scheidungskraft« durch Kontakt chemisch indifferenter Körper die Bildung des dauernden Stroms möglich macht.

Die Spannungsreihe ordnet die Metalle derart, daß jedes gegen das vorhergehende elektronegativ und gegen das folgende elektropositiv sich verhält. Legen wir also in dieser Ordnung eine Reihe von Metallstücken, etwa Zink, Zinn, Eisen, Kupfer, Platin, aneinander, so werden wir an den beiden Enden elektrische Spannungen erhalten können. Ordnen wir aber die Metallreihe zu einem Schließungskreis, so daß auch das Zink und das Platin sich berühren, so gleicht sich die Spannung sofort aus und verschwindet.

»In einem geschlossenen Kreise von Körpern, welche der Spannungsreihe angehören, ist also die Bildung einer dauernden Elektrizitätsströmung nicht möglich.« [I, S. 45.]

Diesen Satz unterstützt Wiedemann noch durch folgende theoretische Erwägung:

»In der Tat würde, wenn ein dauernder Elektrizitätsstrom in dem Kreise aufträte, durch denselben in den metallischen Leitern selbst Wärme erzeugt, die höchstens durch |407| eine Erkältung an den Kontaktstellen der Metalle aufgehoben würde. Es würde jedenfalls eine ungleiche Wärmeverteilung hervorgerufen; auch könnte durch den Strom ohne [irgendeine] Zufuhr von außen dauernd eine elektro-magnetische Bewegungsmaschine getrieben und so eine Arbeit geleistet werden, was unmöglich ist, da bei fester Verbindung der Metalle, etwa durch Lötung, auch an den Kontaktstellen keine Veränderungen mehr statthaben können, die diese Arbeit kompensieren.« [I, S. 44/45.]

Und nicht genug mit dem theoretischen und experimentellen Beweis, daß die Kontaktelektrizität der Metalle allein keinen Strom erzeugen kann: Wir werden auch sehn, daß Wiedemann eine besondre Hypothese aufzustellen sich genötigt sieht, um ihre Wirksamkeit auch da zu beseitigen, wo sie sich im Strom etwa geltend machen könnte.

Versuchen wir also einen andern Weg, um von der Kontaktelektrizität zum Strom zu kommen. Denken wir uns mit Wiedemann

»zwei Metalle, wie einen Zink- und einen Kupferstab, mit ihren einen Enden verlötet, ihre freien Enden aber durch einen dritten Körper verbunden, der gegen beide Metalle nicht elektromotorisch wirkte, sondern nur die auf ihren Oberflächen angesammelten entgegengesetzten Elektrizitäten leitete, so daß sie sich in ihm ausglichen, so würde die elektrische Scheidungskraft dann stets die frühere Spannungsdifferenz wiederherstellen und so ein dauernder Elektrizitätsstrom in dem Kreise entstehen, der ohne jeden Ersatz eine Arbeit leisten könnte, was wiederum unmöglich ist. Demnach kann es keinen Körper geben, der ohne elektromotorische Tätigkeit gegen die andern Körper nur die Elektrizität leitet.« (I, S. 45.]

Wir sind nicht weiter als vorher: Die Unmöglichkeit, Bewegung zu erschaffen, versperrt uns abermals den Weg. Mit dem Kontakt chemisch indifferenter Körper, also mit der eigentlichen Kontaktelektrizität, bringen wir nie und nimmer einen Strom zustande. Kehren wir also nochmals um, und versuchen wir einen dritten Weg, den Wiedemann uns zeigt:

»Senken wir endlich eine Zink- und eine Kupferplatte in eine Flüssigkeit ein, welche eine sogenannte binäre Verbindung enthält, welche also in zwei chemisch verschiedne Bestandteile zerfallen kann, die sich völlig sättigen, z.B. in verdünnte Chlorwasserstoffsäure (H + Cl) usf., so ladet sich nach § 27 das Zink negativ, das Kupfer positiv. Bei Verbindung der Metalle gleichen sich diese Elektrizitäten durch die Kontaktstelle hindurch aus, durch welche also ein Strom positiver Elektrizität vom Kupfer zum Zink fließt. Da auch die beim Kontakt letzterer Metalle auftretende elektrische Scheidungskraft die positive Elektrizität in gleichem Sinne fortführt, so heben sich die Wirkungen der elektrischen Scheidungskräfte nicht auf wie in einem geschlossenen Metallkreise. Es entsteht also ein dauernder Strom von positiver Elektrizität, der in dem geschlossenen Kreise vom Kupfer durch seine Kontaktstelle mit dem Zink zu letzterem und vom Zink durch die Flüssigkeit zum Kupfer fließt. Wir werden alsbald (§ 34 [sqq.]) darauf zurückkommen, inwiefern wirklich die einzelnen, in der Schließung |408| vorhandenen elektrischen Scheidungskräfte an der Bildung dieses Stromes mitwirken. - Eine Kombination von Leitern, welche einen solchen ›galvanischen Strom‹ liefert, nennen wir ein galvanisches Element, auch wohl eine galvanische Kette.« |Alle Hervorhebungen von Engels| (I, S. 45.)

Das Wunder wäre also fertiggebracht. Durch die bloße elektrische Scheidungskraft des Kontakts, die nach Wiedemann selbst ohne Energiezufuhr von außen nicht wirken kann, ist hier ein dauernder Strom erzeugt. Und wenn uns zu seiner Erklärung weiter nichts geboten würde als obige Stelle aus Wiedemann, so bliebe das in der Tat ein vollständiges Wunder. Was lernen wir hier über den Vorgang?

1. Wenn Zink und Kupfer in eine Flüssigkeit getaucht werden, welche eine sog. binäre Verbindung enthält, so ladet sich nach § 27 das Zink negativ, das Kupfer positiv. - Nun steht im ganzen § 27 kein Wort von einer binären Verbindung. Er beschreibt nur ein einfaches Voltasches Element aus einer Zink- und einer Kupferplatte, zwischen denen eine mit einer sauren Flüssigkeit befeuchtete Tuchscheibe liegt, und untersucht dann, ohne Erwähnung irgendwelcher chemischen Vorgänge, die dabei erfolgenden statisch-elektrischen Ladungen der beiden Metalle. Die sog. binäre Verbindung wird hier also durchs Hintertürchen hineingeschmuggelt.

2. Was diese binäre Verbindung hier soll, bleibt vollständig geheimnisvoll. Der Umstand, daß sie in »zwei chemische Bestandteile zerfallen kann, die sich völlig sättigen«, (sich völlig sättigen, nachdem sie zerfallen sind?!), könnte uns doch höchstens etwas Neues lehren, wenn sie wirklich zerfiele. Davon wird uns aber kein Wort gesagt; wir müssen also einstweilen annehmen, daß sie nicht zerfällt z.B. beim Paraffin.

3. Nachdem also das Zink in der Flüssigkeit negativ und das Kupfer positiv geladen, bringen wir sie (außerhalb der Flüssigkeit) in Berührung. Alsbald gleichen sich »diese Elektrizitäten durch die Kontaktstellen hindurch aus, durch welche also ein Strom positiver Elektrizität vom Kupfer zum Zink hinfließt«. Wir erfahren wieder nicht, warum nur ein Strom »positiver« Elektrizität in der einen Richtung, und nicht auch ein Strom »negativer« Elektrizität in der entgegengesetzten Richtung fließt. Wir erfahren überhaupt nicht, was aus der negativen Elektrizität wird, die doch bisher ebenso notwendig war wie die positive; die Wirkung der elektrischen Scheidungskraft bestand ja grade darin, sie beide einander frei gegenüberzustellen. Jetzt wird sie plötzlich unterdrückt, gewissermaßen unterschlagen, und der Schein wird angenommen, als existiere bloß positive Elektrizität.

|409| Dann aber wird auf S. 51 wieder das gerade Gegenteil gesagt, denn hier »vereinen sich die Elektrizitäten |Hervorhebung von Engels| in einem Strom«, es fließt darin also sowohl negative wie positive! Wer hilft uns aus dieser Verwirrung?

4. »Da auch die beim Kontakt letzterer Metalle auftretende elektrische Scheidungskraft die positive Elektrizität in gleichem Sinne fortführt, so heben sich die Wirkungen der elektrischen Scheidungskräfte nicht auf wie in einem geschlossenen Metallkreise. Es entsteht also ein dauernder Strom« usw. |Alle Hervorhebungen von Engels|

Dies ist etwas stark. Denn wie wir sehen werden, weist uns wenige Seiten später (S. 52) Wiedemann nach, daß bei der

»Bildung des dauernden Stroms ... die elektrische Scheidungskraft an der Kontaktstelle der Metalle ... untätig sein muß« |Hervorhebung von Engels|,

daß nicht nur ein Strom stattfindet, auch wenn sie, statt die positive Elektrizität in gleichem Sinn fortzuführen, der Stromesrichtung entgegenwirkt, sondern daß sie auch in diesem Fall nicht durch einen bestimmten Anteil der Scheidungskraft der Kette kompensiert wird, also wiederum untätig ist. Wie kann also Wiedemann auf S. 45 eine elektrische Scheidungskraft als notwendigen Faktor an der Strombildung mitwirken lassen, die er S. 52 für die Dauer des Stroms außer Tätigkeit setzt, und noch dazu durch eine eigens zu diesem Zweck aufgestellte Hypothese?

5. »Es entsteht also ein dauernder Strom von positiver Elektrizität, der in dem geschlossenen Kreise vom Kupfer durch seine Kontaktstelle mit dem Zink zu letzterem und vom Zink durch die Flüssigkeit zum Kupfer fließt.«

Aber es würde bei einem solchen dauernden Elektrizitätsstrom »durch denselben in den Leitern selbst Wärme erzeugt«, auch könnte durch ihn »eine elektromagnetische Bewegungsmaschine getrieben und so eine Arbeit geleistet werden«, was aber ohne Zufuhr von Energie unmöglich ist. Da uns Wiedemann bisher nicht mit einer Silbe verraten hat, ob und woher eine solche Zufuhr von Energie stattfindet, so bleibt der dauernde Strom bis jetzt ebensosehr ein Ding der Unmöglichkeit wie in den vorher untersuchten beiden Fällen.

Niemand fühlt dies mehr als Wiedemann. Er findet es also angemessen, so rasch wie möglich über die vielen kitzligen Punkte dieser verwunderlichen Erklärung der Strombildung hinwegzueilen und den Leser dafür ein paar Seiten lang mit allerlei elementaren Histörchen über die thermischen, chemischen, magnetischen und physiologischen Wirkungen dieses noch immer geheimnisvollen Stroms zu unterhalten, wobei er ausnahmsweise sogar in ganz populären Ton fällt. Dann fährt er auf einmal fort (S. 49):

|410| »Wir haben jetzt zu untersuchen, in welcher Weise die elektrischen Scheidungskräfte in einem geschlossenen Kreise von zwei Metallen und einer Flüssigkeit, z.B. Zink, Kupfer, Chlorwasserstoffsäure, tätig sind.«

»Wir wissen, daß die Bestandteile der in der Flüssigkeit enthaltenen binären Verbindung (HCl) bei dem Hindurchfließen des Stromes sich in der Weise trennen, daß der eine (H) am Kupfer und eine äquivalente Menge des andern (Cl) am Zink frei wird, wobei der letztere sich mit einer äquivalenten Menge Zink zu ZnCl verbindet.« |Alle Hervorhebungen von Engels|

Wir wissen! Wenn wir dies wissen, so wissen wir es sicher nicht von Wiedemann, der uns von diesem Vorgang, wie wir sahen, bisher auch nicht eine Silbe verraten hatte. Und ferner, wenn wir etwas über diesen Vorgang wissen, so ist es dies, daß er nicht in der von Wiedemann geschilderten Weise vor sich gehn kann.

Bei der Bildung eines Moleküls HCl aus Wasserstoffgas und Chlorgas wird eine Energiemenge = 22.000 Wärmeeinheiten freigesetzt (Jul. Thomsen). Um das Chlor aus seiner Verbindung mit dem Wasserstoff wieder loszureißen, muß also für jedes Molekül HCl die gleiche Energiemenge von außen zugeführt werden. Woher bezieht die Kette diese Energie? Die Wiedemannsche Darstellung sagt es uns nicht; sehen wir uns also selbst um.

Wenn sich Chlor mit Zink zu Zinkchlorid verbindet, so wird dabei eine bedeutend größere Energiemenge freigesetzt, als nötig ist, das Chlor vom Wasserstoff zu trennen. (Zn, Cl2) entwickelt 97.210, 2 (H, Cl) 44.000 Wärmeeinheiten (Jul. Thomsen). Und hiermit wird der Vorgang in der Kette erklärlich. Es wird also nicht, wie Wiedemann erzählt, der Wasserstoff ohne weiteres am Kupfer und das Chlor am Zink frei, »wobei« dann nachträglicher- und zufälligerweise Zink und Chlor sich verbinden. Im Gegenteil: Die Verbindung des Zinks mit dem Chlor ist die wesentlichste Grundbedingung des ganzen Prozesses und, solange sich diese nicht vollzieht, wird man am Kupfer vergebens auf Wasserstoff warten.

