Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 14, 4. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 435-458.

1. Korrektur
Erstellt am 31.08.1998.

III. Polizistisches | Inhalt | V. Reichsregent und Pfalzgraf

IV. Techows Brief


<435> Was zieht die "abgerundete Natur" nun weiter aus dem

"tristo sacco
Che merda fa di quel, che si trangugia."
(1)
(Dante)

Einen Brief Techows d.d. London, 26. August I860:

"Ich kann zur Charakterisierung dieses Treibens" (nämlich der .Schwefelbande") "nichts Besseres tun, als hier einen Brief von einem Manne mitzuteilen, den jeder, wer (!) ihn irgend gekannt hat, als einen Ehrenmann anerkennen wird, und den ich mir deshalb erlauben darf zu veröffentlichen, weil er" (der Ehrenmann oder der Brief) "ausdrücklich zur Mitteilung" (an wen?) "bestimmt war und diejenigen Rücksichten" (auf wessen Seite?) "nicht mehr obwalten, welche früher der Veröffentlichung entgegentraten." (S. 141. "Hauptbuch".)

Techow kam Ende August 1850 von der Schweiz nach London. Sein Brief ist gerichtet an den ehemaligen preuß[ischen] Lieutenant Schimmelpfennig (damals zu Bern) "zur Mitteilung an die Freunde", nämlich die Mitglieder der "Zentralisation", einer geheimen Gesellschaft, die seit fast einem Dezennium verstorben, von deutschen Flüchtlingen in der Schweiz gestiftet, buntscheckig zusammengesetzt und stark mit parlamentarischen Elementen verquickt war, Techow gehörte zu dieser Gesellschaft, nicht so Vogt und seine Freunde. Wie also kommt Vogt in den Besitz von Techows Brief, und wer erteilte ihm die Befugnis zur Veröffentlichung?

Techow selbst schreibt mir aus Australien d.d. 17. April 1860:

"Jedenfalls habe ich nie Gelegenheit gehabt, Herr Karl Vogt irgendeine Autorisation in dieser Angelegenheit zu geben."

<436> Von Techows "Freunden", denen der Brief mitgeteilt werden sollte, befinden sich nur noch zwei in der Schweiz. Beide mögen selbst sprechen:

E. <Emmermann> an Schily, 29. April 1860, Ober-Egadin, Kanton Graubünden:

"Beim Erscheinen der Vogtschen Broschüre 'Mein Prozeß gegen die Allgemeine Zeitung’, worin ein Brief Techows an seine Freunde in der Schweiz d.d. 26. August 1850 abgedruckt ist, beschlossen wir, die jetzt noch in der Schweiz anwesenden Freunde Techows, unsre Mißbilligung über die unbefugte Publikation dieses Briefes in einem Schreiben an Vogt auszusprechen. Der Brief Techows war an Schimmelpfennig in Bern adressiert und sollte Freunden in Abschrift mitgeteilt werden ... Ich freue mich, daß wir uns insofern nicht täuschten, als keiner der Freunde Techows, keiner, der ein Recht auf seinen Brief vom 26. Aug. hat, einen solchen Gebrauch davon gemacht hat als der zufällige Besitzer desselben. Am 22. Januar wurde an Vogt geschrieben, die unbefugte Veröffentlichung von Techows Brief mißbilligt, gegen jeden fernern Mißbrauch desselben protestiert und der Brief zurückverlangt. Am 27. Januar c. antwortete Vogt: 'Der Brief Techows sei zur Mitteilung an die Freunde bestimmt gewesen, der Freund, welcher denselben in Händen gehabt, habe ihm denselben ausdrücklich zur Veröffentlichung übergeben ... und er werde den Brief nur dem zurückgeben, von dem er denselben erhalten habe.’"

B. <Beust> an Schily, Zürich, 1. Mai 1860:

"Der Brief an Vogt ist nach vorheriger Verabredung mit E. von mir geschrieben worden ... R. <Ranickel> gehörte nicht zu den 'Freunden', für welche Techows Brief zur Mitteilung bestimmt war; aus dem Inhalt des Briefs aber wußte Vogt, daß dieser an mich mit gerichtet war, hat sich aber wohl gehütet, meine Einwilligung zur Veröffentlichung einzuholen."

Zur Auflösung des Rätsels habe ich eine Stelle aus Schilys oben mitgeteiltem Briefe aufgespart. Sie lautet:

"Von diesem Ranickel muß ich hier sprechen, weil durch ihn der Brief Techows in die Hände Vogts übergegangen sein muß, ein Punkt Deiner Anfrage, den ich beinahe übersehen hätte. Dieser Brief war nämlich von Techow an seine Freunde, mit denen er in Zürich zusammen gelebt hatte, Schimmelpfennig, B., E. gerichtet worden. Als Freund von diesen Freunden und von Techow erhielt ich ihn denn ebenfalls später. Bei meiner brutal-summarischen Ausweisung aus der Schweiz (ich wurde nämlich ohne alle vorherige Ausweisung in den Straßen von Genf abgefaßt und sofort weitergeschleppt) war es mir nicht vergönnt worden, zur Ordnung meiner Sachen meine Wohnung noch einmal zu betreten. Aus dem Gefängnis zu Bern schrieb ich deshalb an einen zuverlässigen Mann nach Genf, den Schuhmachermeister Thum, er möge doch den einen oder andern meiner noch dort befindlichen Freunde (ich wußte nämlich nicht, wer etwa von diesen <437> gleichzeitig mit weggemaßregelt sein möchte) meine Sachen verpacken und das Beste davon mir nach Bern nachsenden lassen, den Rest aber in einstweiligen Verwahr nehmen, sorgfältige Sichtung meines papiernen Nachlasses empfehlend, auf daß der Sendung an mich nichts beigefügt werde, was den Transit durch Frankreich nicht aushalten könne. So geschah’s, und der Brief Techows wurde nicht beigefügt. In jenem Nachlasse befanden sich mehrere Schriftstücke, die sich auf die damalige Parlamentsmeuterei gegen das Genfer Lokalkomitee zur Verteilung der Flüchtlingsgelder (das Komitee bestand aus drei Genfer Bürgern, darunter Thum, und zwei Flüchtlingen, Becker und mir) bezogen und welche Ranickel infolge seiner Parteinahme für das Komitee gegen die Parlamentler genau kannte. So hatte ich denn Thum als Kassierer und Archivar des Komitees ersucht, sich jene Stücke aus meinen Papieren durch Ranickel heraussuchen zu lassen. Mag dieser nun, so zur Assistenz bei Sichtung meiner Papiere legitimiert, den Brief Techows in der einen oder andern Weise, etwa durch Mitteilung seitens eines der Sichter, zu Händen bekommen haben: Keinesfalls impugniere ich den Besitzübergang, zu unterscheiden von Eigentumsübergang, von mir auf ihn, behaupte diesen aber auch ganz bestimmt. Ich schrieb dann auch bald von London an Ranickel: Er möge mir den Brief schicken. Er tat’s aber nicht; von da an datiert also seine culpa manifesta <erwiesene Schuld>, anfangs wohl nur levis <geringfügig>, dann je nach dem Grade seiner Komplizität an der unbefugten Publikation des Briefes sich zu magna <schwerer> oder maxima culpa <schwerster Schuld> oder gar zu dolus <böser Absicht> steigernd. Daß diese Publikation eine unbefugte, von keinem der Adressaten autorisierte, war, bezweifle ich keinen Augenblick, werde übrigens zum Überfluß deshalb an E. schreiben. Daß Ranickel zur Publikation die Hand bot, kann bei seiner notorischen Intimität mit Vogt auch nicht bezweifelt werden, und wenn ich nun auch diese Intimität als solche nicht im geringsten kritisieren will, so kann ich doch nicht umhin, auf deren Kontrast mit Früherem hier aufmerksam zu machen. Ranickel war nämlich nicht nur einer der größten Parlamentsfresser im allgemeinen, sondern äußerte in Beziehung auf den Reichsregenten im besondren die allerblutdürstigsten Gelüste: 'Erwürgen muß ich den Kerl’, schrie er, 'und sollte ich deshalb gen Bern ziehen müssen’, und mußte man ihm sozusagen die Zwangsjacke anlegen, um ihn von diesem regiciden <königsmörderischen> Vorhaben abzuhalten. Nun es ihm aber wie Schuppen von den Augen gefallen zu sein scheint und aus dem Saulus ein Paulus geworden ist, bin ich doch begierig zu sehn, wie er sich in einer andern Beziehung herausbeißen wird, nämlich als Rächer Europas. Ich habe einen harten Kampf gekämpft, sagte er in jenen Tagen, wo er zwischen Amerika und Europa schwankte, nun aber ist’s glücklich vorüber, ich bleibe - und räche mich!! Zittre Byzanzia."

Soweit Schilys Brief.

