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Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 40. Berlin/DDR. 1973. S. 93-139.
1. Korrektur
Erstellt am 15.01.2000

Karl Marx

Hefte zur epikureischen, stoischen und skeptischen Philosophie - Drittes Heft


III. Plutarch. 1. Beweis, daß man nach Epikur nicht glücklich leben kann. 2. Kolotes

[III.] Plutarch. 1. Beweis, daß man nach Epikur nicht glücklich leben kann

|93| »[...] als gemeinsames Ziel für sie (d.h. die Lust) hat Epikur die Beseitigung allen Schmerzes gesetzt, indem die Natur die Lust bis zum Verschwinden des Schmerzes steigere, ihr aber sie noch weiter zu steigern nicht gestatte, sondern nur einige nicht notwendige Varianten zulasse, wenn die Schmerzlosigkeit nicht erreicht sei. Der Weg aber, der durch Verlangen hierzu führt, das Maß der Lust, ist ganz kurz und nicht weit. Da sie die Unergiebigkeit der Sache hier empfinden, deshalb verlegen sie das Ziel gleichsam aus dem armseligen Gehäuse des Körpers in die Seele [...]. « S. 1088.

»[...] »›Du meinst also, die Leute machen es nicht richtig, wenn sie ausgehend vom Körper, in dem sich zuerst die Entstehung [der Lust] zeigte, zur Seele übergehen als festerer Basis und das Ganze in ihr zur Vollendung bringen?‹«

Die Antwort darauf ist, dieser Übergang sei recht, aber ...

»Wenn du sie beteuern und schreien hörst, daß die Seele über nichts von dem, was ist, glücklich und froh sein kann als über die augenblickliche oder erwartete körperliche Lust, und dies ihr höchstes Gut ist, sieht es nicht so aus, als benutzten sie die Seele als Trichter des Körpers, durch den sie die Lust so wie Wein aus einem kaputten und undichten Gefäß in ein anderes umgießen und dort alt werden lassen, in dem Glauben, sie etwas geschätzter und wertvoller zu machen?« S. 1088.

Auch hier versteht Plutarch die Konsequenz des Epikur nicht; daß er einen spezifischen Übergang von der voluptas corporis ad voluptatem animi | körperlichen Lust zur Sinnenlust| vermißt, ist immer wichtig und näher zu bestimmen, wie sich dies beim Epikur verhält.

»[...] so nimmt die Seele die Erinnerung [...] auf, etwas anderes aber bewahrt sie nicht ... und die Erinnerung daran [d.h. an die Lust] ist dunkel. ..« S. 1088.

»Sieh aber, wieviel gemäßigter die Kyrenaiker sind, obwohl sie mit Epikur aus einer Weinkanne getrunken haben: sie glauben, man solle die Liebe nicht bei Licht |95| genießen, sondern die Dunkelheit vorziehen, damit nicht der Geist, indem er die Bilder des Vorgangs durch den Anblick zu deutlich in sich aufnimmt, die Begierde zu häufig entzünde. Diese aber glauben, der Weise zeichne sich besonders dadurch aus, daß er sich an die Erscheinungen, Empfindungen und Bewegungen der Lust lebhaft erinnere und sie in sich bewahre, um nicht zu sagen, daß sie nichts [der Weisheit] Würdiges erklären, wenn sie wie im Hause des Körpers in der Seele des Weisen den Unrat der Lust sich festsetzen lassen.« S. 1089.

»Denn ein gewaltiges und tierisches Verlangen ... nach den augenblicklichen und noch erhofften Genüssen der Lust verrät eine derartige bacchantische Schwärmerei und Hingabe der Seele an Erinnerungen.« S. 1089.

»Da sie diesen Widerspruch selbst empfinden, nehmen sie, so scheint mir, ihre Zuflucht zur Schmerzlosigkeit und zum Wohlsein des Fleisches ... Denn das dauerhafte Wohlbefinden des Fleisches und das feste Vertrauen darauf bereitet dem, der nachdenken kann, das größte und beständigste Vergnügen. Sieh also zuerst, wie sie verfahren, wenn sie, sei es diese ihre Lust, sei es Schmerzlosigkeit oder Wohlbehagen, hin und her versetzen, aus dem Körper in die Seele und dann wieder aus dieser in den Körper, da sie die sich verflüchtigende ... Lust nicht festhalten können, so sind sie gezwungen, wieder von Anfang anzufangen, und legen zwar die Fleischeslust (wie er sagt) der Freude der Seele zugrunde, lassen aber wieder die Freude durch die Hoffnung in die Lust ausgehen.« S. 1089.

Dies ist eine wichtige Bemerkung für die epikureische Dialektik des Vergnügens, obgleich Plutarch sie falsch kritisiert. Nach Epikur ist der Weise selbst in diesem schwankenden Zustande, der als die Bestimmung der ηδονη |(hedone) Lust| erscheint. Die μακαπιοτης |(makariotes) Glückseligkeit| die reine Ruhe des Nichts in sich, die völlige Entleerung aller Bestimmtheit, ist erst Gott; weswegen er auch nicht wie der Weise innerhalb der Welt, sondern außerhalb derselben wohnt.

»Denn ein dauerhaftes Wohlbefinden des Fleisches ist zwar oft vorhanden, ein festes und beständiges Vertrauen auf das Fleisch aber kann in einer verständigen Seele nicht entstehen [...].« S. 1090.

Wenn Plutarch dem Epikur vorwirft, daß wegen der Möglichkeit des Schmerzes die Freiheit in einer gesunden Gegenwart nicht vorhanden sein könne, so ist erstens der epikureische Geist kein solcher, der sich mit dergleichen Möglichkeiten herumtreibt, sondern weil die absolute Relativität, die Zufälligkeit der Beziehung an sich nur Beziehungslosigkeit ist, so nimmt der epikureische Weise seinen Zustand als beziehungslos, und insofern ist er ihm ein sicherer. Die Zeit ist ihm ja nur das Akzidens der Akzidenzien, wie sollte ihr Schatten eindringen in die feste Phalanx der αταραξια |(ataraxia) Ataraxie| Wenn er aber die nächste Voraussetzung des individuellen Geistes, |97| den Körper, als gesunden voraussetzt, so ist dies nur die Beziehungslosigkeit dem Geiste in die Nähe gerückt, seine angeborne Natur, d.h. ein gesunder, nicht nach außen differenzierter Körper. Wenn ihm im Leiden diese seine Natur als Phantasien und Hoffnungen einzelner Zustände vorschwebt, in denen jener charakteristische Stand seines Geistes sich offenbarte, so heißt das nichts, als daß das Individuum als solches seine ideale Subjektivität auf individuelle Art anschaut, eine vollständig richtige Bemerkung. Nach Epikur heißt Plutarchs Einwendung nichts als, die Freiheit des Geistes im gesunden Körper ist nicht vorhanden, weil sie vorhanden ist; denn die Möglichkeit außerhalb schieben ist überflüssig, eben weil die Wirklichkeit nur als Möglichkeit, als Zufall bestimmt ist. Wird dagegen die Sache in ihrer Allgemeinheit betrachtet, so ist es eben Aufgeben der Allgemeinheit, wenn der wahre positive Zustand [1] durch zufällige Einzelnheiten sich soll umdüstern lassen; d.h. ja grade im freien Äther an die einzelnen Mixturen denken, an den Atem giftiger Pflanzen, an das Einatmen kleiner Tiere, d.h. nicht leben, weil man sterben kann, etc.; das heißt, sich den Genuß der Allgemeinheit nicht gewähren, um aus ihr heraus in Einzelnheiten zu fallen. Ein solcher Geist treibt sich bloß mit dem Allerkleinsten herum, er ist so vorsichtig, daß er nicht sieht. Will endlich Plutarch sagen, man müsse Sorge tragen, die Gesundheit des Körpers zu erhalten, so sagt [1] auch [1] diese Trivialität Epikur, aber genialer: wer den allgemeinen Zustand als den wahren empfindet, der sorgt am besten dafür, ihn zu erhalten. So ist der gemeine Menschenverstand. Er glaubt, seine albernsten Pinseleien und Gemeinplätze den Philosophen als eine terra incognita gegenüberhalten zu dürfen. Er glaubt, wenn er Eierschalen auf die Köpfe wirft, ein Kolumbus zu sein. Darin hat Epikur, abgesehn von seinem System (denn dieses ist sein Recht, summum jus |höchstes, strengstes Recht|) überhaupt recht, daß der Weise die Krankheit als ein Nichtsein betrachtet, aber der Schein verschwindet. Ist er daher krank, so ist ihm dies ein Verschwinden, das keine Dauer hat; ist er gesund, in seinem wesentlichen Bestehn, so existiert nicht für ihn der Schein, und er hat mehr zu tun, als dran zu denken, daß dieser sein könne. Ist er krank, so glaubt er nicht an die Krankheit, ist er gesund, so tut er so, als sei das sein ihm gebührender Zustand, d.h. er handelt als ein Gesunder. Wie jämmerlich ist gegen dies entschloßne, gesunde Individuum ein Plutarch, der an den Aeschylus, den Euripides und gar an den Doktor Hippokrates sich erinnert, um nur nicht der Gesundheit froh zu werden!

|99| Die Gesundheit, als der identische Zustand, vergißt sich von selbst, da ist gar keine Beschäftigung mit dem Körper; diese Differenz beginnt erst in der Krankheit.

