MLWerke | 1842 | Marx/Engels

Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/ Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 1. Berlin/DDR. 1976. S. 28-77.
1,5. Korrektur
Erstellt am 30.08.1999

Karl Marx

Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen

Von einem Rheinländer

Sechster Artikel

[»Rheinische Zeitung« Nr. 125 vom 5. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 128 vom 8. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 130 vom 10. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 132 vom 12. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 135 vom 15. Mai 1842]
[»Rheinische Zeitung« Nr. 139 vom 19. Mai 1842]


[»Rheinische Zeitung« Nr. 139 vom 19. Mai 1842]

|66|Die Preßfreiheit macht so wenig die »wandelbaren Zustände«, als das Fernglas des Astronomen die rastlose Bewegung des Weltsystems macht. Böse Astronomie! Was war das für schöne Zeit, als die Erde noch, wie ein ehrbarer bürgerlicher Mann, in der Mitte der Welt saß, ruhig ihre irdene Pfeife schmauchte und nicht einmal ihr Licht sich selber anzustecken brauchte, da Sonne, Mond und Sterne als ebensoviele devote Nachtlampen und »schöne Sachen« um sie hertanzten.

»Wer nie, was er gebaut, zerstört, der steht stät
Auf dieser ird'schen Welt, die selbst nicht stät steht«,

sagt Hariri, der kein geborner Franzose, sondern ein Araber ist.

Ganz bestimmt spricht sich nun der Stand des Redners in dem Einfall aus:

»Der wahre redliche Patriot vermöge die Regung in sich nicht zu unterdrücken, Konstitution und Preßfreiheit seien nicht für das Wohl des Volkes, sondern für die Befriedigung des Ehrgeizes Einzelner und die Herrschaft der Parteien.«

|67| Es ist bekannt, daß eine gewisse Psychologie das Große aus kleinen Ursachen erklärt und in der richtigen Ahnung, daß alles, wofür der Mensch kämpft, Sache seines Interesses ist, zu der unrichtigen Meinung fortgeht, es gebe nur »kleine« Interessen, nur die Interessen stereotyper Selbstsucht. Es ist ferner bekannt, daß diese Art Psychologie und Menschenkunde besonders in Städten sich vorfindet, wo es dann noch überdem für Zeichen eines schlauen Kopfes gilt, die Welt zu durchschauen und hinter den Wolkenzügen von Ideen und Tatsachen ganz kleine, neidische, intrigante Mannequins, die das Ganze am Fädchen aufziehen, sitzen zu sehen. Allein es ist ebenfalls bekannt, daß, wenn man zu tief ins Glas guckt, man sich an seinen eigenen Kopf stößt, und so ist denn die Menschenkunde und Weltkenntnis dieser klugen Leute zunächst ein mystifizierter Stoß an den eigenen Kopf.

Auch Halbheit und Unentschiedenheit bezeichnet den Stand des Redners.

»Sein Unabhängigkeitsgefühl spreche für die Preßfreiheit« (sc. im Sinne des Antragstellers), »er müsse aber der Vernunft und Erfahrung Gehör gehen.«

Hätte der Redner schließlich gesagt, daß zwar seine Vernunft für die Preßfreiheit aber sein Abhängigkeitsgefühl dagegen spreche, so wäre seine Rede ein vollkommenes Genrebild der städtischen Reaktion.

»Wer eine Zung' hat und spricht nicht,
Wer eine Kling' hat und ficht nicht,
Was ist der wohl, wenn ein Wicht nicht?«

Wir kommen zu den Verteidigern der Preßfreiheit und beginnen mit dem Hauptantrage. Das Allgemeinere, was treffend und gut in den Eingangsworten des Antrags gesagt ist, übergehen wir, um gleich den eigentümlichen charakteristischen Standpunkt dieses Vortrags hervorzuheben.

Antragsteller will, daß das Gewerbe der Preßfreiheit von der allgemeinen Freiheit der Gewerbe nicht ausgeschlossen sei, wie es noch immer der Fall ist und wobei der innerliche Widerspruch als klassische Inkonsequenz erscheint.

