11. Kapitel. Arbeitslohn und Produktionspreis | Inhalt | 13. Kapitel. Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Das Gesetz als solches

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 25, "Das Kapital", Bd. III, Zweiter Abschnitt, S. 215 - 220
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1983

ZWÖLFTES KAPITEL
Nachträge

I. Ursachen, welche eine Änderung im Produktionspreis bedingen

<215> Der Produktionspreis einer Ware kann nur variieren aus zwei Ursachen:

Erstens. Die allgemeine Profitrate ändert sich. Dies ist nur dadurch möglich, daß sich die Durchschnittsrate des Mehrwerts selbst ändert oder, bei gleichbleibender durchschnittlicher Mehrwertsrate, das Verhältnis der Summe der angeeigneten Mehrwerte zur Summe des vorgeschoßnen gesellschaftlichen Gesamtkapitals.

Soweit die Änderung der Rate des Mehrwerts nicht auf Herunterdrücken des Arbeitslohns unter, oder dessen Steigen über seinen normalen Stand beruht - und derartige Bewegungen sind nur als oszillatorische zu betrachten -, kann sie nur stattfinden entweder dadurch, daß der Wert der Arbeitskraft sank oder stieg; das eine so unmöglich wie das andre ohne Veränderung in der Produktivität der Arbeit, die Lebensmittel produziert, also ohne Wechsel im Wert der Waren, die in den Konsum des Arbeiters eingehn.

Oder das Verhältnis der Summe des angeeigneten Mehrwerts zum vorgeschoßnen Gesamtkapital der Gesellschaft ändert sich. Da der Wechsel hier nicht von der Rate des Mehrwerts ausgeht, so muß er ausgehn vom Gesamtkapital, und zwar von seinem konstanten Teil. Dessen Masse, technisch betrachtet, vermehrt oder vermindert sich im Verhältnis zu der vom variablen Kapital gekauften Arbeitskraft, und die Masse seines Werts wächst oder fällt so mit dem Wachstum oder der Abnahme seiner Masse selbst; sie wächst oder fällt also ebenfalls im Verhältnis zur Wertmasse des variablen Kapitals. Setzt dieselbe Arbeit mehr konstantes Kapital in Bewegung, so ist die Arbeit produktiver geworden. Wenn umgekehrt, umgekehrt. Also hat Wechsel in der Produktivität der Arbeit stattgefunden, und ein Wechsel muß vorgegangen sein im Wert gewisser Waren.

<216> Für beide Fälle also gilt dies Gesetz: Wechselt der Produktionspreis einer Ware infolge eines Wechsels in der allgemeinen Profitrate, so kann zwar ihr eigner Wert unverändert geblieben sein. Es muß aber ein Wertwechsel mit andren Waren vorgegangen sein.

Zweitens. Die allgemeine Profitrate bleibt unverändert. Dann kann der Produktionspreis einer Ware nur wechseln, weil ihr eigner Wert sich verändert hat; weil mehr oder weniger Arbeit erheischt ist, um sie selbst zu reproduzieren, sei es, daß die Produktivität der Arbeit wechselt die die Ware selbst in ihrer letzten Form produziert, oder die, welche die Waren produziert, die in ihre Produktion eingehn. Baumwollengarn kann im Produktionspreis fallen, entweder weil Rohbaumwolle wohlfeiler hergestellt wird oder weil die Arbeit des Spinnens infolge bessrer Maschinerie produktiver geworden ist.

Der Produktionspreis ist, wie früher gezeigt, = k + p, gleich Kostpreis und Profit. Dies aber ist k + kp´ <MEW: kp>, wo k, der Kostpreis, eine unbestimmte Größe, die für verschiedne Produktionssphären wechselt und überall gleich ist dem Wert des in der Produktion der Ware verbrauchten konstanten und variablen Kapitals, und p´ die prozentig berechnete Durchschnittsprofitrate. Ist k = 200 und p´ = 20%, so ist der Produktionspreis k + kp´ = 200 + 20020/100 = 200 + 40 = 240. Es ist klar, daß dieser Produktionspreis derselbe bleiben kann, obgleich der Wert der Waren sich verändert.