Epikur will ja kein ewiges Leben: wieviel weniger kann ihm daran liegen, daß der nächste Augenblick ein Unglück bergen kann.

Ebenso falsch ist folgender Vorwurf des Plutarch:

»Denn die Verbrecher und Gesetzesübertreter, sagen sie, leben die ganze Zeit über bedrückt und in großer Angst, weil es ihnen, auch wenn es ihnen gelingt, verborgen zu bleiben, unmöglich ist, eine Sicherheit zu bekommen, verborgen zu bleiben. Deshalb läßt die ständig auf ihnen lastende Furcht vor der Zukunft sie nicht froh sein und nicht auf die Gegenwart vertrauen. Es ist ihnen aber entgangen, daß sie damit auch gegen sich selbst gesprochen haben. Denn daß der Körper sich wohlfühlt und gesund ist, ist häufig der Fall, aber darauf zu vertrauen, daß es so bleibt, ist unmöglich. Also muß man, was die Zukunft anbetrifft, wegen des Körpers ständig beunruhigt und in Sorge sein.« S.1090.

Die Sache verhält sich grade umgekehrt, wie Plutarch meint. Sobald der einzelne das Gesetz bricht und die allgemeine Sitte, so fangen sie erst an, Voraussetzung für ihn zu werden, er tritt in Differenz mit ihnen, seine Rettung aus dieser Differenz wäre nur die πιστις |(pistis) Vertrauen|, die aber durch nichts verbürgt ist.

Es ist überhaupt das Interessante am Epikur, wie er in jeder Sphäre den Zustand entfernt, wodurch die Voraussetzung als solche zu erscheinen gereizt wird, und den Zustand als den normalen preist, in dem die Voraussetzung verhüllt ist. Von der bloßen σαρξ |(sarx) Fleisch| ist überhaupt nirgends die Rede. In der strafenden Gerechtigkeit tritt grade der innere Zusammenhang, die stumme Notwendigkeit hervor, und diese entfernt Epikur, wie aus der Logik ihre Kategorie, so aus dem Leben des Weisen den Schein ihrer Wirklichkeit. Der Zufall dagegen, daß ein Gerechter leidet, ist eine [1] äußre Beziehung, reißt ihn nicht aus seiner Beziehungslosigkeit heraus.

Wie falsch daher auch folgender Einwurf des Plutarch, ergibt sich.

»Kein Unrecht zu tun ist noch kein Grund, zuversichtlich zu sein. Denn nicht das verdientermaßen Leiden, sondern das Leiden an sich flößt Furcht ein.« S. 1090.

Plutarch meint nämlich, so müsse Epikur seinen Grundsätzen nach räsonieren. Es fällt ihm nicht ein, daß Epikur vielleicht andere Grundsätze hat, als er ihm zuschiebt.

»Denn es genügt die Natur des Fleisches, die Stoff zu Krankheiten in sich trägt und nach dem Scherzwort ›aus dem Stier die Riemen‹ die Schmerzen aus dem Körper |101| nimmt, um für die Schlechten ebenso wie für die Guten das Leben unsicher und gefährlich zu machen, wenn sie nur gelernt haben, auf das Fleisch und die Hoffnung auf das Fleisch und auf nichts andres ihre Freude und ihr Vertrauen zu gründen, wie Epikur in vielen Schriften und besonders in der Schrift über das höchste Gut geschrieben hat.« S. 1090 u. 1091.

»Wenn nun für sie [d.h. die Epikureer] Flucht vom Übel das Glück und das Gute ist. Etwas andres aber, sagen sie, lasse sich nicht denken, und die Natur habe überhaupt nichts, wo das Gute einen Platz finden könne, außer allein dort, von wo das Übel vertrieben wird [...]« S. 1091.

»Ähnlich ist auch die Meinung Epikurs, wenn er sagt, das Wesen des Guten entspringe aus der Flucht vom Übel, aus der Erinnerung daran, dem Nachdenken und der Freude darüber, daß einem dies begegnet ist. ›Denn was‹ (sagt er) ›eine unbändige Freude macht, ist das Gefühl, daß man einem großen Übel entronnen ist; und darin liegt die Natur des Guten, wenn man es richtig überlegt und dann darauf beharrt und sich nicht in leerem Gerede über das Gute ergeht.‹« S. 1091.

Plutarch ruft hier pfui aus!

»So stehen sie weder den Schweinen noch den Schafen nach ... Im übrigen ist für die gewandteren und feineren Lebewesen nicht Flucht vom Übel das Ziel [2] ... , da es ihnen von Natur eingegeben ist, wenn das Übel sich verflüchtigt hat, das Gute zu suchen oder besser gesagt, da sie überhaupt alles Schmerzhafte und Fremdartige als hinderlich für das Streben nach dem eigentlichen und bessern Kern ihrer Natur von sich wegstoßen. Denn das Notwendige ist kein Gut (1), sondern jenseits der Flucht vom Übel liegt das Erstrebens- und Wählenswerte ...« S. 1091.[3]

Plutarch hat große Weisheit zu reden, wenn er sagt, das Tier suche außer der Notwendigkeit, welche die Flucht vom Übel ist, das Gute, das jenseits der Flucht liegende Gute. Daß das Tier noch ein Gutes jenseits sucht, ist grade das Tierische an ihm. Bei Epikur gibt es nichts Gutes, was für den Menschen außer ihm läge; das einzige Gute, was er in der Beziehung auf die Welt hat, ist die negative Bewegung, frei von ihr zu sein.

Daß dies alles bei Epikur individuell gefaßt ist, liegt im Prinzip seiner Philosophie, die er in allen ihren Konsequenzen ausspricht; die synkretistische gedankenlose Manier Plutarchs kann dagegen nicht aufkommen.

»Denn wenn es auch unangenehm ist, die Krätze am Leibe zu haben und triefäugig zu sein, so ist es noch nichts Besondres, sich zu kratzen und sich die Augen |103| auszuwischen; ebensowenig ist, wenn es ein Übel ist, Schmerzen zu haben, sich vor dem Tun der Götter zu fürchten und in Sorge zu sein vor dem, was einen im Hades erwarte, die Befreiung hiervon ein beneidenswertes Glück [...].« S. 1091. »Aber nur einen kleinen und unwichtigen Raum weist ihre Vorstellungswelt der Freude zu ... indem sie über die üblichen törichten Vorstellungen hinausgeht und das zum Ziel der Weisheit setzt, was bei den nicht vernunftbegabten Tieren ganz von selbst vorhanden zu sein scheint. Denn wenn es für die Schmerzlosigkeit des Körpern nichts ausmacht, ob er durch sich oder von Natur von Schmerzen frei ist, ist es auch für die Ataraxie der Seele nicht weiter wichtig, ob sie es sich oder der Natur verdankt, daß sie von Unruhe frei ist ... Denn auch so wird sich zeigen, daß sie den Tieren nichts voraushaben, wenn sie nicht beunruhigt werden durch das, was einen im Hades erwartet, und durch das, was über die Götter gesagt wird, und weder Leiden noch Schmerzen ohne Ende erwarten [...].« [S. 1091-1092.]

»Sagt doch Epikur selbst: ›Wenn uns nicht die Befürchtungen wegen der Meteore beunruhigten und dazu Angst vor Tod und Schmerzen, so brauchten wir hierfür keine Physiologie.‹« S. 1092.

»[...] da es aber Ziel ihrer Götterlehre war, Gott nicht mehr fürchten zu müssen und so die Beunruhigung loszuwerden, glaube ich, ist dies sicherer für die möglich, die sich überhaupt keinen Gott denken, als für die, die zu denken gelernt haben, es gebe einen, der niemand schade. Denn sie [d.h. die Tiere] sind nicht vom Aberglauben befreit worden, vielmehr sind sie ihm gar nicht erst verfallen, noch haben sie die beunruhigende Vorstellung von den Göttern abgelegt, da sie keine gehabt haben. Dasselbe läßt sich auch über die Dinge im Hades sagen.« S. 1092.

»[...] Furcht und Angst vor dem, was nach dem Tode kommt, beherrscht aber weniger die, die keine Prolepsis vom Tode haben, als die, die erst zu der Vorstellung gelangen müssen, daß der Tod uns nichts angeht. Diese geht er insofern an, als sie über ihn Gedanken und Überlegungen anstellen. Jene [d.h. die Tiere] aber sind völlig frei davon, sich um etwas zu kümmern, was sie nichts angeht, und wenn sie sich vor Schlägen hüten und vor Verwundung und Tötung, so fürchten sie am Tode nur das, was auch für diese furchtbar ist.« S. 1092.

Daß die Epikureer die Mathematik zu fliehen gebieten. Plutarch. a.a.O. S. 1094 D.

»Einen gewissen Apelles bewundern und loben sie, weil er, wie sie schreiben, die Mathematik von Anfang an gemieden und sich dadurch rein gehalten habe.« a.a.O.

Ebenso Geschichte etc. sieh Sext. Empiricus. Was Plutarch zu einem schweren Verbrechen des Metrodorus macht, daß er schreibt:

»[..] wenn du daher zugeben mußt, nicht zu wissen, auf welcher Seite Hektor stand oder welches die ersten Verse in Homers Dichtung sind oder welche in der Mitte stehen, brauchst du nicht zu erschrecken.« a.a.O.