»Die Arbeiten von Armen und Beinen sind frei, diejenigen des Kopfes werden bevormundet. Von größeren Köpfen ohne Zweifel? Gott bewahre, darauf kommt es bei den Zensoren nicht an. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand!«

Es frappiert zunächst, die Preßfreiheit unter die Gewerbefreiheit subsumiert zu sehen. Allein wir können die Ansicht des Redners nicht geradezu verwerfen. Rembrandt malte die Mutter Gottes als niederländische Bäuerin, warum sollte unser Redner die Freiheit nicht unter einer Gestalt malen, die ihm vertraut und geläufig ist?

|68| Ebensowenig können wir dem Räsonnement des Redners eine relative Wahrheit absprechen. Wenn man die Presse selbst nur als Gewerbe betrachtet, gebührt ihr, dem Kopfgewerbe, eine größere Freiheit als dem Gewerbe von Arm und Bein. Die Emanzipation von Arm und Bein wird erst menschlich bedeutsam durch die Emanzipation des Kopfes, denn bekanntlich werden Arme und Beine erst menschliche Arme und Beine durch den Kopf, dem sie dienen.

So originell daher die Betrachtungsweise des Redners auf den ersten Anblick erscheinen mag, so müssen wir ihr doch einen unbedingten Vorzug vor dem haltungslosen, nebelnden und schwebelnden Räsonnement jener deutschen Liberalen zuschreiben, welche die Freiheit zu ehren meinen, wenn sie dieselbe in den Sternenhimmel der Einbildung, statt auf den soliden Boden der Wirklichkeit versetzen. Diesen Räsoneurs der Einbildung, diesen sentimentalen Enthusiasten, die jede Berührung ihres Ideals mit der gemeinen Wirklichkeit als Profanation scheuen, verdanken wir Deutsche zum Teil, daß die Freiheit bis jetzt eine Einbildung und eine Sentimentalität geblieben ist.

Die Deutschen sind überhaupt zu Sentiments und Überschwenglichkeiten geneigt, sie haben ein tendre für die Musik der blauen Luft. Es ist also erfreulich, wenn ihnen die große Frage der Idee von einem derben, reellen, aus der nächsten Umgebung entlehnten Standpunkt demonstriert wird. Die Deutschen sind von Natur devotest, alleruntertänigst, ehrfurchtsvollst. Aus lauter Respekt vor den Ideen verwirklichen sie dieselben nicht. Sie weihen ihnen einen Kultus der Anbetung, aber sie kultivieren dieselben nicht. Der Weg des Redners scheint also geeignet, den Deutschen mit seinen Ideen zu familiarisieren, ihm zu zeigen, daß er es hier nicht mit Unnahbarem, sondern mit seinen nächsten Interessen zu tun hat, die Sprache der Götter in die Sprache der Menschen zu übersetzen.

Es ist bekannt, daß die Griechen in den ägyptischen, lydischen, sogar den skythischen Göttern ihren Apollo, ihre Athene, ihren Zeus wiederzuerkennen glaubten und das Eigentümliche der fremden Kulte als Nebensache übersahen. So ist es auch kein Vergehen, wenn der Deutsche die ihm unbekannte Göttin der Preßfreiheit für eine seiner bekannten Göttinnen ansieht und nach diesen sie Gewerbefreiheit oder Freiheit des Eigentums benennt.

Eben weil wir aber den Standpunkt des Redners anzuerkennen und zu würdigen wissen, unterwerfen wir ihn einer um so schärferen Kritik.

»Es könne sich wohl gedacht werden: Fortdauer von Zunftwesen neben der Preßfreiheit, weil das Kopfgewerbe eine höhere Potenzierung, eine Gleichstellung mit den alten sieben freien Künsten, in Anspruch nehmen könne; aber Fortdauer der Unfreiheit der Preise neben der Gewerbefreiheit sei eine Sünde wider den heiligen Geist.«

|69| Gewiß! Die untergeordnete Form der Freiheit ist von selbst für rechtlos erklärt, wenn die höhere unberechtigt ist. Das Recht des einzelnen Bürgers ist eine Torheit, wenn das Recht des Staates nicht anerkannt ist. Wenn die Freiheit überhaupt berechtigt ist, so versteht sich von selbst, daß eine Gestalt der Freiheit um so berechtigter ist, ein je großartigeres und entwickelteres Dasein die Freiheit in ihr gewonnen hat. Wenn der Polyp berechtigt ist, weil in ihm das Leben der Natur dunkelfühlend tappt, wie nicht der Löwe, in dem es stürmt und brüllt?