Alle Wechsel im Produktionspreis der Waren lösen sich auf in letzter Instanz in einen Wertwechsel, aber nicht alle Wechsel im Wert der Waren brauchen sich in einem Wechsel des Produktionspreises auszudrücken, da dieser bestimmt ist nicht allein durch den Wert der besondren Ware, sondern durch den Gesamtwert aller Waren. Der Wechsel in Ware A kann also ausgeglichen sein durch einen entgegengesetzten der Ware B, so daß das allgemeine Verhältnis dasselbe bleibt.

II. Produktionspreis der Waren mittlerer Zusammensetzung

Man hat gesehn, wie die Abweichung der Produktionspreise von den Werten dadurch entspringt:

1. daß zum Kostpreis einer Ware nicht der in ihr enthaltne Mehrwert, sondern der Durchschnittsprofit hinzugeschlagen wird;

2. daß der so vom Wert abweichende Produktionspreis einer Ware als Element in den Kostpreis andrer Waren eingeht, wodurch also schon im Kostpreis einer Ware eine Abweichung vom Wert der in ihr konsumierten <217> Produktionsmittel enthalten sein kann, abgesehn von der Abweichung, die für sie selbst durch die Differenz zwischen Durchschnittsprofit und Mehrwert hineinkommen kann.

Es ist hiernach also möglich, daß auch bei Waren, die durch Kapitale mittlerer Zusammensetzung produziert werden, der Kostpreis abweichen kann von der Wertsumme der Elemente, aus denen dieser Bestandteil ihres Produktionspreises sich zusammensetzt. Angenommen, die mittlere Zusammensetzung sei 80c + 20v. Es ist nun möglich, daß in den wirklichen Kapitalen, die so zusammengesetzt sind, 80c größer oder kleiner ist als der Wert von c, dem konstanten Kapital, weil dies c durch Waren gebildet ist, deren Produktionspreis abweicht von ihrem Wert. Ebenso könnte 20v von seinem Wert abweichen, wenn in den Verzehr des Arbeitslohns Waren eingehn, deren Produktionspreis von ihrem Wert verschieden ist; der Arbeiter also zum Rückkauf dieser Waren (ihrem Ersatz) mehr oder minder Arbeitszeit arbeiten, also mehr oder minder viel notwendige Arbeit verrichten muß, als nötig wäre, wenn die Produktionspreise der notwendigen Lebensmittel mit ihren Werten zusammenfielen.

Indes ändert diese Möglichkeit durchaus nichts an der Richtigkeit der für Waren mittlerer Zusammensetzung aufgestellten Sätze. Das Quantum Profit, das auf diese Waren fällt, ist gleich dem in ihnen selbst enthaltnen Quantum Mehrwert. Z.B. bei obigem Kapital von der Zusammensetzung 80c + 20v ist das Wichtige für die Bestimmung des Mehrwerts nicht, ob diese Zahlen Ausdrücke der wirklichen Werte, sondern wie sie sich zueinander verhalten; nämlich daß v = 1/5 des Gesamtkapitals und c = 4/5 ist. Sobald dies der Fall, ist, wie oben angenommen, der von v erzeugte Mehrwert gleich dem Durchschnittsprofit. Andrerseits: weil er gleich dem Durchschnittsprofit ist, ist der Produktionspreis = Kostpreis + Profit = k + p = k + m, praktisch dem Wert der Ware gleichgesetzt. D.h., eine Erhöhung oder Erniedrigung des Arbeitslohns läßt k + p in diesem Fall ebenso unverändert, wie sie den Wert der Ware unverändert lassen würde, und bewirkt bloß eine entsprechende umgekehrte Bewegung, Erniedrigung oder Erhöhung, auf Seite der Profitrate. Würde nämlich infolge einer Erhöhung oder Erniedrigung des Arbeitslohns der Preis der Waren hier verändert, so käme die Profitrate in diesen Sphären mittlerer Zusammensetzung über oder unter ihr Niveau in den andern Sphären zu stehn. Nur soweit der Preis unverändert bleibt, bewahrt die Sphäre mittlerer Zusammensetzung ihr Profitniveau mit den andern Sphären. Es findet also bei ihr praktisch dasselbe statt, als ob die Produkte dieser Sphäre zu ihrem wirklichen Wert verkauft würden. Werden Waren nämlich zu ihren wirklichen Werten verkauft, so <218> ist es klar, daß bei sonst gleichen Umständen Steigen oder Sinken des Arbeitslohns entsprechendes Sinken oder Steigen des Profits, aber keinen Wertwechsel der Waren hervorruft und daß unter allen Umständen Steigen oder Sinken des Arbeitslohnes nie den Wert der Waren, sondern stets nur die Größe des Mehrwerts affizieren kann.