Das Ranickel also stiebert Techows Brief aus Schilys Flüchtlingsnachlaß auf. Trotz Schilys Londoner Reklamation hält es den Brief zurück. Den so unterschlagenen Brief übergibt "Freund" Ranickel an "Freund" Vogt, und "Freund" Vogt, mit der ihm eignen Gewissenszartheit, erklärt sich zum <438> Druck des Briefes berechtigt, denn Vogt und Ranickel sind Freunde". Wer also einen Brief zur "Mitteilung" an "Freunde" schreibt, schreibt ihn notwendig für die "Freunde" Vogt und Ranickel - arcades ambo.

Ich bedaure, daß diese eigentümliche Jurisprudenz mich zu halbvergeßnen und längst verschollnen Geschichten zurückführt; aber Ranickel hat angefangen, und ich muß nachfolgen.

Der "Bund der Kommunisten" wurde 1836 zu Paris gestiftet, ursprünglich unter anderm Namen. Die Organisation, wie sie sich allmählich ausbildete, war diese: Eine gewisse Anzahl Mitglieder bildeten eine "Gemeinde", verschiedene Gemeinden in derselben Stadt einen "Kreis", eine größere oder geringere Anzahl Kreise gruppierte sich um einen "leitenden Kreis"; an der Spitze des Ganzen stand die "Zentralbehörde", die auf einem Kongreß von Deputierten sämtlicher Kreise gewählt, jedoch berechtigt war, sich selbst zu ergänzen und in dringenden Fällen provisorisch ihre Nachfolgerin zu ernennen. Die Zentralbehörde saß erst zu Paris, von 1840 bis Anfang 1848 zu London. Die Vorsteher der Gemeinden und Kreise, wie die Zentralbehörde selbst, wurden alle durch Wahl ernannt. Diese demokratische Verfassung, durchaus zweckwidrig für konspirierende geheime Gesellschaften, war wenigstens nicht unvereinbar mit der Aufgabe einer Propagandagesellschaft. Die Tätigkeit des "Bundes" bestand zunächst in der Stiftung öffentlicher deutscher Arbeiterbildungsvereine, und die meisten Vereine dieser Art, die noch in der Schweiz, England, Belgien und den Vereinigten Staaten existieren, wurden entweder direkt vom "Bunde" gegründet oder von ehemaligen Mitgliedern desselben ins Leben gerufen. Die Konstitution dieser Arbeitervereine ist daher überall dieselbe. Ein Tag in der Woche wurde zur Diskussion bestimmt, ein andrer für gesellschaftliche Unterhaltung (Gesang, Deklamation etc.). Überall wurden Vereinsbibliotheken gestiftet und, wo es immer tubar, Klassen errichtet für den Unterricht der Arbeiter in elementarischen Kenntnissen. Der hinter den öffentlichen Arbeitervereinen stehende und sie lenkende "Bund" fand in ihnen sowohl den nächsten Spielraum für öffentliche Propaganda, wie er andrerseits sich aus ihren brauchbarsten Mitgliedern ergänzte und erweiterte. Bei dem Wanderleben der deutschen Handwerker bedurfte die Zentralbehörde nur in seltnen Fällen der Entsendung besondrer Emissäre.

Was nun die Geheimlehre des "Bundes" selbst betrifft, so durchlief sie sämtliche Wandlungen des französischen und englischen Sozialismus und Kommunismus, wie ihrer deutschen Spielarten (Weitlings Phantasien z.B.). Seit 1839, wie schon aus dem Bluntschli-Bericht erhellt, spielte die religiöse Frage neben der sozialen die bedeutendste Rolle. Die verschiedenen <439> Phasen, die die deutsche Philosophie von 1839 bis 1846 durchlief, wurden im Schoße dieser Arbeitergesellschaften mit der eifrigsten Parteinahme verfolgt. Die geheime Form der Gesellschaft verdankt Paris ihren Ursprung. Der Hauptzweck des Bundes - Propaganda unter den Arbeitern in Deutschland - gebot die spätere Beibehaltung dieser Form. Während meines ersten Aufenthaltes in Paris pflegte ich persönlichen Verkehr mit den dortigen Leitern des "Bundes" wie mit den Führern der meisten französischen geheimen Arbeitergesellschaften, ohne jedoch in irgendeine dieser Gesellschaften einzutreten. Zu Brüssel, wohin mich Guizot verwiesen, stiftete ich mit Engels, W. Wolff und andern den noch bestehenden deutschen Arbeiterbildungsverein. Wir veröffentlichten gleichzeitig eine Reihe teils gedruckter, teils lithographierter Pamphlets, worin das Gemisch von französisch-englischem Sozialismus oder Kommunismus und von deutscher Philosophie, das damals die Geheimlehre des "Bundes" bildete, einer unbarmherzigen Kritik unterworfen, statt dessen die wissenschaftliche Einsicht in die ökonomische Struktur der bürgerlichen Gesellschaft als einzig haltbare theoretische Grundlage aufgestellt und endlich in populärer Form auseinandergesetzt ward, wie es sich nicht um Durchführung irgendeines utopistischen Systems handle, sondern um selbstbewußte Teilnahme an dem unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Umwälzungsprozeß der Gesellschaft. Infolge dieser Wirksamkeit trat die Londoner Zentralbehörde in Korrespondenz mit uns und sandte Ende 1846 eins ihrer Mitglieder, den Uhrmacher Joseph Moll, der später als Revolutionssoldat auf dem Schlachtfeld in Baden fiel, nach Brüssel, um uns zum Eintritt in den "Bund" aufzufordern. Die Bedenken, die sich diesem Ansinnen entgegenstellten, schlug Moll nieder durch die Eröffnung, daß die Zentralbehörde einen Bundeskongreß nach London zu berufen beabsichtige, wo die von uns geltend gemachten kritischen Ansichten in einem öffentlichen Manifest als Bundesdoktrin aufgestellt werden sollten, daß jedoch den veralteten und widerstrebenden Elementen gegenüber unsre persönliche Mitwirkung unerläßlich, diese aber an den Eintritt in den "Bund" geknüpft sei. Wir traten also ein. Der Kongreß, auf dem die Bundesmitglieder der Schweiz, Frankreichs, Belgiens, Deutschlands und Englands vertreten waren, fand statt, und nach heftigen mehrwöchentlichen Debatten wurde das von Engels und mir abgefaßte "Manifest der Kommunistischen Partei" angenommen, das Anfang 1848 im Drucke und später in englischer, französischer, dänischer und italienischer Übersetzung erschien. Beim Ausbruch der Februarrevolution übertrug die Londoner Zentralbehörde mir die Oberleitung des "Bundes". Während der Revolutionszeit in Deutschland erlosch seine Tätig- <440> keit von selbst, indem nun wirksamere Wege für die Geltendmachung seiner Zwecke offenstanden. Als ich im Spätsommer 1849, nach meiner abermaligen Ausweisung aus Frankreich, in London eintraf, fand ich die Trümmer der dortigen Zentralbehörde rekonstituiert und die Verbindung mit den wiederhergestellten Kreisen des Bundes in Deutschland erneuert. Willich traf einige Monate später in London ein und ward auf meinen Vorschlag in die Zentralbehörde aufgenommen. Er war mir empfohlen von Engels, der als sein Adjutant an der Reichsverfassungskampagne teilgenommen hatte. Zur Vervollständigung der Geschichte des Bundes bemerke ich noch: Am 15. September 1850 fand eine Spaltung im Schoße der Zentralbehörde statt. Ihre Majorität, mit Engels und mir, verlegte den Sitz der Zentralbehörde nach Köln, wo seit lange der "leitende Kreis" für Mittel- und Süddeutschland bestand und sich außer London das bedeutendste Zentrum intellektueller Kräfte vorfand.

Wir traten gleichzeitig aus dem Londoner Arbeiterbildungsverein aus. Die Minorität der Zentralbehörde, mit Willich und Schapper, stiftete dagegen einen Sonderbund, der sowohl die Verbindung mit dem Arbeiterbildungsverein unterhielt als auch die seit 1848 abgebrochenen Verbindungen mit der Schweiz und Frankreich wieder aufnahm. Am 12. Nov. 1852 fand die Verurteilung der Kölner Angeklagten statt. Einige Tage später ward der Bund, auf meinen Antrag, für aufgelöst erklärt. Ein auf diese Auflösung bezügliches Schriftstück, vom November 1852 datierend, habe ich meinen Prozeßakten gegen die "National-Zeitung" beigelegt. Es ist darin als Motiv der Auflösung erwähnt, daß seit den Verhaftungen in Deutschland, also bereits seit Frühjahr 1851, alle Verbindung mit dem Kontinent ohnehin aufhörte, übrigens auch eine derartige Propagandagesellschaft nicht mehr zeitgemäß sei. Wenige Monate später, anfangs 1853, entschlief auch der Willich-Schappersche Sonderbund.