So richtig nun aber der Schluß ist, die höhere Gestalt des Rechtes durch das Recht einer niedrigeren Gestalt für bewiesen zu erachten, so verkehrt ist die Anwendung, welche die niedere Sphäre zum Maß der höheren macht und ihre innerhalb der eigenen Begrenzung vernünftigen Gesetze ins Komische verdreht, und [zwar] dadurch, daß sie ihnen die Prätension unterschiebt, nicht Gesetze ihrer Sphäre, sondern einer übergeordneten zu sein. Es ist dasselbe, als wollte ich einen Riesen nötigen, im Hause des Pygmäen zu wohnen.

Gewerbefreiheit, Freiheit des Eigentums, des Gewissens, der Presse, der Gerichte, sind alle Arten einer und derselben Gattung, der Freiheit ohne Familiennamen. Allein wie gänzlich irrig ist es nun, über der Einheit den Unterschied zu vergessen und gar eine bestimmte Art zum Maß, zur Norm, zur Sphäre der anderen Arten zu machen? Es ist die Intoleranz einer Art der Freiheit, welche die anderen nur ertragen will, wenn sie von sich selbst abfallen und sich für ihre Vasallen erklären.

Die Gewerbefreiheit ist eben die Gewerbefreiheit und keine andere Freiheit, weil in ihr die Natur des Gewerbes sich ungestört seiner inneren Lebensregel gemäß gestaltet; die Gerichtsfreiheit ist die Gerichtsfreiheit, wenn die Gerichte den eigenen eingeborenen Gesetzen des Rechts, nicht denen einer anderen Sphäre, etwa der Religion, Folge leisten. Jede bestimmte Sphäre der Freiheit ist die Freiheit einer bestimmten Sphäre, wie jede bestimmte Weise des Lebens die Lebensweise einer bestimmten Natur ist. Wie verkehrt wäre nicht die Forderung, der Löwe solle sich nach den Lebensgesetzen des Polypen einrichten? Wie falsch würde ich den Zusammenhang und die Einheit des körperlichen Organismus fassen, wenn ich schlösse: weil Arme und Beine nach ihrer Weise tätig sind, müssen Aug' und Ohr, diese Organe, die den Menschen von seiner Individualität losreißen und ihn zum Spiegel und zum Echo des Universums machen, ein noch größeres Recht der Tätigkeit haben, also eine potenzierte Arm- und Beintätigkeit sein?

Wie in dem Weltsystem jeder einzelne Planet sich nur um die Sonne bewegt, indem er sich um sich selbst bewegt, so kreiset in dem System der |70| Freiheit jede ihrer Welten nur um die Zentralsonne der Freiheit, indem sie um sich selbst kreiset. Die Preßfreiheit zu einer Klasse der Gewerbefreiheit machen, ist sie verteidigen, indem man sie vor der Verteidigung totschlägt; denn, hebe ich die Freiheit eines Charakters nicht auf, wenn ich verlange, er solle in der Weise eines anderen Charakters frei sein? Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit, ruft die Presse dem Gewerbe zu. Wie du den Gesetzen deiner Sphäre, so will ich den Gesetzen meiner Sphäre gehorchen. In deiner Weise frei zu sein, ist mir identisch mit der Unfreiheit, wie der Tischler sich schwerlich erbaut fühlen wurde, wenn er Freiheit seines Gewerbes verlangte und man gäbe ihm als Äquivalent die Freiheit des Philosophen.

Wir wollen den Gedanken des Redners nackt aussprechen. Was ist Freiheit? Antwort: Die Gewerbefreiheit, wie etwa ein Student auf die Frage: Was ist Freiheit? antworten würde: Die Freinacht.

Mit demselben Rechte wie die Preßfreiheit könnte man jede Art der Freiheit unter die Gewerbefreiheit subsumieren. Der Richter treibt das Gewerbe des Rechtes, der Prediger das Gewerbe der Religion, der Familienvater das Gewerbe der Kinderzucht; aber habe ich damit das Wesen der rechtlichen, der religiösen, der sittlichen Freiheit ausgesprochen?

Man könnte die Sache auch umkehren und die Gewerbefreiheit eine Art der Preßfreiheit nennen. Arbeiten die Gewerbe bloß mit Hand und Bein und nicht auch mit dem Kopf? Ist die Sprache des Wortes die einzige Sprache des Gedankens? Spricht der Mechaniker nicht in der Dampfmaschine sehr vernehmlich zu meinem Ohr, der Bettfabrikant nicht deutlich zu meinem Rücken, der Koch nicht verständlich zu meinem Magen? Ist es kein Widerspruch, daß alle diese Arten der Preßfreiheit gestattet sind, nur die eine nicht, die vermittelst der Druckerschwärze zu meinem Geiste spricht?