»|105| »[...] Epikur, der zwar den Weisen in den ... als einen Freund der Schauspiele darstellt und als einen, der sich über musikalische und dramatische Darbietungen an den Dionysien ebenso freut wie jeder andere, aber für die musikalischen Probleme und philologischen Untersuchungen der Kritiker sogar beim Trinkgelage keinen Raum läßt, sagt« etc. S. 1095.

»Sie sagen sogar selbst, daß es angenehmer sei, Gutes zu tun als zu empfangen.» S. 1097.

Diese αυτοι |(autoi) sie selbst| sind nämlich die qui in haeresim Epicuri illapsi |die der Lehre des Epikur verfallen sind|.

»Ja selbst Epikur gab zu, daß aus dem Ruhm manche (d.h. Freuden) entstehen.« S. 1099.

[...] [4] eher der Betrachtung wert als die vorhergehenden seichten moralischen Einwürfe des Plutarch ist seine Polemik gegen die epikureische Theologie, nicht ihrer selbst wegen, sondern weil es sich zeigt, wie das gewöhnliche Bewußtsein im ganzen auf epikureischem Boden stehend, sich nur scheut vor der philosophischen offnen Konsequenz. Und dabei muß man immer im Auge halten, daß es dem Epikur weder um die voluptas |Lust| noch um die sinnliche Gewißheit, noch um irgend etwas zu tun ist, außer um die Freiheit und Bestimmungslosigkeit des Geistes. Wir gehn daher die einzelnen Betrachtungen des Plutarch durch.

»[...] also über die Lust ist ungefähr gesagt worden [...] (d.h. [vom] Epikur): ihre Lehre, wenn sie Glück hat und erfolgreich ist, hebt in gewisser Weise Furcht und Aberglauben auf, Freude aber und Gunst der Götter gibt sie nicht, sondern sie leiht uns zu ihnen durch Entfernung aller Ängstigung und Freude« (d.h. beziehungslos sein) »das Verhältnis, das wir zu den hyrkanischen Fischen haben, von denen wir weder Nutzen noch Schaden erwarten. Wenn aber dem Gesagten noch etwas hinzuzufügen ist, dann kann man das, meine ich, ihnen selbst entnehmen; erstens, daß sie denen, die Trauer, Tränen und Klagen über den Tod der Freunde abschaffen wollen, widersprechen und sagen, die bis zur Unempfindlichkeit gehende Schmerzlosigkeit erwachse aus einem anderen, noch größeren Übel, Roheit oder maßlosem Ehrgeiz und Verblendung. Deshalb sei es besser, zu leiden und zu trauern, ja die Augen naß werden zu lassen und sich zu grämen und, was dergleichen Empfindungen noch sind, zu äußern, wodurch es scheint, als sei man zartfühlend und teilnahmsvoll. Denn dies hat Epikur an vielen andern Stellen gesagt ...« S. [1100-1110].

Die Furcht vor Gott im Sinne Epikurs versteht Plutarch überhaupt nicht, er begreift nicht, wie das philosophische Bewußtsein sich davon zu befreien wünscht. Der gewöhnliche Mensch kennt das nicht. Plutarch |107| bringt uns daher triviale Beispiele aus der Empirie, wie wenig schrecklich dieser Glaube dem Publikum ist.

Plutarch betrachtet im Gegensatz zu Epikur zuerst den Glauben der πολλοι |(polloi) Menge, Masse| an Gott und sagt, bei diesen habe allerdings von einer Seite diese Richtung die Gestalt der Furcht, nämlich die sinnliche Furcht ist die einzige Form, unter welcher er die Angst des freien Geistes vor einem persönlichen allmächtigen, die Freiheit in sich absorbierenden, also von sich ausschließenden Wesen begreifen kann. Nun meint er:

»1. Diese Fürchtenden: »Wenn sie ihn als einen Herrscher furchten, der den Guten gnädig, den Schlechten aber feind ist, werden sie durch diese eine Furcht [vom] Unrechttun [befreit] und brauchen nicht erst viele Befreier, und indem sie bei sich das Böse in aller Ruhe absterben lassen, werden sie weniger beunruhigt als diejenigen, die sich seiner bedienen und sich dreist gebärden, dann aber plötzlich Angst haben und Reue empfinden.« S. 1101.

Also durch diese sinnliche Furcht werden sie beschützt vor dem Bösen, als wenn diese immanente Furcht nicht das Böse wäre? Was ist denn der Kern des empirisch Bösen? Daß der einzelne in seine empirische Natur gegen seine ewige Natur sich verschließt; aber ist das nicht dasselbe, als wenn er seine ewige Natur von sich ausschließt, sie in der Form des Beharrens der Einzelnheit in sich, der Empirie faßt, also als einen empirischen Gott außer sich anschaut? Oder soll auf der Form der Beziehung der Akzent liegen? So ist der Gott bestrafend den Bösen, mild dem Guten, und zwar ist das Böse hier das dem empirischen Individuum Böse und das Gute das dem empirischen Individuum Gute, denn wo sollte sonst diese Furcht und Hoffnung herkommen, da es dem Individuum um das ihm Gute und Böse zu tun ist? Gott ist in dieser Beziehung nichts als die Gemeinschaftlichkeit aller Folgen, die empirische böse Handlungen haben können. Also aus Furcht, daß durch das Gute, welches das empirische Individuum in böser Tat sich erwirbt, größre Übel folgen und größre Güter entgehn, handelt es nicht bös, also damit die Kontinuität seines Wohlseins nicht gestört wird durch die immanente Möglichkeit, aus derselben herausgerissen zu werden?

Ist das nicht dasselbe, was Epikur mit platten Worten lehrt: handle nicht unrecht, damit du nicht die stete Furcht behältst, bestraft zu werden. Diese immanente Beziehung des Individuums zu seiner αταραξια |(ataraxia) Ataraxie| wird daher [1] vorgestellt [1] als die Beziehung zu einem außer ihm seienden Gott, der aber wieder keinen Inhalt hat als eben diese αταραξια, die hier Kontinuität des |109| Wohlseins ist. Die Furcht vor der Zukunft, dieser Zustand der Unsicherheit wird hier eingeschoben in das ferne Bewußtsein Gottes, als ein Zustand betrachtet, der in ihm schon präexistiert, aber auch erst als Drohung, also grade wie im individuellen Bewußtsein.

2. sagt Plutarch, daß diese Richtung auf Gott auch voluptas |Freude| gewähre.

»[...] sondern wo sie (d.h. die Seele) sich Gott am meisten gegenwärtig glaubt und denkt, da verscheucht sie am meisten Trauer, Furcht und Sorge und überläßt sich der Freude bis zu Rausch, Scherz und Lachen in den Dingen der Liebe ...« S. 1101.

Ferner erzählt er, daß Greise, Frauen, Kaufleute, Könige sich an festlichen religiösen Tagen freuen ...

»Denn nicht die Menge an Wein und nicht der Reiz des Fleisches ist es, was bei den Festen die Freude hervorruft, sondern die frohe Zuversicht und der Glaube, daß der gütige Gott gegenwärtig sei und das Geschehnis gnädig aufnehme.« S. 1102.

Es ist etwas näher zuzusehn, wie Plutarch diese Freude, diese voluptas, beschreibt.

Erstens sagt er, daß die Seele dann am meisten befreit ist von Trauer, Furcht und Sorge, wenn Gott gegenwärtig ist. Also ist die Gegenwart Gottes bestimmt als die Freiheit der Seele von Furcht, Trauer, Sorge. Diese Freiheit äußert sich in ausgelaßnem Jubel, denn das ist die positive Äußerung der individuellen Seele von diesem ihrem Zustand.

Ferner: die zufällige Verschiedenheit der individuellen Stellung fällt bei dieser Freude weg. Also ist die Entleerung des Individuums von seinen anderweitigen Bestimmungen, das Individuum als solches in dieser Feier bestimmt, und das ist eine wesentliche Bestimmung. Endlich ist es nicht der separate Genuß, sondern die Sicherheit, daß der Gott nichts Getrenntes ist, sondern den Inhalt hat, sich zu freun an dieser Freude des Individuums, wohlwollend auf sie herabzusehn, also selbst in der Bestimmung des sich freuenden Individuums zu sein. Was also hier vergöttert und gefeiert wird, ist die vergötterte Individualität, als solche, von ihren gewöhnlichen Banden [1] befreit, also der σοφος |(sophos) Weise| des Epikur mit seiner αταραξια. Es ist das Nichtdasein des Gottes als Gott, sondern als das Dasein der Freude des Individuums, die angebetet wird. Weiter hat dieser Gott keine Bestimmung. ja, die wirkliche Form, in der diese Freiheit des Individuums hier hervortritt, ist der Genuß, und zwar der einzelne, der sinnliche, der Genuß, der nicht gestört wird. Die αταραξια schwebt also als das allgemeine Bewußtsein |111| über den Köpfen, aber ihre Erscheinung ist die sinnliche voluptas, wie bei Epikur, nur daß dort totales Bewußtsein des Lebens, was hier lebendiger einzeler Zustand, daß aus diesem Grunde bei Epikur die einzelne Erscheinung gleichgiltiger und beseelter von ihrer Seele, der αταραξια, dort sich dies Element mehr in die Einzelnheit verliert und beides sich unmittelbar vermischt, also auch unmittelbar geschieden ist. So traurig steht es mit der Unterscheidung des Göttlichen, die Plutarch gegen den Epikur geltend macht, und wenn, um noch eine Bemerkung zu machen, Plutarch sagt, daß Könige sich nicht so sehr an ihren publicis conviviis et viscerationibus |öffentlichen Gelagen und Bewirtungen| als an den Opfermahlzeiten freuen, so heißt das nichts, als daß dort der Genuß als etwas Menschliches, Zufälliges, hier aber als Göttliches, der individuelle Genuß als Göttliches angeschaut wird; was also grade epikureisch ist.