Der Überschuß der Energie, welche bei der Bildung eines Moleküls ZnCl2 frei wird, über die, welche zur Freisetzung zweier Atome H aus zwei Molekülen HCl verwendet wird, verwandelt sich in der Kette in elektrische Bewegung und liefert die gesamte »elektromotorische Kraft«, die im Stromkreis zutage tritt. Es ist also nicht eine mysteriöse »elektrische Scheidungskraft«, die ohne bisher nachgewiesene Energiequelle Wasserstoff und Chlor auseinanderreißt, es ist der in der Kette sich vollziehende chemische Gesamtprozeß, der die sämtlichen »elektrischen Scheidungskräfte« und »elektromotorischen Kräfte« des Schließungskreises mit der zu ihrer Existenz nötigen Energie versieht.

|411| Konstatieren wir also einstweilen, daß Wiedemanns zweite Stromerklärung ebensowenig vom Fleck hilft wie seine erste, und gehn wir weiter im Text:

»Dieser Vorgang beweist, daß das Verhalten des binären Körpers zwischen den Metallen nicht mehr allein in einer einfachen überwiegenden Anziehung seiner ganzen Masse gegen die eine oder andre Elektrizität, wie bei den Metallen, besteht, sondern hierbei noch eine besondre Wirkung seiner Bestandteile hinzutritt. Da der Bestandteil Cl sich da abscheidet, wo der Strom der positiven Elektrizität in die Flüssigkeit eintritt, der Bestandteil H da, wo die negative Elektrizität eintritt, nehmen wir an, daß je ein Äquivalent des Chlors in der Verbindung HCl mit einer bestimmten Menge negativer Elektrizität geladen sei, die seine Anziehung durch die eintretende positive Elektrizität bedingt. Es ist der elektronegative Bestandteil |Diese Hervorhebung von Wiedemann, alle anderen Hervorhebungen von Engels| der Verbindung. Ebenso muß das Äquivalent H mit positiver Elektrizität geladen sein und so den elektropositiven Bestandteil der Verbindung darstellen. Diese Ladungen könnten sich bei der Verbindung von H und Cl ganz ähnlich herstellen, wie beim Kontakt von Zink und Kupfer. Da die Verbindung HCl für sich unelektrisch ist, müssen wir dementsprechend annehmen, daß in derselben die Atome des positiven und negativen Bestandteils gleiche Mengen positiver und negativer Elektrizität enthalten.

Wird nun in verdünnte Chlorwasserstoffsäure eine Zinkplatte und eine Kupferplatte eingesenkt, so können wir vermuten, daß das Zink eine stärkere Anziehung gegen den elektronegativen Bestandteil (Cl) derselben habe, als gegen den elektropositiven (H). Infolgedessen würden sich die das Zink berührenden Moleküle der Chlorwasserstoffsäure so lagern, daß sie ihre elektronegativen Bestandteile dem Zink, ihre elektropositiven dem Kupfer zukehrten. Indem die so geordneten Bestandteile durch ihre elektrische Anziehung auf die Bestandteile der folgenden Moleküle HCl einwirken, ordnet sich die ganze Reihe der Moleküle zwischen der Zink- und Kupferplatte wie in Fig. 10:

Zink-Kupfer-Kette

Wirkte das zweite Metall auf den positiven Wasserstoff, wie das Zink auf das negative Chlor, so würde hierdurch die Einstellung befördert. Wirkte es entgegengesetzt, nur schwächer, so bleibt wenigstens die Richtung derselben ungeändert.

Durch die influenzierende Wirkung der negativen Elektrizität des dem Zink anliegenden elektronegativen Bestandteils Cl würde im Zink die Elektrizität so verteilt, daß diejenigen Stellen desselben, welche dem Cl des zunächstliegenden Säureatoms |412| nahe liegen, sich positiv, die ferner liegenden negativ lüden. Ebenso würde im Kupfer zunächst dem elektropositiven Bestandteil (H) des anliegenden Chlorwasserstoffatoms die negative Elektrizität angehäuft, die positive zu den ferneren Teilen hingetrieben.

>Darauf würde sich die positive Elektrizität im Zink mit der negativen des zunächst liegenden Atoms Cl {1} und letzteres selbst mit dem Zink [zu unelektrischem ZnCl] verbinden. Das elektropositive Atom H, welches vorher mit jenem Atom [Cl] verbunden war, würde sich mit dem ihm zugekehrten Atom Cl des zweiten Atoms HCl unter gleichzeitiger Verbindung der in diesen Atomen enthaltenen Elektrizitäten vereinen, ebenso verbände sich das H des zweiten Atoms HCl mit dem Cl des dritten Atoms usf., bis endlich am Kupfer ein Atom H frei würde, dessen positive Elektrizität sich mit der verteilten negativen des Kupfers vereinte, so daß es im unelektrischen Zustand entwiche.« Dieser Prozeß würde »so lange sich wiederholen, bis die Abstoßung der in den Metallplatten angehäuften Elektrizitäten auf die Elektrizitäten der ihnen zugewandten Bestandteile des Chlorwasserstoffs grade die chemische Anziehung der letzteren durch die Metalle äquilibrierte. Werden aber die Metallplatten miteinander leitend verbunden, so vereinen sich die freien Elektrizitäten der Metallplatten miteinander, und es können von neuem die früher erwähnten Prozesse eintreten. Auf diese Weise entstünde eine dauernde Strömung von Elektrizität. - Es ist ersichtlich, daß hierbei ein beständiger Verlust an lebendiger Kraft stattfindet, indem die zu den Metallen hinwandernden Bestandteile der binären Verbindung sich mit einer gewissen Geschwindigkeit zu den Metallen hinbewegen und dann, entweder unter Bildung einer Verbindung (ZnCl), oder indem sie frei entweichen (H), zur Ruhe gelangen.« (Anmerkung [Von Wiedemann]: »Da sich der Gewinn an lebendiger Kraft bei der Trennung der Bestandteile Cl und H durch die bei der Vereinigung derselben mit den Bestandteilen der nächstliegenden Atome verlorene lebendige Kraft wieder ausgleicht, so ist der Einfluß dieses Prozesses zu vernachlässigen.«) »Dieser Verlust an lebendiger Kraft ist der Wärmemenge äquivalent, welche bei dem sichtbar hervortretenden chemischen Prozeß, also im wesentlichen bei der Auflösung eines Äquivalentes Zink in der verdünnten Säure frei wird. Diesem Wert muß die auf die Verteilung der Elektrizitäten verwendete Arbeit gleichwertig sein. Vereinen sich daher die Elektrizitäten in einem Strom, so muß während der Auflösung eines Äquivalentes Zink und Abscheidung eines Äquivalentes Wasserstoff aus der Flüssigkeit im ganzen Schließungskreis eine Arbeit, sei es in Form von Wärme, sei es in Form von äußerer Arbeitsleistung hervortreten, die ebenfalls der jenem chemischen Prozeß entsprechenden Wärmeentwicklung äquivalent ist.« [I, S. 49 bis 51.]

»Nehmen wir an - könnten - müssen wir annehmen - können wir vermuten - würde verteilt - lüden sich« usw. usw. Lauter Mutmaßlichkeit und Konjunktivus, aus denen nur drei tatsächliche Indikative sich mit |413| Bestimmtheit herausfischen lassen: erstens, daß die Verbindung des Zinks mit dem Chlor jetzt als Bedingung der Freisetzung des Wasserstoffs ausgesprochen wird; zweitens, wie wir jetzt ganz am Schluß und sozusagen nebenbei erfahren, daß die hierbei freigesetzte Energie die Quelle, und zwar die ausschließliche Quelle aller zur Strombildung erforderten Energie ist, und drittens, daß diese Erklärung der Strombildung den beiden vorher gegebnen ebenso direkt ins Gesicht schlägt wie diese beiden sich gegenseitig.

Weiter heißt es:

»Es kann also zur Bildung des dauernden Stroms einzig und allein die elektrische Scheidungskraft tätig sein, welche von der ungleichen Anziehung und Polarisierung der Atome der binären Verbindung in der Erregerflüssigkeit der Kette durch die Metallelektroden herrührt; die elektrische Scheidungskraft an der Kontaktstelle der Metalle, an welcher keine mechanischen Veränderungen mehr vorgehen können, muß dagegen untätig sein. Daß dieselbe, wenn sie etwa der elektromotorischen Erregung der Metalle durch die Flüssigkeit entgegenwirkt (wie bei Einsenken von Zinn und Blei in Zyankaliumlösung), nicht durch einen bestimmten Anteil der Scheidungskraft an letzteren kompensiert wird, beweist die erwähnte völlige Proportionalität der gesamten elektrischen Scheidungskraft (und elektromotorischen Kraft) im Schließungskreis mit dem erwähnten Wärmeäquivalent der chemischen Prozesse. Sie muß also auf eine andre Art neutralisiert werden. Dies würde am einfachsten unter der Annahme geschehen, daß beim Kontakt der Erregerflüssigkeit mit den Metallen die elektromotorische Kraft in einer doppelten Weise erzeugt wird: einmal durch eine ungleich starke Anziehung der Massen der Flüssigkeit als Ganzes gegen die eine oder die andre Elektrizität; sodann durch die ungleiche Anziehung der Metalle gegen die mit entgegengesetzten Elektrizitäten geladenen Bestandteile |Diese Hervorhebung von Wiedemann, alle anderen Hervorhebungen von Engels| der Flüssigkeit ... Infolge der ersteren ungleichen Massenanziehung [gegen die Elektrizitäten] würden sich die Flüssigkeiten ganz nach dem Gesetz der Spannungsreihe der Metalle verhalten und in einem geschlossenen Kreise eine völlige Neutralisation der elektrischen Scheidungskräfte (und elektromotorischen Kräfte) zu Null eintreten; die zweite (chemische) Einwirkung würde dagegen allein die zur Stromesbildung erforderliche elektrische Scheidungskraft und die derselben entsprechende elektromotorische Kraft liefern.« (I, S. 52/53)

Hiermit wäre nun der letzte Rest der Kontakttheorie glücklich aus der Strombildung entfernt und gleichzeitig auch der letzte Rest der ersten, S. 45 gegebnen Wiedemannschen Erklärung der Strombildung. Es wird endlich ohne Vorbehalt zugegeben, daß die galvanische Kette ein simpler Apparat ist zur Umsetzung von freiwerdender chemischer Energie in elektrische Bewegung, in sog. elektrische Scheidungskraft und elektromotorische Kraft, ganz wie die Dampfmaschine ein Apparat ist zur Umsetzung von Wärmeenergie in mechanische Bewegung. Im einen wie im andern Falle |414| liefert der Apparat nur die Bedingungen zur Freisetzung und ferneren Wandlung der Energie, liefert aus sich selbst aber keine Energie. Dies einmal festgestellt, bleibt uns jetzt noch die nähere Untersuchung der dritten Version der Wiedemannschen Stromeserklärung: Wie werden hier die Energieumsätze im Schließungskreis der Kette dargestellt?

Es ist ersichtlich, sagt er, daß in der Kette »ein beständiger Verlust an lebendiger Kraft stattfindet, indem die zu den Metallen hinwandernden Bestandteile der binären Verbindung sich mit einer gewissen Geschwindigkeit zu den Metallen hinbewegen und dann, entweder unter Bildung einer Verbindung (ZnCl), oder indem sie frei entweichen (H), zur Ruhe gelangen. Dieser Verlust ist der Wärmemenge äquivalent, welche bei dem sichtbar hervortretenden chemischen Prozeß, also im wesentlichen bei der Auflösung eines Äquivalents Zink, in der verdünnten Säure frei wird.« [I, S. 51.]

Erstens wird, wenn der Prozeß rein vor sich geht, in der Kette bei Auflösung des Zinks gar keine Wärme frei; die freiwerdende Energie wird ja grade in Elektrizität verwandelt und erst aus dieser wieder durch den Widerstand des ganzen Schließungskreises in Wärme umgesetzt.

Zweitens ist lebendige Kraft das halbe Produkt der Masse in das Quadrat der Geschwindigkeit. Der obige Satz würde also lauten: Die bei Auflösung eines Äquivalents Zink in verdünnter Salzsäure freiwerdende Energie = soundso viel Kalorien ist ebenfalls gleichwertig dem halben Produkt der Masse der Ionen in das Quadrat der Geschwindigkeit, mit der sie zu den Metallen hinwandern. So ausgesprochen ist der Satz augenscheinlich falsch; die in der Wanderung der Ionen erscheinende lebendige Kraft ist weit entfernt davon, der durch den chemischen Prozeß freigesetzten Energie gleichwertig zu sein.(3) Wäre sie es aber, so wäre kein Strom mög- |415| lich, da keine Energie übrigbliebe für den Strom im Rest des Schließungskreises. Daher wird noch die Bemerkung untergebracht, daß die Ionen zur Ruhe gelangen »entweder unter Bildung einer Verbindung oder indem sie frei entweichen«. Wenn aber der Verlust an lebendiger Kraft auch die bei diesen beiden Vorgängen sich vollziehenden Energieumsätze einschließen soll, so sind wir erst recht festgefahren. Denn diese beiden Vorgänge zusammengenommen sind es ja grade, denen wir die ganze freiwerdende Energie verdanken, so daß hier von einem Verlust an lebendiger Kraft absolut nicht die Rede sein kann, sondern höchstens von einem Gewinn.

Es ist also augenscheinlich, daß sich Wiedemann bei diesem Satze selbst nichts Bestimmtes gedacht hat, vielmehr der »Verlust an lebendiger Kraft« nur den deus ex machina vorstellt, der ihm den fatalen Sprung aus der alten Kontakttheorie in die chemische Stromerklärung möglich machen soll. In der Tat hat der Verlust an lebendiger Kraft jetzt seine Schuldigkeit getan und wird verabschiedet; von nun an gilt der chemische Vorgang in der Kette unbestritten als einzige Energiequelle der Strombildung, und die einzige, noch übrige Sorge unsres Verfassers ist die, wie er den letzten Rest der Elektrizitätserregung beim Kontakt chemisch indifferenter Körper, nämlich die an der Kontaktstelle der beiden Metalle tätige Scheidungskraft, auch noch mit guter Manier aus dem Strom los wird.