Um die Freiheit einer Sphäre zu verteidigen und selbst zu begreifen, muß ich sie in ihrem wesentlichen Charakter, nicht in äußerlichen Beziehungen fassen. Ist aber die Presse ihrem Charakter treu, handelt sie dem Adel ihrer Natur gemäß, ist die Presse frei, die sich zum Gewerbe herabwürdigt? Der Schriftsteller muß allerdings erwerben, um existieren und schreiben zu können, aber er muß keineswegs existieren und schreiben, um zu erwerben.

Wenn Béranger singt:

Je ne vis, que pour faire des chansons,
Si vous m'ôtez ma place Monseigneur,
Je ferai des chansons pour vivre,

|Ich lebe nur, um Lieder zu machen.
Wenn Sie mir meinen Platz nehmen, o Herr,
werde ich Lieder machen, um zu leben.|

|71| liegt in dieser Drohung das ironische Geständnis, daß der Dichter aus seiner Sphäre herabfällt, sobald ihm die Poesie zum Mittel wird.

Der Schriftsteller betrachtet keineswegs seine Arbeiten als Mittel. Sie sind Selbstzwecke, sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und für andere, daß er ihrer Existenz seine Existenz aufopfert, wenn's not tut, und in anderer Weise, wie der Prediger der Religion zum Prinzip macht: »Gott mehr gehorchen, denn den Menschen«, unter welchen Menschen er selbst mit seinen menschlichen Bedürfnissen und Wünschen eingeschlossen ist. Dagegen sollte mir ein Schneider kommen, bei dem ich einen Pariser Frack bestellt, und er brächte mir eine römische Toga, weil sie angemessener sei dem ewigen Gesetz des Schönen!

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. Dem Schriftsteller, der sie zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die äußere, die Zensur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe.

Allerdings existiert die Presse auch als Gewerbe, aber dann ist sie keine Angelegenheit der Schriftsteller, sondern der Buchdrucker und Buchhändler. Es handelt sich hier aber nicht um die Gewerbefreiheit der Buchdrucker und Buchhändler, sondern um die Preßfreiheit.

Unser Redner bleibt wirklich keineswegs dabei stehen, das Recht der Preßfreiheit durch die Gewerbefreiheit als erwiesen zu erachten, er verlangt, daß die Preßfreiheit statt ihren eigenen Gesetzen den Gesetzen der Gewerbefreiheit sich unterwerfe. Er polemisiert sogar gegen den Referenten des Ausschusses, der eine höhere Ansicht von der Preßfreiheit geltend macht, und verfällt in Forderungen, die nur humoristisch wirken können, denn der Humor ist gleich da, sobald die Gesetze einer niedrigeren Sphäre auf eine höhere angewandt werden, wie es umgekehrt komisch affiziert, wenn Kinder pathetisch werden.

»Er rede von befugten und unbefugten Autoren. Dies verstehe er dahin, daß er die Ausübung eines verliehenen Rechtes immerhin auch in der Gewerbefreiheit an irgendeine Bedingung knüpfe, die nach der Maßgabe des Faches leichter oder schwerer zu erfüllen sei. Die Maurer-, Zimmer- und Baumeister hätten verständigerweise Bedingungen zu erfüllen, wovon die meisten anderen Gewerbe befreit seien.« »Sein Antrag gehe auf ein Recht im Besonderen, nicht im Allgemeinen

Zunächst, wer soll die Befugnis erteilen? Kant hätte Fichten nicht die Befugnis des Philosophen, Ptolemäus dem Kopernikus nicht die Befugnis des Astronomen, Bernhard von Clairvaux dem Luther nicht die Befugnis des Theologen erteilt. Jeder Gelehrte zählt seinen Kritiker zu den »unbefugten Autoren«. Oder sollen Ungelehrte entscheiden, wer ein befugter Gelehrter |72| sei? Offenbar müßte man das Urteil den unbefugten Autoren überlassen, denn die Befugten können nicht Richter in eigener Sache sein. Oder soll die Befugnis an einen Stand geknüpft sein! Der Schuster Jakob Böhme war ein großer Philosoph. Manche Philosophen von Ruf sind nur große Schuster.