III. Kompensationsgründe des Kapitalisten

Es ist gesagt worden, daß die Konkurrenz die Profitraten der verschiednen Produktionssphären zur Durchschnittsprofitrate ausgleicht und ebendadurch die Werte der Produkte dieser verschiednen Sphären in Produktionspreise verwandelt. Und zwar geschieht dies durch fortwährende Übertragung von Kapital aus einer Sphäre in die andre, wo augenblicklich der Profit über dem Durchschnitt steht; wobei jedoch in Betracht kommen die mit dem Wechsel der magern und fetten Jahre, wie sie in einem gegebnen Industriezweig innerhalb einer gegebnen Epoche einander folgen, verbundnen Profitschwankungen. Diese ununterbrochne Aus- und Einwanderung des Kapitals, die zwischen verschiednen Sphären der Produktion stattfindet, erzeugt steigende und fallende Bewegungen der Profitrate, die sich gegenseitig mehr oder weniger ausgleichen und dadurch die Tendenz haben, die Profitrate überall auf dasselbe gemeinsame und allgemeine Niveau zu reduzieren.

Diese Bewegung der Kapitale wird in erster Linie stets verursacht durch den Stand der Marktpreise, die die Profite hier über das allgemeine Niveau des Durchschnitts erhöhen, dort sie darunter hinabdrücken. Wir sehn einstweilen noch ab vom Kaufmannskapital, womit wir hier noch nichts zu tun haben und das, wie die plötzlich emporschießenden Paroxysmen der Spekulation in gewissen Lieblingsartikeln zeigen, mit außerordentlicher Schnelligkeit Kapitalmassen aus einer Geschäftsbranche ziehn und sie ebenso plötzlich in eine andre werfen kann. Aber in jeder Sphäre der eigentlichen Produktion - Industrie, Ackerbau, Bergwerke etc. - bietet die Übertragung von Kapital aus einer Sphäre in die andre bedeutende Schwierigkeit, besonders wegen des vorhandnen fixen Kapitals. Zudem zeigt die Erfahrung, daß, wenn ein Industriezweig, z.B. die Baumwollindustrie, zu einer Zeit außerordentlich hohe Profite abwirft, er dann auch zu einer andern Zeit sehr geringen Profit oder gar Verlust bringt, so daß in einem gewissen Zyklus von Jahren der Durchschnittsprofit ziemlich derselbe ist wie in andern Zweigen. Und mit dieser Erfahrung lernt das Kapital bald rechnen.

<219> Was aber die Konkurrenz nicht zeigt. das ist die Wertbestimmung, die die Bewegung der Produktion beherrscht; das sind die Werte, die hinter den Produktionspreisen stehn und sie in letzter Instanz bestimmen. Die Konkurrenz zeigt dagegen: 1. die Durchschnittsprofite, die unabhängig sind von der organischen Zusammensetzung des Kapitals in den verschiednen Produktionssphären, also auch von der Masse der von einem gegebnen Kapital in einer gegebnen Exploitationssphäre angeeigneten lebendigen Arbeit; 2. Steigen und Fallen der Produktionspreise infolge von Wechsel in der Höhe des Arbeitslohns - eine Erscheinung, die dem Wertverhältnis der Waren auf den ersten Blick durchaus widerspricht; 3. Schwankungen der Marktpreise, die den Durchschnittsmarktpreis der Waren in einer gegebnen Zeitperiode reduzieren, nicht auf den Marktwert, sondern auf einen von diesem Marktwert abweichenden, sehr verschiednen Marktproduktionspreis. Alle diese Erscheinungen scheinen ebensosehr der Bestimmung des Werts durch die Arbeitszeit, wie der aus unbezahlter Mehrarbeit bestehenden Natur des Mehrwerts zu widersprechen. Es erscheint also in der Konkurrenz alles verkehrt. Die fertige Gestalt der ökonomischen Verhältnisse, wie sie sich auf der Oberfläche zeigt, in ihrer realen Existenz, und daher auch in den Vorstellungen, worin die Träger und Agenten dieser Verhältnisse sich über dieselben klarzuwerden suchen, sind sehr verschieden von, und in der Tat verkehrt, gegensätzlich zu ihrer innern, wesentlichen, aber verhüllten Kerngestalt und dem ihr entsprechenden Begriff.