Die prinzipiellen Gründe der oben berührten Spaltung findet man in meinen "Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß", worin ein Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Zentralbehörde vom 15. September 1850 abgedruckt ist. Den nächsten praktischen Anlaß bot Willichs Streben, den "Bund" in die Revolutionsspielereien der deutschen demokratischen Emigration zu verwickeln. Ganz entgegengesetzte Auffassung der politischen Situation verschärfte noch den Zwiespalt. Ich will nur ein Beispiel anführen. Willich bildete sich z.B. ein, der Zwist zwischen Preußen und Östreich, bei Gelegenheit der kurhessischen und der Bundesfrage, werde zu ernsten Konflikten führen und biete eine Handhabe zum praktischen Eingreifen der revolutionären Partei. Am 10. November 1850, kurz nach der <441> Spaltung des "Bundes", veröffentlichte er auch in diesem Sinne eine Proklamation: "Aux démocrates de toutes les nations", unterschrieben von der Zentralbehörde des "Sonderbundes" wie von französischen, ungarischen und polnischen Flüchtlingen. Engels und ich dagegen, wie zu lesen steht p. 174, 175 der "Revue der Neuen Rheinischen Zeitung" (Doppelnummer für Mai bis Oktober 1850, Hamburg), behaupteten umgekehrt: "All dieser Lärm wird zu nichts führen ... Ohne daß ein Tropfen Blut geflossen, werden sich die Parteien", Östreich und Preußen, in Frankfurt "zusammenfinden auf den Sesseln des Bundestags, ohne daß deshalb weder ihren Eifersüchteleien unter sich noch ihrem Hader mit ihren Untertanen, noch ihrem Verdruß über die russische Oberherrschaft der geringste Abbruch geschehen wird."

Ob nun Willichs Individualität, deren Tüchtigkeit übrigens nicht bestritten werden soll, und seine damals (1850) noch frischen Besançoner Erinnerungen grade ihn befähigten, durch den Gegensatz der Ansichten unvermeidlich gewordene und täglich erneute Konflikte "unpersönlich" aufzufassen, beurteile man aus folgendem Aktenstück:

"Die Deutsche Kolonne zu Nancy
an den
Bürger Joh. Philipp Becker in Biel
,
Präsident des deutschen Waffenvereins 'Hilf Dir!’

Bürger!

Dir, als dem erwählten Vertreter aller deutschen flüchtigen Republikaner zeigen wir hierdurch an, daß sich in Nancy eine Kolonne deutscher Flüchtlinge gebildet, welche den Namen führt 'Deutsche Kolonne zu Nancy’. Die Flüchtlinge, welche die hiesige Kolonne bilden, sind teils solche, welche früher die Vesouler Kolonne gebildet haben, teils sind sie, die Flüchtlinge hier, ein Bestandteil der Kolonne von Besançon gewesen; der Entfernung derselben von Besançon liegen rein demokratische Ursachen zugrunde. Willich fragte nämlich in allem, was er tat, sehr selten die Kolonne um Rat; so wurden die Grundgesetze der Besançoner Kolonne nicht allgemein beraten und beschlossen, sondern von Willich a priori gegeben und in Ausführung gebracht, ohne Zustimmung der Kolonne. Ferner gab uns Willich auch a posteriori Beweise seines despotischen Charakters, durch eine Reihe Befehle, die eines Jellachich, Windischgrätz, aber keines Republikaners würdig waren. Willich gab Befehl, einem die Kolonne verlassenden Mitgliede, namens Schön, die ihm aus den Ersparnissen der Kolonne angeschafften neuen Schuhe von den Füßen zu <442> ziehen, nicht bedenkend, daß auch Schön an diesen Ersparnissen Anteil hatte, indem diese Ersparnisse hauptsächlich aus den 10 Sous per Mann herrührten, die von Frankreich als Subsidiengelder täglich bezahlt werden ... er wollte seine Schuhe nehmen, Willich ließ sie ihm jedoch abnehmen.

Willich schickte mehrere tüchtige Mitglieder der Kolonne wegen Kleinigkeiten, wie Fehlen beim Appell, beim Exerzieren, Zuspätkommen (abends), kleinen Streitigkeiten, ohne Befragen der Kolonne von Besançon weg mit dem Bemerken, sie könnten nach Afrika gehen, denn in Frankreich dürften sie nimmer bleiben, und wenn sie nicht nach Afrika gingen, würde er sie ausliefern lassen, und zwar nach Deutschland, denn dazu habe er Vollmacht von der französischen Regierung, was nachher, auf Befragen, von der Präfektur in Besançon als unwahr erklärt wurde. Willich erklärte fast jeden Tag beim Appell: Wem es nicht gefalle, der könne fortgehen, wenn er wolle, je eher je lieber, der könne nach Afrika gehen etc.; ferner stieß er einmal allgemein die Drohung aus: Wer widerspenstig sei gegen seine Befehle, der könne entweder nach Afrika gehen, oder er werde ihn nach Deutschland ausliefern lassen, was die vorbemerkte Frage bei der Präfektur zur Folge hatte. Durch diese täglichen Drohungen bekamen viele Leute das Leben in Besançon satt, wo man, wie sie sagten, täglich den Bettel vor die Füße geworfen bekam; wenn wir Sklaven sein wollen, sagten sie, können wir nach Rußland gehen oder hätten in Deutschland gar nicht anzufangen brauchen. Genug, in Besançon erklärten sie es um keinen Preis mehr aushalten zu können, ohne mit Willich in argen Konflikt zu kommen; sie gingen daher fort, da aber nirgends anders damals eine Kolonne sich befand, die sie hätte aufnehmen können, sie aber allein von 10 Sous nicht leben konnten, so blieb ihnen nichts übrig, als sich nach Afrika engagieren zu lassen, was sie auch taten. So hat Willich 30 brave Bürger zur Verzweiflung gebracht und ist schuld, daß diese Kräfte auf immer dem Vaterlande verloren sind.

Ferner war Willich so unklug, immer beim Appell seine alten Leute zu loben, die neuen aber herabzusetzen, was beständig Streit erregte, ja, Willich erklärte sogar einmal beim Appell, die Preußen seien den Süddeutschen an Kopf, Herz und Körper, oder an physischen, moralischen und intellektuellen Kräften, wie er sich ausdrückte. weit überlegen. Die Süddeutschen besaßen dagegen die Gemütlichkeit, Dummheit wollte er sagen, hatte aber nicht ganz das Herz. Dadurch hat Willich alle Süddeutschen, bei weitem die meisten, furchtbar erbittert. Zuletzt das Gröbste.

Als vor 14 Tagen die 7te Kompanie einem von Willich eigenmächtig aus der Kaserne ausgewiesenen Mitgliede, namens Baroggio, für eine Nacht noch Quartier im Zimmer zusagte und trotz Willichs Verbot in ihrem Zimmer behielt und dieses verteidigte gegen die Partisanen Willichs, fanatisierte Schneider, so befahl Willich: Man solle Stricke beibringen und die Rebellen binden. Die Stricke wurden auch wirklich beigebracht. Aber den Befehl ganz vollstrecken zu lassen, dazu reichte wohl Willichs Wille, aber nicht seine Macht hin ... Dies sind die Gründe ihres Austritts.

Nicht um Willich anzuklagen, haben wir dies hier geschrieben. Denn Willichs Charakter und Wille ist gut, und viele von uns achten ihn, aber die Art, wie er zu seinem Zwecke zu gelangen sucht, und die Mittel, die er anwendet, gefielen uns nicht alle. <443> Willich meint es gut. Er hält aber sich für die Weisheit und ultimo ratio und hält jeden, der ihm widerspricht, sei es auch in Kleinigkeiten, entweder für einen Dummkopf oder Verräter. Kurz, Willich erkennt keine andre Meinung als seine eigne an. Er ist ein geistiger Aristokrat und Despote, wenn er etwas für gut hält, er scheut auch dann nicht leicht ein Mittel. Aber genug hiervon, wir kennen Willich jetzt. Wir kennen seine starken und schwachen Seiten, deswegen sind wir nicht mehr in Besançon. Übrigens haben alle bei ihrer Abreise von Besançon erklärt, daß sie von Willich sich trennen, aber nicht aus dem Deutschen Waffenverein 'Hilf Dir!’ austreten.

Ebenso die Vesouler ...

Mit der Versicherung unserer Hochachtung schließen wir, Brudergruß und Handschlag von der Kolonne zu Nancy.

Angenommen in der Generalversammlung vom 13. Novbr. 1848.

Nancy, den 14. Novbr. 1848

Im Namen und Auftrag der Kolonne
Der Schriftwart B ...
"

Nun zurück zu Techows Brief. Das Gift seines Briefes, wie von anderm Reptil, sitzt im Schwanz, nämlich in der Nachschrift vom 3. September (1850). Sie behandelt ein Duell meines zu früh verstorbenen Freundes Konrad Schramm mit Herrn Willich. In diesem Duell, das anfangs September 1850 zu Antwerpen stattfand, figurierten Techow und der Franzose Barthélemy als Willichs Sekundanten. Techow schreibt an Schimmelpfennig "zur Mitteilung an die Freunde": "Jene" (nämlich Marx und sein Anhang) "haben ihren Champion Schramm gegen Willich losgelassen, der ihn" (Techow will sagen: den er) "mit den pöbelhaftesten Invektiven angegriffen, schließlich zum Duell gefordert hat." (p. 156, 157 des "Hptb.".)