Wenn übrigens von befugten und unbefugten Autoren gesprochen wird, so darf man sich konsequenterweise nicht dabei beruhigen, die Personen zu unterscheiden, man muß das Gewerbe der Presse wieder in verschiedene Gewerbe teilen, man muß auf die verschiedenen Sphären der schriftstellerischen Tätigkeit verschiedene Gewerbescheine ausstellen, oder soll der befugte Schriftsteller über alles schreiben können? Von vornherein ist der Schuster befugter, über das Leder zu schreiben, als der Jurist. Der Taglöhner ist ebenso befugt darüber zu schreiben, ob an Feiertagen zu arbeiten sei oder nicht, als der Theologe. Knüpfen wir also die Befugnis an besondere sachliche Bedingungen, so wird jeder Staatsbürger befugter und unbefugter Schriftsteller zugleich sein, befugt in den Angelegenheiten seines Berufes, unbefugt in allem übrigen.

Abgesehen davon, daß die Welt der Presse auf diese Weise statt allgemeines Band des Volkes, das wahre Mittel der Scheidung würde, daß der Unterschied der Stände so geistig fixiert und die Literaturgeschichte zur Naturgeschichte der besonderen geistigen Tierrassen herabsänke; abgesehen von den Grenzstreitigkeiten und Kollisionen, die nicht zu entscheiden und nicht zu vermeiden; abgesehen davon, daß der Presse die Geistlosigkeit und Borniertheit zum Gesetz gemacht wäre, denn geistig und frei betrachte ich das Besondere nur im Zusammenhang mit dem Ganzen, also nicht in seiner Scheidung von ihm, von diesem allem abgesehen, da das Lesen gerade so wichtig ist als das Schreiben, so müßte es auch befugte und unbefugte Leser geben, eine Konsequenz, die in Ägypten gezogen wurde, wo die Priester, die befugten Autoren, in einem die einzig befugten Leser waren. Und es ist sehr zweckmäßig, daß den befugten Autoren auch allein die Befugnis gestattet werde, ihre eigenen Schriften zu kaufen und zu lesen.

Welche Inkonsequenz! Herrscht einmal Privilegium, gut, so hat die Regierung vollkommenes Recht zu behaupten, sie sei der einzig beugte Autor über ihr eigenes Tun und Lassen, denn haltet ihr euch außer eurem besonderen Stand für befugt, als Staatsbürger über das Allgemeinste, über den Staat zu schreiben, sollten nicht die anderen Sterblichen, die ihr ausschließen wollt, als Menschen befugt sein, über etwas sehr Partikuläres, über eure Befugnis und eure Schriften zu urteilen?

Es entstände der komische Widerspruch, daß der befugte Autor ohne Zensur über den Staat, aber der unbefugte nur mit Zensur über den befugten Autor schreiben dürfte.

|73| Die Preßfreiheit wird dadurch sicher nicht errungen, daß ihr die Schar der offiziellen Schriftsteller aus euren Reihen rekrutiert. Die befugten Autoren wären die offiziellen Autoren, der Kampf zwischen Zensur und Preßfreiheit hätte sich in den Kampf der befugten und unbefugten Schriftsteller verwandelt.

Mit Recht trägt daher ein Glied des vierten Standes darauf an:

»daß, wenn noch irgendein Preßzwang bestehen solle, derselbe für alle Parteien gleich sei, d.h., daß in dieser Beziehung keiner Klasse der Staatsbürger mehr Rechte als der anderen zugestanden würden«.

Die Zensur unterwirft uns alle, wie in der Despotie alle gleich sind, wenn auch nicht an Wert, so an Unwert; jene Art Preßfreiheit will die Oligokratie in den Geist einführen. Die Zensur erklärt einen Schriftsteller höchstens für unbequem, für unpassend in die Grenzen ihres Reiches. Jene Preßfreiheit geht zu der Anmaßung fort, die Weltgeschichte zu antizipieren, der Stimme des Volkes vorzugreifen, welche bisher allein geurteilt hat, welcher Schriftsteller »befugt« und welcher »unbefugt« sei. Wenn Solon einen Menschen erst nach Ablauf seines Lebens, nach seinem Tode zu beurteilen sich vermaß, so vermißt sich diese Ansicht, einen Schriftsteller vor seiner Geburt zu beurteilen.

