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Gedruckt nachzulesen in: Wladimir Iljitsch Lenin - Werke. Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 22, 3. Auflage, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 172-183.

1. Korrektur.
Erstellt am 20.02.1999.

Wladimir Iljitsch Lenin

Vorschläge des Zentralkomitees der SDAPR an die zweite sozialistische Konferenz

Geschrieben Februar-März 1916.
Nach dem russischen Manuskript verglichen mit dem deutschen Text des "Bulletin".


["Bulletin Nr. 4 Internationale Sozialistische Kommission zu Bern", 22. April 1916]
|172| (Thesen zu den Punkten 5, 6, 7a, 7b und 8 der Tagesordnung: Kampf für die Beendigung des Krieges, Stellung zu den Friedensfragen, zur parlamentarischen Tätigkeit und zum Massenkampf sowie zur Einberufung des Internationalen Sozialistischen Büros.)

(Die Internationale Sozialistische Kommission hat bei der Einberufung der zweiten Konferenz die Organisationen aufgefordert, diese Fragen zu besprechen und ihre Vorschläge einzusenden. Die folgenden Thesen stellen die Antwort unserer Partei auf diese Aufforderung dar.)

1. Wie ein jeder Krieg nur eine Fortsetzung der Politik mit Mitteln der Gewalt ist, nämlich derjenigen Politik, welche von den kriegführenden Staaten und ihren herrschenden Klassen lange Jahre, manchmal Jahrzehnte vor dem Krieg geführt wurde, so kann auch der einen jeden Krieg abschließende Frieden nur eine Registrierung der tatsächlichen Machtverschiebungen sein, die im Verlauf und im Ergebnis des Krieges erreicht wurden.

2. Solange die Grundpfeiler der heutigen, der bürgerlichen gesellschaftlichen Beziehungen fortbestehen, kann ein imperialistischer Krieg nur zu einem imperialistischen Frieden führen, d.h. zur Festigung, Erweiterung und Verstärkung der Unterdrückung der schwachen Nationen und Länder durch das Finanzkapital, das nicht nur vor dem Krieg, sondern auch im Verlauf des Krieges einen riesenhaften Aufschwung nahm. Der objektive Inhalt derjenigen Politik, welche von der Bourgeoisie und den Regierungen beider kriegführenden Gruppen der Großmächte vor dem Krieg und während desselben betrieben wurde, führt zur Steigerung des |175| ökonomischen Drucks, der nationalen Knechtung, der politischen Reaktion. Infolgedessen kann der Friedensschluß bei beliebigem Ausgang des Krieges nur die Verschlimmerung der politischen und ökonomischen Lage der Massen festlegen - wenn die bürgerliche Gesellschaft bestehenbleibt.

Die Möglichkeit eines demokratischen Friedens aber als Folge des imperialistischen Krieges annehmen heißt in der Theorie eine leere Phrase aussprechen, anstatt die Politik der Mächte vor dem Krieg und während des Krieges im historischen Zusammenhang zu studieren, heißt praktisch die Volksmassen betrügen, indem man ihr politisches Bewußtsein verdunkelt, die wirkliche Politik der herrschenden Klassen, die den nahenden Frieden vorbereiten, verheimlicht und beschönigt und innen das Wichtigste vorenthält: die Unmöglichkeit eines demokratischen Friedens ohne eine Reihe von Revolutionen.