Meine Widerlegung dieses albernen Klatsches liegt seit 7 Jahren gedruckt vor in dem früher zitierten Pamphlet "Der Ritter vom edelmüthigen Bewußtsein", New York 1853.

Damals lebte Schramm noch. Er, wie Willich, befand sich in den Vereinigten Staaten.

Willichs Sekundant Barthélemy war noch nicht gehangen; Schramms Sekundant, der brave polnische Offizier Miskowsky, war noch nicht verbrannt, und Herr Techow konnte sein Rundschreiben zur "Mitteilung an die Freunde" noch nicht vergessen haben.

In dem besagten Pamphlet befindet sich ein Brief meines Freundes Friedrich Engels, d.d. Manchester, 23. Novbr. 1853, worin es am Schluß heißt:

"In der Sitzung der Zentralbehörde, wo es zwischen Schramm und Willich zur Forderung kam, soll ich (Engels) (nach Willich) das Verbrechen begangen haben, mit Schramm kurz vor der Szene das 'Zimmer verlassen’, also die ganze Szene vorbereitet zu haben. Früher war es Marx (nach Willich), <444> der Schramm 'gehetzt’ haben sollte, jetzt zur Abwechslung bin ich es. Ein Duell zwischen einem alten, auf Pistolen eingeschossenen preußischen Lieutenant und einem Commerçant, der vielleicht nie eine Pistole in der Hand gehabt, war wahrlich eine famose Maßregel, um den Lieutenant 'aus dem Wege zu räumen’. Trotzdem erzählte Freund Willich überall, mündlich und schriftlich, wir hätten ihn erschießen lassen wollen ... Schramm war einfach wütend über Willichs schamloses Auftreten, und uns allen zur größten Überraschung zwang er ihn zum Duell. Schramm selbst hatte einige Minuten vorher keine Ahnung, daß es dazu kommen werde. Nie war eine Handlung spontaner ... Schramm entfernte sich nur (aus dem Sitzungslokal) auf persönliches Zureden von Marx, der weitern Skandal vermeiden wollte.

Fr. Engels." (p. 7 des "Ritters etc.")

Wie weit ich meinerseits entfernt war zu ahnen, daß Techow sich zum Vehikel des albernen Klatsches hergeben würde, ersieht man aus folgender Stelle desselben Pamphlets:

"Ursprünglich, wie Techow selbst bei seiner Rückkehr nach London mir und Engels erzählte, war Willich fest überzeugt, daß ich durch Schramms Vermittlung das Edle aus der Welt zu schaffen beabsichtige, und er schrieb diese Idee in alle Welt. Bei näherm Nachdenken fand er indes, daß ein diabolischer Taktiker wie ich unmöglich auf den Einfall kommen konnte, ihn durch ein Duell mit Schramm zu beseitigen." (p. 9, l.c.)

Was Techow Herrn Schimmelpfennig zur "Mitteilung an die Freunde" zuklatscht, klatscht er von Hörensagen nach. Karl Schapper, der in der später erfolgten Spaltung des Bundes für Willich Partei ergriff und Zeuge der Forderungsszene war, schreibt darüber an mich:

"5, Percy Street, Bedford Square,
27. Septbr. 1860

Lieber Marx!

Den Skandal zwischen Schramm und Willich betreffend, folgendes:

Derselbe fiel in einer Sitzung der Zentralbehörde vor und infolge eines heftigen Disputs, der sich zwischen beiden zufällig während der Diskussion entspann. Ich er innere mich noch recht gut, daß Du alles tatest, um Ruhe zu stiften und die Sache beizulegen, und daß Du über diese plötzliche Explosion ebenso erstaunt schienst als ich selbst und die übrigen anwesenden Mitglieder.

Salut
Dein Karl Schapper"

<445> Schließlich will ich noch erwähnen, daß Schramm selbst einige Wochen nach dem Duell mich in einem Briefe vom 31. Dezember 1850 der Parteilichkeit für Willich anklagte. Die Mißbilligung, die Engels und ich ihm offen vor und nach dem Duell über dasselbe ausgesprochen, hatte ihn augenblicklich verstimmt. Dieser sein Brief und andre von ihm und Miskowsky mir über das Duell zugekommene Papiere stehn seinen Verwandten zur Einsicht offen. Sie gehören nicht vor das Publikum.

Als Konrad Schramm nach seiner Rückkehr von den Ver[einigten] Staaten Mitte Juli 1857 mich wieder in London aufsuchte, war die kecke, hochaufgeschoßne Jünglingsgestalt zusammengebrochen unter einer unheilbaren Schwindsucht, die jedoch den charaktervoll schönen Kopf nur verklärt hatte. Mit seinem eigentümlichen Humor, der ihn keinen Augenblick verließ, war das erste, was er mir lachend mitteilte, seine eigne Todesanzeige, die ein indiskreter Freund auf ein Gerücht hin bereits in einem New-Yorker deutschen Blatte veröffentlicht hatte. Auf ärztlichen Rat begab sich Schramm nach St. Hélier in Jersey, wo Engels und ich ihn zum letztenmal sahen. Schramm starb am 16. Jan. 1858. Bei seinem Leichenzug, dem die ganze liberale Bürgerschaft von St. Hélier und die gesamte dort ansässige Emigration nachfolgten, hielt G. Julian Harney, einer der besten englischen Volksredner, früher bekannt als Chartistenführer und mit Schramm während seines Aufenthalts zu London befreundet, die Grabrede. Schramms ungestüme tatenkühne Feuernatur, die sich nie durch Alltagsinteressen binden ließ, war durchtränkt mit kritischem Verstand, origineller Denkkraft, ironischem Humor und naiver Gemütlichkeit. Er war der Percy Heißsporn unsrer Partei.

Zurück zu dem Brief des Herrn Techow. Einige Tage nach seiner Ankunft in London hatte er, des Abends späte, in einem Weinhause, wo Engels, Schramm und ich ihn bewirteten, ein längeres Rendezvous mit uns. Dies Rendezvous beschreibt er in seinem Brief an Schimmelpfennig vom 26. August 1850, "zur Mitteilung an die Freunde". Ich hatte ihn früher nie gesehn und sah ihn später vielleicht noch zweimal, aber nur ganz flüchtig. Dennoch durchschaute er sofort mir und meinen Freunden den Kopf, das Herz und die Nieren und beeilt sich, hinter unserm Rücken, einen psychologischen Steckbrief in die Schweiz zu schicken, dessen geheime Vervielfältigung und Verbreitung er den "Freunden" sorglichst anempfiehlt.

Techow macht sich viel mit meinem "Herzen" zu schaffen. Großmütig folge ich ihm nicht auf dies Gebiet. "Ne parlons pas morale" <"Reden wir nicht von Moral">, wie die Pariser Grisette sagt, wenn ihr Freund Politik spricht.

<446> Verweilen wir einen Augenblick bei dem Adressaten des Briefes vom 26. Aug., bei dem ehemaligen pr[eußischen] Lieutenant Schimmelpfennig. Ich kenne diesen Herrn nicht persönlich, habe ihn nie gesehn. Ich charakterisiere ihn aus zwei Briefen. Der erste Brief, den ich nur auszugsweise gebe, war von meinem Freunde W. Steffen, ehemaligem pr. Lieutenant und Lehrer an der Divisionsschule, an mich gerichtet und datiert von Chester, 23. Novbr. 1853. Es heißt darin:

"Willich hatte einmal einen Adjutanten hinübergeschickt" (nach Köln), "namens Schimmelpfennig. Dieser erzeigte mir die Ehre, mich rufen zu lassen, und war sehr fest überzeugt, daß er alle Verhältnisse von vornherein besser beurteilen könne als irgend jemand, der Tag für Tag den Tatsachen ins Auge sah. Er bekam daher eine sehr geringe Meinung von mir, als ich ihm mitteilte, die Offiziere der pr[eußischen] Armee würden sich nicht glücklich schätzen, unter seinem und Willichs Banner zu fechten, wären gar nicht geneigt, die Willichsche Republik citissime zu erklären. Noch mehr erzürnte er, als kein Mensch unsinnig genug war, seine fertig mitgebrachte Aufforderung an die Offiziere, sofort zu 'Das’ sich zu erklären, was er die Demokratie nannte, vervielfältigen zu wollen.

Wütend verließ er 'das von Marx geknechtete Köln’, wie er mir schrieb, und bewirkte die Vervielfältigung dieses Blödsinns in einem andern Orte, sandte ihn an eine Menge Offiziere, und so kam es, daß das keusche Geheimnis dieser schlauen Methode, die pr[eußischen] Offiziere zu Republikanern zu machen, von dem 'Zuschauer’ der 'Kreuzzeitung’ prostituiert wurde."

Zur Zeit dieses Abenteuers war Steffen, der erst 1853 nach England kam, mir noch gänzlich unbekannt. Schlagender noch charakterisiert Schimmelpfennig sich selbst in dem folgenden Briefe an denselben Hörfel, der später als französischer Polizeiagent enthüllt wurde, die Seele des Ende 1850 von Schimmelpfennig, Schurz, Häfner und andern damaligen Freunden Kinkels zu Paris gestifteten Revolutionskomitees, und [der] der intimste Vertraute der beiden Matadore Schurz und Schimmelpfennig war.