Von [1] diesem Verhältnis der πονηροι |(poneroi) Schlechten| und πολλοι |(polloi) Menge, Masse| zu Gott unterscheidet Plutarch das Verhältnis des βελτιον ανθρωπων και θεοφιλεστατον γενος |bessern und von Liebe zu Gott erfüllten Teils der Menschen|. Wir wollen sehn, was er hier dem Epikur abgewinnt.

Plutarch sagt,

»[...] welche großen Freuden haben sie doch durch ihre lauteren Vorstellungen von Gott, der für sie der Urheber alles Guten, Vater alles Schönen ist und der so wenig etwas Schlechtes tun wie erleiden kann. Denn er ist gut, ein Guter aber kennt weder Neid, noch Furcht, noch Zorn oder Haß. Denn so wie das Warme nicht kühlt, sondern wärmt, liegt es auch dem Guten fern, zu schaden. Zorn aber und Gnade, Grimm und Wohlwollen, Menschenliebe und Güte einerseits, Feindseligkeit und abstoßendes Wesen andererseits sind von Natur unendlich weit voneinander entfernt. Denn das eine ist ein Kennzeichen von Tugend und Kraft, das andere von Schwäche und Schlechtigkeit. Darum kann das Göttliche nicht Zorn und Gunst zusammen in sich haben, sondern weil es in seinem Wesen liegt, gnädig und hilfreich zu sein, liegt es nicht in seinem Wesen, zu zürnen und Böses zu tun [...].« S. 1102.

Der philosophische Sinn davon, daß Gott der ηγεμων αγαθων |(hegemon agathon) Urheber des Guten| und der Vater παντον καλων |(panton kalon) alles Schönen| ist, ist der, daß dieses nicht ein Prädikat Gottes, sondern daß die Idee des Guten das Göttliche selbst ist. Allein in der Bestimmung des Plutarch liegt ein ganz andres Resultat. Das Gute wird im strengsten Gegensatz gegen das Böse genommen; denn das erste ist eine Manifestation der Tugend und der Macht, das andre der Schwäche, der Privation und der Schlechtigkeit. Aus Gott ist also das Urteil, die Differenz entfernt, und das ist grade ein Hauptsatz des Epikur, der deswegen konsequent diese Differenzlosigkeit im Menschen sowohl theoretisch als praktisch |113| in seiner unmittelbaren Identität, der Sinnlichkeit findet, in Gott als Leere, reines otium [5]. Der Gott, der als das Gute durch Wegschieben des Urteils bestimmt ist, ist das Leere, denn jede Bestimmtheit trägt eine Seite an sich, die sie gegen andres erhält und in sich verschließt, offenbart also im Gegensatz und Widerspruch ihre οργη |(orge) Zorn, Gereiztheit|, ihren μισος |(misos) Haß|, ihren φοβος |(phobos) Furcht|, sich aufzugeben. Plutarch hat also dieselbe Bestimmung wie Epikur, nur als Bild, als Vorstellung, was dieser bei seinem begrifflichen Namen nennt und das menschliche Bild wegstreift.

Schlecht klingt daher die Frage:

»Glaubt ihr nun, daß, wer die Vorsehung leugnet, noch eine weitere Strafe [braucht] und nicht genug daran hat, daß er sich selbst einer so großen Lust und Freude beraubt?« [S. 1102-1103.]

Denn es ist im Gegenteil zu behaupten, daß der mehr Wollust in der Betrachtung des Göttlichen fühle, der es als die reine Seligkeit in sich, ohne alle begriffslos anthropomorphischen Beziehungen anschaut, als umgekehrt. Es ist schon die Seligkeit selbst, den Gedanken reiner Seligkeit zu haben, sei sie noch so abstrakt gefaßt, was wir an den indischen Mönchen sehn. Ohnedem hat Plutarch die προνοια |(pronoia) Vorsehung| aufgehoben, indem er das Böse, die Differenz Gott gegenübergesetzt hat. Seine weiteren Ausmalungen sind rein begrifflos und synkretistisch; ohnehin zeigt er in allem, daß es ihm bloß um das Individuum, nicht um Gott zu tun ist. Epikur ist daher so ehrlich, Gott sich auch nicht um das Individuum bekümmern zu lassen.

Die innere Dialektik seiner Gedanken führt daher den Plutarch notwendig darauf zurück, statt vom Göttlichen von der individuellen Seele zu sprechen, und er kommt auf den λογος περι ψυχης |(logos peri psyches) Betrachtung über die Seele|. Vom Epikur wird gesagt:

»[...] sie (d.h. die Seele) muß sich über alle Maßen freuen, wenn sie diesen gar weisen und göttlichen Lehrsatz vernimmt, daß das Ende allen Leidens für sie Untergang, Zerstörtwerden und Nichtsein sei.« S. 1103.

Man muß sich ja nicht durch die salbungsvollen Worte des Plutarch irremachen lassen. Wir werden sehn, wie er jede seiner Bestimmungen aufhebt. Schon der künstliche Fallschirm του κακως πραττειν περας |(tou kakos prattein peras) Ende allen Leidens| und dann das απολεσθαι |(apolesthai) Untergehen, Untergang| und φθαρηναι |(phtharenai) Zerstφrtwerden| und μηδεν ειναι |(meden einai) Nichtsein| im Gegensatz, zeigt, wo der Schwerpunkt liegt, wie dünn die eine Seite und wie dreifach intensiv die andere.

|115| Die Betrachtung wird wieder eingeteilt in das Verhältnis των αδικων και πονηρων |(ton adikon kai poneron) der Ungerechten und Schurken|, dann der πολλων και ιδιωτων |(pollon kai idioton) Vielen und Ungebildeten| und endlich der επιεικων και νουν εχοντων |(epieikon kai noun echonton) Anständigen und Vernünftigen| (S. 1104) zu der Lehre von der Fortdauer der Seele. Schon diese Einteilung in feste qualitative Unterschiede zeigt, wie wenig Plutarch den Epikur versteht, der als Philosoph das Verhältnis der menschlichen Seele überhaupt betrachtet, und wenn er trotz ihrer Bestimmung als einer vergänglichen der ηδονη |(hedone) Lust| gewiß bleibt, so hätte Plutarch sehn müssen, daß jeder Philosoph unwillkürlich eine ηδονη preist, die ihm fremd ist in seiner Borniertheit. Für die Ungerechten wird nun wieder die Furcht angeführt als Besserungsmittel. Wir haben diesen Einwurf schon betrachtet. Indem in der Furcht, und zwar einer innern, nicht zu erlöschenden Furcht, der Mensch als Tier bestimmt ist, so ist es bei einem Tiere überhaupt gleichgiltig, wie es in Schranken gehalten wird. Hält ein Philosoph es nicht für das Schimpflichste, den Menschen als Tier zu betrachten, so ist ihm überhaupt nichts mehr begreiflich zu machen.

»Bei der Menge, die ohne Furcht ist vor dem, was im Hades geschieht, erzeugt die mit den Mythen verbundene Hoffnung auf das ewige Leben und der Wunsch des Seins, der älteste aller Triebe und mächtigste, Freude und Glücksgefühl und überwindet jene kindische Furcht.« S. 1104. »Also, wer Kinder, Weib und Freunde verliert, wünscht eher, daß sie irgendwo seien und weiterexistieren, wenn es ihnen auch schlecht geht, als daß sie gänzlich hinweggerafft, zugrunde gegangen und zu nichts geworden sind. Gern dagegen hören sie die Worte, ›der Sterbende gehe woanders hin und wechsle die Wohnstatt‹ und was sonst deutlich macht, daß der Tod ein Aufenthaltswechsel der Seele sei, nicht eine Zerstörung ... « S. 1104.

».... und bei Ausdrücken wie ›es ist aus‹, ›er ist dahin‹ und ›er ist nicht mehr‹ geraten sie außer sich. .... Die aber bereiten ihnen gänzlich den Tod, die sagen: ›Einmal nur sind wir Menschen geboren, zweimal kann man nicht geboren werden ...‹ Denn die Gegenwart gilt ihnen wenig, eher noch nichts gegenüber der Ewigkeit, und sie lassen sie verstreichen, ohne sie zu genießen, und sie vernachlässigen Tugend und Tätigkeit, mutlos und sich selbst verachtend wie Eintagsgeschöpfe und unbeständige und zu nichts der Rede wertem entstandene Wesen.« [S. 1104.] »Denn das Empfindungslos- und Aufgelöstsein und die Lehre, das Empfindungslose gehe uns nichts an, beseitigt nicht die Furcht vor dem Tode, sondern wirkt eher als Beweis dafür. Denn gerade das ist es, was die Natur fürchtet, ... die Auflösung der Seele in etwas, was weder denkt noch empfindet. Indem Epikur diese zu einer Zerstreuung in leeren Raum und Atome macht, zerstört er die Hoffnung auf die Unsterblichkeit noch mehr, derentwegen, ich möchte fast sagen, alle Menschen beiderlei Geschlechts bereit wären, sich vom Cerberus zerfleischen zu lassen und in |117| das Faß [der Danaiden] dauernd [Wasser] zu tragen, um nur im Sein zu bleiben und nicht ausgelöscht zu werden.« S. 1105.