3. Die Sozialisten verzichten keineswegs auf den Kampf für die Durchführung von Reformen. Sie müssen z.B. auch jetzt in den Parlamenten für jede Verbesserung der Lage der Volksmassen - so klein sie auch sein mag - stimmen: für eine entsprechende Unterstützung der Bewohner der vom Kriege betroffenen Gebiete, für die Milderung des nationalen Drucks usw. Es ist aber ein bloßer bürgerlicher Betrug, wenn man Reformen predigt für Fragen, die die Geschichte und die ganze politische Situation nur als durch die Revolution zu lösende stempelt. Und gerade derart sind die Fragen, die von dem jetzigen Krieg auf die Tagesordnung gesetzt sind. Das sind die Grundfragen des Imperialismus, d.h. die Fragen nach dem Fortbestand der ganzen kapitalistischen Gesellschaft, die Fragen nach der Möglichkeit, den Zusammenbruch des Kapitalismus hinauszuschieben, indem man die Erde neu aufteilen will, entsprechend den neuen Machtverhältnissen zwischen den "Groß"mächten, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur außerordentlich rasch, sondern auch - was besonders wichtig ist - außerordentlich ungleichmäßig entwickelt haben. Eine wirkliche politische Tätigkeit, die, ohne die Massen durch leere Worte zu täuschen, geeignet wäre, die Machtverhältnisse der heutigen Gesellschaft zu ändern, kann nur in einer der folgenden Formen bestehen: entweder hilft man der "eigenen" nationalen Bourgeoisie, fremde Länder zu berauben (und nennt diese Hilfe "Verteidigung des Vaterlandes" oder "Rettung der Heimat"), oder aber man hilft, die sozialistische |176| Revolution des Proletariats in die Wege zu leiten, indem man die schon jetzt in allen kriegführenden Ländern beginnende Gärung unter den Massen fördert, Streiks und Demonstrationen unterstützt usw., indem man diese jetzt noch schwachen Anfänge des revolutionären Massenkampfes ausweitet und zum allgemeinen Ansturm des Proletariats zum Sturz der Bourgeoisie steigert.

Ebenso wie alle Sozialchauvinisten jetzt das Volk betrügen, indem sie die Frage nach der wahren, d.h. imperialistischen Politik der Kapitalisten, die in diesem Krieg fortgesetzt wird, durch heuchlerische Phrasen über einen "unehrlichen" Angriff und eine "ehrenhafte" Verteidigung seitens dieser oder jener Gruppe der kapitalistischen Raubmächte vertuschen - ebenso ist es auch lauter Betrug am Volke und leere Phrase, wenn man von einem "demokratischen Frieden" spricht, als könnte der kommende Frieden, der schon jetzt von den Kapitalisten und Diplomaten vorbereitet wird, ein "unehrliches" Angreifen "einfach" ungeschehen machen und die früheren "ehrlichen" Beziehungen wiederherstellen; als wäre er nicht vielmehr eine Fortsetzung, Entfaltung und Sanktionierung derselben imperialistischen Politik, d.h. der Politik des finanzkapitalistischen Raubes, der Ausplünderung der Kolonien, der nationalen Unterdrückung, der politischen Reaktion, der Verschärfung der kapitalistischen Ausbeutung. Den Kapitalisten und ihren Diplomaten leisten diese ihre "sozialistischen" Helfer gerade jetzt gute Dienste, wenn sie das Volk betäuben, betrügen und einschläfern durch Phrasen von einem "demokratischen Frieden", durch die sie die wahre Politik der Bourgeoisie verhüllen, zu verhindern suchen, daß die Massen den wahren Sachverhalt begreifen, und das Volk von einem revolutionären Kampf ablenken.

4. Solch bürgerlicher Betrug und Heuchelei ist eben das Programm des "demokratischen" Friedens, welches von den bekanntesten Führern der II. Internationale heute verfochten wird. Zum Beispiel Huysmans auf dem Kongreß in Arnhem und Kautsky in der "Neuen Zeit", die mit zu den autoritativsten offiziellen und "theoretischen" Vertretern dieser Internationale gehören, haben dieses Programm folgendermaßen formuliert: Verzicht auf den revolutionären Kampf bis zu der Zeit, wo die imperialistischen Regierungen Frieden geschlossen haben werden; bis dahin Phrasen über Ablehnung von Annexionen und Kontributionen, auf dem Papier Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, |177| Demokratisierung der Außenpolitik, Schiedsgerichte zur Erledigung internationaler Konflikte zwischen den Staaten, Abrüstung, Vereinigte Staaten von Europa usw. usf. Besonders klar hat die wahre politische Bedeutung dieses "Friedensprogramms" Kautsky dargelegt, als er als Beweis für die "Einmütigkeit der Internationale" in dieser Frage die Tatsache anführte, daß die Londoner (II. 1915) und die Wiener (IV. 1915) Konferenz einmütig den Hauptpunkt dieses Programms, nämlich die "Selbständigkeit der Nationen", anerkannt haben. Kautsky hat so vor aller Welt offen den Volksbetrug der Sozialchauvinisten sanktioniert, die heuchlerische, zu nichts verpflichtende und zu nichts führende Lippenbekenntnisse zur "Selbständigkeit" oder zur Selbstbestimmung der Nationen mit der Unterstützung des imperialistischen Krieges " ihrer" Regierungen verbinden, obwohl dieser Krieg von beiden Seiten mit einer systematischen Verletzung der "Selbständigkeit" schwacher Nationen und mit dem Ziel der Verstärkung und Ausdehnung ihrer Knechtschaft geführt wird.