Wenn man die obige Wiedemannsche Erklärung der Strombildung liest, so glaubt man ein Stück jener Apologetik vor sich zu haben, mit der die ganz- und halbgläubigen Theologen vor beinahe vierzig Jahren der philologisch-historischen Bibelkritik von Strauß, Wilke, Bruno Bauer u.a. entgegentraten. Die Methode ist ganz dieselbe. Sie muß es sein. Denn in beiden Fällen handelt es sich um die Rettung der überlieferten Tradition vor der denkenden Wissenschaft. Die exklusive Empirie, die sich das Denken höchstens in der Form des mathematischen Rechnens erlaubt, bildet sich ein, nur mit unleugbaren Tatsachen zu hantieren. In Wirklichkeit aber hantiert sie vorzugsweise mit überkommenen Vorstellungen, mit großenteils veralteten Produkten des Denkens ihrer Vorgänger, als da sind positive und negative Elektrizität, elektrische Scheidungskraft, Kontakttheorie. Diese dienen ihr zur Grundlage endloser mathematischer Rechnungen, in denen sich die hypothetische Natur der Voraussetzungen über der Strenge der mathematischen Formulierung angenehm vergessen läßt. So skeptisch diese Art Empirie sich verhält gegen die Resultate des gleichzeitigen |416| Denkens, so gläubig steht sie da vor jenen des Denkens ihrer Vorgänger. Sogar die experimentell festgestellten Tatsachen sind ihr allgemach untrennbar geworden von den zugehörigen überlieferten Deutungen; die einfachste elektrische Erscheinung wird in der Darstellung verfälscht, z.B. durch Einschmuggelung der beiden Elektrizitäten; diese Empirie kann die Tatsachen nicht mehr richtig schildern, weil die überkommene Deutung mit in die Schilderung unterläuft. Mit einem Wort, wir haben hier auf dem Gebiet der Elektrizitätslehre eine ebenso entwickelte Tradition wie auf dem der Theologie. Und da auf beiden Gebieten die Resultate der neueren Forschung, die Feststellung bisher unbekannter oder bestrittener Tatsachen und die daraus notwendig sich ergebenden theoretischen Folgerungen der alten Überlieferung unbarmherzig ins Gesicht schlagen, so geraten die Verteidiger dieser Überlieferung in die ärgste Klemme. Sie müssen ihre Zuflucht nehmen zu allerhand Winkelzügen, unhaltbaren Ausreden, zu Vertuschungen unversöhnbarer Widersprüche und geraten damit schließlich selbst in ein Gewirr von Widersprüchen, aus dem für sie kein Ausweg ist. Es ist dieser Glaube an die ganze alte Elektrizitätstheorie, der Wiedemann hier in den rettungslosesten Widerspruch mit sich selbst verwickelt, einfach durch den hoffnungslosen Versuch, die alte Stromerklärung durch »Kontaktkraft« mit der neueren durch Freisetzung chemischer Energie rationalistisch zu vermitteln.

Man wird vielleicht einwenden, die obige Kritik der Wiedemannschen Stromerklärung beruhe auf Wortklauberei, wenn Wiedemann sich im Anfang auch etwas nachlässig und ungenau ausdrücke, so gebe er doch schließlich die richtige, mit dem Satz von der Erhaltung der Energie stimmende Darstellung und mache damit alles gut. Demgegenüber lassen wir hier ein andres Beispiel folgen, seine Schilderung des Hergangs in der Kette: Zink, verdünnte Schwefelsäure, Kupfer.

»Verbindet man die beiden Platten durch einen Draht, so entsteht ein galvanischer Strom ... Es scheidet sich durch den elektrolytischen Prozeß aus dem Wasser |Hervorhebungen von Engels| der verdünnten Schwefelsäure am Kupfer 1 Äq. Wasserstoff aus, welcher in Blasen entweicht. Am Zink bildet sich 1 Äq. Sauerstoff, der das Zink zu Zinkoxyd oxydiert, welches sich in der umgebenden Säure zu schwefelsaurem Zinkoxyd löst.« (I, S. [592-]593.)

Um Wasserstoffgas und Sauerstoffgas aus Wasser abzuscheiden, dazu ist für jedes Wassermolekül eine Energie = 68.924 Wärmeeinheiten erforderlich. Woher kommt nun in obiger Kette die Energie? »Durch den |417| elektrolytischen Prozeß.« Und woher nimmt sie der elektrolytische Prozeß? Keine Antwort.

Nun aber erzählt uns ferner Wiedemann nicht einmal, sondern mindestens zweimal (I, S. 472 und 614), daß überhaupt »nach neueren Erfahrungen [bei der Elektrolyse] das Wasser selbst nicht zersetzt wird«, sondern in unserm Fall die Schwefelsäure H2SO4 die einerseits zu H2 andrerseits zu SO3 + O zerfällt, wobei H2 und O unter Umständen gasförmig entweichen können. Dadurch aber ändert sich die ganze Natur des Prozesses. Das H2 von H2SO4 wird direkt ersetzt durch das zweiwertige Zink und bildet Zinksulfat ZnSO4. Bleibt übrig auf der einen Seite H2 auf der andern SO3 + O. Die beiden Gase entweichen in den Verhältnissen, in denen sie Wasser bilden, das SO3 verbindet sich mit Lösungswasser H2O wieder zu H2SO4, d.h. Schwefelsäure. Bei der Bildung von ZnSO4 wird aber eine Energiemenge entwickelt, die nicht nur zur Verdrängung und Freisetzung des Wasserstoffs der Schwefelsäure hinreicht, sondern noch einen bedeutenden Überschuß läßt, der in unserm Fall zur Strombildung verwendet wird. Das Zink wartet also nicht, bis der elektrolytische Prozeß ihm den freien Sauerstoff zur Verfügung stellt, um sich damit erst zu oxydieren und dann in der Säure zu lösen. Im Gegenteil. Es tritt direkt in den Prozeß ein, der erst durch diesen Eintritt des Zinks überhaupt zustande kommt.

Wir sehen hier, wie den veralteten Kontaktvorstellungen veraltete chemische Vorstellungen zu Hülfe kommen. Nach der neueren Anschauung ist ein Salz eine Säure, worin der Wasserstoff durch ein Metall ersetzt ist. Der hier zu untersuchende Vorgang bestätigt diese Anschauung: Die direkte Verdrängung des Wasserstoffs der Säure durch das Zink erklärt den Energieumsatz vollkommen. Die ältere Anschauung, der Wiedemann folgt, hält ein Salz für eine Verbindung eines Metalloxyds mit einer Säure und spricht daher statt von Zinksulfat von schwefelsaurem Zinkoxyd. Um aber in unsrer Kette von Zink und Schwefelsäure zu schwefelsaurem Zinkoxyd zu kommen, muß das Zink erst oxydiert werden. Um das Zink schnell genug zu oxydieren, müssen wir freien Sauerstoff haben. Um zu freiem Sauerstoff zu kommen, müssen wir - da am Kupfer Wasserstoff erscheint - annehmen, daß das Wasser zersetzt wird. Um das Wasser zu zersetzen, brauchen wir eine gewaltige Energie. Wie zu dieser kommen? Einfach »durch den elektrolytischen Prozeß«, der selbst wieder nicht in Gang kommen kann, solange nicht sein chemisches Schlußprodukt, das »schwefelsaure Zinkoxyd« angefangen, sich zu bilden. Das Kind gebiert die Mutter.

|418| Auch hier also wird bei Wiedemann der ganze Verlauf total umgekehrt und auf den Kopf gestellt. Und zwar deswegen, weil Wiedemann aktive und passive Elektrolyse, zwei direkt entgegengesetzte Prozesse, ohne weiteres zusammenwirft als Elektrolyse schlechthin.

—————

Bisher haben wir nur die Vorgänge in der Kette untersucht, d.h. denjenigen Prozeß, bei dem ein Überschuß von Energie durch chemische Aktion frei und durch die Einrichtungen der Kette in Elektrizität umgesetzt wird. Dieser Prozeß kann aber bekanntlich auch umgekehrt werden: Die in der Kette aus chemischer Energie dargestellte Elektrizität des dauernden Stroms kann ihrerseits wieder in chemische Energie rückverwandelt werden in der in den Schließungskreis eingesetzten Zersetzungszelle. Beide Prozesse sind augenscheinlich einander entgegengesetzt; fassen wir den ersten als chemisch-elektrisch, so ist der zweite elektro-chemisch. Beide können in demselben Schließungskreise an den gleichen Stoffen vorgehn. So kann die Säule aus Gaselementen, deren Strom durch Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser erzeugt wird, in einer eingeschalteten Zersetzungszelle Wasserstoffgas und Sauerstoffgas in den Verhältnissen liefern, in denen sie Wasser bilden. Die übliche Betrachtungsweise faßt diese beiden entgegengesetzten Prozesse zusammen unter den Einen Ausdruck: Elektrolyse, und unterscheidet nicht einmal zwischen einer aktiven und einer passiven Elektrolyse, einer Erregerflüssigkeit und einem passiven Elektrolyten. So behandelt Wiedemann die Elektrolyse im allgemeinen auf 133 Seiten und fügt dann am Schluß einige Bemerkungen über »Elektrolyse in der Kette« hinzu, von denen die Vorgänge in wirklichen Ketten noch dazu nur den kleinsten Teil der 17 Seiten dieses Abschnitts einnehmen. Auch in der folgenden »Theorie der Elektrolyse« wird dieser Gegensatz von Kette und Zersetzungszelle nicht einmal erwähnt, und wer in dem sich anschließenden Kapitel »Einfluß der Elektrolyse auf den Leitungswiderstand und [die] elektromotorische Kraft im Schließungskreis« irgendwelche Berücksichtigung der Energieumsätze im Schließungskreise suchte, der würde bitter enttäuscht werden.

Betrachten wir nun den unwiderstehlichen »elektrolytischen Prozeß«, der ohne sichtbare Energiezufuhr H2 von O trennen kann und der in den vorliegenden Abschnitten des Buchs dieselbe Rolle spielt wie vorhin die geheimnisvolle »elektrische Scheidungskraft«.

|419| »Neben dem primären, rein elektrolytischen |Hervorhebung von Engels| Prozeß der Trennung der Ionen treten nun noch eine Menge sekundärer, von demselben ganz unabhängiger, rein chemischer Prozesse durch Einwirkung der durch den Strom abgeschiednen Ionen auf. Diese Einwirkung kann auf den Stoff der Elektroden und auf den zersetzten Körper, in Lösungen auch auf das Lösungsmittel stattfinden.« (I, S. 481.)

Gehn wir zurück auf obige Kette: Zink und Kupfer in verdünnter Schwefelsäure. Hier sind nach Wiedemanns eigner Aussage die getrennten Ionen das H2 und O des Wassers. Folglich ist ihm die Oxydation des Zinks und die Bildung von ZnSO4 ein sekundärer, vom elektrolytischen Prozeß unabhängiger, rein chemischer Vorgang, trotzdem durch ihn der primäre erst möglich wird. Betrachten wir nun etwas im einzelnen die Verwirrung, die aus dieser Verkehrung des wirklichen Verlaufs notwendig entstehn muß.

Halten wir uns zunächst an die sog. sekundären Prozesse in der Zersetzungszelle, wovon uns Wiedemann einige Beispiele (4) vorführt (S. 481/482).

I. Elektrolyse von schwefelsaurem Natron (Na2SO4), in Wasser gelöst. Dies »zerfällt ... in 1 Äq. SO3 + O ... und 1 Äq. Na. .. Letzteres reagiert aber auf das Lösungswasser und scheidet aus demselben 1 Äq. H ab, während sich 1 Äq. Natron [NaOH] bildet und in dem umgebenden Wasser löst«.

Die Gleichung ist:

Na2SO4 + 2 H2O = O + SO3 + 2 NaOH + 2 H.

In diesem Beispiel könnte in der Tat die Zersetzung

Na2SO4 = Na2 + SO3 + O

als primärer, elektrochemischer, und die weitere Umsetzung

Na2 + 2 H2O = 2 NaOH + 2 H

als sekundärer, rein chemischer Vorgang gefaßt werden. Aber dieser sekundäre Vorgang wird unmittelbar an der Elektrode bewirkt, wo der Wasserstoff erscheint, die dabei freigesetzte, sehr bedeutende Energiemenge (111.810 Wärmeeinheiten für Na, O, H, aq. nach Jul. Thomsen) wird daher, wenigstens größtenteils, in Elektrizität umgesetzt, und nur ein Teil in der Zelle unmittelbar in Wärme verwandelt. Letzteres kann aber auch der in der Kette direkt oder primär freigesetzten chemischen Energie passieren.

|420| Die so verfügbar gewordene und in Elektrizität verwandelte Energiemenge subtrahiert sich aber von derjenigen, die der Strom zur fortdauernden Zersetzung des Na2SO4 liefern muß. Erschien die Verwandlung des Natriums in Oxydhydrat im ersten Moment des Gesamtvorgangs als sekundärer Prozeß, so wird sie vom zweiten Moment an wesentlicher Faktor des Gesamtvorgangs und hört damit auf, sekundär zu sein.

Nun findet aber noch ein dritter Prozeß in dieser Zersetzungszelle statt: SO3 verbindet sich, falls es nicht mit dem Metall der positiven Elektrode eine Verbindung eingeht, wobei wieder Energie frei würde, mit H2O zu H2SO4, Schwefelsäure. Diese Umsetzung geht aber nicht notwendig unmittelbar an der Elektrode vor sich, und die dabei freiwerdende Energiemenge (21.320 Wärmeeinheiten, J. Thomsen) verwandelt sich daher ganz oder zum allergrößten Teil in der Zelle selbst in Wärme und gibt höchstens einen sehr kleinen Teil als Elektrizität an den Strom ab. Der einzige wirklich sekundäre Prozeß, der in dieser Zelle vorgeht, wird also von Wiedemann gar nicht erwähnt.

II. »Elektrolysiert man eine Lösung von Kupfervitriol [CuSO4 + 5 H2O] zwischen einer positiven Elektrode von Kupfer und einer negativen von Platin, so scheidet sich, bei gleichzeitiger Zersetzung von schwefelsaurem Wasser in demselben Stromkreis, an der negativen Platinelektrode auf 1 Äq. zersetzten Wassers 1 Äq. Kupfer aus; an der positiven Elektrode sollte 1 Äq. SO4, erscheinen; letzteres verbindet sich aber mit dem Kupfer der Elektrode zu 1 Äq. CuSO4, welches sich in dem Wasser der elektrolysierten Lösung auflöst.« [ I, S. 481.]