Wir kommen jetzt zur Ansicht der πολλοι |(polloi) Menge, Masse| obgleich es sich am Ende zeigt, daß wenige davon ausgenommen sind, ja, um eigentlich zu reden, alle, δεω λεγειν παντας |(deo legein pantas)|, zu dieser Fahne schwören.

Der qualitative Unterschied von der vorhergehenden Stufe existiert eigentlich nicht, sondern was früher in der Gestalt der tierischen Furcht erschien, erscheint hier in der Gestalt der menschlichen Furcht, der Gefühlsform. Per Inhalt bleibt derselbe.

Es wird uns gesagt, daß der Wunsch des Seins die älteste Liebe ist; allerdings, die abstrakteste und daher älteste Liebe ist die Selbstliebe, die Liebe seines partikularen Seins. Doch das war eigentlich zu sehr die Sache herausgesagt, sie wird wieder zurückgenommen und ein veredelter Glanz um sie geworfen durch den Schein des Gefühls. Also wer Weib und Kinder verliert, wünscht eher, daß sie irgendwo seien, wenn es ihnen auch schlecht geht, als daß sie gänzlich aufgehört haben. Wenn es sich bloß um Liebe handelte, so ist das Weib und das Kind des Individuums als solches am tiefsten und reinsten aufbewahrt im Herzen dieses Individuums, ein viel höheres Sein als das der empirischen Existenz. Allein die Sache steht anders. Das Weib und Kind ist bloß als Weib und Kind in empirischer Existenz, insofern das Individuum selbst empirisch existiert. Daß es sie also lieber irgendwo, in räumlicher Sinnlichkeit, gehe es ihnen auch schlecht, wissen will als gar nicht, heißt weiter nichts, als daß das Individuum das Bewußtsein seiner eignen empirischen Existenz haben will. Der Mantel der Liebe war bloß ein Schatten, das nude empirische Ich, die Selbstliebe, die älteste Liebe ist der Kern, hat in keine konkretere, idealere Gestalt sich verjüngt. Angenehmer, meint Plutarch, klingt der Name der Veränderung als des gänzlichen Aufhörens. Allein die Veränderung soll keine qualitative sein, das einzelne Ich in seinem einzelnen Sein soll verharren, der Name ist also bloß die sinnliche Vorstellung dessen, was es ist, und soll das Gegenteil bedeuten. Er ist also eine lügenhafte Fiktion. Die Sache soll nicht verändert, sondern nur in einen dunkeln Ort gestellt werden, das Zwischenschieben phantastischer Ferne soll den qualitativen Sprung, und jeder qualitative Unterschied ist ein Sprung, ohne dies Springen keine Idealität, soll ihn verhüllen.

Ferner meint Plutarch, dies Bewußtsein der Endlichkeit mache unkräftig und tatlos, zeuge [1] Verstimmung gegen das gegenwärtige Leben; |119| allein das Leben vergeht ja nicht, sondern dies einzelne Sein. Betrachtet sich dies einzelne Sein als [1] ausgeschlossen von diesem verharrenden allgemeinen Leben, kann es dadurch reicher und voller werden, daß es seine Winzigkeit eine Ewigkeit fortträgt? Ändert diese sein Verhältnis, oder bleibt es vielmehr nicht in seiner Unlebendigkeit verknöchert? Ist es nicht dasselbe, ob es heute in diesem indifferenten Verhältnisse zum Leben sich befindet oder ob dies Epikur Jahrtausende dauert?

Endlich spricht Plutarch es gradezu heraus, daß es nicht auf den Inhalt, auf die Form, sondern auf das Sein des einzelnen ankomme. Sein, wenn auch vom Cerberus zerfleischt werden. Welches ist also der Inhalt seiner Unsterblichkeitslehre? Daß das Individuum, von der Qualität abstrahiert, die ihm hier seine individuelle Stellung gibt, nicht als das Sein von einem Inhalt, sondern als die atomistische Form des Seins verharrt; ist das nicht dasselbe, was Epikur sagt, daß die individuelle Seele aufgelöst wird und in die Form der Atome zurückfällt? Diesen Atomen als solchen Gefühl zuschreiben, obgleich zugegeben wird, daß der Inhalt dieses Gefühls gleichgiltig ist, ist bloß eine inkonsequente Vorstellung. Plutarch trägt also in seiner Polemik gegen Epikur die epikureische Lehre vor: er vergißt jedoch nicht, überall das μη ειναι |(me einai) Nichtsein| als das Schrecklichste darzustellen. Dieses reine Fürsichsein ist das Atom. Wenn überhaupt dem Individuum nicht in seinem Inhalt, der, insofern er allgemeiner ist, an sich selbst allgemein existiert, insofern er Form ist, sich ewig individualisiert, wenn ihm als individuellem Sein die Unsterblichkeit zugesichert wird, so fällt der konkrete Unterschied des Fürsichseins, denn der Unterschied heiße nicht, daß das Individuum fortexistiert, sondern daß das Ewige gegen das Vergängliche besteht, und es ist bloß die Behauptung, daß das Atom als solches ewig ist und das Beseelte in diese seine Grundform zurückgeht.

Epikur trägt insofern diese Unsterblichkeitslehre vor, aber er ist philosophisch und konsequent genug, es bei seinem Namen zu nennen, zu sagen, daß das Beseelte in die atomistische Form zurückkehrt. Es hilft da keine Halbheit. Muß irgendein konkreter Unterschied des Individuums fallen, was das Leben selbst zeigt, so müssen alle fallen, die nicht an sich allgemein und ewig sind. Soll das Individuum nichtsdestoweniger gegen diese μεταβολη |(metabole) Veränderung| gleichgiltig sein, so bleibt bloß diese atomistische Hülse des frühern Inhalts, das ist die Lehre von der Ewigkeit der Atome.

»|121| Wem Ewigkeit ist wie Zeit
Und Zeit wie Ewigkeit,
Der ist befreit
Von allem Streit,

sagt Jacobus Bohemus.

»Deshalb nehmen sie [d.h. die Epikureer] mit dem Glauben an die Unsterblichkeit zugleich die süßesten und größten Hoffnungen der Menge hinweg.« S. 1105.

Wenn also Plutarch sagt, daß Epikur mit der Unsterblichkeit die süßesten Hoffnungen der Menge hinwegnimmt, so hätte er viel richtiger gesagt, was er anders meinend sagt,

»[...] er hebt sie [...] nicht auf, sondern liefert [...] gleichsam die Erklärung«. [S. 1105.]

Epikur hebt diese Ansicht nicht auf, er erklärt sie, er bringt sie auf ihren begriffsmäßigen Ausdruck.

Wir kommen jetzt zu der Klasse der επιεικων und νουν εχοντων |(epieikon und noun echonton) Anständigen und Vernünftigen|: Es versteht sich, daß durchaus nicht über das Frühere hinausgegangen wird, sondern was zuerst als tierische Furcht, dann als menschliche Furcht, als bange Klage, als das Sträuben vor dem Aufgeben des atomistischen Seins erschien, erscheint jetzt in der Form der Arroganz, der Fordrung und der Berechtigung. Dieser Klasse geht daher, wie Plutarch sie bestimmt, am meisten der Verstand aus. Die unterste Klasse macht keine Prätensionen, die zweite weint und will sich alles gefallen lassen, um das Atomistische zu retten, die dritte ist der Philister, der ausruft, mein Gott, das wäre aber noch schöner! So ein kluger, ehrlicher Kerl sollte zum Teufel müssen!

»Was also glauben wir wohl von den Hoffnungen der Guten, die fromm und rechtschaffen gelebt haben und die im Jenseits kein Übel, sondern die schönsten und göttlichsten Gaben erwarten? Denn erstens, wie Athleten einen Kranz nicht bekommen, ohne gekämpft zu haben, sondern wenn sie gekämpft und gesiegt haben, so ist es bewundernswert, wie die, die glauben, daß den Guten der Siegespreis des Lebens erst nach dem Lehen zuteil werde, auf die Tugend bedacht sind; zu diesen Hoffnungen gehört es auch, diejenigen, die hier infolge von Reichtum und Macht übermütig sind und die Bessern in ihrem Wahn auslachen, die verdiente Strafe erleiden zu sehen. Ferner hat hier noch keiner von denen, die nach der Wahrheit und dem Anblick des Seienden verlangen, volle Befriedigung finden können ... So halte ich den Tod für ein großes und vollkommenes Gut, da die Seele erst dort ihr wahres Leben leben wird, während sie [hier] nicht wirklich lebt, sondern sich wie im Traum befindet.« S. 1105.

|123| Also diese guten und klugen Männer erwarten den Lohn des Lebens nach dem Leben, allein wie unkonsequent ist es in diesem Fall, wieder als Lohn das Leben zu erwarten, da ihnen doch der Lohn des Lebens ein qualitativ vom Leben Unterschiednes ist. Dieser qualitative Unterschied wird wieder in eine Fiktion eingekleidet, das Leben wird in keine höhre Sphäre aufgehoben, sondern an einen andern Ort getragen. Sie stellen sich also nur, als verachteten sie das Leben, es ist ihnen um nichts Beßres zu tun, sie kleiden nur ihre Hoffnung in eine Fordrung ein.