Die Presse ist die allgemeinste Weise der Individuen, ihr geistiges Dasein mitzuteilen. Sie kennt kein Ansehen der Person, sondern nur das Ansehen der Intelligenz. Wollt ihr die geistige Mitteilungsfähigkeit an besondere äußerliche Merkmale amtlich festbannen? Was ich nicht für andere sein kann, das bin ich nicht für mich und kann ich nicht für mich sein. Darf ich nicht für andere als Geist da sein, so darf ich nicht für mich als Geist da sein, und wollt ihr einzelnen Menschen das Privilegium geben, Geister zu sein? So gut, wie jeder schreiben und lesen lernt, muß jeder schreiben und lesen dürfen.

Und für wen soll die Einteilung der Schriftsteller in »befugte« und »unbefugte« sein? Offenbar nicht für die wahrhaft Befugten, denn diese werden sich ohnehin geltend machen. Also für »Unbefugte«, die durch ein äußeres Privilegium sich schützen und imponieren wollen?

Dabei macht dieses Palliativ nicht einmal das Preßgesetz entbehrlich, denn wie ein Redner des Bauernstandes bemerkt:

»Kann nicht auch der Privilegierte seine Befugnis überschreiten und straffällig werden? So wäre also auf alle Falle ein Preßgesetz notwendig, wobei man auf dieselben Beschwernisse wie bei einem allgemeinen Preßgesetz stoßen würde.«

Wenn der Deutsche auf seine Geschichte zurückblickt, so findet er einen Hauptgrund seiner langsamen politischen Entwicklung, wie der elenden |74| Literatur vor Lessing, in den »befugten Schriftstellern«. Die Gelehrten von Fach, von Zunft, von Privilegium, die Doktoren und sonstigen Ohren, die charakterlosen Universitätsschriftsteller des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts mit ihren steifen Zöpfen und ihrer vornehmen Pedanterie und ihren winzig-mikrologischen Dissertationen, sie haben sich zwischen das Volk und den Geist, zwischen das Leben und die Wissenschaft, zwischen die Freiheit und den Menschen gestellt. Die unbefugten Schriftsteller haben unsere Literatur gemacht. Gottsched und Lessing, da wählt zwischen einem »befugten« und einem »unbefugten« Autor!

Wir lieben überhaupt die »Freiheit« nicht, die nur im Plural gelten will. England ist ein Beweis in historischer Lebensgröße, wie gefährlich der beschränkte Horizont der »Freiheiten« für »die Freiheit« ist.

»Ce mot des libertés«, sagt Voltaire, »des privilèges, suppose l'assujettissement. Des libertés sont des exemptions de la servitude générale.« |»Dieses Gerede über Freiheiten, Privilegien setzt Unterwerfung voraus. Freiheiten sind Ausnahmen von der allgemeinen Sklaverei«|

Wenn unser Redner ferner anonyme und pseudonyme Schriftsteller von der Preßfreiheit ausschließen und der Zensur unterwerfen will, so bemerken wir, daß der Name in der Presse nicht zur Sache gehört, daß aber, wo Preßgesetz herrscht, der Verleger, also durch ihn auch der anonyme und pseudonyme Schriftsteller, den Gerichten unterworfen ist. Zudem vergaß Adam, als er alle Tiere des Paradieses benannte, den deutschen Zeitungskorrespondenten Namen zu geben, und namenlos werden sie bleiben in saeculum saeculorum.

Hat der Antragsteller die Personen zu beschränken gesucht, die Subjekte der Presse, so wollen andere Landstände den sachlichen Stoff der Presse, den Kreis ihres Wirkens und Daseins beschränken, und es entsteht ein geistloses Markten und Feilschen, wieviel Freiheit die Preßfreiheit haben solle.

Ein Landstand will die Presse auf die Besprechung der materiellen geistigen und kirchlichen Verhältnisse der Rheinprovinz beschränken; ein anderer will »Gemeindeblätter«, deren Namen ihren beschränkten Inhalt aussagt; ein dritter will gar, daß man in jeder Provinz nur in einem einzigen Blatte freimütig sein dürfe!!!

Alle diese Versuche erinnern an jenen Turnlehrer, der als die beste Methode des Springunterrichts vorschlug, den Schüler an eine große Grube zu bringen und ihm nun durch einzelne Zwirnfäden anzuzeigen, wie weit er über die Grube springen dürfe. Versteht sich, der Schüler sollte sich erst im Springen üben und durfte den ersten Tag nicht über die ganze Grube wegsetzen |75|* setzen, aber von Zeit zu Zeit sollte der Zwirnfaden weitergerückt werden. Leider fiel der Schüler bei der ersten Lektion in die Grube, und bisher ist er in der Grube liegengeblieben. Der Lehrer war ein Deutscher, und der Schüler nannte sich: »Freiheit«.