Wir haben uns den Prozeß in der modernen chemischen Ausdrucksweise also so vorzustellen: Am Platin schlägt sich Cu nieder; das freiwerdende SO4, das als solches für sich nicht bestehn kann, zerfällt in SO3 + O, welches letztere frei entweicht; SO3 nimmt aus dem Lösungswasser H2O auf und bildet H2SO4, welches sich wieder unter Freisetzung von H2 mit dem Kupfer der Elektrode zu CuSO4 verbindet. Wir haben hier, genau gesprochen, drei Vorgänge: 1. Trennung von Cu und SO4; 2. SO3 + O + H2O = H2SO4 + O; 3. H2SO4 + Cu = H2 + CuSO4. Es liegt nahe, den ersten als primär, die beiden andern als sekundär aufzufassen. Fragen wir aber nach den Energieumsätzen, so finden wir, daß der erste durch einen Teil des dritten Vorgangs vollständig kompensiert wird: die Trennung des Kupfers von SO4 durch die Wiedervereinigung beider an der andern Elektrode. Wenn wir von der zur Fortschiebung des Kupfers von einer Elektrode zur andern erforderlichen Energie absehn und ebenso von unvermeidlichem, nicht genau bestimmbarem Energieverlust in der Kette durch Umsetzung in Wärme, so haben wir hier den Fall, daß der sog. |421| primäre Vorgang dem Strom keine Energie entzieht. Der Strom liefert Energie ausschließlich zur Ermöglichung der noch dazu indirekten Trennung von H2 und O, die als wirkliches chemisches Resultat des ganzen Prozesses sich erweist - also zur Durchführung eines sekundären oder gar tertiären Prozesses.

In beiden obigen Beispielen wie auch in andern Fällen hat die Unterscheidung von primären und sekundären Prozessen indes eine unleugbare relative Berechtigung. So wird beide Male unter anderm anscheinend auch Wasser zersetzt und die Elemente des Wassers an den entgegengesetzten Elektroden abgeschieden. Da nach den neuesten Erfahrungen absolut reines Wasser dem Ideal eines Nichtleiters, also auch eines Nicht-Elektrolyts so nahe wie möglich kommt, ist es wichtig nachzuweisen, daß in diesen und ähnlichen Fällen nicht das Wasser direkt elektrochemisch zersetzt wird, sondern daß die Elemente des Wassers aus der Säure, zu deren Bildung hier das Lösungswasser allerdings mitwirken muß, abgeschieden werden.

III. »Elektrolysiert man gleichzeitig in zwei U-förmigen Röhren ... Chlorwasserstoffsäure [HCl + 8 H2O] ... und bedient sich in dem einen Rohr einer positiven Elektrode von Zink, in dem andern einer solchen von Kupfer, so löst sich in dem ersten Rohre die Zinkmenge 32,53, in dem zweiten die Kupfermenge 2 × 31,7.« [I, S. 482.]

Lassen wir das Kupfer einstweilen beiseite, und halten wir uns ans Zink. Als primärer Prozeß gilt hier die Zersetzung von HCl, als sekundärer die Lösung von Zn.

Nach dieser Auffassung also führt der Strom von außen der Zersetzungszelle die zur Trennung von H und Cl nötige Energie zu, und nachdem diese Trennung vollzogen, vereinigt sich das Cl mit dem Zn, wobei eine Energiemenge frei wird, die sich von der zur Trennung von H und Cl erforderlichen subtrahiert; der Strom braucht also nur die Differenz zuzuführen. Soweit stimmt alles aufs schönste; betrachten wir uns aber die beiden Energiemengen näher, so finden wir, daß die bei Bildung von ZnCl2 freigesetzte größer ist als die bei Trennung von 2 HCl verbrauchte; daß also der Strom nicht nur keine Energie zuzuführen braucht, sondern im Gegenteil Energie empfängt. Wir haben gar kein passives Elektrolyt mehr vor uns, sondern eine Erregerflüssigkeit, keine Zersetzungszelle, sondern eine Kette, die die strombildende Säule um ein neues Element verstärkt; der Prozeß, den wir als sekundär auffassen sollen, wird absolut primär, wird die Energiequelle des ganzen Vorgangs und macht ihn unabhängig von dem zugeführten Strom der Säule.

|422| Hier sehn wir deutlich, was die Quelle der ganzen in Wiedemanns theoretischer Darstellung herrschenden Verwirrung ist. Wiedemann geht aus von der Elektrolyse, ob diese aktiv oder passiv, Kette oder Zersetzungszelle, ist einerlei: Pflasterkasten ist Pflasterkasten, wie der alte Major zum »Einjährigen« Doktor der Philosophie sagte. Und da die Elektrolyse in der Zersetzungszelle viel einfacher zu studieren ist als in der Kette, so geht er tatsächlich aus von der Zersetzungszelle, macht die in ihr sich vollziehenden Vorgänge, ihre teilweise berechtigte Einteilung in primäre und sekundäre, zum Maßstab der gradezu umgekehrten Vorgänge in der Kette und merkt dabei nicht einmal, wenn ihm unter der Hand die Zersetzungszelle sich in eine Kette verwandelt. Daher kann er den Satz aufstellen:

»Die chemische Affinität der ausgeschiedenen Stoffe gegen die Elektroden ist ohne Einfluß auf den eigentlichen elektrolytischen Prozeß« (I, S. 471),

ein Satz, der in dieser absoluten Form, wie wir sahen, total falsch ist. Daher dann die dreifache Theorie der Strombildung bei ihm: zuerst die altüberkommene, vermittelst des reinen Kontakts; zweitens die vermittelst der schon abstrakter gefaßten elektrischen Scheidungskraft, die auf unerklärliche Weise sich oder dem »elektrolytischen Prozeß« die Energie verschafft, das H und Cl in der Kette auseinanderzureißen und außerdem noch einen Strom zu bilden; endlich die moderne, chemisch-elektrische, die in der algebraischen Summe aller chemischen Aktionen in der Kette die Quelle dieser Energie nachweist. Wie er nicht merkt, daß die zweite Erklärung die erste umstößt, ebensowenig ahnt er, daß die dritte ihrerseits die zweite über den Haufen wirft. Im Gegenteil, der Satz von der Erhaltung der Energie wird ganz äußerlich an die alte, von der Routine überkommene Theorie angefügt, wie man einen neuen geometrischen Lehrsatz an die früheren anhängt. Keine Ahnung davon, daß dieser Satz eine Revision der ganzen traditionellen Anschauungsweise auf diesem wie auf allen andern Gebieten der Naturwissenschaft nötig macht. Dabei beschränkt sich Wiedemann darauf, ihn bei der Stromerklärung einfach zu konstatieren, und legt ihn dann ruhig beiseite, um ihn erst ganz am Schluß des Buchs, im Kapitel über die Arbeitsleistungen des Stroms, wieder hervorzusuchen. Selbst in der Theorie der Elektrizitätserregung durch Kontakt (I, S. 781 ff.) spielt die Erhaltung der Energie in Beziehung auf die Hauptsache gar keine Rolle und wird nur gelegentlich zur Aufhellung von Nebenpunkten herbeigezogen; sie ist und bleibt ein »sekundärer Vorgang«.

Kehren wir zurück zu obigem Exempel III. Dort wurde durch denselben Strom in zwei U-förmigen Röhren Chlorwasserstoffsäure elektrolysiert, |423| aber in der einen Zink, in der andern Kupfer als positive Elektrode verwandt. Nach dem Faradayschen elektrolytischen Grundgesetz zersetzt derselbe galvanische Strom in jeder Zelle äquivalente Mengen der Elektrolyte, und die Quantitäten der an beiden Elektroden abgeschiednen Stoffe stehn gleichfalls im Verhältnis ihrer Äquivalente (I, S. 470). Nun fand sich, daß in obigem Fall im ersten Rohr die Zinkmenge 32,53, im andern die Kupfermenge 2 × 31,7 gelöst wurde.

»Es ist dies indes«, fährt Wiedemann fort, »kein Beweis für die Äquivalenz dieser Werte. Dieselben werden nur bei sehr wenig dichten Strömen unter Bildung von Zinkchlorid ... einerseits und von Kupferchlorür ... andererseits beobachtet. Bei dichteren Strömen würde für dieselbe gelöste Zinkmenge die Menge des gelösten Kupfers unter Bildung steigender Mengen von Chlorid ... bis zu 31,7 sinken.«

Zink bildet bekanntlich nur eine Chlorverbindung, Zinkchlorid ZnCl2; Kupfer dagegen zwei, Cuprichlorid CuCl2 und Cuprochlorid Cu2Cl2. Der Hergang ist also, daß der schwache Strom auf je zwei Chloratome von der Elektrode zwei Kupferatome losreißt, die mit einer ihrer beiden Verbindungseinheiten unter sich verbunden bleiben, während ihre beiden freien Verbindungseinheiten sich mit den zwei Chloratomen vereinigen:

Cuprochlorid

Wird der Strom dagegen stärker, so reißt er die Kupferatome ganz voneinander, und jedes für sich vereinigt sich mit zwei Chloratomen:

Cuprichlorid

Bei Strömen mittlerer Stärke bilden sich beide Verbindungen, nebeneinander. Es ist also lediglich die Stromstärke, die die Bildung der einen oder der andern Verbindung bedingt, und der Vorgang ist daher wesentlich elektrochemisch, wenn anders dies Wort einen Sinn hat. Trotzdem erklärt ihn Wiedemann ausdrücklich für sekundär, also für nicht elektrochemisch, sondern rein chemisch.

Der obige Versuch ist von Renault (1867) und gehört zu einer ganzen Reihe ähnlicher Versuche, bei denen derselbe Strom in einer U-Röhre durch Kochsalzlösung (positive Elektrode Zink), in einer andern Zelle durch wechselnde Elektrolyte mit verschiednen Metallen als positiven Elektroden |424| geleitet wurde. Hierbei wichen die auf ein Äquivalent Zink gelösten Mengen der andern Metalle sehr ab, und Wiedemann gibt die Resultate der ganzen Versuchsreihe, die aber in der Tat meist chemisch sich von selbst verstehn und gar nicht anders sein können. So wurde auf 1 Äq. Zink nur 2/3 Äq. Gold in Salzsäure gelöst. Dies kann nur dann verwunderlich erscheinen, wenn man sich wie Wiedemann an die alten Äquivalentgewichte hält und für Zinkchlorid ZnCl schreibt, wonach das Chlor sowohl wie das Zink nur mit einer Verbindungseinheit in dem Chlorid erscheint. In Wirklichkeit stecken darin auf ein Zinkatom zwei Chloratome (ZnCl2), und sowie wir diese Formel kennen, sehn wir sofort, daß in obiger Bestimmung der Äquivalente das Chloratom als Einheit anzunehmen ist und nicht das Zinkatom. Die Formel für Goldchlorid ist aber AuCl3, wonach es auf der Hand liegt, daß 3 ZnCl2 genausoviel Chlor enthalten wie 2 AuCl3 und somit alle, primären, sekundären und tertiären Prozesse in der Kette oder Zelle genötigt sein werden, auf einen in Zinkchlorid verwandelten Gewichtsteil Zink nicht mehr und nicht weniger als 2/3 Gewichtsteile Gold in Goldchlorid zu verwandeln. Dies gilt absolut, es sei denn, daß auch die Verbindung AuCl auf galvanischem Wege herstellbar wäre, in welchem Falle auf 1 Äq. Zink sogar 2 Äq. Gold gelöst werden müßten, und wo dann auch ähnliche Variationen je nach der Stromstärke eintreten könnten wie oben beim Kupfer und Chlor. Der Wert der Versuche von Renault besteht darin, daß sie aufzeigen, wie das Faradaysche Gesetz bestätigt wird durch Tatsachen, die ihm zu widersprechen scheinen. Was sie aber zur Beleuchtung von sekundären Vorgängen bei der Elektrolyse beitragen sollen, ist nicht abzusehn.

Das dritte Beispiel aus Wiedemann führte uns bereits wieder von der Zersetzungszelle zur Kette. Und in der Tat bietet die Kette bei weitem das größte Interesse dar, sobald man die elektrolytischen Vorgänge in Beziehung auf die dabei stattfindenden Umsetzungen von Energie untersucht. So stoßen wir nicht selten auf Ketten, in denen die chemisch-elektrischen Prozesse direkt im Widerspruch mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie zu stehn und sich entgegen der chemischen Verwandtschaft zu vollziehen scheinen.

Nach Poggendorffs Messungen liefert die Kette: Zink, konzentrierte Kochsalzlösung, Platin, einen Strom von der Stärke 134,6.{2} Wir haben hier also eine ganz respektable Elektrizitätsmenge, 1/3 mehr als im Daniell- |425| schen Element. Woher stammt die hier als Elektrizität erscheinende Energie? Der »primäre« Vorgang ist die Verdrängung des Natriums aus der Chlorverbindung durch das Zink. Aber in der gewöhnlichen Chemie verdrängt nicht das Zink das Natrium, sondern umgekehrt, das Natrium verdrängt das Zink aus Chlor- und andern Verbindungen. »Der primäre« Vorgang, weit entfernt davon, dem Strom obige Energiemenge abgeben zu können, bedarf im Gegenteil, um zustande zu kommen, selbst einer Energiezufuhr von außen. Mit dem bloßen »primären« Vorgang sitzen wir also wieder fest. Sehen wir uns also den wirklichen Vorgang an. Da finden wir, daß die Umsetzung ist nicht

Zn + 2 NaCl = ZnCl2 + 2 Na,

sondern

Zn + 2 NaCl + 2 H2O = ZnCl2 + 2 NaOH + H2.

Mit andern Worten, das Natrium wird nicht an der negativen Elektrode frei abgeschieden, sondern oxydratisiert, wie oben im Beispiel I (S. [419/420]).