Objektiv betrachtet, führt dieses gangbarste "Programm des Friedens" zur verstärkten Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Bourgeoisie, denn es "versöhnt" die Arbeiter, die einen revolutionären Kampf aufzunehmen beginnen, mit ihren chauvinistischen Führern und verwischt die Tiefe der Krise im Sozialismus, um zu jenem Zustand innerhalb der sozialistischen Parteien zurückzukehren, der vor dem Kriege herrschte und der gerade den Übergang der meisten Führer auf die Seite der Bourgeoisie zur Folge hatte. Die Gefahr dieser "kautskyanischen" Politik ist für das Proletariat um so größer, als sie mit wohlklingenden Phrasen verziert und nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen Ländern betrieben wird. In England z.B. verteidigen diese Politik die meisten Führer; in Frankreich Longuet, Pressemane u.a.; in Rußland Axelrod, Martow, Tschcheïdse usw. Tschcheïdse verhüllt die chauvinistische Idee der "Vaterlandsverteidigung" im gegenwärtigen Krieg mit der Phrase "Rettung des Vaterlandes". Einerseits gibt er vor, auf dem Boden der Zimmerwalder Konferenz zu stehen, anderseits rühmt er in der offiziellen Fraktionserklärung die berüchtigte Rede Huysmans' in Arnhem, findet weder von der Dumatribüne noch in der Presse auch nur ein einziges Wort gegen die Teilnahme der Arbeiter an den Kriegsindustriekomitees und bleibt weiterhin Mitarbeiter von Zeitungen, die diese Teilnahme verteidigen. In Italien wird eine ähnliche Politik von Treves ge- |178| trieben: Siehe die Drohung des Zentralorgans der Italienischen Sozialistischen Partei "Avanti!" vom 5. III. 1916, Treves und andere "Reformisten-Possibilisten" bloßzustellen, jene festzunageln, "die alle Minen springen ließen, um die auf die Zimmerwalder Vereinigung und die Schaffung einer neuen Internationale gerichtete Aktion der Parteileitung und Odino Morgaris zu hintertreiben", usw. usf.

5. Die wichtigste der Friedensfragen ist gegenwärtig die der Annexionen. Und gerade in dieser Frage tritt die heute herrschende "sozialistische" Heuchelei am deutlichsten zutage und werden anderseits die Aufgaben der wirklich sozialistischen Propaganda und Agitation klar.

Es muß Klarheit darüber geschaffen werden, was Annexion eigentlich ist, warum und wie die Sozialisten gegen Annexionen kämpfen müssen. Nicht jede Angliederung eines "fremden" Territoriums ist Annexion, denn im allgemeinen sind die Sozialisten für das Verschwinden der Grenzen zwischen den Nationen und für die Bildung von größeren Staaten. Nicht jede Verletzung des Status quo ist Annexion. Das zu glauben wäre im höchsten Grade reaktionär und ein Hohn auf die Grundbegriffe der Geschichtswissenschaft. Nicht jede Angliederung eines Landes durch Kriegsgewalt ist Annexion, denn die Sozialisten können Gewaltanwendung und Kriege, die im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung geführt werden, nicht grundsätzlich ablehnen. Unter Annexion verstehen wir bloß die Angliederung eines Landes gegen den Willen seiner Bewohner. Mit anderen Worten: Der Begriff der Annexion ist mit dem Begriff des Selbstbestimmungsrechts der Nationen aufs engste verbunden.