Sie verachten das Leben, aber ihre atomistische Existenz ist das Gute in demselben, und die Ewigkeit ihrer Atomistik, die das Gute ist, begehren sie. Wenn ihnen das ganze Leben als Schattenbild, als ein Schlechtes vorkam, woher haben sie das Bewußtsein, gut zu sein? Bloß in dem Wissen von sich als dem atomistischen Sein, und Plutarch geht so weit, daß sie nicht zufrieden sind mit diesem Bewußtsein, daß, weil der empirisch einzelne nur ist, insofern er von einem andern gesehn wird, diese guten Männer sich nun freuen, daß nach dem Tode diejenigen, die sie bis dato verachtet haben, nun wirklich sie sehn als die Guten und anerkennen müssen und gestraft werden, weil sie sie nicht für das Gute halten. Welche Forderung! Die Schlechten sollen sie anerkennen im Leben als die Guten, und sie erkennen selbst die allgemeinen Mächte des Lebens nicht als das Gute an! Ist das nicht den Stolz des Atoms auf die höchste Spitze geschraubt?

Ist es da nicht mit dürren Worten gesagt, wie übermütig und dünkelhaft das Ewige und wie ewig das trockne Fürsichsein ohne allen Inhalt gemacht wird! Es hilft nichts, dies unter Floskeln zu verbergen, zu sagen, daß keiner hier seine Wißbegierde befriedigen kann.

Diese Forderung drückt weiter nichts aus, als daß das Allgemeine in der Form der Einzelnheit, als Bewußtsein sein müsse, und diese Forderung erfüllt das Allgemeine ewig. Insofern aber wieder verlangt wird, daß es in diesem empirischen ausschließenden Fürsichsein vorhanden sei, so heißt das nichts, als daß es nicht um das Allgemeine, sondern um das Atom zu tun ist.

Wir sehn also, wie Plutarch in seiner Polemik gegen Epikur Schritt vor Schritt dem Epikur sich in die Arme wirft, nur daß dieser einfach, abstrakt, wahr und dürr die Konsequenzen entwickelt und weiß, was er sagt, während Plutarch überall etwas andres sagt, als er zu sagen meint, aber im Grund auch etwas andres meint, als er sagt.

Das ist überhaupt das Verhältnis des gewöhnlichen Bewußtseins zum philosophischen.

[III.] 2. Plutarch. Kolotes. Ausgabe von Xylander

|125| »Kolotes, den Epikur seinen lieben kleinen Kolotes zu nennen pflegte, mein Saturnius, hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel ›Nachweis, daß man nach den Lehrsätzen der andern Philosophen nicht leben kann‹.« S. 1107.

Hat im vorigen Dialog Plutarch dem Epikur nachzuweisen gesucht, quod non beate vivi possit |daß man nicht glücklich leben kann| nach seiner Philosophie, so sucht er jetzt die δογματα |(dogmata) Lehrsätze, Lehren| der übrigen Philosophen gegen diesen Vorwurf von seiten der Epikureer zu rechtfertigen. Wir werden sehn, ob diese Aufgabe ihm besser gelingt als die vorige, deren Polemik eigentlich ein Panegyrikos auf Epikur genannt werden kann. - Wichtig ist dieser Dialog für das Verhältnis des Epikur zu den andern Philosophen. Es ist ein guter Witz des Kolotes, wenn er dem Sokrates statt Brot Heu anbietet und ihn fragt, warum er die Speise nicht ins Ohr, sondern in den Mund steckt. Sokrates trieb sich in ganz Kleinem herum, eine notwendige Folge seiner geschichtlichen Stellung.

»[...] Leonteus ... behauptet Demokrit werde von Epikur geehrt, weil er früher zur wahren Lehre sich bekannt ... weil er früher die Prinzipien der Natur entdeckt habe.« S. 1108.

»Wer also behauptet, die Menge täusche sich, indem sie annehme, das Warme sei warm oder das Kalte kalt, [der täuscht sich selbst,] wenn er nicht glaubt, daß aus dem, was er behauptet, folgt, nichts sei mehr so als so beschaffen.« S. 1110.

Plutarch fühlt überall ein Jucken, wo die philosophische Konsequenz des Epikur hervorbricht. Der Philister meint, wenn einer bestreite, daß das Kalte nicht kalt, das Warme nicht warm sei, je nachdem es die Menge nach ihrem Sensorium beurteilt, so täusche er sich selbst, wenn er nicht behaupte, es sei weder das eine noch das andre. Der Mann sieht nicht ein, daß damit der Unterschied bloß aus der Sache in das Bewußtsein geschoben ist. Will man diese Dialektik der sinnlichen Gewißheit in ihr selbst lösen, so muß es heißen, die Eigenschaft sei in dem Zusammen, in der Beziehung des sinnlichen Wissens auf das Sinnliche, also, da diese Beziehung eine unmittelbar verschiedene ist, unmittelbar verschieden. Es wird damit weder in die Sache noch in das Wissen der Fehler geschoben, sondern das Ganze der sinnlichen Gewißheit wird als dieser schwankende Prozeß betrachtet. Wer nicht die dialektische Macht hat, diese Sphäre total zu negieren, wer sie stehnlassen will, der muß auch mit der Wahrheit zufrieden sein, wie sie sich innerhalb ihrer vorfindet. Plutarch ist zu dem einen zu impotent, zu dem andern ein zu ehrlicher, kluger Herr.

|127| »So könnte man von jeder Eigenschaft in der Tat sagen, daß sie nicht mehr ist als nicht ist. Denn für den, der von ihr affiziert wird, ist sie, für den aber, der nicht affiziert wird, ist sie nicht.« S. 1110.

Also, sagt Plutarch, müßte man von jeder Eigenschaft sagen, daß sie nicht mehr ist als nicht ist; denn dies ändert sich, je nachdem einer affiziert wird. Allein seine Frage zeigt schon, daß er die Sache nicht versteht. Er spricht von einem festen Sein oder Nichtsein als Prädikat. Aber das Sein des Sinnlichen ist vielmehr, kein solches Prädikat zu sein, kein festes Sein oder Nichtsein. Wenn ich diese so trenne, so trenne ich grade, was in der Sinnlichkeit nicht getrennt ist. Das gewöhnliche Denken hat immer abstrakte Prädikate fertig, die es trennt von dem Subjekt. Alle Philosophen haben die Prädikate selbst zu Subjekten gemacht.

a) Epikur und Demokrit

»Denn was Demokrit gesagt habe, nur der Meinung nach sei Farbe, der Meinung nach Süßes, der Meinung nach Zusammensetzung [in Wirklichkeit aber nur das Leere und] die Atome, sagt er [d.h. Kolotes], [widerspreche] den sinnlichen Wahrnehmungen, und wer auf [diesem] Satz bestehe und ihn anwende, sei nicht zu der Überlegung fähig, ob er [tot] sei oder lebe. Gegen diesen Satz habe ich zwar nichts einzuwenden, muß aber sagen, daß dies mit den Lehren des Epikur ebenso untrennbar verbunden ist wie nach ihrer eignen Aussage die Gestalt und die Schwere mit dem Atom. Was sagt denn Demokrit? Substanzen, unendlich an Zahl, unteilbar und unterschiedlich, dazu ohne Qualität und Empfindung, schwirren im leeren Raum zerstreut umher; wenn sie sich aber einander nähern oder zusammentreffen oder sich verketten, so erscheine von dem, was sich dann bilde, das eine als Wasser, das andere als Feuer, das dritte als Pflanze, das vierte als Mensch. Es seien aber alles Atome, die von ihm Ideen genannt werden, und nichts anderes. Denn aus dem Nichtseienden gebe es kein Entstehen, aus dem Seienden aber gehe nichts hervor, weil die Atome infolge ihrer Festigkeit weder affiziert noch verändert werden. Daher entstehe weder Farbe aus Farblosem, noch Natur oder Seele aus Qualitätslosem ... Demokrit ist daher zu tadeln, nicht weil er die Folgerungen aus seinen Prinzipien gutheißt, sondern weil er Prinzipien aufstellt, die solche Folgerungen haben. Denn er durfte die Grundprinzipien nicht als unveränderlich annehmen, nachdem er diese Annahme aber gemacht hatte, durfte er nicht bemerken, daß dadurch die Entstehung jeder Eigenschaft unmöglich wird, und leugnen, obwohl er die Unmöglichkeit bemerkt hatte. Ganz unvernünftig aber sagt Epikur, er lege zwar die gleichen Prinzipien zugrunde, sage aber nicht, daß es Farbe ... und die andern Qualitäten der Meinung nach gebe. Wenn es nun mit dem Nicht-sagen so ist, gesteht er dann nicht, daß er etwas tut, was er schon gewöhnt ist? Denn er hebt die Vorsehung auf und sagt dabei, er lasse die Frömmigkeit bestehen; und er hält des Vergnügens wegen die Freundschaft für erstrebenswert und sagt, ›er wolle wegen der Freunde die größten Schmerzen auf sich nehmen‹; und er nimmt zwar das All als unendlich an, hebt aber oben und unten nicht auf ... [S. 1110-1111.]