Um die hierbei stattfindenden Energieumsätze zu berechnen, geben uns Julius Thomsens Bestimmungen wenigstens Anhaltspunkte. Danach haben wir freigesetzte Energie bei den Verbindungen:

(Zn, Cl2) = 97.210, (ZnCl2, aqua) = 15.630

zusammen für gelöstes Zinkchlorid = 112.840 Wärmeeinheiten
2 (Na, O, H, aqua) = 223.620 " "
336.460
" "
 
Davon ab Energieverbrauch bei den Trennungen:
2 (Na, Cl, aq.) = 193.020 Wärmeeinheiten
2(H2, O) = 136.720
"
"
329.740
"
"
   
Überschuß freigesetzter Energie
6.720
Wärmeeinheiten

Diese Summe ist offenbar gering für die erlangte Stromstärke, aber sie reicht hin, um einerseits die Trennung des Natriums vom Chlor und andrerseits die Strombildung überhaupt zu erklären.

Hier haben wir ein schlagendes Beispiel dafür, daß die Unterscheidung von primären und sekundären Vorgängen durchaus relativ ist und uns ad absurdum führt, sobald wir sie absolut nehmen. Der primäre elektrolytische Prozeß kann, allein genommen, nicht nur keinen Strom erzeugen, sondern nicht einmal sich selbst vollziehn. Der sekundäre, angeblich rein chemische Prozeß ist es, der den primären erst möglich macht und oben- |426| drein den ganzen Energieüberschuß für die Strombildung liefert. Er hat sich also in Wirklichkeit als der primäre, und dieser sich als sekundär erwiesen. Wenn Hegel den Metaphysikern und metaphysizierenden Naturforschern ihre eingebildeten festen Unterschiede und Gegensätze dialektisch in ihr Gegenteil verkehrte, so hieß es, er habe ihnen die Worte im Munde verdreht. Wenn aber die Natur damit ebenso verfährt wie der alte Hegel, so wird es doch wohl Zeit, die Sache etwas näher zu untersuchen.

Mit größerem Recht kann man Vorgänge als sekundär betrachten, die sich zwar infolge des chemisch-elektrischen Prozesses der Kette oder des elektrochemischen der Zersetzungszelle vollziehn, aber unabhängig und getrennt davon, die also in einiger Entfernung von den Elektroden stattfinden. Die bei solchen sekundären Prozessen vor sich gehenden Energieumsätze treten daher auch nicht in den elektrischen Prozeß ein; weder entziehn sie, noch liefern sie ihm direkt Energie. Solche Vorgänge kommen in der Zersetzungszelle sehr häufig vor; wir hatten oben unter Ex. I ein Beispiel an der Bildung von Schwefelsäure bei der Elektrolyse von Natriumsulfat. Sie haben hier jedoch weniger Interesse. Dagegen ist ihr Auftreten in der Kette von größerer praktischer Wichtigkeit. Denn wenn sie auch dem chemisch-elektrischen Prozeß nicht direkt Energie zufügen oder entziehn, so verändern sie doch die Summe der in der Kette überhaupt vorhandenen verfügbaren Energie und affizieren ihn dadurch indirekt.

Dahin gehören, außer nachträglichen chemischen Umsetzungen gewöhnlicher Art, die Erscheinungen, welche auftreten, wenn die Ionen an den Elektroden in einen andern Zustand abgeschieden werden als der, worin sie gewöhnlich frei auftreten, und wenn sie dann in diesen letzteren übergehn, erst nachdem sie sich von den Elektroden entfernt haben. Die Ionen können dabei eine andre Dichtigkeit oder einen andern Aggregatzustand annehmen. Sie können aber auch in Beziehung auf ihre Molekularkonstitution bedeutende Veränderungen erleiden, und dieser Fall ist der interessanteste. In allen diesen Fällen entspricht der sekundären, in einer gewissen Entfernung von den Elektroden vor sich gehenden chemischen oder physikalischen Veränderung der Ionen eine analoge Wärmeveränderung; meist wird Wärme freigesetzt, in einzelnen Fällen wird sie verbraucht. Diese Wärmeänderung beschränkt sich selbstredend zunächst auf den Ort, wo sie eintritt: Die Flüssigkeit in der Kette oder Zersetzungszelle erwärmt sich oder kühlt sich ab, der übrige Schließungskreis bleibt davon unberührt. Daher heißt diese Wärme die lokale Wärme. Um das Äquivalent dieser in der Kette erzeugten positiven oder negativen lokalen Wärme wird also die für die Umwandlung in Elektrizität disponible, freigesetzte chemische Energie |427| vermindert, resp. vermehrt. In einer Kette mit Wasserstoffsuperoxyd und Salzsäure wurde nach Favre 2/3 der ganzen freigesetzten Energie als lokale Wärme verbraucht, das Grovesche Element dagegen kühlte sich nach der Schließung bedeutend ab und führte also dem Stromkreis durch Wärmeabsorption noch Energie von außen zu. Wir sehen also, daß auch diese sekundären Prozesse auf den primären zurückwirken. Wir mögen uns anstellen, wie wir wollen, die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Vorgängen bleibt eine bloß relative und hebt sich in der Wechselwirkung beider aufeinander regelmäßig wieder auf. Wenn man dies vergißt, wenn man solche relativen Gegensätze als absolute behandelt, so fährt man schließlich rettungslos in Widersprüchen fest, wie wir oben gesehn.

Bei der elektrolytischen Abscheidung von Gasen beschlagen sich bekanntlich die Metallelektroden mit einer dünnen Gasschicht; die Stromstärke nimmt infolgedessen ab, bis die Elektroden mit Gas gesättigt sind, worauf der geschwächte Strom wieder konstant wird. Favre und Silbermann haben nachgewiesen, daß in einer solchen Zersetzungszelle ebenfalls lokale Wärme entsteht, die nur daher rühren kann, daß die Gase an den Elektroden nicht in dem Zustand freigesetzt werden, in dem sie gewöhnlich auftreten, sondern daß sie nach ihrer Trennung von den Elektroden erst in diesen gewöhnlichen Zustand versetzt werden durch einen weiteren mit Wärmeentwicklung verbundenen Prozeß. Aber in welchem Zustand werden die Gase an den Elektroden abgeschieden? Man kann sich hierüber nicht vorsichtiger aussprechen, als Wiedemann dies tut. Er nennt ihn »einen gewissen« , einen »allotropen«, einen »aktiven«, bei Sauerstoff endlich manchmal einen »ozonisierten« Zustand. Beim Wasserstoff wird noch viel geheimnisvoller gesprochen. Gelegentlich bricht die Ansicht durch, daß Ozon und Wasserstoffsuperoxyd die Formen sind, in denen dieser »aktive« Zustand sich realisiert. Dabei verfolgt das Ozon unsern Verfasser derart, daß er sogar die extrem elektronegativen Eigenschaften gewisser Superoxyde daraus erklärt, daß sie »einen Teil des Sauerstoffs möglicherweise im ozonisierten Zustand |Hervorhebung von Engels| enthalten«! (I, S. 57.) Sicher bildet sich bei der sog. Wasserzersetzung sowohl Ozon wie Wasserstoffsuperoxyd, aber nur in kleinen Mengen. Es fehlt aller Grund anzunehmen, daß die lokale Wärme im vorliegenden Fall durch erst Entstehung und dann Zersetzung größerer Mengen obiger beider Verbindungen vermittelt werde. Die Bildungswärme von Ozon (O3) aus den freien Sauerstoffatomen kennen wir nicht. Diejenige |428| des Wasserstoffsuperoxyds aus H2O (flüssig) + O ist nach Berthelot = -21.480; die Entstehung dieser Verbindung in größeren Mengen würde also einen starken Energiezuschuß (etwa 30 Prozent der zur Trennung von H2 und O erforderlichen Energie) bedingen, der doch auffällig und nachweisbar sein müßte. Endlich aber würden Ozon und Wasserstoffsuperoxyd nur vom Sauerstoff Rechenschaft geben (wenn wir von Stromumkehrungen absehn, wobei beide Gase an derselben Elektrode zusammenkämen), nicht aber vom Wasserstoff. Und doch entweicht auch dieser in einem »aktiven« Zustand, so zwar, daß er sich in der Kombination: Kaliumnitratlösung zwischen Platinelektroden, mit dem aus der Säure abgeschiedenen Stickstoff direkt zu Ammoniak verbindet.

Alle diese Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten existieren in der Tat nicht. Körper »in einem aktiven Zustand« abzuscheiden, ist kein Monopol des elektrolytischen Prozesses. Jede chemische Zersetzung tut dasselbe. Sie scheidet das freigesetzte chemische Element aus zunächst in der Form von freien Atomen O, H, N etc., die sich erst nach ihrer Freisetzung zu Molekülen O2, H2, N2 etc. verbinden können und bei dieser Verbindung eine bestimmte, bisher indes noch nicht feststellbare Menge Energie abgeben, die als Wärme erscheint. Während des verschwindenden Augenblicks aber, wo die Atome frei sind, sind sie Träger der gesamten Energiemenge, die sie überhaupt auf sich nehmen können; im Besitz ihres Energiemaximums sind sie frei, jede sich ihnen darbietende Verbindung einzugehn. Sie sind also »in einem aktiven Zustand« gegenüber den Molekülen O2, H2, N2, die bereits einen Teil jener Energie abgegeben haben und in eine Verbindung mit andern Elementen nicht eintreten können, ohne daß diese abgegebne Energiemenge von außen wieder zugeführt werde. Wir haben also gar nicht nötig, erst zu Ozon und Wasserstoffsuperoxyd, die selbst erst Produkte jenes aktiven Zustands sind, unsre Zuflucht zu nehmen. Wir können z.B. die eben erwähnte Ammoniakbildung bei Elektrolyse von Kaliumnitrat auch ohne Kette einfach chemisch vornehmen, indem wir Salpetersäure oder eine Nitratlösung einer Flüssigkeit zusetzen, in der Wasserstoff durch chemische Prozesse frei wird. Der aktive Zustand des Wasserstoffs ist in beiden Fällen derselbe. Das Interessante am elektrolytischen Prozeß ist aber dies, daß hier das verschwindende Dasein freier Atome sozusagen faßbar wird. Der Vorgang teilt sich hier in zwei Phasen: Die Elektrolyse liefert die freien Atome an den Elektroden ab, aber ihre Verbindung zu Molekülen findet statt in einiger Entfernung von den Elektroden. So verschwindend klein diese Entfernung auch für Massenverhältnisse sein mag, sie reicht hin, um die Verwendung der bei der Molekülbildung freigesetzten Energie für den elek- |429| trischen Prozeß wenigstens großenteils zu verhindern und damit ihre Verwandlung in Wärme - die lokale Wärme in der Kette - zu bedingen. Hierdurch aber ist konstatiert, daß die Elemente als freie Atome abgeschieden worden sind und einen Moment als freie Atome in der Kette bestanden haben. Diese Tatsache, die wir in der reinen Chemie nur durch theoretische Schlußfolgerungen feststellen können, wird uns hier experimentell bewiesen, soweit dies möglich ist ohne sinnliche Wahrnehmung der Atome und Moleküle selbst. Und darin liegt die hohe wissenschaftliche Bedeutung der sog. lokalen Wärme der Kette.

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Die Verwandlung der chemischen Energie in Elektrizität vermittelst der Kette ist ein Vorgang, über dessen Verlauf wir so gut wie nichts wissen und auch wohl erst dann etwas Näheres erfahren werden, wenn der modus operandi der elektrischen Bewegung selbst besser bekannt sein wird.

Der Kette wird eine »elektrische Scheidungskraft« zugeschrieben, die für jede bestimmte Kette bestimmt ist. Wie wir gleich am Anfang sahen, ist von Wiedemann zugegeben, daß diese elektrische Scheidungskraft nicht eine bestimmte Form der Energie ist. Sie ist im Gegenteil zunächst nichts als das Vermögen, die Eigenschaft einer Kette, in der Zeiteinheit eine bestimmte Menge freigesetzter chemischer Energie in Elektrizität umzuwandeln. Diese chemische Energie selbst nimmt in dem ganzen Verlauf nie die Form der »elektrischen Scheidungskraft« an, sondern im Gegenteil sogleich und unmittelbar die der sog. »elektromotorischen Kraft«, d.h. der elektrischen Bewegung. Wenn man im gewöhnlichen Leben von der Kraft einer Dampfmaschine spricht in dem Sinn, daß sie imstande ist, in der Zeiteinheit eine bestimmte Menge Wärme in Massenbewegung umzusetzen, so liegt darin kein Grund, diese Begriffsverwirrung auch in die Wissenschaft einzuführen. Ebensogut könnten wir von der verschiedenen Kraft einer Pistole, eines Karabiners, eines glattläufigen Gewehrs und einer Langgeschoßbüchse sprechen, weil sie bei gleicher Pulverladung und gleichem Geschoßgewicht verschieden weit schießen. Hier tritt aber die Verkehrtheit des Ausdrucks deutlich vor Augen. Jedermann weiß, daß es die Entzündung der Pulverladung ist, die die Kugel forttreibt, und daß die verschiedne Tragweite der Waffe nur bedingt ist durch die größere oder geringere Energieverschwendung je nach der Rohrlänge, nach dem Spielraum des Geschosses und nach seiner Form. Der Fall ist aber derselbe bei der Dampfkraft und bei der elektrischen Scheidungskraft. Zwei Dampfmaschinen - |430| bei sonst gleichbleibenden Umständen, d.h. die in gleichen Zeiträumen in beiden freiwerdende Energiemenge gleichgesetzt - oder zwei galvanische Ketten, von denen dasselbe gilt, unterscheiden sich in ihren Arbeitsleistungen nur durch die in ihnen stattfindende größere oder geringere Energieverschwendung. Und wenn die Feuerwaffentechnik aller Armeen bisher fertig geworden ist ohne die Annahme einer besondern Schießkraft der Gewehre, so hat die Wissenschaft von der Elektrizität gar keine Entschuldigung für die Annahme einer, dieser Schießkraft analogen »elektrischen Scheidungskraft«, einer Kraft, in der absolut keine Energie steckt, und die also auch aus sich selbst kein Milliontel Milligramm-Millimeter Arbeit leisten kann.