Aber in dem gegenwärtigen Krieg, gerade weil es ein imperialistischer Krieg seitens beider kriegführenden Mächtegruppen ist, mußte es dazu kommen und ist es auch dazu gekommen, daß die Bourgeoisie und die Sozialchauvinisten eifrig gegen Annexionen "kämpfen", insofern dieselben von einer feindlichen Macht ausgeführt werden oder wurden. Es ist klar, daß ein solcher "Kampf gegen Annexionen", eine solche "Einmütigkeit" in der Frage der Annexionen nichts als Heuchelei ist. Es ist klar, daß sowohl die französischen Sozialisten, die den Krieg um Elsaß-Lothringen unterstützen, als auch die deutschen Sozialisten, die nicht die Freiheit der Lostrennung Elsaß-Lothringens oder Deutsch-Polens usw. von Deutschland verlangen, und auch die russischen Sozialisten, die den |179| Krieg, der zur neuen Knechtung Polens durch den Zarismus führt, "Rettung des Vaterlandes" nennen, die die Angliederung Polens an Rußland im Namen eines "Friedens ohne Annexionen" fordern, usw. usf. - daß alle diese Sozialisten tatsächlich Annexionisten sind.

Soll der Kampf gegen Annexionen mehr denn Heuchelei oder eine hohle Phrase sein, soll er tatsächlich die Massen im Geiste des Internationalismus erziehen, so muß die Frage so gestellt werden, daß den Massen die Augen geöffnet werden, damit sie den heute herrschenden Betrug in der Annexionsfrage wahrnehmen, nicht aber so, daß dieser Betrug verschleiert wird. Es genügt nicht, wenn ein Sozialist, ganz gleich welcher Nation, in Worten die Gleichberechtigung der Nationen anerkennt, wenn er schwört und hoch und heilig versichert, gegen Annexionen zu sein. Jeder Sozialist ist vielmehr verpflichtet, sofort und unbedingt die Freiheit der Lostrennung der Kolonien und Nationen zu fordern, die von seinem eigenen "Vaterland" unterdrückt werden.

Fehlt diese Bedingung, so bleibt auch im Zimmerwalder Manifest die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen und der Prinzipien des Internationalismus im besten Falle ein toter Buchstabe.

6. Dem "Friedensprogramm" der Sozialisten wie auch ihrem Programm des "Kampfes für die Beendigung des Krieges" muß eine Enthüllung der Lüge vom "demokratischen Frieden", von den friedlichen Absichten der kriegführenden Mächte usw. zugrunde liegen - der Lüge, mit der sich heute demagogische Minister, pazifistische Bourgeois, Sozialchauvinisten und Kautskyaner aller Länder an das Volk wenden. Jedes "Friedensprogramm" ist Volksbetrug und Heuchelei, wenn es nicht in erster Linie auf der Aufklärung der Massen über die Notwendigkeit der Revolution und auf der Unterstützung, Förderung und Entfaltung des überall beginnenden revolutionären Kampfes der Massen fußt (Gärung, Proteste, Verbrüderung in den Schützengräben, Streiks, Demonstrationen, Briefe der an der Front Kämpfenden an die Verwandten - z.B. in Frankreich -, die aufgefordert werden, keine Kriegsanleihen zu zeichnen usw. usf.).

Die Unterstützung, Ausweitung und Vertiefung jeder Volksbewegung für die Beendigung des Krieges ist Pflicht der Sozialisten. Tatsächlich aber erfüllen diese Pflicht nur jene Sozialisten, die wie Liebknecht von der Rednertribüne der Parlamente die Soldaten auffordern, die Waffen |180| niederzulegen, die die Revolution und die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg für den Sozialismus propagieren.

Als positive Losung, die die Massen in den revolutionären Kampf hineinzieht und die Notwendigkeit revolutionärer Maßnahmen für einen "demokratischen" Frieden klarmacht, muß die Losung aufgestellt werden: Verweigerung der Zahlung der Staatsschulden.