Dem durchgehenden normalen Typus nach unterscheiden sich die Verteidiger der Preßfreiheit auf dem sechsten rheinischen Landtag also nicht durch den Gehalt, sondern durch die Richtung von ihren Gegnern. In diesen bekämpft, in jenen verteidigt die Beschränktheit des besonderen Standes die Presse. Die einen wollen das Privilegium auf Seiten der Regierung allein, die anderen wollen es verteilen unter mehre Individuen; die einen wollen die ganze, die anderen die halbe Zensur, die einen drei Achtel Preßfreiheit, die anderen gar keine. Gott beschütze mich vor meinen Freunden!

Gänzlich divergierend aber von dem allgemeinen Geiste des Landtags sind die Reden des Referenten und einiger Mitglieder aus dem Bauernstande.

Referent bemerkt unter anderem:

»Es tritt in dem Leben der Völker, sowie in dem der einzelnen Menschen, der Fall ein, wo die Fesseln einer zu langen Vormundschaft unerträglich werden, wo nach Selbständigkeit gestrebt wird und wo ein jeder seine Handlungen selbst verantworten will. Alsdann hat die Zensur ausgelebt; da, wo sie noch fortbesteht, wird sie als ein gehässiger Zwang betrachtet, der zu schreiben verbietet, was öffentlich gesagt wird.«

Schreibe, wie du sprichst, und sprich, wie du schreibst, lehren uns schon die Elementarlehrer. Später heißt es: Sprich, was dir vorgeschrieben ist, und schreibe, was du nachsprichst.

»So oft das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit ein neues, wichtiges Interesse entwickelt oder ein neues Bedürfnis herausstellt, für welche die bestehende Gesetzgebung keine hinreichenden Bestimmungen enthält, müssen neue Gesetze diesen neuen Zustand der Gesellschaft regulieren. Ein solcher Fall tritt vollkommen hier ein.«

Das ist die wahrhaft geschichtliche Ansicht gegenüber der imaginären, welche die Vernunft der Geschichte erschlägt, um hinterher ihren Knochen den historischen Reliquiendienst zu erweisen.

»Die Aufgabe« (eines Preßkodex) »mag allerdings nicht ganz leicht zu lösen sein; der erste Versuch, der gemacht werden wird, mag vielleicht sehr unvollkommen bleiben! Dem Gesetzgeber aber, der sich zuerst damit belassen wird, werden alle Staaten Dank schuldig sein, und unter einem Könige, wie der unsrige, ist vielleicht der preußischen Regierung die Ehre beschieden, den übrigen Ländern auf diesem Wege, der allein zum Ziele führen kann, voranzugehen.«

Wie isoliert diese männlich würdige, entschiedene Ansicht auf dem Landtage stand, das hat unsere ganze Darstellung bewiesen, das bemerkt der |76| Vorsitzende zum Überfluß selbst dem Referenten, das spricht endlich ein Mitglied des Bauernstandes in unmutigem, aber trefflichem Vortrage aus:

»Man umkreise die vorliegende Frage, wie die Katze den warmen Brei.« »Der menschliche Geist müsse sich nach seinen ihm inwohnenden Gesetzen frei entwickeln und das Errungene mitteilen dürfen, sonst würde aus einem klaren belebenden Strom ein verpestender Sumpf. Wenn ein Volk sich für Preßfreiheit eigne, so sei dieses sicher das ruhige, gemütliche deutsche, welches wohl eher noch einer Aufstachelung aus seinem Phlegma bedürfe als der geistigen Zwangsjacke der Zensur. Seine Gedanken und Gefühle seinen Mitmenschen nicht unbehindert mitteilen zu dürfen, habe viel Ähnlichkeit mit dem nordamerikanischen Absperrungssystem der Sträflinge, welches in seiner vollen Schroffheit häufig zum Wahnsinn führe. Wer nicht tadeln dürfe, von dem habe auch das Lob keinen Wert; ähnlich in seiner Ausdruckslosigkeit sei ein chinesisches Gemälde, dem der Schatten mangle. Möchten wir uns doch nicht diesem erschlafften Volke beigesellt finden!«