Dasselbe gilt von der zweiten Form dieser »Scheidungskraft«, der von Helmholtz erwähnten »elektrischen Kontaktkraft der Metalle«. Sie ist nichts andres, als die Eigenschaft der Metalle, bei ihrem Kontakt vorhandene Energie anderer Form in Elektrizität umzusetzen. Sie ist also ebenfalls eine Kraft, die kein Fünkchen Energie enthält. Nehmen wir mit Wiedemann an, die Energiequelle der Kontaktelektrizität liege in der lebendigen Kraft der Adhäsionsbewegung; so existiert diese Energie zuerst in der Form dieser Massenbewegung und setzt sich bei deren Verschwinden sofort um in elektrische Bewegung, ohne auch nur für einen Moment die Form der »elektrischen Kontaktkraft« anzunehmen.

Und nun wird uns noch dazu versichert, dieser »elektrischen Scheidungskraft«, die nicht nur keine Energie in sich enthält, sondern nach ihrem Begriff gar keine enthalten kann, sei proportional die elektromotorische Kraft, d.h. die als Elektrizitätsbewegung wieder erscheinende chemische Energie! Diese Proportionalität zwischen Nicht-Energie und Energie gehört offenbar in dieselbe Mathematik, in der das Verhältnis der Elektrizitätseinheit zum Milligramm |Siehe S. 397| figuriert. Hinter der absurden Form aber, die nur der Auffassung einer simplen Eigenschaft als einer mystischen Kraft ihr Dasein verdankt, steckt eine ganz einfache Tautologie: Die Fähigkeit einer bestimmten Kette, freiwerdende chemische Energie in Elektrizität zu verwandeln, wird gemessen - durch was? Nun, durch die Menge der als Elektrizität im Schließungskreis wieder erscheinenden Energie im Verhältnis zu der in der Kette verbrauchten chemischen. Das ist alles.

Um zu einer elektrischen Scheidungskraft zu kommen, muß man den Notbehelf der beiden elektrischen Fluida ernsthaft nehmen. Um diese aus ihrer Neutralität heraus in ihre Polarität zu versetzen, um sie also aus- |431| einanderzureißen, dazu gehört ein gewisser Aufwand von Energie - die elektrische Scheidungskraft. Einmal voneinander getrennt, können die beiden Elektrizitäten bei ihrer Wiedervereinigung dieselbe Energiemenge wieder abgeben - elektromotorische Kraft. Da aber heutzutage kein Mensch mehr, nicht einmal Wiedemann, die beiden Elektrizitäten als wirkliche Wesenheiten betrachtet, so hieße es für ein verstorbenes Publikum schreiben, wollte man auf solche Vorstellungsweise des breiteren eingehn.

Der Grundirrtum der Kontakttheorie besteht darin, daß sie sich nicht von der Vorstellung trennen kann, die Kontaktkraft oder elektrische Scheidungskraft sei eine Energiequelle, was allerdings schwer war, nachdem man die bloße Eigenschaft eines Apparats, Energieverwandlung zu vermitteln, in eine Kraft verwandelt hatte; denn eine Kraft soll ja eben eine bestimmte Form der Energie sein. Weil Wiedemann diese unklare Kraftvorstellung nicht loswerden kann, obwohl sich ihm daneben die modernen Vorstellungen von unzerstörbarer und unerschaffbarer Energie aufgezwungen haben, deshalb verfällt er in jene sinnlose Stromerklärung Nr. I und in alle die später nachgewiesenen Widersprüche.

Wenn der Ausdruck: elektrische Scheidungskraft, direkt widersinnig, so ist der andere: elektromotorische Kraft, mindestens überflüssig. Wir hatten Thermomotoren lange, ehe wir Elektromotoren hatten, und dennoch wird die Wärmetheorie ganz gut fertig ohne eine besondre thermomotorische Kraft. Wie der einfache Ausdruck Wärme alle Bewegungserscheinungen in sich faßt, die dieser Form der Energie angehören, so kann es auch der Ausdruck Elektrizität auf seinem Gebiet. Dazu sind sehr viele Wirkungsformen der Elektrizität gar nicht direkt »motorisch«, das Magnetisieren von Eisen, die chemische Zersetzung, die Umwandlung in Wärme. Und endlich ist es in jeder Naturwissenschaft, selbst in der Mechanik, jedesmal ein Fortschritt, wenn man das Wort Kraft irgendwo los wird.

Wir sahen, daß Wiedemann die chemische Erklärung der Vorgänge in der Kette nicht ohne ein gewisses Widerstreben annahm. Dies Widerstreben verfolgt ihn fortwährend; wo er der sog. chemischen Theorie etwas anhängen kann, geschieht's gewiß. So

»ist es durchaus nicht begründet, daß die elektromotorische Kraft proportional der Intensität der chemischen Aktion ist« (I, S. 791).

Ganz gewiß nicht in jedem Fall; wo aber diese Proportionalität nicht stattfindet, ist dies nur ein Beweis dafür, daß die Kette schlecht konstruiert ist, daß in ihr Energievergeudung stattfindet. Und deswegen hat derselbe Wiedemann ganz recht, wenn er in seinen theoretischen Ableitungen auf |432| dergleichen Nebenumstände, die die Reinheit des Prozesses fälschen, durchaus keine Rücksicht nimmt, sondern schlankweg versichert, die elektromotorische Kraft eines Elements sei gleich dem mechanischen Äquivalent der in der Zeiteinheit in demselben, bei der Einheit der Stromintensität, stattfindenden chemischen Aktion. An einer andern Stelle heißt es:

»Daß ferner in der Säure-Alkali-Kette die Verbindung der Säure und des Alkalis nicht die Ursache der Strombildung ist, folgt aus den Versuchen §§ 61« (Becquerel und Fechner), »§ 260« (Du Bois-Reymond) und »§ 261« (Worm-Müller), »nach denen in gewissen Fällen, wenn sich dieselben in äquivalenten Mengen finden, kein Strom auftritt, und ebenso aus dem § 62 angeführten Versuche« (Henrici), »daß die elektromotorische Kraft bei Zwischenschaltung von Salpeterlösung zwischen die Kalilauge und Salpetersäure in gleicher Weise auftritt wie ohne dieselbe.« (I, [S.] 791[/792].)

Die Frage, ob die Verbindung von Säure und Alkali eine Ursache der Strombildung sei, beschäftigt unsern Verfasser sehr ernstlich. Sie ist in dieser Form sehr einfach zu beantworten. Die Verbindung von Säure und Alkali ist zunächst die Ursache der Bildung von Salz unter Entbindung von Energie. Ob diese Energie ganz oder zum Teil die Form von Elektrizität annehmen soll, hängt von den Umständen ab, unter denen sie freigesetzt wird. In der Kette: Salpetersäure und Kalilösung zwischen Platinelektroden z.B. wird dies wenigstens teilweise der Fall sein, wobei es für die Strombildung gleichgültig ist, ob man eine Salpeterlösung zwischen Säure und Alkali schiebt oder nicht, da dies die Salzbildung höchstens verlangsamen, aber nicht verhindern kann. Macht man aber eine Kette wie die eine von Worm-Müller, auf die Wiedemann sich fortwährend beruft, wo Säure und Alkalilösung in der Mitte, an beiden Enden aber eine Lösung ihres Salzes sich befindet, und zwar in derselben Konzentration wie die sich in der Kette bildende Lösung, so kann selbstredend kein Strom entstehn, weil wegen der Endglieder - da sich überall identische Körper bilden - keine Ionen entstehn können. Man hat also die Umsetzung der freiwerdenden Energie in Elektrizität ebenso direkt verhindert, als hätte man den Kreis gar nicht geschlossen; man darf sich also nicht wundern, wenn man keinen Strom erhält. Daß aber Säure und Alkali überhaupt einen Strom erzeugen können, beweist die Kette: Kohle, Schwefelsäure (1 in 10 Wasser), Kali (1 in 10 Wasser), Kohle, die nach Raoult eine Stromstärke von 73 (5) hat; und daß sie bei zweckmäßiger Einrichtung der Kette eine der bei ihrer Verbindung |433| freigesetzten großen Energiemenge entsprechende Stromstärke liefern können, geht daraus hervor, daß die stärksten bekannten Ketten fast ausschließlich auf Bildung von Alkalisalzen beruhen, z. B. Wheatstone: Platin, Platinchlorid, Kaliumamalgam, Stromstärke 230; Bleisuperoxyd, verdünnte Schwefelsäure, Kaliumamalgam = 326; Mangansuperoxyd statt des Bleisuperoxyds = 280, wobei jedesmal, wenn statt Kaliumamalgam Zinkamalgam angewandt wurde, die Stromstärke fast genau um 100 abnahm. Ebenso erhielt Beetz in der Kette: fester Braunstein, Kaliumpermanganatlösung, Kalilauge, Kalium, die Stromstärke 302, ferner: Platin, verdünnte Schwefelsäure, Kalium = 293,8; Joule: Platin, Salpetersäure, Kalilauge, Kaliumamalgam = 302. Die »Ursache« dieser ausnahmsweise starken Strombildungen ist allerdings die Verbindung von Säure und Alkali, respektive Alkalimetall, und die dabei freigesetzte große Energiemenge.

Ein paar Seiten weiter heißt es abermals:

»Es ist indes wohl zu beachten, daß nicht direkt das Arbeitsäquivalent der ganzen, an der Kontaktstelle der heterogenen Körper auftretenden chemischen Aktion als Maß für die elektromotorische Kraft im geschlossenen Kreise anzusehn ist. Wenn z.B. in der Säure-Alkali-Kette« (iterum Crispinus) »von Becquerel diese beiden Stoffe sich verbinden, wenn in der Kette: Platin, geschmolzener Salpeter, Kohle, die Kohle verbrennt, wenn in einem gewöhnlichen Element Kupfer, unreines Zink, verdünnte Schwefelsäure sich das Zink unter Bildung von Lokalströmen schnell auflöst, so wird ein großer Teil der bei diesen chemischen Prozessen erzeugten Arbeit« (soll heißen: freigesetzten Energie) »in Wärme verwandelt und geht so für den gesamten Stromkreis verloren.« (I, S. 798.)

Alle diese Vorgänge führen sich zurück auf Energieverlust in der Kette, sie berühren nicht die Tatsache, daß die elektrische Bewegung aus umgewandelter chemischer Energie entsteht, sondern nur die Menge der umgewandelten Energie.

Die Elektriker haben eine unendliche Zeit und Mühe darauf verwandt, die verschiedensten Ketten zu komponieren und ihre »elektromotorische Kraft« zu messen. Das hierdurch angehäufte experimentelle Material enthält sehr viel Wertvolles, aber sicher noch viel mehr Wertloses. Welchen wissenschaftlichen Wert haben z.B. Versuche, in denen »Wasser« als Elektrolyt angewandt wird, das, wie jetzt durch F. Kohlrausch erwiesen, der schlechteste Leiter, also auch das schlechteste Elektrolyt ist (6), wo also nicht |434| das Wasser, sondern seine unbekannten Unreinigkeiten den Prozeß vermitteln? Und doch beruht z.B. fast die Hälfte aller Versuche Fechners auf solcher Anwendung von Wasser, sogar sein »experimentum crucis«, wodurch er die Kontakttheorie unerschütterlich auf den Trümmern der chemischen Theorie etablieren wollte. Wie schon hieraus hervorgeht, sind überhaupt in fast allen Versuchen, einige wenige ausgenommen, die chemischen Vorgänge in der Kette, in denen doch die Quelle der sog. elektromotorischen Kraft liegt, so gut wie unberücksichtigt geblieben. Es gibt aber eine ganze Reihe Ketten, aus deren chemischer Formulierung durchaus kein sicherer Schluß auf die nach der Stromschließung in ihnen vor sich gehenden chemischen Umsätze zu ziehn ist. Im Gegenteil ist, wie Wiedemann (I, S. 797) sagt,

»nicht zu leugnen, daß wir die chemischen Anziehungen in der Kette durchaus noch nicht in allen Fällen übersehen können«.

Alle solche Experimente sind also nach der immer wichtiger werdenden chemischen Seite hin solange wertlos, bis sie unter Kontrollierung jener Prozesse wiederholt werden.

Von einer Berücksichtigung der in der Kette sich vollziehenden Energieumsetzungen ist nun erst ganz ausnahmsweise bei diesen Versuchen die Rede. Viele sind gemacht, ehe das Gesetz von der Äquivalenz der Bewegung naturwissenschaftlich anerkannt war, schleppen sich aber gewohnheitsmäßig unkontrolliert und unabgeschlossen aus einem Handbuch ins andre fort. Wenn man gesagt hat: die Elektrizität hat keine Trägheit (was ungefähr soviel Sinn hat wie: die Geschwindigkeit hat kein spezifisches Gewicht), so kann man dies von der Elektrizitätslehre keineswegs behaupten.

—————

Wir haben bisher das galvanische Element als eine Vorrichtung betrachtet, worin, infolge der hergestellten Kontaktverhältnisse, auf eine einstweilen unbekannte Weise, chemische Energie freigesetzt und in Elektrizität verwandelt wird. Wir haben ebenso die Zersetzungszelle als einen Apparat dargestellt, in dem der umgekehrte Prozeß eingeleitet, elektrische Bewegung in chemische Energie umgesetzt und als solche verbraucht wird. Wir mußten dabei die von den Elektrikern so sehr vernachlässigte chemische Seite des Vorgangs in den Vordergrund stellen, weil dies der einzige Weg war, den Wust der aus der alten Kontaktlehre und der Theorie von den beiden elektrischen Fluiden überkommenen Vorstellungen loszuwerden. |435| Dies einmal erledigt, handelt es sich darum, ob der chemische Prozeß in der Kette unter denselben Bedingungen vor sich geht wie außerhalb derselben, oder ob dabei besondre, von der elektrischen Erregung abhängige Erscheinungen auftreten.