Es genügt nicht, wenn das Zimmerwalder Manifest die Revolution andeutet, indem es sagt, daß die Arbeiter für ihre eigene Sache und nicht für eine fremde Opfer bringen müssen. Man muß den Massen ihren Weg klar und deutlich zeigen. Die Massen müssen wissen, wohin sie gehen sollen und wozu. Daß revolutionäre Massenaktionen während des Krieges, wenn sie sich erfolgreich entfalten, nur zur Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg für den Sozialismus führen können, ist augenscheinlich, und es wäre schädlich, das den Massen zu verhehlen. Im Gegenteil, man muß dieses Ziel klar aufzeigen, so schwierig auch seine Erreichung scheinen mag, da wir ja erst am Anfang des Weges stehen. Es genügt nicht, zu sagen, wie es im Zimmerwalder Manifest steht, daß "die Kapitalisten lügen, wenn sie behaupten, der Krieg diene der Verteidigung des Vaterlandes", und daß die Arbeiter im revolutionären Kampf nicht mit der militärischen Lage ihres Landes rechnen dürfen. Man muß klar aussprechen, was hier nur angedeutet wird, daß nämlich nicht nur die Kapitalisten, sondern auch die Sozialchauvinisten und die Kautskyaner lügen, wenn sie den Begriff der Vaterlandsverteidigung in diesem imperialistischen Krieg anwenden; daß revolutionäre Aktionen während des Krieges unmöglich sind, ohne daß dadurch der "eigenen" Regierung eine Niederlage im Kriege droht, und daß jede Niederlage der Regierung in einem reaktionären Kriege die Revolution erleichtert, die allein imstande ist, einen dauerhaften und demokratischen Frieden herbeizuführen. Es muß endlich den Massen gesagt werden, daß es ohne die Gründung von illegalen Organisationen und einer illegalen, der Zensur nicht unterliegenden Presse unmöglich ist, den beginnenden revolutionären Kampf ernstlich zu fördern, ihn zu entfalten, seine einzelnen Schritte zu kritisieren, seine Fehler zu verbessern und ihn systematisch auszuweiten und zu verschärfen.

7. Was die parlamentarische Aktion der Sozialisten betrifft, so muß in Betracht gezogen werden, daß die Zimmerwalder Konferenz den fünf |181| sozialdemokratischen Dumaabgeordneten die unserer Partei angehören und nach Sibirien verbannt worden sind, nicht nur ihre Sympathie ausdrückte, sondern sich auch mit ihrer Taktik solidarisch erklärte. Man kann nicht den revolutionären Kampf der Massen anerkennen und sich gleichzeitig mit einer ausschließlich legalen Tätigkeit der Sozialisten in den Parlamenten zufriedengeben. Eine solche Taktik führt lediglich zur berechtigten Unzufriedenheit der Arbeiter und zu ihrem Übertreten von der Sozialdemokratie zum antiparlamentarischen Anarchismus oder Syndikalismus. Man muß klar und für alle hörbar aussprechen, daß die sozialdemokratischen Abgeordneten ihre Stellung ausnutzen müssen, nicht nur um im Parlament aufzutreten, sondern auch um den illegalen Organisationen und dem revolutionären Kampf der Arbeiter allseitige außerparlamentarische Unterstützung zu geben, und daß die Massen selber durch ihre illegale Organisation diese Tätigkeit ihrer Führer kontrollieren müssen.

8. Die Frage der Einberufung des Internationalen Sozialistischen Büros rollt die prinzipielle Grundfrage auf, ob eine Einigkeit der alten Parteien und der II. Internationale möglich ist. Jeder weitere Schritt der internationalen Arbeiterbewegung auf dem Wege, der in Zimmerwald aufgezeigt wurde, zeigt immer deutlicher die Inkonsequenz der Position der Mehrheit der Zimmerwalder Konferenz: Einerseits wird die Politik der alten Parteien und der II. Internationale mit der bürgerlichen Politik in der Arbeiterbewegung identifiziert, mit einer Politik, die die Interessen der Bourgeoisie und nicht die des Proletariats fördert (hierher gehören z.B. die Worte des Zimmerwalder Manifests, daß die "Kapitalisten" lügen, wenn sie behaupten, dieser Krieg diene der "Verteidigung des Vaterlandes", und noch bestimmtere Erklärungen in dem Rundschreiben der Internationalen Sozialistischen Kommission vom 10. II. 1916), anderseits befürchtet die Internationale Sozialistische Kommission einen Bruch mit dem Internationalen Sozialistischen Büro und verspricht offiziell, sich aufzulösen, wenn das Büro wieder einberufen werden sollte.