Ferner: Sobald die kapitalistische Produktion einen gewissen Entwicklungsgrad erreicht hat, geht die Ausgleichung zwischen den verschiednen Profitraten der einzelnen Sphären zu einer allgemeinen Profitrate keineswegs bloß noch vor sich durch das Spiel der Attraktion und Repulsion, worin die Marktpreise Kapital anziehn oder abstoßen. Nachdem sich die Durchschnittspreise und ihnen entsprechende Marktpreise für eine Zeitlang befestigt haben, tritt es in das Bewußtsein der einzelnen Kapitalisten, daß in dieser Ausgleichung bestimmte Unterschiede ausgeglichen werden, so daß sie dieselben gleich in ihrer wechselseitigen Berechnung einschließen. In der Vorstellung der Kapitalisten leben sie und werden von ihnen in Rechnung gebracht als Kompensationsgründe.

Die Grundvorstellung dabei ist der Durchschnittsprofit selbst, die Vorstellung, daß Kapitale von gleicher Größe in denselben Zeitfristen gleich große Profite abwerfen müssen. Ihr liegt wieder die Vorstellung zugrunde, daß das Kapital jeder Produktionssphäre pro rata seiner Größe teilzunehmen hat an dem von dem gesellschaftlichen Gesamtkapital den Arbeitern ausgepreßten Gesamtmehrwert; oder daß jedes besondre Kapital nur als <220> Stück des Gesamtkapitals, jeder Kapitalist in der Tat als Aktionär in dem Gesamtunternehmen zu betrachten ist, der pro rata der Größe seines Kapitalanteils am Gesamtprofit sich beteiligt.

Auf diese Vorstellung stützt sich dann die Berechnung des Kapitalisten, z.B. daß ein Kapital, welches langsamer umschlägt, weil entweder die Ware länger im Produktionsprozeß verharrt oder weil sie auf entfernten Märkten verkauft werden muß, den Profit, der ihm dadurch entgeht, dennoch anrechnet, sich also durch Aufschlag auf den Preis entschädigt. Oder aber, daß Kapitalanlagen, die größern Gefahren ausgesetzt sind, wie z.B. in der Reederei, eine Entschädigung durch Preisaufschlag erhalten. Sobald die kapitalistische Produktion, und mit ihr das Assekuranzwesen entwickelt ist, ist die Gefahr in der Tat für alle Produktionssphären gleich groß (s. Corbet); die gefährdeteren zahlen aber die höhere Assekuranzprämie und erhalten sie im Preis ihrer Waren vergütet. In der Praxis kommt dies alles darauf hinaus, daß jeder Umstand, der eine Kapitalanlage - und alle gelten für gleich notwendig, innerhalb gewisser Schranken - weniger, und eine andre mehr profitlich macht, als ein für allemal gültiger Kompensationsgrund in Rechnung gebracht wird, ohne daß es immer von neuem wieder der Tätigkeit der Konkurrenz bedürfte, um die Berechtigung solches Motivs oder Berechnungsfaktors darzutun. Nur vergißt der Kapitalist - oder sieht vielmehr nicht, da die Konkurrenz ihm das nicht zeigt -, daß alle diese, in der wechselseitigen Berechnung der Warenpreise verschiedner Produktionszweige von den Kapitalisten gegeneinander geltend gemachten Kompensationsgründe sich bloß darauf beziehn, daß sie alle, pro rata ihres Kapitals, gleich großen Anspruch haben auf die gemeinschaftliche Beute, den Totalmehrwert. Ihnen scheint vielmehr, da der von ihnen einkassierte Profit verschieden von dem von ihnen ausgepreßten Mehrwert, daß seine Kompensationsgründe nicht die Beteiligung am Gesamtmehrwert ausgleichen, sondern den Profit selbst schaffen, indem dieser einfach aus dem so oder so motivierten Aufschlag auf den Kostpreis der Waren herstamme.

Im übrigen gilt auch für den Durchschnittsprofit, was in Kap. VII, S.116 <Siehe vorl. Band, S. 148>gesagt wurde über die Vorstellungen des Kapitalisten von der Quelle des Mehrwerts. Hier stellt sich die Sache nur insoweit anders dar, daß bei gegebnem Marktpreis der Waren und gegebner Exploitation der Arbeit die Ersparung in den Kostpreisen von individuellem Geschick, Aufmerksamkeit etc. abhängt.