Unrichtige Vorstellungen in jeder Wissenschaft sind schließlich, wenn wir von Beobachtungsfehlern absehn, unrichtige Vorstellungen von richtigen Tatsachen. Die letzteren bleiben, wenn wir auch die ersteren als falsch nachgewiesen. Haben wir die alte Kontakttheorie abgeschüttelt, so bestehn noch die festgestellten Tatsachen, denen sie zur Erklärung dienen sollte. Betrachten wir diese und damit die eigentlich elektrische Seite des Vorgangs in der Kette.

Daß beim Kontakt heterogener Körper mit oder ohne chemische Veränderungen Elektrizitätserregung stattfindet, die vermittelst des Elektroskops resp. des Galvanometers nachzuweisen ist, darüber wird nicht gestritten. Die Energiequelle dieser an sich äußerst minimalen Bewegungserscheinungen ist im einzelnen Fall, wie wir schon anfangs sahen, schwer festzustellen, genug, die Existenz einer solchen äußeren Quelle ist allgemein zugegeben.

Kohlrausch hat 1850-[18]53 eine Reihe von Versuchen veröffentlicht, worin er die einzelnen Bestandstücke einer Kette paarweise zusammenstellt und auf die jedesmal nachweisbaren statisch-elektrischen Spannungen prüft; aus der algebraischen Summe dieser Spannungen soll sich dann die elektromotorische Kraft des Elements zusammensetzen. So berechnet er, die Spannung Zn|Cu = 100 genommen, die relative Stärke des Daniellschen und Groveschen Elements wie folgt:

Daniell:

Zn|Cu + amalg. Zn|H4SO4 + Cu|SO4Cu = 100 + 149 - 21 = 228;

Grove:

Zn|Pt + amalg. Zn|H2SO4 + P|HNO3 = 107 + 149 + 149 = 405,

was mit der direkten Messung der Stromstärke dieser Elemente nahezu stimmt. Diese Ergebnisse sind aber keineswegs sicher. Erstens macht Wiedemann selbst darauf aufmerksam, daß Kohlrausch nur das Schlußresultat, aber

»leider keine Zahlenangaben für die Ergebnisse der einzelnen Versuche angibt« [I, S.104].

Und zweitens erkennt Wiedemann selbst wiederholt an, daß alle Versuche, die elektrischen Erregungen beim Kontakt von Metallen und mehr noch von Metall und Flüssigkeit, quantitativ zu bestimmen, wegen der zahl- |436| reichen unvermeidlichen Fehlerquellen mindestens sehr unsicher sind. Wenn er trotzdem mehrfach mit Kohlrauschs Zahlen rechnet, so tun wir besser, ihm hierin nicht zu folgen, um so mehr, als ein andres Bestimmungsmittel vorliegt, gegen das sich diese Einwände nicht machen lassen.

Senkt man die beiden Erregerplatten einer Kette in die Flüssigkeit und verbindet sie dann mit den Enden eines Galvanometers zum Schließungskreis, so ist nach Wiedemann

»der anfängliche Ausschlag seiner Magnetnadel, ehe chemische Veränderungen die Stärke der elektrischen Erregung geändert haben, ein Maß für die Summe der elektromotorischen Kräfte im Schließungskreise« [I, S. 62].

Verschieden starke Ketten geben also verschieden starke Anfangsausschläge, und die Größe dieser Anfangsausschläge ist proportional der Stromstärke der entsprechenden Ketten.

Dies sieht aus, als hätten wir hier die »elektrische Scheidungskraft«, die »Kontaktkraft«, die unabhängig von jeder chemischen Aktion eine Bewegung verursacht, handgreiflich vor Augen. So in der Tat meint die gesamte Kontakttheorie. Und wirklich liegt hier eine Beziehung vor zwischen elektrischer Erregung und chemischer Aktion, die wir im vorstehenden noch nicht untersucht haben. Um hierauf überzugehn, wollen wir zunächst das sog. elektromotorische Gesetz etwas näher betrachten; wir werden dabei finden, daß auch hier die überkommenen Kontaktvorstellungen nicht nur keine Erklärung bieten, sondern den Weg zur Erklärung wieder direkt versperren.

Wenn man in ein beliebiges Element aus zwei Metallen und einer Flüssigkeit, z.B. Zink, verdünnte Salzsäure, Kupfer, ein drittes Metall, z.B. eine Platinplatte, stellt, ohne sie mit dem äußern Schließungskreis durch einen Leitungsdraht zu verbinden, so ist der anfängliche Ausschlag des Galvanometers genau derselbe wie ohne die Platinplatte. Sie wirkt also nicht ein auf die Elektrizitätserregung. So einfach darf das aber in elektromotorischer Sprache nicht ausgedrückt werden. Es heißt da:

»An die Stelle der elektromotorischen Kraft von Zink und Kupfer in der Flüssigkeit ist nun aber die Summe der elektromotorischen Kräfte von Zink und Platin und Platin und Kupfer getreten. Da der Weg der Elektrizitäten durch die Einschiebung der Platinplatte nicht merklich geändert ist, so können wir aus der Gleichheit der Angaben des Galvanometers in beiden Fällen schließen, daß die elektromotorische Kraft von Zink und Kupfer in der Flüssigkeit gleich ist der von Zink und Platin plus der von Platin und Kupfer in derselben. Es entspräche dies der von Volta aufgestellten Theorie der Elektrizitätserregung zwischen den Metallen für sich. Man spricht das Resultat, welches für alle beliebigen Flüssigkeiten und Metalle gilt, aus, indem man sagt: |437| Die Metalle folgen bei ihrer elektromotorischen Erregung mit Flüssigkeiten dem Gesetz der Spannungsreihe. Man bezeichnet dies Gesetz auch mit dem Namen des elektromotorischen Gesetzes.« (Wiedemann, I, S. 62.)

Wenn man sagt, das Platin wirkt in dieser Kombination überhaupt nicht elektrizitätserregend, so spricht man die einfache Tatsache aus. Wenn man sagt, es wirkt doch elektrizitätserregend, aber in zwei entgegengesetzten Richtungen mit gleicher Stärke, so daß die Wirkung sich aufhebt, so verwandelt man die Tatsache in eine Hypothese, bloß um der »elektromotorischen Kraft« die Honneurs zu machen. In beiden Fällen spielt das Platin die Rolle des Strohmanns.

Während des ersten Ausschlags existiert noch kein Schließungskreis. Die Säure, unzersetzt, leitet nicht; sie kann nur leiten vermittelst der Ionen. Wirkt das dritte Metall nicht auf den ersten Ausschlag, so kommt dies einfach daher, daß es noch isoliert ist.

Wie verhält sich nun das dritte Metall nach Herstellung des dauernden Stroms und während seiner Dauer?

Die Spannungsreihe der Metalle in den meisten Flüssigkeiten hat das Zink nach den Alkalimetallen so ziemlich am positiven und das Platin am negativen Ende, und Kupfer steht zwischen beiden. Wird also wie oben Platin zwischen Kupfer und Zink gestellt, so ist es gegen beide negativ. Der Strom in der Flüssigkeit, wenn das Platin überhaupt wirkte, müßte vom Zink und vom Kupfer zum Platin fließen, also von beiden Elektroden weg zum unverbundenen Platin; was eine contradictio in adjecto |Widerspruch in sich selbst| ist. Die Grundbedingung der Wirksamkeit mehrerer Metalle in der Kette besteht grade darin, daß sie nach außen zum Schließungskreis unter sich verbunden sind. Ein unverbundnes, überzähliges Metall in der Kette figuriert als Nichtleiter; es kann Ionen weder bilden noch durchlassen, und ohne Ionen kennen wir in Elektrolyten keine Leitung. Es ist also nicht bloß Strohmann, es ist sogar im Wege, indem es die Ionen zwingt, sich seitwärts an ihm vorbeizudrücken.

Ebenso, wenn wir Zink und Platin verbinden und das Kupfer unverbunden in die Mitte stellen: Hier würde dieses, wenn es überhaupt wirkte, einen Strom vom Zink zum Kupfer und einen zweiten vom Kupfer zum Platin erzeugen, es müßte also als eine Art Zwischenelektrode dienen und an der dem Zink zugekehrten Seite Wasserstoffgas abscheiden, was wiederum unmöglich ist.

Schütteln wir die überkommene elektromotorische Redeweise ab, so |438| stellt sich der Fall äußerst einfach. Die galvanische Kette, sahen wir, ist eine Vorrichtung, in der chemische Energie freigesetzt und in Elektrizität übergeführt wird. Sie besteht in der Regel aus einer oder mehreren Flüssigkeiten und zwei Metallen als Elektroden, die unter sich außerhalb der Flüssigkeiten leitend verbunden sein müssen. Damit ist der Apparat hergestellt. Was wir noch sonst in die Erregerflüssigkeit unverbunden eintunken, sei es Metall, Glas, Harz oder was sonst, kann an dem in der Kette vorgehenden chemisch-elektrischen Prozeß, an der Strombildung, nicht teilnehmen, solange es die Flüssigkeit nicht chemisch ändert, es kann den Prozeß höchstens stören. Was auch immer die elektrische Erregungsfähigkeit eines dritten, eingetauchten Metalls in Beziehung auf die Flüssigkeit und eine oder beide Elektroden der Kette sein möge, sie kann nicht wirken, solange dies Metall nicht außerhalb der Flüssigkeit mit dem Schließungskreis verbunden ist.

Hiernach ist also nicht nur die obige Ableitung des sog. elektromotorischen Gesetzes durch Wiedemann falsch; auch der Sinn, den er diesem Gesetz gibt, ist falsch. Weder kann gesprochen werden von einer sich kompensierenden elektromotorischen Tätigkeit des unverbundnen Metalls, da dieser Tätigkeit von vornherein die einzige Bedingung abgeschnitten ist, unter der sie in Wirksamkeit treten kann; noch kann das sog. elektromotorische Gesetz abgeleitet werden aus einer Tatsache, die außer seinen Bereich fällt.

Der alte Poggendorff veröffentlichte 1845 eine Reihe von Experimenten in denen er die elektromotorische Kraft der verschiedensten Ketten, d.h. die von jeder in der Zeiteinheit gelieferte Elektrizitätsmenge maß. Darunter sind von besondrem Wert die ersten 27, in deren jedem drei bestimmte Metalle in derselben Erregerflüssigkeit nacheinander zu drei verschiednen Ketten verbunden und diese auf die gelieferte Elektrizitätsmenge untersucht und verglichen werden. Als guter Kontaktelektriker stellte Poggendorff jedesmal auch das dritte Metall unverbunden mit in die Kette und hatte so die Genugtuung, sich zu überzeugen, daß in allen 81 Ketten dieser »Dritte im Bunde« ein reiner Strohmann blieb. Die Bedeutung dieser Versucht besteht aber keineswegs hierin, sondern vielmehr in der Bestätigung und in der Feststellung des richtigen Sinns des sog. elektromotorischen Gesetzes.

Bleiben wir bei der obigen Reihe von Ketten, wo in verdünnter Salzsäure Zink, Kupfer und Platin je zu zweien unter sich verbunden werden Hier fand Poggendorff die gelieferten Elektrizitätsmengen, wenn die eines Daniellschen Elements = 100 gesetzt wird, wie folgt:

|439| Zink-Kupfer =
78,8
Kupfer-Platin =
 74,3
Summe  
153,1
Zink-Platin =
153,7

Zink in direkter Verbindung mit Platin lieferte also fast genau dieselbe Elektrizitätsmenge wie Zink-Kupfer + Kupfer-Platin. Dasselbe fand statt in allen andern Ketten, welche Flüssigkeiten und Metalle auch angewandt wurden. Wenn aus einer Reihe Metalle in derselben Erregerflüssigkeit Ketten gebildet werden, derart, daß je nach der für diese Flüssigkeit geltenden Spannungsreihe das zweite, dritte, vierte usw. nacheinander als negative Elektrode für das vorhergehende und als positive für das nächstfolgende dient, so ist die Summe der durch alle diese Ketten gelieferten Elektrizitätsmengen gleich der Elektrizitätsmenge, geliefert durch eine direkte Kette zwischen den beiden Endgliedern der ganzen Metallreihe. Es würden demnach z.B. in verdünnter Salzsäure die von den Ketten Zink-Zinn, Zinn-Eisen, Eisen-Kupfer, Kupfer-Silber, Silber-Platin insgesamt gelieferten Elektrizitätsmengen gleich sein der von der Kette Zink-Platin gelieferten; eine Säule, gebildet aus allen Elementen der obigen Reihe, würde unter sonst gleichen Verhältnissen durch ein mit entgegengesetzter Stromesrichtung eingeschaltetes Zink-Platin-Element gerade neutralisiert.

In dieser Fassung erhält das sog. elektromotorische Gesetz eine wirkliche und große Bedeutung. Es enthält eine neue Seite des Zusammenhangs zwischen chemischer und elektrischer Aktion. Bisher, bei vorwiegender Untersuchung der Energiequelle des galvanischen Stroms, erschien diese Quelle, die chemische Umsetzung, als die aktive Seite des Prozesses; die Elektrizität wurde aus ihr erzeugt, erschien also zunächst als passiv. Jetzt kehrt sich dies um. Die durch die Beschaffenheit der in der Kette in Berührung gesetzten heterogenen Körper bedingte elektrische Erregung kann der chemischen Aktion Energie weder zusetzen, noch entziehn (anders als durch Umsetzung freiwerdender Energie in Elektrizität). Aber sie kann, je nach der Einrichtung der Kette, diese Aktion beschleunigen oder verlangsamen. Wenn die Kette Zink-verdünnte Salzsäure-Kupfer in der Zeiteinheit nur halb soviel Elektrizität für den Strom liefert, wie die Kette Zink-verdünnte Salzsäure-Platin, so heißt dies, chemisch ausgedrückt, daß die erste Kette in der Zeiteinheit nur halb soviel Zinkchlorid und Wasserstoff liefert wie die zweite. Die chemische Aktion ist also verdoppelt worden, obwohl die rein chemischen Bedingungen dieselben geblieben sind. Die elektrische |440| Erregung ist zum Regulator der chemischen Aktion geworden; sie erscheint jetzt als die aktive Seite, die chemische Aktion als die passive.