Wir stellen fest, daß über ein solches Versprechen in Zimmerwald nicht nur nicht abgestimmt wurde, sondern daß es überhaupt nicht zur Sprache kam.

Das halbe Jahr, das nach der Zimmerwalder Konferenz verflossen ist, hat bewiesen, daß die Tätigkeit im Geiste Zimmerwalds - wir sprechen |182| nicht von leeren Worten, sondern eben von einer Tätigkeit - in allen Ländern tatsächlich verknüpft ist mit einer Vertiefung und Erweiterung der Spaltung. In Deutschland werden illegale Proklamationen gegen den Krieg entgegen dem Beschluß der Partei, d.h. die Spaltung fördernd, herausgegeben. Als der Abgeordnete Otto Rühle, der engste Kampfgefährte Karl Liebknechts, offen erklärte, daß es faktisch bereits zwei Parteien gibt, eine, welche die Bourgeoisie unterstützt, und eine andere, welche gegen die Bourgeoisie kämpft, da haben zwar viele, darunter auch die Kautskyaner, deswegen Rühle gerügt, aber es hat ihn niemand widerlegt. In Frankreich schlägt das Mitglied der Sozialistischen Partei Bourderon, ein ausgesprochener Gegner der Spaltung, seiner Partei eine Resolution vor, die, wenn angenommen, unbedingt und sofort eine Spaltung zur Folge hätte, nämlich: dem Parteivorstand und der Parlamentsfraktion die Mißbilligung auszusprechen ("désapprouver la Comm. Adm. Perm. et le Gr. Parl."). In England erkennt das Mitglied der ILP T. Russell Williams in der gemäßigten Zeitung " Labour Leader" offen die Unvermeidlichkeit der Spaltung an, und er wird in Briefen lokaler Funktionäre unterstützt. Vielleicht aber ist das Beispiel Amerikas noch lehrreicher, denn sogar dort, in einem neutralen Land, zeigen sich zwei unversöhnbar feindliche Richtungen innerhalb der sozialistischen Partei: einerseits Anhänger der sogenannten "preparedness", d.h. des Krieges, des Militarismus und des Marinismus, anderseits propagieren solche Sozialisten wie Eugene Debs, der frühere Präsidentschaftskandidat der sozialistischen Partei, offen den Bürgerkrieg für den Sozialismus, und zwar im Zusammenhang mit dem kommenden Krieg.

In der ganzen Welt ist die Spaltung tatsächlich schon da, es bestehen bereits zwei völlig unversöhnbare politische Stellungnahmen der Arbeiterklasse zum Krieg. Die Augen einfach davor zu verschließen geht nicht an, das könnte nur zur Verwirrung der Arbeitermassen führen, zur Verdunklung ihres Bewußtseins, zur Erschwerung jenes revolutionären Massenkampfes, mit dem alle Zimmerwalder offiziell sympathisieren, und zur Stärkung des Einflusses jener Führer, die von der Internationalen Sozialistischen Kommission im Rundschreiben vom 10. II. 1916 direkt beschuldigt werden, die Massen "irrezuführen" und eine "Verschwörung" ("Pakt") gegen den Sozialismus vorzubereiten.

Die Sozialchauvinisten und Kautskyaner aller Länder werden ver- |183| suchen, das bankrott gegangene Internationale Sozialistische Büro wieder zu errichten. Den Sozialisten aber obliegt die Aufgabe die Massen aufzuklären über die Unvermeidlichkeit des Bruches mit denjenigen, die eine Politik der Bourgeoisie unter der Fahne des Sozialismus treiben.

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