Werfen wir nun einen Blick auf die Preßdebatten im ganzen zurück, können wir nicht Herr werden über den öden und unbehaglichen Eindruck, den eine Versammlung von Vertretern der Rheinprovinz hervorbringt, die nur zwischen der absichtlichen Verstocktheit des Privilegiums und der natürlichen Ohnmacht eines halben Liberalismus hin- und herschwanken, müssen wir vor allem den fast durchgehenden Mangel an allgemeinen und weiten Gesichtspunkten mißfällig bemerken, wie jene nachlässige Oberflächlichkeit, welche die Angelegenheit der freien Presse debattiert und beseitigt: so fragen wir uns noch einmal, ob die Presse den Landständen zu fern lag, zu wenig reelle Berührung mit ihnen hatte, als daß sie die Preßfreiheit mit dem gründlichen und ernsten Interesse des Bedürfnisses hätten verteidigen können?

Die Preßfreiheit reichte ihre Bittschrift den Ständen mit der feinsten captatio benevolentiae |haschen nach Wohlwollen| ein.

Gleich im Beginn des Landtags entstand nämlich eine Debatte, worin der Vorsitzende bemerkt, daß der Druck der Landtagsverhandlungen, so sehr, wie aller übrigen Schriften, der Zensur unterworfen sei, daß er aber hier die Stelle des Zensors vertrete.

Fiel in diesem einen Punkte die Sache der Preßfreiheit nicht zusammen mit der Freiheit des Landtages? Diese Kollision ist um so interessanter, als dem Landtag hier an seiner eigenen Person der Beweis statuiert wurde, wie mit dem Mangel der Preßfreiheit alle anderen Freiheiten illusorisch werden. Jede Gestalt der Freiheit bedingt die andere, wie ein Glied des Körpers das andere. So oft eine bestimmte Freiheit in Frage gestellt ist, ist die Freiheit in |77| Frage gestellt. So oft eine Gestalt der Freiheit verworfen ist, ist die Freiheit verworfen und kann überhaupt nur mehr ein Scheinleben führen, indem es her reiner Zufall ist, an welchem Gegenstande die Unfreiheit als die herrschende Macht sich betätigt. Die Unfreiheit ist die Regel und die Freiheit eine Ausnahme des Zufalls und der Willkür. Nichts ist daher verkehrter als, wenn es sich um ein besonderes Dasein der Freiheit handelt, zu meinen, dieses sei eine besondere Frage. Es ist die allgemeine Frage innerhalb einer besonderen Sphäre. Freiheit bleibt Freiheit, drücke sie sich nun in der Druckerschwärze, oder in Grund und Boden, oder im Gewissen, oder in einer politischen Versammlung aus; aber der loyale Freund der Freiheit, dessen Ehrgefühl schon verletzt würde, wenn er abstimmen sollte: Sein oder Nichtsein der Freiheit? - dieser Freund wird stutzig vor dem eigentümlichen Material, in welchem die Freiheit erscheint, er verkennt in der Art die Gattung, er vergißt über der Presse die Freiheit, er glaubt ein fremdes Wesen zu beurteilen und verurteilt sein eigenes Wesen. So hat der sechste rheinische Landtag sich selbst verurteilt, indem er der Preßfreiheit das Urteil sprach.

Die hochweisen Büromänner von Praxis, welche im stillen und mit Unrecht von sich denken, was Perikles laut und mit Recht von sich rühmte:

»Ich bin ein Mann, der sich in der Kenntnis der Staatsbedürfnisse wie in der Kunst, sie zu entwickeln, mit jedem messen kann«,

diese Erbpächter der politischen Intelligenz werden die Achseln zucken und mit orakelnder Vornehmheit bemerken, daß die Verteidiger der Preßfreiheit leere Spreu dreschen, denn eine milde Zensur sei besser als eine herbe Preßfreiheit. Wir erwidern ihnen, was die Spartaner Sperthias und Bulis dem Satrapen Hydarnes:

»Hydarnes, dein Rat für uns ist nicht von beiden Seiten gleich abgewogen. Denn das Eine, worüber du rätst, hast du versucht; das Andere blieb dir unversucht. Nämlich was Knecht sein heißt, das kennst du; die Freiheit aber hast du noch nie versucht, ob sie süß ist oder nicht. Denn hättest du sie versucht, du würdest uns raten, nicht nur mit Lanzen für sie zu fechten, sondern auch mit Beilen.«


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