Schimmelpfennig an Hörfel (zu Paris 1851):

"Hier" (zu London) "ist jetzt folgendes geschehn ... Wir haben dorthin" (nach Amerika) "an alle unsre Bekannte von Einfluß geschrieben, die Anleihe" (Kinkel-Anleihe) "dadurch vorzubereiten, daß sie persönlich und in der Presse vorerst einige Zeit von der Macht der Konspiration sprechen, daß sie darauf hinweisen, wie tüchtige Kräfte, weder von der deutschen, französischen noch italienischen Seite, den Kampfplatz nie verlassen werden." (Die Geschichte hat keinen Datum nicht?) " ... Unsre Arbeit geht jetzt gut los. Sobald man Personen fallenläßt, die zu hartköpfig sind, so finden sie sich nachher ein und nehmen die gestellten Bedingungen gern an. Morgen werde ich mich nun, nachdem die Arbeit fest und gesichert ist, mit Ruge und Haug einlassen... Meine <447> soziale Lage ist wie die Deine eine sehr drückende. Es tut not, daß unser Geschäft bald besser auf den Strumpf kommt." (Nämlich das Kinkelsche Revolutionsanleihegeschäft.)

Dein Schimmelpfennig"

Dieser Brief Schimmelpfennigs befindet sich in den von A. Ruge im "Herold des Westens", Louisville, 11. Sptbr. 1853, veröffentlichten "Enthüllungen". Schimmelpfennig, der sich schon zur Zeit dieser Veröffentlichung in den Ver[einigten] Staaten aufhielt, hat niemals gegen die Echtheit des Briefes reklamiert. Ruges "Enthüllungen" sind Abdruck eines Dokumentes "Aus den Akten des Berliner Polizeipräsidiums". Das Dokument besteht aus Hinckeldeyschen Randglossen und Papieren, die entweder bei Schimmelpfennig und Hörfel zu Paris von der franz. Polizei abgefaßt oder bei dem Pastor Dulon zu Bremen aufgestiebert oder endlich während des Froschmäuslerkriegs zwischen Ruges Agitationsverein und Kinkels Emigrationsverein von den feindlichen Brüdern selbst der deutsch-amerikanischen Presse anvertraut wurden. Charakteristisch ist die Ironie, womit Hinckeldey von Schimmelpfennig sagt, er habe seine Kinkelsche Revolutionsanleihe-Missionsreise durch Preußen kurz abgebrochen, weil "er sich von der Polizei verfolgt wähnte"! In denselben "Enthüllungen" findet sich ein Brief von Karl Schurz, "dem Repräsentanten des Pariser Komitees (nämlich Hörfels, Häfners, Schimmelpfennigs usw.) in London", worin es heißt:

"Es ist gestern beschlossen worden, von der hier anwesenden Emigration, Bucher, Dr. Frank, Redz aus Wien und Techow, der bald hier sein wird, zu den Beratungen zuzunehmen. NB. Es ist Techow vorläufig von diesem Beschluß nichts weder mündlich noch schriftlich zu eröffnen, bis er hier ist." (K. Schurz an die "lieben Leute" zu Paris, London, 16. April I851.)

An einen dieser "lieben Leute", Herrn Schimmelpfennig, richtet Techow seinen Brief vom 26. August 1850 zur "Mitteilung an die Freunde". Zunächst teilt er dem "lieben Mann" von mir ganz geheimgehaltene Theorien mit, die er jedoch in unsrer einmaligen Zusammenkunft vermittelst des Sprichworts "in vino veritas" <"im Wein liegt Wahrheit"> mir sofort ablauscht.

"Ich", erzählt Herr Techow Herrn Schimmelpfennig "zur Mitteilung an die Freunde", "ich ... erklärte schließlich, daß ich sie" (Marx, Engels etc.) "mir immer über den Unsinn eines kommunistischen Glückseligkeitsstalles à la Cabet erhaben vorgestellt etc." (p. l50 des "Hauptbuchs".)

<448> Vorgestellt! Techow wußte also nicht einmal das Abc unsrer Ansichten, war jedoch großmütig und herablassend genug, sie sich nicht grade als "Unsinn" vorzustellen.

Wissenschaftlicher Arbeiten nicht zu erwähnen, hätte er auch nur das "Manifest der Kommunistischen Partei" gelesen, das er später als meinen "Proletarier-Katechismus" kennzeichnet, so fand er darin einen ausführlichen Abschnitt unter dem Titel "Sozialistische und kommunistische Literatur" und am Schluß dieses Abschnitts einen Paragraph "Der kritisch-utopistische Sozialismus und Kommunismus", worin es heißt:

"Die eigentlich sozialistischen und kommunistischen Systeme, die Systeme Saint-Simons, Fouriers, Owens usw. tauchen auf in der ersten unentwickelten Periode des Kampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die wir oben dargestellt haben ... Die Erfinder dieser Systeme sahen zwar den Gegensatz der Klassen wie die Wirksamkeit der auflösenden Elemente in der herrschenden Gesellschaft selbst. Aber sie erblickten auf der Seite des Proletariats keine geschichtliche Selbsttätigkeit, keine ihm eigentümliche politische Bewegung. Da die Entwicklung des Klassengegensatzes gleichen Schritt hält mit der Entwicklung der Industrie, finden sie ebensowenig die materiellen Bedingungen zur Befreiung des Proletariats vor und suchen nach einer sozialen Wissenschaft, nach sozialen Gesetzen, um diese Bedingungen zu schaffen. An die Stelle der gesellschaftlichen Tätigkeit muß ihre persönlich erfinderische Tätigkeit treten, an die Stelle der geschichtlichen Bedingungen der Befreiung phantastische, an die Stelle der allmählich vor sich gehenden Organisation des Proletariats zur Klasse eine eigens ausgeheckte Organisation der Gesellschaft. Die kommende Weltgeschichte löst sich für sie auf in Propaganda and praktische Ausführung ihrer Gesellschaftspläne ... Die Bedeutung des kritisch-utopistischen Sozialismus und Kommunismus steht in umgekehrtem Verhältnisse zur geschichtlichen Entwicklung ... Waren daher die Urheber dieser Systeme auch in vieler Beziehung revolutionär, so bilden ihre Schüler jedesmal reaktionäre Sekten [...] und [...] träumen noch immer die versuchsweise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzelner Phalansterien, Gründung von Home-Kolonien, Errichtung eines kleinen Ikariens - Duodezausgabe des neuen Jerusalems ..." ("Manifest der Kommunistischen Partei", 1848, p. 21, 22)

In den letzten Worten ist Cabets Ikarien oder, wie Techow es nennt, "Glückseligkeitsstall" ausdrücklich als "Duodezausgabe des neuen Jerusalems" bezeichnet,

<449> Die eingestandene gänzliche Unbekanntschaft Techows mit den Ansichten, die Engels und ich jahrelang vor unsrer Zusammenkunft mit ihm durch den Druck bekannt gemacht hatten, ist ein Umstand, der seinen Mißverstand völlig aufklärt. Zu seiner eignen Charakteristik einige Beispiele:

"Er" (Marx) "lacht über die Narren, welche ihm seinen Proletarier-Katechismus nachbeten, so gut wie über die Kommunisten à la Willich, so gut wie über die Bourgeois. Die einzigen, die er achtet, sind ihm die Aristokraten, die reinen und die es mit Bewußtsein sind. Um sie von der Herrschaft zu verdrängen, braucht er eine Kraft, die er allein in dem Proletariat findet, deshalb hat er sein System auf sie zugeschnitten." (p. 152 des "Hauptbuchs".)

Techow "stellt" sich also "vor", ich habe einen "Proletarier-Katechismus" verfaßt. Er meint das "Manifest", worin der sozialistische und kritische Utopismus aller Sorten kritisiert und, wenn Techow will, "verlacht" wird. Nur war dies "Verlachen" nicht so einfach, wie er sich "vorstellt", sondern erheischte ein gut Stück Arbeit, wie er aus meiner Schrift gegen Proudhon "Misère de la philosophie" (1847) ersehn konnte. Techow "stellt" sich ferner "vor", ich habe ein "System" "zugeschnitten", während ich umgekehrt, auch in dem direkt für die Arbeiter bestimmten "Manifest", alle Systeme verwarf und an ihre Stelle "die kritische Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der wirklichen gesellschaftlichen Bewegung" setzte. Eine solche "Einsicht" läßt sich aber weder nachbeten noch gleich einer Patrontasche "zuschneiden. Von seltner Naivetät ist die Auffassungsweise über das Verhältnis von Aristokratie, Bourgeoisie und Proletariat, wie Techow sie sich "vorstellt" und mir unterstellt.

