MLWerke Marx/Engels - Werke Artikel und Korrespondenzen 1889

Seitenzahlen verweisen auf:    Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 379-381.
Korrektur:    1
Erstellt:    20.03.1999

Friedrich Engels

Die Mandate der Possibilisten

Geschrieben Anfang August 1889.
Nach: "The Labour Elector", Vol. II, Nr. 32 vom 10. August 1889.
Aus dem Englischen.


|379| Die Anhänger des Pariser Possibilisten-Kongresses wiederholen immer wieder - der unverkennbare Herr Smith Headungley im "Star", Herr H. Burrows und Frau Besant in Wochenblättern -, daß ihr Kongreß ein wahrhaft repräsentativer war, wohingegen am Marxisten-Kongreß Leute teilnahmen, die nur sich selbst vertraten und aus diesem Grunde es nicht wagten, die Herausforderung der Possibilisten anzunehmen und ihnen ihre Mandate vorzulegen. Die englischen Delegierten zum Marxisten-Kongreß werden zweifellos eine Gelegenheit suchen und finden, die Unwahrheit der gegen sie erhobenen Beschuldigungen nachzuweisen; wir können daher einstweilen diesen Teil des Themas fallenlassen und uns darauf beschränken, zu bemerken, daß die Possibilisten dem Marxisten-Kongreß kaum eine größere Beleidigung zufügen konnten, als von ihm zu verlangen, den Akt der Überprüfung seiner eigenen Mandate, der bereits vor zwei (oder drei?) Tagen abgeschlossen war, zu ignorieren und ihre Mandate einer neuen Prüfung zu unterziehen, während die Possibilisten in ihrer Resolution über diesen Punkt es sorgsam vermieden, sich einer Prüfung ihrer eigenen Mandate durch die Marxisten zu unterziehen.

Daß das Obengesagte eine richtige Beurteilung der Angelegenheit darstellt, und daß die Possibilisten weit mehr Grund hatten als die Marxisten, ihre Mandate nur ihren Freunden vorzuweisen, wurde durch die Bemerkungen Dr. Adlers auf dem Marxisten-Kongreß bestätigt, die einige ihm zugegangene Informationen über die "österreichischen" Delegierten der Possibilisten zum Inhalt hatten. Da diese Angelegenheit für die Art und Weise, in welcher die Possibilisten wahrhaft repräsentative Delegierte fabrizierten, charakteristisch ist, verdient sie es, veröffentlicht zu werden.

In der Liste der Delegierten der Possibilisten finden wir unter "Österreich" die folgenden Körperschaften vertreten: - "Gewerkschaft der Wiener Bäcker", "Verband von Oberösterreich und Salzburg", "Verband der Arbeitsleute von Böhmen, Mähren und Schlesien". Dr. Adler, der während |380| der vergangenen drei Jahre die sozialistische Bewegung in Osterreich mit wundervoller Energie, mit viel Takt und Ausdauer reorganisierte und der alle Arbeitervereinigungen Österreichs kennt, erzählte nun dem Kongreß, daß diese verschiedenen Gesellschaften, was für Verdienste sie auch immer haben mögen, einen fatalen Mangel aufweisen: sie existieren nicht.

Als es in Paris bekannt wurde, daß der Marxisten-Kongreß am Sonntag zusammengetreten war und daß Delegierte aus Österreich anwesend waren, kamen gleich am Montag zwei Österreicher zum Kongreß und sprachen mit Dr. Adler. Sie erzählten ihm, daß sie Bäcker seien und schon einige Zeit in Paris arbeiteten. Ein ungarischer Bäcker namens Dobosy habe sie als "Delegierte" zu einem Arbeiterkongreß eingeladen; sie wollten wissen, ob es sich um diesen Kongreß handele. Adler befragte sie eingehender und fand heraus, daß sie für den Possibilisten-Kongreß eingeladen worden waren, für den sie Mitgliedskarten hatten. Den Männern, von denen sie eingeladen worden waren, wollten sie gesagt haben, daß sie niemand anders als sich selbst verträten, woraufhin man ihnen entgegnet habe, daß dies nichts ausmache, Österreich sei ein despotisches Land und reguläre Mandate seien daher nicht erforderlich. Sie glaubten nun, daß sich die eigentlichen österreichischen Delegierten auf dem anderen Kongreß befinden. Was rate man ihnen, zu tun? Die österreichischen Delegierten sagten ihnen, daß sie kein Recht hätten, bei irgendeinem Kongreß Delegierte zu spielen. Darauf wurde ein weiteres Gespräch vereinbart. Nach ein oder zwei Tagen kamen sie wieder, nahmen an der Tagung des Marxisten-Kongresses teil und erklärten darauf, daß sie selbst begriffen hätten, daß sie aus dieser falschen Lage herausmüßten, aber wie? Man sagte ihnen, daß sie ihre Mandate zurückgeben sollten. Sie hatten überhaupt keine. Dann gebt eure Mitgliedskarten zurück. Dies versprachen sie zu tun und kehrten dann zurück, um mitzuteilen, daß sie es getan hätten.

Dies ist ein Beispiel dafür, was die Possibilisten und ihre englischen Parteigänger "streng repräsentativ" nennen. Und die eindrucksvolle Liste ungarischer Gesellschaften mit Namen, die unter Druckfehlern so gut verborgen sind, daß nur bei wenigen der angebliche Sitz erkennbar ist, und nach Aussage der wirklichen ungarischen Delegierten des Marxisten-Kongresses außerhalb des Wunderlandes possibilistischer Einbildungen ebenfalls nicht existent sind - wie durchsichtig ist doch dieser Betrug. "Soziale Studienzirkel und Verbände Kroatiens, Slawoniens, Dalmatiens, von Triest und Fiume" - dieser pompöse Titel trägt zu offensichtlich den Stempel seines Pariser Ursprungs. Man bedenke, daß hinter all dem nicht einmal die - drei Schneider aus der Tooley Street stehen!

|381| Man sagt uns weiterhin, es sei völlig falsch, daß der Possibilisten-Kongreß ein bloßer Trade-Unions-Kongreß war. Herr Herbert Burrows ist über eine derartige Verleumdung ganz ungehalten; mit Ausnahme einiger weniger englischer Trade-Unionisten waren "alle Delegierten" revolutionäre Sozialisten und vertraten als solche ihre entsprechenden Gesellschaften. Um nur ein Beispiel zu geben: was schreibt "El Socialista" aus Madrid (26. Juli) über die spanischen Delegierten der Possibilisten? Daß "sie sagen, daß sie 20.000 Sozialisten vertreten, wo sie doch nur Delegierte von Gesellschaften sind, in welchen sowohl für die Karlisten als auch die revolutionären Sozialisten Platz ist" - also völlig unpolitische Klubs oder was man in England Trade-Unions nennt.


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