So wird es denn verständlich, wenn eine ganze Reihe von früher als rein chemisch betrachteten Prozessen sich jetzt als elektrochemische darstellen. Chemisch reines Zink wird von verdünnter Säure, wenn überhaupt, nur sehr schwach angegriffen; gewöhnliches käufliches Zink dagegen löst sich rasch unter Salzbildung und Wasserstoffentwicklung, es enthält Beimischung von andern Metallen und Kohle, die an verschiednen Stellen der Oberfläche ungleich stark vertreten sind. Zwischen ihnen und dem Zink selbst bilden sich in der Säure Lokalströme, wobei die Zinkstellen die positiven, die andern Metalle die negativen Elektroden bilden, an denen die Wasserstoffbläschen sich ausscheiden. Ebenso wird die Erscheinung, daß in Kupfervitriollösung eingetauchtes Eisen sich mit einer Kupferschicht bedeckt, jetzt als eine elektrochemische angesehn: als bedingt durch Ströme, die zwischen den heterogenen Stellen der Eisenoberfläche entstehn.

Demgemäß finden wir auch, daß die Spannungsreihen der Metalle in Flüssigkeiten im ganzen und großen den Reihen entsprechen, in denen die Metalle einander aus ihren Verbindungen mit den Halogenen und Säureradikalen verdrängen. Am äußersten negativen Ende der Spannungsreihen finden wir regelmäßig die Metalle der Goldgruppe: Gold, Platin, Palladium, Rhodium, die schwer oxydierbar sind, von Säuren kaum oder gar nicht angegriffen und aus ihren Salzen durch andre Metalle leicht gefällt werden. Am äußersten positiven Ende stehn die Alkalimetalle, die das grade entgegengesetzte Verhalten zeigen: Sie sind aus ihren Oxyden unter dem größten Energieaufwand kaum abzuscheiden, kommen in der Natur fast nur in Form von Salzen vor und haben von allen Metallen bei weitem die größte Verwandtschaft zu Halogenen und Säureradikalen. Zwischen beiden stehn die übrigen Metalle in etwas wechselnden Reihenfolgen, doch so, daß im ganzen elektrisches und chemisches Verhalten miteinander stimmen. Die Reihenfolge der einzelnen darunter wechselt je nach den Flüssigkeiten und ist auch wohl kaum für eine einzige Flüssigkeit endgültig festgestellt. Es ist sogar erlaubt zu zweifeln, ob es für eine einzelne Flüssigkeit eine solche absolute Spannungsreihe der Metalle gibt. Zwei Stücke desselben Metalls können in geeigneten Ketten und Zersetzungszellen als positive und negative Elektrode dienen, dasselbe Metall also kann gegen sich selbst sowohl positiv wie negativ sein. In den Thermoelementen, die Wärme in Elektrizität umsetzen, schlägt bei starken Temperaturdifferenzen an den beiden Lötstellen die Stromesrichtung um: Das früher positive Metall wird negativ und umgekehrt. Ebenso gibt es keine absolute Reihe, nach der die |441| Metalle einander aus ihren chemischen Verbindungen mit einem bestimmten Halogen oder Säureradikal verdrängen; durch Energiezufuhr in Form von Wärme können wir die für die gewöhnliche Temperatur geltende Reihe in vielen Fällen fast nach Belieben abändern und umkehren.

Wir finden hier also eine eigentümliche Wechselwirkung zwischen Chemismus und Elektrizität. Die chemische Aktion in der Kette, die der Elektrizität die gesamte Energie für die Strombildung liefert, wird ihrerseits in vielen Fällen erst in Gang gebracht und in allen Fällen quantitativ reguliert durch die in der Kette eingeleiteten elektrischen Spannungen. Wenn uns früher die Vorgänge in der Kette als chemisch-elektrische erschienen, so sehn wir hier, daß sie ebensosehr elektrochemisch sind. Vom Standpunkt der Bildung des dauernden Stroms erschien die chemische Aktion als das Primäre; vom Standpunkt der Stromeserregung erscheint sie als sekundär, akzessorisch. Die Wechselwirkung schließt jedes absolut Primäre und absolut Sekundäre aus; aber ebensosehr ist sie ein doppelseitiger Prozeß, der seiner Natur nach von zwei verschiednen Standpunkten betrachtet werden kann; um als Gesamtheit verstanden zu werden, muß sie sogar nacheinander von beiden Standpunkten aus untersucht werden, ehe das Gesamtresultat zusammengefaßt werden kann. Halten wir aber den einen Standpunkt einseitig als den absoluten fest gegenüber dem andern, oder springen wir willkürlich, je nach dem momentanen Bedürfnis des Räsonnements, über von dem einen auf den andern, so bleiben wir befangen in der Einseitigkeit des metaphysischen Denkens; der Zusammenhang entgeht uns, und wir verwickeln uns in einen Widerspruch über den andern.

Wir sahen oben, daß nach Wiedemann der anfängliche Ausschlag des Galvanometers, unmittelbar nach der Eintauchung der Erregerplatten in die Flüssigkeit der Kette, und ehe noch chemische Veränderungen die Stärke der elektrischen Erregung geändert haben,

»ein Maß ist für die Summe der elektromotorischen Kräfte im Schließungskreise«.

Bisher lernten wir die sog. elektromotorische Kraft kennen als eine Form der Energie, die in unserm Fall aus chemischer Energie in äquivalenter Menge erzeugt war und sich im weitern Verlauf wieder in äquivalente Mengen von Wärme, Massenbewegung etc. umsetzte. Hier auf einmal erfahren wir, daß die »Summe der elektromotorischen Kräfte im Schließungskreise« bereits existiert, ehe chemische Veränderungen jene Energie freigesetzt haben; mit andern Worten, daß die elektromotorische Kraft nichts andres ist als die Kapazität einer bestimmten Kette, in der Zeiteinheit eine bestimmte Quantität chemischer Energie freizusetzen und in elektrische |442| Bewegung zu verwandeln. Wie früher die elektrische Scheidungskraft, erscheint hier auch die elektromotorische Kraft als eine Kraft, die kein Fünkchen Energie enthält. Wiedemann versteht also unter »elektromotorischer Kraft« zwei total verschiedne Dinge: einerseits die Kapazität einer Kette, eine bestimmte Menge gegebner chemischer Energie freizusetzen und in elektrische Bewegung zu verwandeln, andrerseits die entwickelte Menge elektrischer Bewegung selbst. Daß beide einander proportional sind, daß die eine ein Maß für die andre ist, hebt ihre Verschiedenheit nicht auf. Die chemische Aktion in der Kette, die entwickelte Elektrizitätsmenge, und die im Schließungskreis, wenn sonst keine Arbeit geleistet wird, aus ihr entstandene Wärme sind noch mehr als proportional, sie sind sogar äquivalent; das tut aber ihrer Verschiedenheit keinen Abbruch. Die Kapazität einer Dampfmaschine von bestimmtem Zylinderdurchmesser und Kolbenhub, eine bestimmte Menge mechanischer Bewegung aus zugeführter Wärme zu erzeugen, ist sehr verschieden von dieser mechanischen Bewegung selbst, so proportional sie ihr auch ist. Und wenn solche Redeweise zu einer Zeit erträglich war, wo von Erhaltung der Energie in der Naturwissenschaft noch nicht gesprochen wurde, so liegt doch auf der Hand, daß seit Anerkennung dieses Grundgesetzes die wirkliche lebendige Energie unter irgendeiner Form nicht mehr verwechselt werden darf mit der Kapazität eines beliebigen Apparats, freiwerdender Energie diese Form zu erteilen. Es ist diese Verwechslung ein Korollar der Verwechslung von Kraft und Energie bei Gelegenheit der elektrischen Scheidungskraft; sie beide sind es, in denen die drei einander total widersprechenden Stromeserklärungen Wiedemanns sich harmonisch lösen, und die überhaupt allen seinen Irrungen und Wirrungen über die sog. »elektromotorische Kraft« schließlich zugrunde liegen.

Außer der bereits betrachteten eigentümlichen Wechselwirkung zwischen Chemismus und Elektrizität findet sich noch eine zweite Gemeinsamkeit, die ebenfalls eine engere Verwandtschaft dieser beiden Bewegungsformen andeutet. Beide können nur verschwindend bestehn. Der chemische Prozeß vollzieht sich für jede in ihn eintretende Gruppe von Atomen plötzlich. Nur durch die Gegenwart von neuem Material, das stets von neuem in ihn eintritt, kann er verlängert werden. Ebenso mit der elektrischen Bewegung. Kaum ist sie aus einer andern Bewegungsform erzeugt, so schlägt sie auch schon wieder um in eine dritte Bewegungsform; nur fortwährende Bereitschaft verfügbarer Energie kann den dauernden Strom herstellen, in dem in jedem Augenblick neue Bewegungsmengen die Form der Elektrizität annehmen und wieder verlieren.

|443| Die Einsicht in diesen engen Zusammenhang der chemischen mit der elektrischen Aktion und umgekehrt wird auf beiden Untersuchungsgebieten zu großen Resultaten führen. Sie wird bereits immer allgemeiner. Unter den Chemikern hat Lothar Meyer und nach ihm Kekulé geradezu ausgesprochen, daß eine Wiederaufnahme der elektrochemischen Theorie in verjüngter Form bevorstehe. Auch unter den Elektrikern scheint, wie namentlich die jüngsten Arbeiten von F. Kohlrausch andeuten, die Überzeugung endlich durchdringen zu wollen, daß nur eine genaue Beachtung der chemischen Vorgänge in Kette und Zersetzungszelle ihrer Wissenschaft aus der Sackgasse der alten Traditionen heraushelfen kann.

Und in der Tat ist nicht abzusehn, wodurch anders der Lehre vom Galvanismus und damit in zweiter Linie derjenigen vom Magnetismus und von der Spannungselektrizität eine feste Grundlage gegeben werden kann als durch eine chemisch-exakte Generalrevision aller überkommenen, unkontrollierten, auf einem überwundnen wissenschaftlichen Standpunkt angestellten Versuche, unter genauer Beachtung und Feststellung der Energieumsätze und unter vorläufiger Beiseitesetzungu aller traditionellen theoretischen Vorstellungen über die Elektrizität.


Fußnoten von Friedrich Engels

(1) Für das Tatsächliche verlassen wir uns in diesem Kapitel vorwiegend auf Wiedemanns »Lehre vom Galvanismus und Elektromagnetismus«, 2 Bde. in 3 Abt., 2- Auflage, Braunschweig [1872-]1874.

In »Nature« 1882, Juni 15., wird auf diesen »admirable treatise« |»prächtige Abhandlung«| hingewiesen, »which in its forthcoming shape, with electrostatics added, will be the greatest experimental treatise on electricity in existence« |»die in ihrer Gestalt, in der sie demnächst erscheint, um Elektrostatik vermehrt, die trefflichste experimentelle Abhandlung über Elektrizität sein wird, die existiert«. <=

(2) Ich gebrauche die Bezeichnung »Elektrizität« im Sinn von elektrischer Bewegung mit demselben Recht, wie auch die allgemeine Bezeichnung »Wärme« gebraucht wird, um diejenige Bewegungsform auszudrücken, die sich unsern Sinnen als Wärme kund gibt. Dies kann um so weniger Anstoß finden, als jede etwaige Verwechslung mit dem Spannungszustand der Elektrizität hier im voraus ausdrücklich ausgeschlossen ist. <=

(3) Neuerdings hat F. Kohlrausch (»Wiedemanns Annalen«, VI [Leipzig 1879], [S.] 206) berechnet, daß »immense Kräfte« dazu gehören, die Ionen durch das lösende Wasser zu schieben. Um 1 mg den Weg von 1 mm zurücklegen zu lauen, sei eine Zugkraft erforderlich, für H = 32.500 kg, für Cl = 5.200 kg, also für HCl = 37.700 kg. - Auch wenn diese Zahlen unbedingt richtig, berühren sie das oben Gesagte nicht. Die Rechnung enthält aber die auf dem Elektrizitätsgebiet bisher unvermeidlichen hypothetischen Faktoren und bedarf also der Kontrolle durch das Experiment. Diese scheint möglich. Erstens müssen diese »immensen Kräfte« da, wo sie verbraucht werden, also im obigen Fall in der Kette, wiedererscheinen als bestimmte Wärmemenge. Zweitens muß die von ihnen verbrauchte Energie geringer sein als die von den chemischen Prozessen der Kette gelieferte, und zwar um eine bestimmte Differenz. Drittens muß diese Differenz im übrigen Schließungskreis verbraucht werden und dort ebenfalls quantitativ nachweisbar sein. Erst nach Bestätigung durch diese Kontrolle können obige Zahlenbestimmungen definitiv gelten. Die Nachweisung in der Zersetzungszelle erscheint noch ausführbarer. <=

(4) Ein für allemal sei bemerkt, daß Wiedemann überall die alten chemischen Äquivalentwerte anwendet, HO, ZnCl usw. schreibt. In meinen Gleichungen sind überall die modernen Atomgewichte angewandt, es heißt also H20, ZnCl2, usw. <=

(5) In allen folgenden Angaben über Stromstärke wird das Daniellsche Element = 100 gesetzt. <=

(6) Eine Säule des reinsten von Kohlrausch dargestellten Wassers von 1 mm Länge offerierte denselben Widerstand wie eine Kupferleitung vom gleichen Durchmesser und von der Länge etwa der Mondbahn (Naumann, »Allg. Chemie«, S. 729). <=


{1} Bei Engels: »Darauf würde sich die negative Elektrizität im Zink mit der positiven des nächstliegenden Atoms Cl ...« <=

{2} Am Rande des Manuskripts fügte Engels hinzu: »Wenn man annimmt, daß die Stromstärke von einem Daniellschen Element = 100.« <=


Pfad: »../me/me20«
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