Die Aristokratie "achte" ich, über die Bourgeoisie "lache" ich, und für die Proletarier schneide ich ein System zu", um durch sie die Aristokratie "von der Herrschaft zu verdrängen". In dem ersten Abschnitt des "Manifestes", betitelt "Bourgeois und Proletarier" (s. "Manifest", p. 11), wird ausführlich entwickelt, daß die ökonomische und daher auch, in einer oder der andern Form, die politische Herrschaft der Bourgeoisie die Grundbedingung ist sowohl für die Existenz des modernen Proletariats wie für die Schöpfung der "materiellen Bedingungen seiner Befreiung". Die "Entwicklung des modernen Proletariats" (siehe "Revue der Neuen Rheinischen Zeitung", Januar 1850, p. 15) "ist überhaupt bedingt durch die Entwicklung der industriellen Bourgeoisie. Unter ihrer Herrschaft gewinnt es erst die ausgedehnte nationale Existenz, die seine Revolution zu einer nationalen erheben kann, schafft es selbst erst die modernen Produktionsmittel, welche <450> ebenso viele Mittel seiner revolutionären Befreiung werden. Ihre Herrschaft reißt erst die materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft aus und ebnet das Terrain, worauf allein eine proletarische Revolution möglich ist." Ich erkläre daher in derselben "Revue" jede proletarische Bewegung, an welcher sich England nicht beteiligt, für einen Sturm in einem Glase Wasser". Engels hatte schon 1845 in seiner "Lage der arbeitenden Klasse in England" dieselbe Ansicht entwickelt. In Ländern also, wo die Aristokratie im kontinentalen Sinn - und so verstand Techow "die Aristokratie" erst von der "Herrschaft verdrängt" werden muß, fehlt meiner Ansicht nach die erste Voraussetzung einer proletarischen Revolution, nämlich ein industrielles Proletariat auf nationaler Stufenleiter.

Meine Ansicht über das Verhältnis, das speziell die deutschen Arbeiter zur bürgerlichen Bewegung einnahmen, fand Techow in dem "Manifest" sehr bestimmt ausgesprochen.

"In Deutschland kämpft die kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei. Sie unterläßt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feindlichen Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat herauszubilden" usw. (p. 23, "Manifest".)

Als ich wegen "Rebellion" vor einer bürgerlichen Jury zu Köln stand, erklärte ich in demselben Sinn: "In der modernen bürgerlichen Gesellschaft gibt es noch Klassen, aber keine Stände mehr. Ihre Entwicklung besteht in dem Kampfe dieser Klassen, aber diese sind vereinigt gegenüber den Ständen und ihrem gottbegnadeten Königtum." (p. 59, "Zwei politische Prozesse, verhandelt vor den Februar-Assisen zu Köln 1849".)

Was andres tat die liberale Bourgeoisie in ihren Aufrufen an das Proletariat von 1688 bis 1848, als "Systeme und Phrasen zuschneiden", um durch seine Kraft die Aristokratie von der Herrschaft zu verdrängen? Des Pudels Kern, den Herr Techow aus meiner Geheimtheorie herausschält, wäre also der ordinärste bürgerliche Liberalismus! Tant de bruit pout une omelette! <Soviel Lärm um einen Eierkuchen!> Da Techow nun aber doch andrerseits wußte, daß "Marx" kein bürgerlicher Liberaler war, blieb ihm nichts übrig, als "den Eindruck mitzunehmen, daß seine persönliche Herrschaft der Zweck all seines Treibens ist". "All mein Treiben", welch gemäßigter Ausdruck für meine einmalige Unterredung mit Herrn Techow!

<451> Techow vertraut seinem Schimmelpfennig ferner "für Mitteilung an die Freunde", daß ich folgende ungeheuerliche Ansicht ausgesprochen:

"Am Ende sei es ja auch ganz gleichgültig, ob dieses erbärmliche Europa zugrunde ginge, was ohne die soziale Revolution binnen kurzem geschehn müsse, und ob dann Amerika das alte System auf Kosten Europas ausbeute." (p. 148 des "Hauptbuchs".)

Meine Unterredung mit Techow fand Ende August 1850 statt. Im Februarheft 1850 der "Revue der Neuen Rheinischen Zeitung", also acht Monate bevor Techow mir dieses Geheimnis ablauschte, verriet ich dem deutschen Publikum folgendes:

"Wir kommen nun zu Amerika. Das wichtigste Faktum, das sich hier ereignet hat, wichtiger als die Februarrevolution, ist die Entdeckung der kalifornischen Goldgruben. Schon jetzt, nach kaum achtzehn Monaten, läßt sich voraussehen, daß diese Entdeckung viel großartigere Resultate haben wird als selbst die Entdeckung Amerikas ... Zum zweiten Mal bekommt der Welthandel eine neue Richtung... Dann wird der Stille Ozean dieselbe Rolle spielen wie jetzt der Atlantische und im Altertum und Mittelalter das Mittelländische Meer - die Rolle der großen Wasserstraße des Weltverkehrs; und der Atlantische Ozean wird herabsinken zu der Rolle eines Binnensees, wie sie jetzt das Mittelmeer spielt. Die einzige Chance, daß die europäischen zivilisierten Länder dann nicht in dieselbe industrielle, kommerzielle und politische Abhängigkeit fallen, in der Italien, Spanien und Portugal sich jetzt befinden, liegt in einer gesellschaftlichen Revolution etc." (p. [76,] 77, "Revue", Zweites Heft, Februar 1850.)

Nur gehört Herrn Techow das "binnen kurzem zugrunde gehn" des alten Europas und die nächsten Morgen stattfindende Thronbesteigung Amerikas. Wie klar ich damals über die nächste Zukunft Amerikas war, ersieht man aus folgender Stelle derselben "Revue": "Die Überspekulation wird sich sehr bald entwickeln, und wenn auch englisches Kapital massenhaft [...] eintreten [...] wird, so bleibt doch New York diesmal das Zentrum des ganzen Schwindels und wird, wie 1836, zuerst seinen Zusammenbruch erleben." (p. 149, Doppelheft der "Revue", Mai bis Oktober 1850.) Dieses Prognostikon, das ich Amerika im Jahre 1850 gestellt hatte, sollte sich wörtlich in der großen Handelskrise von 1857 erfüllen. Von dem "alten Europa", nach Schilderung seines ökonomischen Aufschwunges, sage ich dagegen: "Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktionskräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln ..., kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein... Die verschiedenen Zänkereien, in denen sich jetzt die Repräsentanten der einzelnen Fraktionen der kontinentalen Ord- <452> nungspartei ergehn und gegenseitig kompromittieren, weit entfernt, zu einer Revolution Anlaß zu geben, sind im Gegenteil nur möglich, weil die Grundlage der Verhältnisse momentan so sicher und, was die Reaktion nicht weiß, so bürgerlich ist. An ihr werden alle die bürgerliche Entwicklung aufhaltenden Reaktionsversuche ebensosehr abprallen wie alle sittliche Entrüstung und alle begeisterten Proklamationen der Demokraten. Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer Krisis." (p. 153, l.c.)

In der Tat nahm die europäische Geschichte erst wieder seit der Krise von 1857/58 einen akuten und, wenn man will, revolutionären Charakter an. In der Tat entwickelten sich grade während der Reaktionsepoche von 1849 bis 1859 Industrie und Handel auf dem Kontinent in vorher ungeahntem Maßstab und mit ihnen die materielle Grundlage für die politische Herrschaft der Bourgeoisie. In der Tat prallten, während jener Epoche, "alle sittliche Entrüstung und alle begeisterten Proklamationen der Demokratie" an den ökonomischen Verhältnissen ab.

Wenn Techow den Ernst unsrer Unterredung so spaßhaft, nahm er dagegen ihren Spaß um so ernsthafter. Mit feierlichster Leichenbittermiene unterrichtet er seinen Schimmelpfennig "zur Mitteilung an die Freunde":

"Ferner Marx: Die Offiziere sind in Revolutionen stets die gefährlichsten, von Lafayette bis zu Napoleon eine Kette von Verrätern und Verrätereien. Man muß Dolch und Gift stets für sie bereithalten."(p. 153 des "Hauptbuchs".)

Den Gemeinplatz über die Verrätereien der "Herren vom Militär" wird selbst Techow mir nicht als einen Originalgedanken oktroyieren wollen. Das Originelle läge in dem stets bereitzuhaltenden "Dolch und Gift". Wußte Techow nicht schon damals, daß wirklich revolutionäre Regierungen, wie z.B. das comité du salut public, wenn auch sehr drastische, doch minder melodramatische Mittel für die "Herren vom Militär" bereithielten? Dolch und Gift paßten höchstens in den Kram einer venetianischen Oligarchie. Wenn Techow seinen eignen Brief wieder studiert, wird er nachträglich die Ironie aus "Dolch und Gift" herauslesen. Vogts Mitstrolch, der notorische bonapartistische Mouchard Edouard Simon übersetzt in der "Revue contemporaine" (XIII, Paris 1860, p. 528, in seinem "le procès de M. Vogt etc.") die letzte Stelle aus Techows Brief mit einer Randglosse:

"Marx n’aime pas beaucoup voir des officiers dans sa bande. Les officiers sont trop dangereux dans les révolutions.