|129| »Was denn? Erging es so nicht auch Plato, Aristoteles und Xenokrates, daß sie Gold aus keinem Gold ... und alles andere aus vier einfachen und ursprünglichen Körpern entstehen lassen? ... Aber bei ihnen vereinigen sich die Prinzipien gleich von Anfang an zur Entstehung eines jeden Dings und bringen die in ihnen steckenden Eigenschaften ab gewichtige Gaben mit, und wenn sie sich vereinigt haben und mit Trockenem Nasses und Kaltes mit Warmem etc. ... zusammengekommen ist, Körper, die gegenseitig aufeinander einwirken und sich völlig verändern, so erzeugen sie bei einer anderen Mischung auch ein anderes Produkt. Das Atom aber ist sowohl selbst an sich alleinstehend als auch ohne alle Zeugungskraft, und wenn es auf ein anderes trifft, erfährt es durch seine Härte und seinen Rückstoß eine Erschütterung, aber es erfährt weder, noch übt es eine andere Einwirkung aus, sondern sie [d.h. die Atome] werden gestoßen und stoßen selbst alle Zeit, ohne daß sie ein Lebewesen oder eine Seele oder sonst ein natürliches Wesen oder auch nur aus sich eine gemeinsame Masse oder einen einzigen Haufen bei ihrem ständigen Zusammen. prallen und wieder Auseinandergehen hervorzubringen vermögen.« S. 1111.

b) Epikur und Empedokles

»Kolotes aber greift ... wieder den Empedokles an, der schreibt:

»›Noch eins sage ich dir: kein Werden der sterblichen Wesen
Gibt es, es gibt auch keine Zerstörung der Dinge im Tode;
Sondern Mischung allein und Trennung des Vorhergemischten
Ist, was unter dem Namen Natur die Menschen begreifen.‹ S. 1111.

»Ich jedenfalls sehe nicht ein, inwiefern dies dem Leben widerspricht, wenn man annimmt, daß weder ein Werden des Nichtseienden möglich ist, noch eine Vernichtung des Seienden, sondern die Verbindung von seienden Dingen miteinander Werden, deren Trennung voneinander aber Tod genannt werde. Denn daß er das Wort Physis für Werden verwendet, hat Empedokles dadurch deutlich gemacht, daß er ihm das Wort Tod gegenüberstellt. Wenn aber die, die das Werden als eine Mischung, die Vernichtung aber als eine Auflösung betrachten, nicht leben und nicht leben können, was tun denn diese [d.h. die Epikureer] andres? Empedokles nun aber, der durch Wärme, Weichheit etc. die Elemente aneinanderleimt und zusammenfügt, gesteht ihnen immerhin noch eine Mischung und enge Vereinigung zu; diese [d.h. die Epikureer] aber, die die unveränderlichen und kommunikationslosen Atome an eine Stelle zusammentreiben, machen aus ihnen nichts, verursachen dafür aber viele und unausgesetzte Stöße der Atome. Denn eine Verkettung, die die Auflösung verhindern soll, verstärkt eher den Zusammenstoß, so daß weder Mischung sei, noch feste Verbindung, sondern Verwirrung und Kampf, was sie selbst Werden nennen. ... so daß von ihnen nichts zustande gebracht werden könne, auch nicht ein unbelebtes Wesen. Wie aber sinnliche Wahrnehmung, Seele, Vernunft und Einsicht im Leeren und in den Atomen entstehen sollen, läßt sich beim besten Willen nicht begreifen; ihnen ist weder an sich eine Qualität eigen, noch erfahren sie eine Einwirkung oder Veränderung, wenn sie zusammentreffen; vielmehr bewirkt ein Zusammentreffen oder eine Verschmelzung weder Mischung noch Vereinigung, |131| sondern nur Stöße und Gegenstöße. Daher wird durch derartige Lehren das Leben und die Existenz von Lebewesen unmöglich gemacht, da sie Prinzipien zugrunde legen, die leer, ohne Empfindung, ohne Gott sind und sich außerdem nicht vermischen und verbinden. Inwiefern nun lassen sie Natur, Seele und Lebewesen bestehen? So wie Eid, wie Gebet, wie Opfer, wie Gottesverehrung mit Worten und mit dem Mund, dem Schein, dem Vorgeben und dem Namen nach, während sie dies alles mit ihren Prinzipien und mit ihren Lehren abschaffen. So also nennen sie das natürlich Gewachsene selbst Natur und das Gewordene Werden, so wie man gemeinhin das Hölzerne Holz und das Harmonierende Harmonie nennt. « S. [1111-]1112.

»Was plagen wir uns (sagte Colotes scilicet adversus Empedocle |Kolotes nämlich zu Empedokles|), indem wir uns für uns selbst abmühen, gewisse Dinge erstreben und andere Dinge vermeiden? Denn wir sind weder selbst, noch leben wir im Umgang mit andern. Sei unbesorgt (könnte man sagen), mein lieber kleiner Kolotes, niemand hindert dich, für dich selbst zu sorgen, wenn er lehrt, daß die Natur des Kolotes nichts andres sei als Kolotes selbst, oder den Geschäften nachzugehen (die Geschäfte aber sind für euch die Vergnügungen), wenn er beweist, daß es keine Natur des Kuchens, der Gerüche, des Beischlafs gibt, dafür aber Kuchen, Salböl und Frauen. Denn weder der Grammatiker, der sagt, die herakleische Kraft sei Herakles selbst[, leugnet die Existenz des Herakles], noch sagen diejenigen, die behaupten, die Harmonien und die Verriegelungen seien nur Worte, daß es weder Töne noch Riegel gebe [...].

»Wenn aber Epikur sagt: ›Die Natur des Seienden besteht aus Körpern und Raum‹, haben wir das so zu verstehen, als wolle er sagen, die Natur sei etwas andres außer dem Seienden, oder er wolle zeigen, sie sei das Seiende und nichts andres? Wie er übrigens auch als Natur des Leeren das Leere selbst und, beim Zeus, das All als Natur des Alls zu bezeichnen pflegt.« S. 1112.

»Was hat also Empedokles andres getan, wenn er gelehrt hat, daß die Natur von dem, was entsteht, nicht verschieden sei und auch nicht der Tod von dem, was stirbt.« S. 1112.

Empedokles wird angeführt:

»›Wenn durch Mischung ein Mensch an das Licht des Tages [hervortritt],
Oder auch eines der Tiere des Feldes, der grünen Gesträuche,
Oder des Vogelgeschlechts, so [nennt man] dieses Entstehung;
Werden sie wieder geschieden, von düst'rem Tod oder Verderben
Redet gewöhnlich man dann.‹

»Dennoch muß ich dazu sagen, auch Kolotes selbst, der diese Verse anführt, hat nicht gesehen, daß Empedokles Menschen und Tiere etc. nicht aufgehoben hat, wenn er sagt, sie entstünden aus einer Mischung der Elemente, und, wenn er zeigte, inwiefern die sich irren, die eine solche Vereinigung und Trennung etwa Natur, unseliges Geschick und grausigen Tod nennen, auch nicht den Gebrauch der hierfür üblichen Ausdrücke abschaffen wollte.« [S. 1113.]

|133| »›Toren! sie quälen sich nicht mit Sorgen und Zweifelgedanken,
Bilden sich ein, daß das was niemals gewesen entstehe,
Oder daß etwas ersterbe und völlig in Nichts sich verliere.‹

»Denn dies sind die Worte eines Menschen, der denen, die Ohren haben zu hören, laut und vernehmlich zuruft, daß er nicht die Entstehung aufhebt, sondern die Entstehung aus dem Nichts, und nicht das Vergehen, sondern das totale Vergehen, das heißt die Auflösung in das Nichts. [S. 1113.]

»›[...] Niemals wird wohl ein Weiser auf solche Gedanken geraten,
Daß nur solange sie leben, nach dem was Leben genannt wird,
Wirklich die Menschen sind und Schlimmes und Gutes erfahren,
Eh sie geworden dagegen und wenn sie gegangen, ein Nichts sind.‹

»Denn das sagt nicht einer, der leugnet, daß die Geborenen und Lebenden existieren, sondern eher einer, der glaubt, daß auch die noch nicht Geborenen und die bereits Gestorbenen existieren.« [S. 1113.]