<453> Il faut toujours tenir prêts pour eux le poignard et le poison!

Techow, qui est officier, se le tient pour dit; il se rembarque et retourne en Suisse."

<"Marx sieht nicht gern Offiziere in seiner Bande. Offiziere sind bei Revolutionen zu gefährlich. Man muß für sie immer Dolch und Gift bereithalten. Techow, der Offizier ist, läßt es sich gesagt sein: er schifft sich wieder ein und kehrt in die Schweiz zurück.">

Edouard Simon läßt den armen Techow so gewaltig erschrecken vor dem von mir bereitgehaltenen "Dolch und Gift", daß er schnurstracks ausreißt, sich einschifft und nach der Schweiz zurückkehrt. Der Reichs-Vogt druckt die Stelle mit "Dolch und Gift" in fetter Schrift, um dem deutschen Philisterium bange zu machen. Dieselbe lustige Person schreibt jedoch in ihren sogenannten "Studien":

"Das Messer und das Gift des Spaniers strahlen heute in verklärtem Glanze - es galt ja der Unabhängigkeit der Nation." (p. 79, l.c.)

Ganz nebenbei bemerkt: Die spanischen und englischen Geschichtsquellen über die Periode von 1807 bis 1814 haben die von den Franzosen erfundenen Giftmärchen längst widerlegt. Aber für die Kannegießerei existieren sie natürlich ungestört fort.

Ich komme endlich zu den "Klatschereien" in Techows Brief und werde an einigen Beispielen seine historische Unbefangenheit nachweisen:

"Zuerst war die Rede von der Konkurrenz zwischen ihnen und uns, der Schweiz und London [...] Sie hätten die Rechte des alten Bundes zu wahren gehabt, der natürlich um seiner bestimmten Parteistellung willen einen andern auf demselben Gebiet" (Proletariat) "nicht in Freundschaft hätte neben sich dulden können." (p. 143 des "Hauptbuchs".)

Die Konkurrenzgesellschaft in der Schweiz, wovon Techow hier spricht und als deren Repräsentant er uns gewissermaßen entgegentrat, war die schon erwähnte "Revolutionäre Zentralisation". Ihre Zentralbehörde saß zu Zürich, an ihrer Spitze als Präsident ein Advokat, ehemaliger Vizepräsident eines der 1848er Duodezparlamente und Mitglied einer der deutschen provisorischen Regierungen von 1849 <Tzschirner>. Im Juli 1850 traf Dronke in Zürich ein, wo ihm als Mitglied des Londoner "Bundes" eine Art notarieller Vertrag von dem Herrn Advokaten "zur Mitteilung" an mich vorgelegt ward. Es heißt darin wörtlich:

"Zwischen der Kommunistenverbindung und der revolutionären Zentralisation ist man in Erwägung der Notwendigkeit einer Vereinigung aller wahrhaft revolutionären Elemente, und nachdem sämtliche Mitglieder der revolutionären Zentralbehörde den Charakter der nächsten Revolution als einen proletarischen anerkannt, wenn sie auch <454> nicht alle imstande waren, sich unbedingt zu dem von London aus aufgestellten Programm (Manifest von 1848) zu bekennen, über folgende Punkte übereingekommen:

1. Beide Teile sind einverstanden, nebeneinander fortzuarbeiten - die revolutionäre Zentralisation, indem sie durch Vereinigung aller revolutionären Elemente die nächste Revolution, die Londoner Gesellschaft, indem sie durch die Organisation der vorzugsweise proletarischen Elemente die Herrschaft des Proletariats vorzubereiten sucht;

2. die revolutionäre Zentralisation instruiert ihre Agenten und Emissäre dahin, daß sie bei Bildung von Sektionen in Deutschland die Mitglieder, welche zum Eintritt in die Kommunistenverbindung geeignet scheinen, auf den Bestand einer vorzugsweise im proletarischen Interesse eingerichteten Organisation aufmerksam machen;

3. und 4., daß die Leitung für die Schweiz nur wirklichen Anhängern des Londoner Manifests in der 'revolutionären Zentralbehörde’ überlassen und gegenseitig Bericht abgestattet werden solle."

Man ersieht aus diesem noch in meinem Besitz befindlichen Schriftstück: Es handelte sich nicht um zwei geheime Gesellschaften "auf demselben Gebiet" (Proletariat), sondern um die Allianz zweier Gesellschaften auf verschiedenen Gebieten und mit verschiedenen Tendenzen. Man ersieht ferner: Die "revolutionäre Zentralisation" erklärte sich bereit, nebst Verfolgung ihrer eigenen Zwecke, eine Art Sukkursale für den "Bund der Kommunisten" zu bilden.

Der Vorschlag wurde abgelehnt, weil seine Annahme mit dem "prinzipiellen" Charakter des "Bundes" unvereinbar war.

"Nun kam Kinkel an die Reihe ... Darauf antworteten sie ... Nach billiger Popularität hätten sie niemals gestrebt, im Gegenteil! [...] Was Kinkel angehe, so hätten sie ihm seine wohlfeile Popularität von Herzen gegönnt, wäre er ruhig geblieben. Nachdem er aber jene Rastatter Rede in der Berliner 'Abend-Post’ veröffentlicht, sei Friede nicht möglich gewesen. Daß alle Welt schreien würde, hatten sie gewußt; daß sie damit um die Existenz ihres jetzigen Blattes" (der "Revue der Rheinischen Zeitung") "spielten, hätten sie sich klar vorausgesagt. Auch sei ihre Befürchtung eingetroffen. Sie seien an der Geschichte zugrunde gegangen, hätten all ihre Abonnenten in der Rheinprovinz verloren und müßten nun das Blatt eingehn lassen. Aber das tue ihnen nichts." (p. 146-148, l.c.)

Erst zur tatsächlichen Berichtigung: Weder war damals die "Revue" untergegangen, denn noch 3 Monate später erschien ein neues Doppelheft derselben, noch hatten wir einen einzigen Abonnenten in der Rheinprovinz verloren, wie mein alter Freund J. Weydemeyer, ehemaliger pr[eußischer] Artillerie-Lieutenant, damals Redakteur der "N[euen] Deutschen Zeitung" zu Frankfurt, bezeugen kann, da er so gefällig war, die Abonnentengelder für uns einzuziehn. Im übrigen mußte Techow, der Engels’ und meine Schriftstellerei nur von Hörensagen kannte, doch wenigstens unsre <455> von ihm selbst kritisierte Kritik der Kinkelschen Rede gelesen haben. Wozu also seine vertrauliche Mitteilung an die "lieben Leute" in der Schweiz? Warum ihnen "enthüllen", was wir selbst bereits 5 Monate früher dem Publikum enthüllt hatten? Es heißt wörtlich in der erwähnten Kritik:

"Wir wissen im voraus, daß wir die allgemeine Entrüstung der sentimentalen Schwindler und demokratischen Deklamatoren hervorrufen werden, indem wir diese Rede des 'gefangenen’ Kinkel unsrer Partei denunzieren. Dies ist uns vollständig gleichgültig. Unsre Aufgabe ist die rücksichtslose Kritik ... Und indem wir diese unsre Stellung behaupten, verzichten wir mit Vergnügen auf die wohlfeile demokratische Popularität. Wir verschlechtern durch unsern Angriff die Lage des Herrn Kinkel keineswegs: Wir denunzieren ihn der Amnestie, indem wir sein Bekenntnis bestätigen, daß er nicht der Mann ist, für den man ihn zu halten vorgibt, indem wir erklären, daß er würdig ist, nicht nur amnestiert zu werden, sondern selbst in pr[eußischen] Staatsdienst zu treten. Zudem ist seine Rede veröffentlicht." (p. 70, 71, "Revue der Neuen Rheinischen Zeitung", April 1850.)

Techow spricht von unsrer "Kompromittierung" der petits grands hommes der Revolution. Er versteht diese "Kompromittierung" jedoch nicht im polizistischen Sinne des Herrn Vogt. Er meint umgekehrt die Operation, wodurch wir Schafen, die sich in revolutionäre Wolfshäute verkleidet hatten, die anstößige Hülle abschälten, sie so bewahrend vor dem Schicksal des berühmten provenzalischen Troubadours, der von den Hunden zerrissen wurde, weil sie an die Wolfshaut glaubten, worin er jagen ging.

Als ein Beispiel der anstößigen Art unsrer Angriffe bezeichnet Techow namentlich die gelegentliche Glosse über General Sigel in Engels’ Darstellung der "Reichsverfassungskampagne". (S. "Revue", März 1850, p, 70 bis 78.)

Nun vergleiche man die aktenmäßig belegte Kritik von Engels mit folgendem böswillig seichtem Gewäsch, das der von Techow, Kinkel, Willich, Schimmelpfennig, Schurz, H. B. Oppenheim, Eduard Meyen usw. betriebene Londoner "Emigrationsverein", ungefähr ein Jahr nach unsrer Zusammenkunft mit Techow, gegen denselben General Sigel drucken ließ, und zwar aus keinem andern Grunde, als weil Sigel zu Ruges "Agitationsverein" statt zu Kinkels "Emigrationsverein" hielt.

Am 3. Dezember 1851, unter dem Titel "Der Agitationsverein in London", brachte nämlich der "Baltimore Correspondent", damals eine Art Kinkel-Moniteur, folgende Charakteristik Sigels:

<456> "Sehen wir weiter, wer diese gediegenen Männer sind, denen alle andern als 'unreife Politiker’ erscheinen. Der Oberfeldherr Sigel. Wenn die Muse der Geschichte einst gefragt wird, wie diese blasse Unbedeutendheit zur Oberfeldherrschaft gelangt ist, so kommt sie in größre Verlegenheit als mit dem Mondkalbe Napoleon. Dieser ist wenigstens der 'Neffe des Onkels’, Sigel ist aber nur der 'Bruder seines Bruders’. Sein Bruder war durch mißliebige Äußerungen gegen die Regierung, hervorgerufen durch öftern Arrest, den er wegen banaler Liederlichkeit zu erdulden hatte, ein populärer Offizier geworden. Der junge Sigel hielt dies für einen genügenden Grund, sich in der ersten Konfusion der revolutionären Erhebung zum Oberfeldherrn und Kriegsminister auszurufen. Die badische Artillerie, welche ihre Vorzüglichkeit oft bewiesen, hatte ältere und gediegene Offiziere genug, vor denen der junge, schülerhafte Lieutenant Sigel zurücktreten mußte, und die nicht wenig empört waren, einem jungen, unbedeutenden, ebenso unerfahrenen als talentlosen Menschen zu gehorchen. Aber es gab ja einen Brentano, welcher so schwachköpfig und verräterisch war, alles geschehn zu lassen, was die Revolution ruinieren mußte. Ja, es ist eine lächerliche Tatsache, aber es ist Tatsache, daß Sigel sich selbst zum Oberfeldherm gemacht und Brentano ihn nachträglich anerkannt hat ... Bemerkenswert ist jedenfalls jener Charakterzug, daß Sigel die tapfersten Soldaten des republikanischen Heeres im verzweifelten hoffnungslosen Kampfe in Rastatt und im Schwarzwald ohne die versprochenen Hülfstruppen im Stiche gelassen, während er selbst mit den Epauletten und im Kabriolett des Fürsten von Fürstenberg in Zürich herumfuhr und als interessanter, unglücklicher Oberfeldherr paradierte. Das ist die bekannte Größe des reifen Politikers, welcher im 'erlaubten Selbstgefühl’ seiner frühern Heldentaten sich zum zweitenmal als Oberfeldherrn im Agitationsverein oktroyierte. Das ist der große Bekannte, der 'Bruder seines Bruders’."

Die Unparteilichkeit erheischt, daß wir einen Augenblick auch Ruges "Agitationsverein" in der Person seines Wortführers Tausenau hören. Tausenau, in einem offnen Sendschreiben d.d. London, 14. Novbr. 1851, "An den Bürger Seidensticker", bemerkt mit Bezug auf den von Kinkel, Techow usw. geleiteten "Emigrationsverein" u.a.:

"... Sie sprechen die Überzeugung aus, daß eine Einigung aller im Interesse der Revolution patriotische Pflicht und Dringlichkeit sei. Der deutsche Agitationsverein teilt diese Überzeugung, und seine Mitglieder haben sie in langatmigen Einigungsversuchen mit Kinkel und seinen Anhängern betätigt. Jede Grundlage einer politischen Kooperation schwand aber, sobald sie gewonnen schien, und neue Täuschungen folgten den alten. Eigenmächtigkeiten gegen frühere Verabredungen, separate Interessen unter der Maske der Versöhnlichkeit, systematische Erschleichung von Majoritäten, Auftritt unbekannter Größen als organisierende Parteichefs, Oktroyierungsversuche eines geheimen Finanzausschusses und wie alle die Winkel- und Schachbrettzüge heißen mögen, womit unreife Politiker jederzeit die Geschicke ihres Landes im Exil zu lenken meinten, während schon die erste Glühhitze der Revolutionen solche Eitelkeiten zu leerem Dunst verflüchtigt ... Wir wurden von Kinkels Anhängern öffentlich und offiziell <457> denunziert; die reaktionäre uns unzugängliche deutsche Presse wimmelt von uns ungünstigen und Kinkel günstigen Korrespondenzen, und endlich reiste Kinkel in die Vereinigten Staaten, um uns durch seine dort in Angriff genommene s.g. deutsche Anleihe eine Vereinigung oder, besser gesagt, eine Unterordnung und Abhängigkeit zu diktieren, die jeder Urheber finanzieller Parteiverschmelzungen beabsichtigt. Die Abreise Kinkels wurde so vorsichtig geheimgehalten, daß wir sie erst mit der Nachricht von seiner Ankunft in New York aus amerikanischen Blättern erfuhren ... Das und noch mehr waren für ernste Revolutionäre, die sich nicht überschätzten, aber im Bewußtsein früherer Leistungen mit Selbstgefühl sagen dürfen, daß wenigstens klar umschriebene Teile des Volkes hinter ihnen stehen, gebieterische Motive, in einen Verein zu treten, der in seiner Art die Interessen der Revolution zu fördern sucht."

Kinkel wird ferner angeklagt, daß die von ihm gesammelten Fonds "einer Clique" dienen sollten, wie "sein ganzes Betragen hier" (London) "und in Amerika zeige", nicht minder "die Mehrzahl der von Kinkel selbst bestallten Garanten".

Am Schlusse heißt es:

"Wir versprechen unsern Freunden keine Zinsen und keine Rückzahlung ihrer patriotischen Spenden, wir wissen aber, daß wir ihr Vertrauen durch positive" (reelle Bedienung?) "Leistungen und gewissenhafte Rechnungsstellung rechtfertigen werden und daß ihrer einst mit der Veröffentlichung ihrer Namen von unsrer Seite der Dank des Vaterlands wartet." ("Baltimore Wecker" vom 29. Nov. 1851.)

Das war die Art "literarischer Tätigkeit", welche die demokratischen Helden des "Agitationsvereins" und des "Emigrationsvereins", wozu später noch der von Goegg gestiftete "Revolutionsbund beider Welten" hinzukam, in der deutsch-amerikanischen Presse während 3 Jahren entwickelten. (Siehe Beilage 6.)

Der Flüchtlingsskandal in der amerikanischen Presse war übrigens eröffnet worden durch ein papiernes Turnier zwischen den Parlamentlern Zitz und Roesler von Oels.

Hier noch eine für Techows "liebe Leute" charakteristische Tatsache.

Schimmelpfennig, der Adressat von Techows Brief "zur Mitteilung an die Freunde", hatte (wie schon oben erwähnt) Ende 1850 mit Hörfel, Häfner, Goegg und andern (K. Schurz kam später hinzu) ein sogenanntes Revolutionskomitee in Paris errichtet.

Vor mehreren Jahren wurde ein Schreiben eines ehemaligen Mitglieds dieses Komitees an einen hiesigen politischen Flüchtling mir zu beliebigem Gebrauch übermacht. Das Papier befindet sich noch in meinem Besitz.

<458> Es heißt darin u.a.:

"Schurz und Schimmelpfennig machten das ganze Komitee aus. Was sie sich noch als eine Art von Beisitzern beilegten, war nur zum Figurieren. Jene zwei Herren glaubten damals ihren Kinkel, den sie förmlich für sich expropiiert hatten, bald an die Spitze der Geschäfte in Deutschland bringen zu können. Namentlich waren ihnen verhaßt die Sarkasmen Ruges wie die Kritik und das dämonische Treiben des Marx. Bei einer Zusammenkunft jener Herren mit ihren Beisitzern machten sie uns von Marx wirklich eine interessante Schilderung und brachten uns von seiner pandämonischen Gefährlichkeit eine übertriebene Meinung bei ... Schurz-Schimmelpfennig brachte einen Antrag ein, den Marx zu vernichten, Verdächtigung und Intrige, die frechsten Verleumdungen wurden als Mittel anempfohlen. Eine bejahende Abstimmung und ein Beschluß, wenn Sie das kindische Spiel so nennen wollen, fand statt. Der nächste Schritt zur Ausführung war die von L. Häfner, auf Grundlage der oben erwähnten Schilderung des Schurz und Schimmelpfennig, im Feuilleton der 'Hamburger Nachrichten’ <(1860) des 'Hamburger Anzeigers'> Anfang 1851 veröffentlichte Charakteristik von Marx."

Jedenfalls besteht die auffallendste Wahlverwandtschaft zwischen Häfners Feuilleton und Techows Schreiben, obgleich weder das eine noch das andere an Vogts "Lausiade" hinanreicht. Man muß die Lausiade nicht verwechseln mit der "Lusiada" von Camoens. Die ursprüngliche "Lousiad" ist vielmehr ein heroisch-komisches Epos des Peter Pindar.


Fußnoten von Marx

(1) "Dem ekeln Sacke,
Der Sch- macht aus dem, was er verschluckt." <=