»[...] er sagt aber (Colotes nimirum |nämlich Kolotes|), daß wir ihm [d.h. Empedokles] zufolge weder krank werden noch verwundet werden können. Und wie kann er, der sagt, daß jedem vor dem Leben und nach dem Leben Schlechtes und Gutes begegne, bei den Lebenden das Leiden nicht gelten lassen? Auf wen trifft es denn wirklich zu, daß er weder verwundet werden, noch krank werden kann, Kolotes? Auf euch, die ihr aus Atomen und Leerem zusammengesetzt seid, die beide der Empfindung nicht teilhaftig sind. Und nicht das ist schlimm, sondern daß es nichts gibt, was euch Lust verschaffen könnte, da das Atom das, was sie verschafft, nicht aufnimmt, das Leere aber sich davon nicht affizieren läßt.« S. 1113.

c) Epikur und Parmenides

»[...] »wie er aber durch die Aussage, das All sei ein Eines, uns zu leben unmöglich gemacht haben soll, sehe ich nicht ein. Denn auch Epikur spricht, wenn er sagt, das All sei unendlich, ungeworden und unzerstörbar und werde weder größer noch kleiner, vom All als von einem Einen. Da er aber am Anfang seiner Arbeit gesagt hat, die Natur des Seienden bestehe aus Körpern und dem Leeren, so hat er sie als ein Eines in zwei Teile geteilt, von denen der eine in Wirklichkeit nichts ist und von euch nicht anfaßbar, leer und unkörperlich genannt wird; also ist auch für euch das All ein Eines ... Sieh doch, welche Prinzipien ihr für das Werden voraussetzt, Unendlichkeit und Leere, davon ist diese inaktiv, empfindungslos und körperlos; jene aber ohne Ordnung, ohne Vernunft, nicht faßbar, sich selbst auflösend und verwirrend, weil sie wegen ihrer Menge weder bewältigt noch begrenzt werden kann. Parmenides jedenfalls hat weder Feuer noch Wasser aufgehoben ... noch bewohnte Städte in Europa und Asien (wie Kolotes sagt) ... Hat er doch früher als alle andern und sogar als Sokrates eingesehen, daß die Natur etwas Vorstellbares, aber auch etwas Gedachtes hat; [...].« [S. 1113-1114.]

[135] »[...] denn es (das Gedachte) ist

»›Einzig für sich, erschütterlich nicht und ungeworden‹,

»wie er selbst gesagt hat, sich selbst immer gleich und beständig im Sein « [S. 1114.]

»[...] Kolotes ... sagt einfach, durch die Behauptung, das All sei ein Eines, hebe Parmenides alle Dinge auf.« [S. 1114.]

»[...das Gedachte,] das er seiend nennt, da es ewig und unzerstörbar sei, Eins wegen der Gleichheit mit sich selbst und weil es keinen Unterschied zuläßt ... dagegen zählt er zur ungeordneten und in Bewegung befindlichen Natur das Sinnliche [S. 1114.]

»›Selbstüberzeugende Wahrheit hier ...‹,
die sich mit dem Gedachten und sich immer Gleichbleibenden beschäftigt,
›Menschliche Meinungen dort, nicht wirklich Gewisses in ihnen‹,
weil sie es mit Dingen zu tun haben, die alle möglichen Veränderungen, Affekte und Ungleichheiten zulassen.« S. 1114.

»Also war der Satz, das Seiende sei ein Eines, nicht eine Aufhebung des Vielen und Sinnlichen, sondern eine Deutlichmachung seines Unterschieds zum Gedachten.« S.1114.

d) Epikur und Plato

Als ein Beweis des unphilosophischen Sinns des Plutarch kann z.B. folgende Stelle über den Aristoteles dienen:

»Da die Ideen nun, die er (d.h. Kolotes [6]) dem Plato zum Vorwurf macht, Aristoteles überall angreift und gegen sie alle möglichen Bedenken vorbringt, in den ethischen Schriften, in den Schriften über die Physik, in den populären Dialogen, waren einige der Meinung, er tue dies mehr aus Streitsucht als aus Liebe zur Weisheit auf Grund dieser Lehrsätze, in der Absicht, die Philosophie Platos herabzusetzen.« S. 1115.

»[...] er [d.h. Kolotes] aber, der auch nicht ein bißchen Weisheit abbekommen hat, betrachtet die Sätze, der Mensch ist nicht, und der Mensch ist nicht existierend als ein und dasselbe; Plato aber schien es außerordentlich wichtig, das Nichtsein vom Nicht-Existierend-Sein zu unterscheiden; denn durch das eine offenbare sich die Aufhebung allen Seins, durch das andere die Verschiedenheit des Teilhabenden und des Teilnehmenden, welche die Späteren allein zum Unterschied zwischen Gattung und Art ... machten, weiter aber gingen sie nicht, da sie auf größere logische Schwierigkeiten stießen.«

(Wieder eine Stelle, aus der man die immanente, selbstgefällige Dummheit beati Plutarchi |des glückseligen Plutarch| erkennen kann.)

»Es steht aber das, woran etwas Teil hat, zu dem, was daran Teil nimmt, im gleichen Verhältnis wie die Ursache zur Materie, das Urbild zum Abbild und die Kraft zur Wirkung.« S. 1115.

|137| Wenn Plutarch über die Ideenlehrer, Plato, sagt:

»[...] er hebt das Sinnliche nicht auf, aber er behauptet vom Gedachten das Sein«, S. 1116,

so sieht der dumme Eklektiker nicht, daß eben dies dem Plato vorzuwerfen ist. Er hebt das Sinnliche nicht auf, aber er behauptet vom Gedachten das Sein. Das sinnliche Sein kömmt so nicht zu Gedanken, und das Gedachte fällt auch in ein Sein, so daß zwei seiende Reiche nebeneinander bestehn. Man kann hier sehn, welchen Anklang der platonische Pedantismus besonders leicht beim gemeinen Mann findet, und Plutarch können wir hinsichtlich seiner philosophischen Einsichten zu dem gemeinen Mann rechnen. Versteht sich, was bei Plato originell, notwendig, auf einer gewissen Stufe der allgemeinen philosophischen Bildung prächtig erscheint, das ist bei einem Individuum das an der Schwelle der alten Welt sitzt, die schale Erinnrung an den Rausch eines Toten, eine Lampe aus der diluvianischen Zeit, die Widerlichkeit eines alten Mannes, der in das Kindesalter zurückgefallen ist.

Besser kann man den Plato nicht kritisieren, als Plutarch ihn lobt:

»Er hebt auch nicht die Einwirkungen auf, die auf uns erfolgen und an uns sichtbar werden, sondern zeigt denen, die ihm folgen, daß es noch etwas anderes gibt, was fester und beständiger«

(lauter begriffslose, aus der Sinnlichkeit abstrahierte Vorstellungen)

»im Wesen ist, weil es weder entsteht, noch vergeht, noch irgendwelchen Einwirkungen unterliegt«

(man bemerke μητε - μητε - μητε |(mete - mete - mete) weder - noch - noch| negative Bestimmungen),

»und lehrt, indem er den Unterschied klarer in Worte faßt«

(richtig, der Unterschied ist ein nomineller),

»das eine seiend, das andere werdend zu nennen.« S. 1116.

»Dies ist aber auch bei den neuern [Philosophen] geschehen. Denn vielen und wichtigen Dingen sprechen sie die Bezeichnung des Seienden ab, dem Leeren, der Zeit, dem Raum, überhaupt der Gattung der benennbaren Dinge, worunter auch alle wirklichen sind. Denn diese, sagen sie, seien zwar nicht das Seiende, aber sie seien etwas; und sie bedienen sich ihrer ständig im Leben und in der Philosophie als bestehende und vorhandene Größen.« S. 1116.

Nun wendet sich Plutarch an den Kolotes und fragt, ob sie nicht selbst den Unterschied zwischen festem und vergänglichem Sein machen etc.

|139| Jetzt wird Plutarch schalkhaft und spricht wie folgt:

»[...] weiser aber als Plato ist Epikur, insofern er allein in gleicher Weise ein Sein zuerkennt.... Er glaubt, das Vergängliche habe das gleiche Sein wie das Ewige [7] ... und Naturen, die niemals aus ihrem Sein herauskönnen, das gleiche wie die, deren Sein darin besteht, Einwirkung und Veränderung ausgesetzt zu sein und die niemals gleichbleiben. Wenn aber Plato sich hierin wirklich ganz besonders geirrt hat, dann müßte er wegen Konfusion von Begriffen von diesen zur Rechenschaft gezogen werden, die ein besseres Griechisch sprechen ...« S. 1116.

Es ist amüsant, dieser gespreizten, sich klug dünkenden Ehrlichkeit zuzuhören. Er selbst, nämlich Plutarch, bringt die platonische Differenz des Seins auf zwei Namen herab, und dennoch sollen von der andern Seite die Epikureer unrecht haben, wenn sie beiden Seiten ein festes Sein zuschreiben (sie unterscheiden indes recht gut das αφθαρτον |(aphtharton) Unzerstörbare, Unvergängliche| und αγεννητον |(agenneton) Unerschaffene, Anfanglose| von dem, was durch Zusammensetzung ist); tut dies nicht auch Plato, wenn das ειναι |(einai) Sein| fest auf der einen Seite, auf der andern das γενεσθαι |(genesthai) Werden| sitzt?


Fußnoten von Marx

(1) (ganz andre Ansichten hat hiervon Aristoteles, der in der Metaphysik« lehrt, bei den Freien herrsche die Notwendigkeit mehr als bei den Sklaven) <=


Redaktionelle Anmerkungen 

[1] Nicht eindeutig zu entziffern

[2] Originaltext korrupt, die Übersetzung folgt der der Xylander-Ausgabe beigegebenen lateinischen Übersetzung <=

[3] In der Handschrift folgt hier in runden Klammern der letzte Satz des Zitats in lateinischer Übersetzung <=

[4] Vor »eher« steht in der Handschrift ein unleserliches Wort <=

[5] Reines »otium« steht in der Handschrift über »Leere« <=

[6] In der Handschrift: Aristoteles <=

[7] Originaltext korrupt; die Übersetzung folgt der der Xylander-Ausgabe beigegebenen lateinischen Übersetzung <=


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